Tichys Einblick: Herr Luthe, Sie sind Vizepräsident der deutsch-afghanischen Gesellschaft. Was soll jetzt mit den Afghanen geschehen, die das Land nach der Machtübernahme der Taliban verlassen müssen? Wie viele von ihnen sollte und kann Berlin und Deutschland aufnehmen?
Marcel Luthe: Ich habe in den letzten Jahren Journalisten, Bürgerrechter und überzeugte Demokraten unter den Afghanen kennengelernt, die aktuell in Afghanistan nicht mehr sicher sein können – diesen Menschen müssen wir helfen. Ob man den meisten dieser Menschen – und der Zukunft des afghanischen Volkes – nutzt, wenn man sie nach Deutschland holt, statt für eine sichere Aufnahme in einem heimatnahen Land aus humanitären Gründen die Kosten zu tragen, sollten wir offen diskutieren.
Schon mit Blick auf die Lage am Wohnungsmarkt macht es wenig Sinn, in Deutschland diese Menschen ausgerechnet in Berlin unterzubringen – das geht in anderen Bundesländern deutlich günstiger, so dass wir mit weniger Geld mehr Menschen helfen könnten. Hier muss Vernunft statt Ideologie herrschen.
In einem offenen Brief habe ich mich deshalb an den österreichischen Bundeskanzler gewendet, der als Integrationsstaatssekretär mit „Zusammen: Österreich“ vor zehn Jahren ein bemerkenswertes Programm umgesetzt hatte, von dem wir in Berlin sicher lernen können.
Warum Sebastian Kurz? Er hat sich sehr skeptisch über die Aufnahmemöglichkeit von Afghanen geäußert. Der Luxemburger Außenminister Asselborn meinte darauf, Kurz verliere gerade „das Privileg, Europäer zu sein“.
Warum Asselborn? Luxemburg hat 2020 sage und schreibe 41 afghanische Flüchtlinge aufgenommen, 2/3 der Anträge abgelehnt. Das etwa 14-mal größere Österreich hat das 70-fache an Flüchtlingen aufgenommen und 2/3 der Anträge angenommen. Statt starker Worte – glaubt Herr Asselborn, darüber befinden zu haben, wer Europäer ist? – hat er doch ganz offenkundig kein Recht, Österreich zu belehren, sondern sollte von dort lernen, wie er mehr Menschen in Luxemburg aufnehmen kann.
Was sollte Berlin Ihrer Meinung nach von Österreich lernen?
Zunächst einmal müssen wir aufhören, Flüchtlinge als Umsatzbringer für Sozialunternehmen zu betrachten und uns fragen, wieviel der eingesetzten Mittel eigentlich den Menschen zu Gute kommt und wie viel den ach-so-hilfsbereiten Organisationen, die damit – ich erinnere exemplarisch an die Berliner Treberhilfe oder den Frankfurter AWO-Skandal – ihren persönlichen Luxus finanzieren. Ziel dieser Menschen ist es auch nicht, ihr Leben lang auf der Flucht zu sein, sondern – so höre ich es von vielen Afghanen – irgendwann wieder nach Hause zu können.
Wie lassen sich die Afghanen, die schon hier leben und jetzt nicht zurückkönnen, besser integrieren? In Berlin gab es kürzlich einen aufsehenerregenden Mord an einer jungen Frau durch Familienmitglieder, weil sie westlich leben wollte.
Ich bin mir sicher, dass durchaus nun Menschen nach Afghanistan zurückkönnen, die vor wenigen Wochen verfolgt worden wären. Aber grundsätzlich gilt, dass gerade junge Menschen klare Werte und Normen brauchen, um nicht in Kriminalität oder ideologischen Extremismus abzurutschen. Wenn wir diese Menschen allein lassen, wenn wir ihnen nicht vermitteln, dass sie eine Chance haben, an unseren Werten des Grundgesetzes – mit allen Rechten und Pflichten – teilzunehmen, werden sie sich in einer sozialen Untergruppe einrichten – und diese mit aller Macht gegen vermeintliche Erosionen – Kontrollverlust – verteidigen. Die Mörder – und das ist das Tragische, denn das hat sicher niemand gewollt – sind das Ergebnis einer Laissez-faire-Haltung in der Integrationspolitik, die den Eindruck vermittelt hat, man könne in Deutschland nach seinen eigenen „Regeln“ leben.
Die Berliner Senatorin Breitenbach wollte in diesem Zusammenhang nur über „Männergewalt“ diskutieren, und lehnt eine Debatte über kulturelle Probleme ab. Was muss sich an der öffentlichen Diskussion in Deutschland jetzt ändern?
Die Integrationssenatorin Breitenbach, deren Vetter Harald Wolf Vizepräsident des Arbeitersamariterbundes ist, der Flüchtlingsunterkünfte betreibt? Wie überall auch müssen wir von der ideologischen Blindheit zunächst einmal zur nüchternen Vernunft kommen und die Tatsachen betrachten: Mehr als ein Drittel der Tatverdächtigen bei Sexualdelikten 2020 in Berlin hatte keine deutsche Staatsangehörigkeit – also weitaus mehr als der Anteil an der Bevölkerung. Bei den Tötungsdelikten liegt der Anteil der nichtdeutschen Tatverdächtigen sogar bei über 45 Prozent. Das sind empirisch schlichte Tatsachen, deren Ursache man ergründen muss, um zukünftige Taten zu verhindern. Wer sich weigert, diese Ursachenforschung zu betreiben, muss auch für die Folgen dieser Weigerung die Verantwortung übernehmen. Ich halte das gegenüber den zahlreichen Opfern von Gewalt- und Sexualdelikten für völlig verantwortungslos!