Olaf Opitz: Sie sind nach 30 Jahren als früherer Bundesvize und langjähriger Landes- und Fraktionschef in Sachsen aus Ihrer FDP ausgetreten. Wie geht es Ihnen? Bedauern Sie den Schritt, haben Sie Wehmut oder fühlen Sie sich befreit?
Holger Zastrow: Wissen Sie, ich bin einfach gesprungen. Mir reicht‘s jetzt.
Es ging nicht anders, aber natürlich war der Schritt sehr schwer für mich. Die FDP ist ein ganz wesentlicher Teil meines Lebens. Davon verabschiedet man sich nicht so leicht.
Wie erleben Sie denn das Echo?
Überwältigend, es überrennt mich gerade. Ich erfahre ganz viel Zuspruch, Rückhalt und Unterstützung tausendfach im Netz, aber auch persönlich auf der Straße. Allein bei X habe ich fast 680.000 Leute erreicht. Offenbar habe ich den Nerv ganz vieler getroffen und etwas ausgelöst, mit dem man erst einmal umgehen muss.
In Ihrer Austrittserklärung haben Sie klar die kritische Lage unseres Landes und Ihrer Partei beschrieben.
Es ist ein einmaliger Vorgang, dass eine Regierung in nahezu allem, was sie tut, die Mehrheit der Bevölkerung gegen sich hat. Obwohl es viel Kritik und andere Lösungsvorschläge gibt, hält sie stur an ihrem verhängnisvollen Kurs fest. Für die FDP ist dabei besonders fatal, dass sie nicht nur eine Politik gegen die Mehrheit mitmacht, sondern auch eine, die sich gegen ihre eigenen Leute richtet wie Handwerker, Gastronomen oder Landwirte.
Ist die Ampel mit SPD und Grünen für die FDP eine toxische Verbindung?
Ja, wie man an allen acht verlorenen Wahlen seit der Bundestagswahl und den immer weiter sinkenden Umfragewerten für die Ampel insgesamt, und die FDP im Besonderen, erkennen kann. Doch die Regierung macht einfach weiter, als wäre nichts passiert. Das erinnert mich schon ein bisschen an das Jahr 1989.
Rechnen Sie nach der Mitgliederbefragung zum Ampelausstieg, die fast 50:50 ausging, mit weiteren Parteiaustritten oder gar einer Austrittswelle?
Das würde ich nicht ausschließen. In Sachsen haben in den letzten Tagen bereits etliche Persönlichkeiten die Partei verlassen. Es wird zudem immer schwerer für die FDP, Kandidaten für die kommenden Wahlen zu finden – vor allem wegen offensichtlicher Erfolglosigkeit. Aber die Krise der FDP ist fundamentaler: Vielen Kandidaten fällt es schwer, mit ihrem Gesicht und ihrem Namen die umstrittene Politik der Ampel in Berlin zu verteidigen.
Was ist eigentlich aus der FDP geworden, wenn eine vermeintlich Liberale wie Marie-Agnes Strack-Zimmermann, über eine konkurrierende Partei und ihre Wähler sagt – „Je größer der Haufen Scheiße, umso mehr Fliegen sitzen drauf“ – und sich gleichzeitig beklagt: „Wir sehen eine Verrohung der Sprache“?
Ja, das ist einer dieser vielen Widersprüche, die man dem Wähler auf der Straße nicht erklären kann. Außerdem braucht man sich dann nicht wundern, wenn sich die Respektlosigkeit und die Sprache mancher politischen Eliten sich auf andere überträgt. Für einen wahren Liberalen sind solche Äußerungen ein NoGo.
Sie sind doch nicht nur Unternehmer und Gastwirt, sondern auch ein politischer Typ. Was haben Sie in der Zukunft noch vor – ein neues Projekt?
Ich schaue jetzt, was passiert, aber fühle mich verpflichtet, etwas zu tun. Ich kann nicht zusehen, weil die politische Mitte schläft, die Unzufriedenheit der arbeitenden Bevölkerung ignoriert und es zulässt, dass von den Rändern Veränderungen ausgehen, die Deutschland nicht guttun. Die Demokratie insgesamt befindet sich in einer schweren Krise, denn alle Parteien bilden schon lange nicht mehr die Vielfalt der Biografien und Berufe ab. Die politischen Eliten bleiben gerne unter sich, haben oft in den Parlamenten noch nicht einmal Berufsabschlüsse und sind weit vom normalen Alltag entfernt. Es sind Leute, die das echte Leben gar nicht mehr kennen, aber sie wollen den Bürgern vorschreiben, wie sie zu leben und zu arbeiten haben.
Was ist Ihr Angebot?
Das Berufspolitikertum ist der Schaden unseres Landes. Abgesichert durch den Steuerzahler bis über beide Ohren, abgeschirmt von Funktionärsparteien, die immer undurchlässiger werden und keine Grenzen kennen wie viel zu große Parlamente, fehlende Amtszeitbegrenzungen und den Mangel an direkter Demokratie mit Volksentscheiden.
Deswegen suche ich jetzt gestandene und unabhängige Persönlichkeiten, die so empfinden wie ich, die also im Leben schon etwas geleistet haben und jetzt bereit sind anzupacken. Vor der Kommunal- und Landtagswahl in Sachsen werden bestimmt noch eine Menge Dinge in Bewegung kommen.
Eine Sammlungsbewegung ohne Parteistrukturen, wird so ein Angebot von Wählern angenommen?
Ich bin der Überzeugung, dass eine klassische Partei, wie wir sie heute kennen, keine Zukunft mehr hat. Parteien sind zu bürokratisch und kompliziert. Sie passen nicht mehr zu unseren Lebens- und Arbeitswelten. Wir brauchen eine Bewegung, die bürgernäher ist als Parteien. Sie muss Leute mitnehmen, die nicht viele Stunden und Tage in fruchtlosen Versammlungen verbringen und Papierstapel vollschreiben wollen. Die Bewegung muss garantieren, dass politisch Aktive alles unter einen Hut bringen können: Familie, Beruf, Ehrenamt.
Aber das bürgerliche Lager mit Union, AfD, FDP, Freie Wähler, Maaßen-Partei und Zastrow-Bewegung zersplittert sich dabei.
Abwarten. Die Lücke in der Mitte ist größer, als viele sich vorstellen können. Wir müssen dabei auch fragen: Gibt es bei den Projekten, die neu entstehen, nicht auch die Möglichkeit zusammenzuarbeiten.
Aber mit den Grünen ist das für Sie wohl nicht möglich?
Die FDP hat es in dieser Bundesregierung versucht. Aber spätestens beim unsäglichen Heizungsgesetz hätte die FDP die Reißleine ziehen und die Koalition mit Grünen und SPD verlassen müssen. Wir als Partei der Freiheit, das war unsere DNA. Liberale schreiben anders als die Grünen niemandem vor, wie er zu leben, sich zu ernähren, sich fortzubewegen oder wie er zu heizen hat. Das muss die rote Linie der Freidemokraten sein.
Die Grünen sind eine Gefahr für die Freiheit. Weil die FDP zu viel die grüne Bevormundungs-, Gängelungs- und Besserwisserpolitik toleriert hat und weiter toleriert, steht die Partei dort, wo sie ist.
Sie haben vor gut zehn Jahren den Begriff „Linksgrün“ mitgeprägt, deren Vertreter immer mehr unser Leben und Arbeiten bestimmen und, wie sie sagen, „transformieren“ wollen. Wie glaubwürdig ist das linksgrüne Postulat von Toleranz und Vielfalt, wenn es um andere Meinungen und Ansichten geht?
Gar nicht. Die Linksgrünen teilen wie früher die Welt in gut und böse ein. Wer nicht so denkt wie sie, muss damit rechnen, schnell stigmatisiert und verunglimpft zu werden. Das ist alles andere als tolerant und weltoffen.
Schon vor 34 Jahren warnte das SED-Zentralorgan „Neues Deutschland“ wie heute auf dem Titel „Unser Land braucht jetzt eine Einheitsfront gegen rechts“. Brauchen Linke immer ein Feindbild, um ihre ideologische Politik zu verteidigen?
Offensichtlich ist das so.