Heiko Teggatz hat da etwas läuten hören. Per „Flurfunk“ gelangte es an sein Ohr, dass die Ampel einen Gesetzentwurf der schwarz-roten Koalition wiederaufleben lassen könnte. Es geht um eine Novelle des Bundespolizeigesetzes samt Anpassungen im Aufenthaltsgesetz, die im März vom Bundeskabinett behandelt werden soll. Der Chef der Bundespolizeigewerkschaft ist natürlich besonders interessiert an diesem Vorhaben. In einem Brief an Nancy Faeser fordert er die Einrichtung von Abschiebezentren an den Flughäfen Berlin und Frankfurt – so, wie sie schon vor anderthalb Jahren geplant waren. Damals scheiterte der Vorschlag am Bundesrat. Fraglich bleibt, ob die Ampelkoalition zu so etwas in der Lage ist.
Vor allem wünscht sich Teggatz den alten Charakter einer Grenzbehörde für seine Bundespolizisten zurück, was laut ihm zudem ein Schlüssel für viele Probleme wäre. Die Bundespolizei solle „als Konsequenz aus dem Fall Anis Amri, Ibrahim A. und anderen“ auch für die Strafverfolgung in Sachen „unerlaubter Aufenthalt“ im Landesinneren zuständig werden, daneben mehr Befugnisse im Kampf gegen illegale Einreisen und Schleppertum erhalten.
Tichys Einblick: Herr Teggatz, Sie haben als einer der ersten vor einer Wiederholung der Migrationskrise von 2015 und 2016 gewarnt, als öffentlich-rechtliche Medien das noch als Fake-News abtaten. Seit vergangenem August haben sich die Asylzugangszahlen nun eindeutig aus einem Korridor von 10.000 bis 15.000 Neuanträgen pro Monat weg bewegt. Im Januar gab es fast 30.000 Neuzugänge. Die Migrationslage ist erneut zu einem beherrschenden Thema geworden. Fühlen Sie sich bestätigt? Was bedeutet das für Deutschland in diesem Jahr?
Heiko Teggatz: Ich fühle mich natürlich bestätigt, bin aber nicht wirklich verwundert. Denn das war reiner polizeilicher Spürsinn und Auswertetaktik anhand der Zahlen, daraus zu folgern, dass wir vor der nächsten Krise stehen. Was bedeutet das für Deutschland? Es bedeutet zunächst für die Länder und Kommunen eine sehr schwierige Zeit mit vielen schwierigen und vor allem sicherheitspolitisch relevanten Entscheidungen, was die Unterbringung der Menschen angeht. Wenn – wie jetzt in Lörrach geschehen – erste Mieter aufgefordert werden, ihre Wohnungen zu verlassen, um darin Migranten unterzubringen, dann ist der nächste Schritt, den die Kommunen gehen müssen, die Unterbringung in Sporthallen. Und wenn dann die Vereine ihr Vereinsleben nicht mehr aufrechterhalten können, weil die Hallen belegt sind, dann ist das aus meiner Sicht sicherheitspolitischer Zündstoff.
Auch davor habe ich Frau Ministerin in meinem Strategiepapier vom letzten September schon gewarnt. Deshalb ist es für mich unbegreiflich, warum der Bund auf jedem Flüchtlingsgipfel, der abgehalten wird, die Kommunen und Länder immer wieder vertröstet, jetzt wieder bis Ostern. Ich sehe da eine riesengroße Gefahr für die innere Sicherheit.
In Lörrach war ja von Wohnungen für Ukrainer die Rede. Wie steht es denn aktuell mit dem Zustrom von Flüchtlingen aus diesem Land? Das ist ja eine Zahl, die nicht jede Woche und auch nicht jeden Monat berichtet wird.
Der Flüchtlingszustrom von Ukrainern hält sich derzeit in Grenzen. Das war in der ersten Phase des Krieges eine sogenannte Massenflucht. Aber im Moment kommen deutlich mehr Menschen aus anderen Ländern in die EU und nach Deutschland.
Und jetzt heißt es: „In die enteigneten Wohnungen kommen nur Ukrainer rein.“ Kann das sein? Immerhin liegt Lörrach direkt an der Schweizer Grenze, wo sich die Aufgriffe zuletzt vervielfacht haben.
Ganz ehrlich, nein. Wie soll der Landrat das auch auseinanderhalten? Der bekommt ja nicht nur Ukrainer zugewiesen, sondern alle, die ins Land kommen. Und jetzt soll der arme Kerl – oder die arme Dame – entscheiden, ich nehme jetzt den Asylbewerber oder den Ukrainer? Das kann ich mir nicht vorstellen. Da wird ganz normal abgearbeitet, wer untergebracht werden muss. Ich glaube, da gibt es keine Wahl.
Die Belastung für die Landkreise und Gemeinden ist auf jeden Fall da und bleibt auch bestehen …
Sie wird größer werden …
Migrationsdebatte: Fehlende Akzeptanz bei Öffentlich-Rechtlichen
Daneben spielen kriminelle Taten von abgelehnten und zum Teil anerkannten Asylbewerbern eine immer größere Rolle. Die Aufmerksamkeit der großen Medien hat hier sicher zugenommen. Illerkirchberg, Oggersheim, Brokstedt sind nur die bekanntesten Fälle. Ist das nur ein gefühlter Anstieg oder ist er real?
Ich glaube, dass die Anzahl der Straftaten, die anerkannte oder abgelehnte Asylbewerber in Deutschland begehen, relativ stabil geblieben ist. Man fängt jetzt aber langsam an, so ein bisschen umzudenken, auch medial, und macht dieses Thema öffentlich, was ja vorher immer gerne tabuisiert wurde. Die einzigen, die da noch ausscheren, sind leider Gottes die Öffentlich-Rechtlichen. Wir hätten eine noch breitere Akzeptanz in der Bevölkerung, wenn man über so ein Thema mal ganz offen reden würde, auch in den Öffentlich-Rechtlichen. Das vermisse ich noch sehr.
Gab es aber nicht doch einen realen Anstieg zum Beispiel bei den Messerangriffen?
Bei den Messerangriffen sieht das in der Tat so aus. Ich weiß, dass die Bundespolizei in ihrer Polizeilichen Eingangsstatistik (PES) zum Beispiel Körperverletzungen mit Messer separat erfasst. Das machen aber nicht alle Länder. Und die Bundespolizei macht es auch noch nicht sehr lange. Bei uns konnten wir feststellen, dass tatsächlich Messerangriffe im Bereich der Deutschen Bahn in den letzten beiden Jahren zugenommen haben, vor allem im Jahr 2022.
Was verlangen Sie von der Justiz und den Behörden auf diesem Gebiet?
Ganz konkret festgemacht an dem Fall Ibrahim A. (dem Täter von Brokstedt): Für mich ist es nicht nachvollziehbar, dass ein Mensch, egal welcher Herkunft, in einer Warteschlange vor einem Obdachlosenheim in Hamburg einem anderen Menschen mit einem Messer in den Rücken sticht und dann nur zu 13 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt wird, weil die Anklage nur auf gefährliche Körperverletzung lautet. Aus meiner Sicht ein Skandal sondersgleichen. Das ist für mich ein Tötungsdelikt, zumindest der Versuch.
Wenn solche Delikte – und noch mal die Betonung: nationalitätsunabhängig – endlich so bestraft und geahndet würden, wie es der gesetzliche Rahmen hergibt, dann hätte das auch einen Präventionseffekt. Unser Problem ist, dass die Justiz oft eher am unteren Strafmaßrand fischt als am oberen. Wie man das korrigieren kann, bei aller Unabhängigkeit der Richter, das kann ich Ihnen leider nicht sagen.
„Wir können Passersatzpapiere besorgen und Menschen außer Landes bringen“
Bei Ibrahim A. ging es auch um die Aberkennung des subsidiären Schutzes, die auch durch Behördenversagen misslang. Sie fordern nun „Einrichtungen für Abschiebegewahrsam“, die der Bund errichten soll. Wie und wo könnte das gelingen?
Ich fordere in meinem Brief an die Ministerin, dieses Gesetz jetzt nochmal anzupacken. Meinen Informationen nach wird sich das Bundeskabinett in der ersten Märzwoche mit einem ähnlichen Entwurf befassen. In dem Fall müsste man der Bundespolizei wieder erlauben, Gewahrsamszentren dieser Art zu betreiben. Dann können wir all diejenigen, die wir im Inland – etwa auf dem Hamburger Bahnhof – ohne Aufenthaltserlaubnis aufgreifen, mit richterlicher Anordnung bis zu sechs Monaten in Gewahrsam nehmen, wir könnten die Passersatzpapiere besorgen und sie außer Landes bringen.
Aber dann bräuchte man noch ein Land, in das man sie bringen kann.
Ja, das ist aber wiederum Aufgabe des Bundes, und da soll ja Herr Stamp jetzt seinen großen Ritterkreuzauftrag bekommen und mit den Ländern, die sich sperren, eigene Landsleute zurückzunehmen, verhandeln. Das kann nur der Bund. Aber auch das hatten wir ja schon mal Anfang der Neunzigerjahre. Da hat nämlich die damalige Bundesregierung mit Rumänien und Bulgarien solche Abkommen geschlossen, so dass aufgegriffene Einreisende aus diesen Ländern direkt in Form von Sammelabschiebungen außer Landes gebracht werden konnten, in eigener Zuständigkeit der Bundespolizei. Das hatten wir also alles schon einmal.
Bundeszuständigkeit scheint hier das Stichwort zu sein und insofern dann auch Bundespolizeizuständigkeit.
Ich meine, die Behörde, die entscheidet, ob jemand im Land bleiben darf oder nicht, also das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf), muss auch die Entscheidung darüber treffen, wann das Außerlandesbringen erfolgt. Das ist ja ein Wirrwarr, was die Zuständigkeit angeht. Wir haben ein Bundesamt, das entscheidet, und wir haben die Länder, die sagen, ob und, wenn ja, wann jemand außer Landes gebracht wird. Und da ist der Bruch im System. Ohne die Bündelung der Zuständigkeiten wird das alles nicht funktionieren.
Chancenaufenthaltsrecht setzt falsches Signal
Die Berliner Innensenatorin Iris Spranger (SPD) hat ja relativ laut verkündet, dass sie abschieben wolle. Aber passieren wird das nicht?
Nein, also das ist pure Heuchelei. Denn gerade Berlin ist ja dasjenige Land, das derzeit von Rückführungen absieht aufgrund der Witterungsverhältnisse. Ich wüsste nicht, warum es in Gambia, Nigeria oder Ghana gerade zu kalt dafür sein soll. Das ist also wieder typisch Berlin und ein klares Zeichen dafür, dass der Senat gar nicht abschieben will. Deshalb meine ich: Das soll das Land Berlin gar nicht erst entscheiden, sondern diese Entscheidung gehört eigentlich auch auf die Bundesebene, ganz gleich ob zum Bamf oder zur Bundespolizei.
Über wie viele mögliche und gescheiterte Abschiebungen sprechen wir? Was wäre da im Jahr möglich und woran scheitern die Abschiebungen?
Über die Gesamtzahl, die möglich wäre, kann ich nur mutmaßen. Aber die 50.000 abgelehnten Asylbewerber ohne Duldung, die sofort vollziehbar ausreisepflichtig sind, wären zu schaffen. Wir als Bundespolizei könnten jedenfalls eine wirklich große Menge an der Stelle stemmen. Dafür fehlt uns aber, wie gesagt, noch die Zuständigkeit.
Kommt man denn in einem zweiten Schritt auch an die rund 300.000 dran, die auch abgelehnt, aber teils und aus verschiedenen Gründen geduldet sind?
Das hängt immer davon ab, warum sie geduldet sind. Wenn es nur um fehlende Papiere geht, sage ich ganz klar: Ja, das ginge, die Bundespolizei bekommt die Reisepässe besorgt, weil wir weltweit in allen Ländern sehr gut vernetzt sind. Bei Duldungen aus humanitären Gründen, weil in den Herkunftsländern etwa ein Krieg andauert, können wir natürlich nicht abschieben. Das wird auch keiner verlangen, außer bei schweren Straftaten. Aber auch in solchen Fällen werden sich die politischen Verhältnisse irgendwann ändern, und dann wären Abschiebungen möglich.
Ganz elementar nachgefragt und weil es nicht allen Mitdiskutanten klar zu sein scheint: Worin besteht der Sinn von Abschiebungen?
Es geht hier um eine konsequente Anwendung von Gesetzen. Sonst bräuchte man ja gar keine Asylverfahren zu führen. Deshalb habe ich auch so ein Problem mit diesem geplanten „Chancenaufenthaltsrecht“ der Ampelkoalition: Wenn das Signal in die Welt gesetzt wird: „Komm nach Deutschland, bleibe irgendwie für fünf Jahre hier (via Kettenduldung), und dann hat sich alles erledigt“, dann brauche ich die Verwaltungsgerichte nicht mehr mit aufwendigen Asylverfahren zu belästigen.
Sie haben nun erneut an Frau Faeser geschrieben, der Brief liegt TE vor. Darin fordern Sie neben zahlreichen neuen Kompetenzen im Rahmen des Bundespolizeigesetzes (unter anderem präventive Telekommunikationsüberwachung gegen Menschenhandel und Schleuserkriminalität) auch die Zuständigkeit für aufenthaltsrechtliche Maßnahmen im Inland durch eine Änderung des Aufenthaltsgesetzes. Wie gut stehen die Chancen, dass so etwas in dieser Legislatur beschlossen wird?
Meinem Gefühl nach würde ich sagen, dass die Länder, also der Bundesrat, inzwischen vielleicht eine andere Sicht auf die Dinge haben als noch vor anderthalb Jahren. Aber es wäre jetzt wirklich vermessen, eine Prognose abzugeben, wie so eine Abstimmung ausgeht. Im Gegensatz zur letzten Legislatur müssen die dicksten Bretter inzwischen in der Bundesregierung selbst gebohrt werden. Da habe ich so meine Zweifel, was da durchkommt.
Gewahrsam ist bei unseren Nachbarn Polen und Dänemark normal
Zu guter Letzt: Wie sehen Sie das Memorandum der grünen „Vert Realos“, das nun auch der Städte- und Gemeindebund begrüßt hat? Da geht es ja unter anderem um die Einrichtung „verpflichtender Aufenthaltszonen“ an den EU-Grenzen oder auch außerhalb der EU, aber unter EU-Kontrolle.
Das hat mich sehr positiv überrascht, dass es in der grünen Partei tatsächlich solche Real-Ströme gibt. Und das passt genau in das Konzept, was wir als Bundespolizisten ja auch schon seit Jahren fordern. Wissen Sie, im alten Asylverfahrensgesetz war eine „räumliche Beschränkung“ für Asylbewerber gang und gäbe. Das war gesetzlich so vorgeschrieben. Jeder Asylbewerber hatte in seiner Aufenthaltsgestattung den Landkreis eingetragen, in dem er sich aufhalten durfte, und beim ersten Verstoß dagegen war das eine Ordnungswidrigkeit, beim zweiten Mal eine Straftat. Und das ergibt auch Sinn, weil sonst die Ausländerbehörden ja nur einen eingeschränkten Zugriff auf die jeweilige Person haben. Wenn sich jemand in Europa frei bewegen kann, wie soll ich denjenigen dann als Behörde noch greifbar halten für mich?
Auf der anderen Seite: Diese „Hotspots“, wie man vor einiger Zeit zu sagen pflegte, sind ja an den EU-Außengrenzen (etwa auf Lampedusa und an den Ostgrenzen Griechenlands) bereits Realität. Was ist das Neue an dem Vorschlag, was würde er ändern?
Wir hatten ja 2016 während der heftigen Migrationskrise auch als Polizeigewerkschaft sogenannte Transitzonen außerhalb Europas gefordert, in Nordafrika und in der Türkei. Dort können die Menschen ihr Schutzgesuch äußern, dann findet dort eine Vorprüfung statt, und am Ende kann von dort aus auch eine anständige Verteilung nach Europa erfolgen für den Fall, dass ein Antrag begründet ist. Polen macht das übrigens schon so, wenn auch im Landesinneren. Jeder, der in Polen einen Asylantrag stellt, der wird für die Dauer der Vorprüfung des Antrags nicht auf freien Fuß gesetzt. Das ist in Polen völlig normal, in Dänemark auch. Insofern ist das nicht abwegig, was die Gruppe da fordert.