Heiko Teggatz ist stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) und darin Chef der Bundespolizeigewerkschaft. Seit Jahren trat er für feste Grenzkontrollen an allen stark von illegalen Einreisen betroffenen Abschnitten ein. Nun sind sie da. Die Abschiebungsoffensive ist es noch nicht. Teggatz legt den Finger in die Wunde und zeigt Lösungen auf. Dabei geht es eigentlich nur um einen ganz normalen Verwaltungsakt, auf den die Bundesregierung aber – trotz anderslautender Beteuerungen – gar keine Lust zu haben scheint. Mehr Lust hat Nancy Faeser zur „parlamentarischen“ Kontrolle der Bundespolizei. Teggatz befürchtet auch hier das Schlimmste: die Aushöhlung der Exekutive zugunsten extremer Durchgriffsmöglichkeiten der Regierenden.
Tichys Einblick: Viel wird derzeit über mehr Abschiebungen geredet. Vielleicht frage ich erst mal definitorisch: Worüber reden wir da eigentlich? Wozu dient eine Abschiebung? Ist das ein nachgeholter Grenzschutz? Oder dient das der Abschreckung von weiteren illegalen Einreisen, wie manche ‚Experten‘ neuerdings meinen?
Heiko Teggatz: Nein, die Abschiebung ist einfach nur der Vollzug eines Beschlusses des Bamf oder eines Gerichts, wonach kein Anspruch auf Schutz besteht. Das hat nichts mit Grenzschutz zu tun und auch nichts mit Abschreckung. Wenn Sie vor Gericht wegen Ladendiebstahl stehen, dann werden Sie ja auch nicht zu einer Haftstrafe verurteilt, die Sie dann gar nicht anzutreten brauchen. Das ist nur der Vollzug eines Verwaltungsaktes. Mehr nicht.
Nancy Faeser hat ein neues Gesetz zu dem Thema vorgelegt. Kanzler Scholz fordert, die Länderbehörden müssten rund um die Uhr einsatzbereit sein, um die von der Bundespolizei in Gewahrsam genommenen Personen abzuschieben. Bringen solche Maßnahmen etwas? Woran hakt es bisher wirklich?
Es hakt größtenteils an der Umsetzung durch die Länder, wobei die Länder nicht einmal etwas dafür können. Sie müssen sich vorstellen: Die 250.000 geduldeten Ausländer in Deutschland, deren Asylanträge ja abgelehnt wurden, können größtenteils nur deshalb nicht abgeschoben werden, weil es keine Passersatzpapiere oder Pässe für sie gibt. Und nun ist jedes Bundesland einzeln in der Verantwortung, Passersatzpapiere zu besorgen. Einige Herkunftsstaaten stellen sich da quer, andere haben sehr hohen Bürokratismus. Die Bundespolizei könnte das mit sehr großer Wahrscheinlichkeit in deutlich kürzerer Zeit erledigen, vor allem weil wir durch unsere Verbindungsbeamten weltweit vernetzt sind, auch in solche Staaten wie Nigeria zum Beispiel, wo es für uns ein Leichtes wäre, einen Pass zu besorgen für eine solchen Ausländer und den dann abzuschieben – viel leichter sicher als für die Ausländerbehörde in Gelsenkirchen oder sonstwo.
Die Länder beharren aber bisher darauf, die Zuständigkeit für Abschiebungen zu behalten und sie ja nicht in die Hände des Bundes zu legen. Deshalb habe ich schon vor anderthalb Jahren gefordert, das Aufenthaltsgesetz dahingehend zu verändern, dass auch die Bundespolizei eine eigene Zuständigkeit bekommt für Abschiebungen, und zwar auch im Inland. Das fehlt uns derzeit, nach wie vor. Das heißt, wenn wir jemanden auf dem Hamburger Bahnhof feststellen, der mit einem Haftbefehl zur Abschiebung gesucht wird, der also vollziehbar ausreisepflichtig ist, dann dürfen wir den nicht außer Landes bringen, sondern müssen ihn an das jeweilige Bundesland übergeben. Und das läuft dann in der Regel so, dass wir der Person einen Zettel – die sogenannte Anlaufbescheinigung – in die Hand drücken, auf dem steht: Bitte melden Sie sich schnellstmöglich bei Ihrer zuständigen Ausländerbehörde. Und damit ist so ein Haftbefehl praktisch außer Vollzug gesetzt.
Die Bilanz sieht hier immer noch nicht gut aus. Die Gesamtschutzquote im laufenden Jahr liegt bei etwa 52 Prozent. Es wurden also 48 Prozent der Anträge abgelehnt oder abgewiesen, in absoluten Zahlen bis Ende Oktober: 103.969 abgelehnte Anträge. Im gesamten letzten Jahr gab es auch gut 100.000 in dieser Weise abgewiesene Asylanträge. Abgeschoben wurden aber nur 12.945 Personen im letzten Jahr und 7.861 im ersten Halbjahr 2023. Was müsste nun passieren?
Insbesondere Nancy Faeser sollte an der eben genannten Stelle ansetzen, um die Möglichkeiten, die der Bund mit seiner Polizei dann hätte, nutzen zu können. Sie tut aber immer nur so, als würde sie etwas unternehmen. Und alles, was in ihrem neuen Gesetz (für leichtere Abschiebungen, Anm. d. Red.) geregelt ist, hilft im Grunde kein Stück weiter, weil es den Ländern immer noch freisteht, Abschiebungen durchzuführen oder nicht. Und da haben wir ein ganz klares Nord-Süd-Gefälle. Während Bayern relativ viele Ausländer abschiebt, haben wir Stadtstaaten wie Bremen, Berlin oder auch Hamburg, die kaum abschieben. Und solange das so ist, wird sich auch an der Anzahl nichts ändern. Selbst wenn man mal ganz optimistisch wäre, was dieses Gesetz angeht, wenn man dieses ‚ehrgeizige‘ Ziel von fünf Prozent mehr Abschiebungen in den nächsten Jahren ernst nimmt, dann bräuchte es immer noch mindestens 80 Jahre, um diejenigen außer Landes zu bringen, deren rechtsstaatliche Verfahren heute schon abgeschlossen sind. Also eine reine Katastrophe.
Was mich wundert: Sie sagten, die Länder wollten ihre Zuständigkeit nicht abgeben. Müssten die Länder nicht eigentlich froh sein, wenn Bundesbehörden hier helfen würden?
Es ist so: Unter der Großen Koalition (bis 2021) wollten es die Länder nicht. Im Bundestag gab es damals eine Mehrheit für diese Gesetzesänderung, der Bundesrat hat abgelehnt. Ich bin mir sicher, dass das heute anders wäre. Allerdings wird die neue Bundesregierung einen solchen Antrag gar nicht mehr formulieren. Das ist das Problem heute. Jetzt wäre also der Bundesrat gefragt, eine solche Initiative einzubringen. Da sind wir dran, das fordern wir auch schon seit längerem und haben die unionsgeführten Länder da auf unserer Seite.
Auf Deutsch gesagt: Irgendwo ist immer Rot-Grün an der Macht und verhindert auch solch eine winzige Veränderung.
Genauso ist es.
Das Innenministerium, also Frau Faeser scheint in dieser Lage vor allem im Sinn zu haben, die Bundespolizei stärker zu kontrollieren. Was steht in diesem Gesetzentwurf über die Einführung eines „Polizeibeauftragten“, der Sie als Polizeigewerkschaft so aufbringt?
Es geht darin um die Schaffung parlamentarischer Kontrollinstanzen für die Polizei des Bundes. Nicht mehr und nicht weniger, und das Schlimme dabei ist, dass sich das Gesetz über den Polizeibeauftragten sehr stark an dem Berliner Gesetz orientiert und sozusagen den Gesetzgeber, den Deutschen Bundestag ermächtigt, als „Paralleljustiz“ sozusagen in die Polizeiorganisation hinein zu ermitteln, Dienststellen zu betreten usw. Ich halte das zum einen moralisch für absolut verwerflich, weil unsere Polizei anderes verdient hat als Misstrauen, nämlich Wertschätzung. Und das kommt hier nicht zum Ausdruck. Zweitens halte ich den Entwurf aber auch für verfassungsrechtlich bedenklich, weil die Gewaltenteilung unterwandert wird. Die gesetzgebende Gewalt (das Parlament) hat ihre Aufgabe, genauso die vollziehende Gewalt, zu der die Polizei gehört, und das wurde auch bewusst so strikt in unserer Verfassung getrennt. Da darf es schlicht nicht sein, dass sich die eine Gewalt in die andere einmischen darf und umgedreht.
Das dient also aus Ihrer Sicht auch nicht dem „Schutz der Beamten vor ungerechtfertigten Anschuldigungen“?
Nein, das verfolgt ausdrücklich das Ziel, politischen Einfluss auf Kolleginnen und Kollegen in Polizeibehörden zu nehmen. Momentan hat die Bundesregierung Einfluss nur auf politische Beamte, die in der Besoldungsgruppe oberhalb von B9 stehen, also Oberbehördenleiter und Abteilungsleiter, Staatssekretäre und Minister. Am Fall Schönbohm wurde ja deutlich, dass Frau Ministerin gerne auch tiefer in die Laufbahnbeamten ihren politischen Einfluss geltend machen wollte. Das ging ja fürchterlich daneben. Und mit diesem Polizeibeauftragten-Gesetz wird versucht, trotzdem politischen Einfluss auf Kolleginnen und Kollegen zu nehmen.
Ihre Befürchtung ist also, dass die Fraktionen im Parlament unter Umständen als verlängerter Arm der Regierung handeln würden?
Nicht nur unter Umständen, sondern die werden definitiv so handeln. Denn es braucht ja nur irgendjemand ein Gerücht in die Welt zu setzen, der Polizeibeauftragte im Parlament erkennt womöglich Handlungsbedarf, und dann soll dieses Gesetz ermöglichen, dass parlamentarische Ermittler die Dienststellen der Polizei betreten, dort Befragungen durchführen und sämtliche Maßnahmen treffen, die in unserem Rechtsstaat normalerweise nur die Staatsanwaltschaft treffenn darf. Das ist also schon ziemlich krass, was da läuft. Das erinnert mich immer so ein bisschen an das System der Staatssicherheit in der ehemaligen DDR. Auch die hatten in den jeweiligen Behörden ihre Polit-Offiziere, die zwei Aufträge hatten, nämlich zum einen, darauf zu achten, dass die Beschäftigten in der politischen Spur laufen, und zum anderen Hinweise aufzunehmen, wenn jemand nicht in dieser Spur lief, um das dann entsprechend zu sanktionieren. Das ist also eine ganz gefährliche Entwicklung, die wir da aktuell nehmen, auf Bundesebene.
Und was ist der Sinn dahinter? Das hört sich erst mal nach hohem bürokratischen Aufwand an, der die Polizei mehr, als ihr lieb ist, beschäftigen könnte. Ist so ein Vorhaben vielleicht auch Ausdruck einer nach Deutschland verpflanzten Defund-the-Police-Bewegung?
Ich sage mal so, das ist die grün-ideologische Politik, die da umgesetzt werden soll. Die Grünen haben ja offensichtlich schon immer ein Problem mit der Polizei, und jetzt wollen sie diese Regierungsverantwortung ausnutzen, um das auch noch in Gesetzesform zu gießen. In Kombination mit dem Hinweisgeberschutzgesetz und dem neuen Disziplinargesetz ist das ein ganz giftiger Cocktail für meine Kolleginnen und Kollegen, und ich kann Ihnen sagen, wenn die das Spiel weiter so treiben und weiter so viel Misstrauen und eben nicht Wertschätzung der Politik gegenüber kundtun, dann wird sich der eine oder andere Kollege sich irgendwann überlegen, wofür er überhaupt – im wahrsten Sinne des Wortes – seinen Kopf noch hinhält, wenn der politische Rückhalt völlig fehlt. Wir werden Kündigungen haben und vermutlich auch viele Kollegen, die für einen lapidaren Schnupfen sich in Zukunft krankschreiben lassen werden, obwohl sie sonst noch zum Dienst gekommen wären. Das ist das Ergebnis aus solcher Politik.
Herr Teggatz, vielen Dank für das Gespräch.