Heiko Teggatz ist stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) und Chef der Bundespolizeigewerkschaft. Seit Jahren tritt er für feste Grenzkontrollen an den von illegalen Einreisen betroffenen Grenzabschnitten ein. Jetzt gibt es sie endlich, jedenfalls vorerst, bis es sich Nancy Faeser anders überlegt. Teggatz sieht sich bestätigt, auch durch 4.000 Zurückweisungen in vier Wochen. Er sieht aber auch neuen Handlungsbedarf, um die Sicherheit an deutschen Grenzen zu erhöhen. Im zweiten Teil des TE-Interviews geht es um Grenzschutz, neue Kontrollgründe an deutschen Grenzen und eine denkbare Reform des Schengen-Systems.
Tichys Einblick: Herr Teggatz, im ersten Teil unseres Gesprächs haben Sie gefordert, dass wir den Zulauf von weiteren Antisemiten stoppen müssen. Genau das wäre auch meine nächste Frage gewesen: Haben Sie als Bundespolizei genug Leute für die Kontrollen an der Grenze?
Heiko Teggatz: Ja, dafür haben wir im Moment genug Leute. Allerdings sind wir mit Mann und Maus in dieser Aufgabe gebunden. Der Überstundenberg bei der Bundespolizei wächst und wächst, hatte schon vor drei Monaten die Zweimillionen-Marke erklommen und wird wohl auch in der nächsten Zeit weiter ansteigen. Das ist eine Knochenmühle mittlerweile. Ich würde mir an dieser Stelle wünschen, dass irgendwann einmal die richtige politische Entscheidung getroffen wird, die insgesamt den Zuzug nach Deutschland und nach Europa eindämmen wird. Das würde dann bedeuten, wir könnten auch wieder mal den einen oder anderen Kollegen herauslösen aus diesen Einsätzen. Aber momentan bestimmt die Lage den Einsatz des Personals, und die derzeit vorherrschende Lage erfordert eben diesen hohen Personaleinsatz an deutschen Grenzen.
Wenn Sie sagen, „insgesamt den Zuzug eindämmen“, meinen Sie an den EU-Außengrenzen?
Ich meine sowohl an den Außengrenzen als auch an den Binnengrenzen. Die Menschen, die an unserer Binnengrenze etwa nach Österreich auftauchen, die sind ja schon durch mindestens vier Schengen-Vertragsstaaten gewandert, ohne dort kontrolliert oder zurückgewiesen worden zu sein. Und da lege ich den Finger in die Wunde, und sage, wir müssen offen darüber nachdenken, ob das System, das die Väter und Mütter der Schengen-Idee sich einmal überlegt haben, noch zeitgemäß ist oder nicht.
Seit knapp einem Monat gibt es ja an deutschen Grenzen mehr „intensivierte“ Kontrollen. Was ist das überhaupt? Sind das nun stationäre, feste Kontrollen? Und was haben sie gebracht an den Grenzen zur Schweiz, zu Tschechien und Polen?
Seit der Notifizierung der Grenzabschnitte bei der EU, also der Einführung stationärer Grenzkontrollen, so wie der Schengener Grenzkodex das ja vorsieht, konnte die Bundespolizei um die 4.000 Menschen an diesen Grenzen zurückweisen oder zurückschieben, nur in diesen vier Grenzabschnitten (eingeschlossen die deutsch-österreichische Grenze, Anm. d. Red.). Das ist eine enorm hohe Zahl. Außerdem sind die Feststellungen illegaler Einreisen seit Einführung der Kontrollen rückläufig. Das heißt, meine Forderung nach festen Kontrollen, die schon fast zwei Jahre alt ist und jetzt endlich umgesetzt wurde, zeigt in der Tat Wirkung. Das hätte alles viel früher passieren können und vor allem müssen. Dann wären die Länder und Kommunen auch nicht in dieser Bredouille, in der sie sich jetzt befinden. Der Erfolg gibt uns mal wieder Recht. Die Einführung stationärer Kontrollen an unseren Binnengrenzen ist der richtige Weg.
Können Sie mir noch einmal technisch erklären, was die Bundespolizei jetzt genau macht? Es gibt ja da immer noch diesen kleinen Streit, ob es feste Kontrollen sein müssen oder mobile auch effektiv sind. Machen Sie da etwas zusammen mit den polnischen, den tschechischen und Schweizer Kollegen?
Nein, die Bundespolizei hat sozusagen Position bezogen an den großen grenzüberschreitenden Verkehrswegen, sowohl auf der Straße als auch auf der Schiene, und bestreift sporadisch und positioniert sich auch sporadisch an sogenannten Nebenstrecken, also Bundes- oder Landstraßen, wo die Kollegen dann den Einreiseverkehr beobachten und stichprobenartig Autos, die in das Raster fallen, herausziehen, um zu schauen, ob dort eine Schleusung stattfindet.
Nur geht es danach für die meisten aufgelesenen Migranten weiter in die Landeserstaufnahmen. Ein verbreiteter Vorwurf ist, dass die Bundespolizei ein reines Begrüßungskomitee ist. Könnte man diesen Eindruck noch stärker zerstreuen oder sind die Möglichkeiten für einen Bundesinnenminister jetzt ausgereizt?
Nein, die Möglichkeiten sind bei weitem nicht ausgereizt. Man könnte jetzt einzelne Grenzübergangsstellen benennen, an denen allein der Grenzübertritt noch erlaubt wäre. Das hätte den Charme, dass das Überschreiten der Binnengrenze an anderen Orten als den so von der Bundesinnenministerin definierten Grenzübergangsstellen verboten wäre. Das heißt, wir könnten dann auch an der grünen Grenze jemanden, den wir dort aufgreifen, ins Nachbarland zurückweisen. Aber es stimmt: Solange die Freizügigkeit gilt, müssen wir jeden Asylantrag, der auf deutschem Hoheitsgebiet gestellt wird und nicht offensichtlich unzulässig ist, entgegennehmen und leiten die Person dann auch weiter an die jeweiligen Landesaufnahmeeinrichtungen.
Das waren jetzt also 4.000 Zurückweisungen in knapp vier Wochen. Und wieviele illegale Einreisen gab es da? Wenn man den Gerüchten aus Bundesbehörden glaubt, waren es im August und September sogar 40.000 pro Monat, was im Grunde eine totale Überlastung darstellt – so sehr, dass auch nicht alle Asylanträge im jeweiligem Monat gestellt werden konnten.
Für den Oktober fehlen mir leider noch die aktuellen Zahlen. Das ist ja auch seit anderthalb Jahren sehr schwierig, schlichtweg an aktuelle Zahlen heranzukommen, weil das Bundesinnenministerium es dem Bundespolizeipräsidium offenbar die Veröffentlichung untersagt. Aber ich vermute mal, dass zu diesen Zurückweisungen nur im Oktober bestimmt noch einmal 22.000 bis 25.000 Feststellungen der Bundespolizei dazukommen. Das ist aber nur eine vage Vermutung von mir.
Und die Zahl der Asylanträge fällt regelmäßig deutlich höher aus als die der Feststellungen, also könnten es durchaus auch die 40.000 gewesen sein. – Ich habe einmal genauer in die Notifikationen bei der EU hineingeschaut, und dabei fiel auf: Vom 12. November an gibt es zwei neue Gründe für die Kontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze. Jahrelang hatte man nur auf die Balkanroute und die illegale Migration verwiesen. Nun wird einerseits der „russische Angriffskrieg gegen die Ukraine“, andererseits die Verschärfung der Sicherheitslage „durch terroristische Gruppen im Nahen Osten“ genannt. Wie ordnen Sie das ein? Das gälte ja dann nicht nur für die deutsch-österreichische Grenze gelten, sondern für alle Grenzen im Schengenraum, oder?
Richtig, und deswegen hat ja auch Italien gerade stationäre Grenzkontrollen gegenüber Slowenien eingeführt, mit genau der gleichen Begründung, weil die europäischen Sicherheitsbehörden davon ausgehen, dass sich einige Menschen aus dem Nahen Osten, die es nicht gut mit der europäischen Demokratie meinen, über den Balkan in Länder der EU begeben könnten, um dort Anschläge zu verüben. Italien war hier aber 14 Tage schneller als die Bundesregierung.
Das werden langsam ziemlich viele kontrollierte Binnengrenzen im Schengenraum.
Das ist völlig richtig. Und deshalb sage ich ja auch: Wir müssen uns ernsthaft Gedanken darüber machen, ob das Schengen-System, so wie wir es seit 1992 kennen, noch zeitgemäß ist oder ob nicht vor dem Hintergrund dieser Lageentwicklung weltweit man stärker auf die Nachkontrollen innerhalb des Schengenraums setzen sollte. Aber dieses strenge Verbot, was das Schengener Abkommen beinhaltet, an den Binnengrenzen nur in Ausnahmefällen kontrollieren zu dürfen, da sollten sich die Parlamentarier auch auf der Europa-Ebene mal drüber unterhalten, ob das noch zeitgemäß ist.
Sie würden also dieses System reformieren und sagen: „Kontrollen an der Grenze sind der Normalfall“?
Ausdrücklich reformieren. Denn wenn man hier eine Reform finden würde und beispielsweise die Schleierfahndung als Ersatzkontrolle erlaubt wäre, dann könnten wir langfristig wahrscheinlich auch auf stationäre Grenzkontrollen verzichten, so wie wir es in der Vergangenheit hatten. Wir wären aber trotzdem eigenverantwortlich und eigenständig als europäische Nationalstaaten in der Lage, kurzfristig mit anständigem Personal auf solche Lagen zu reagieren und auch mal Kontrollstellen einzurichten.
Wie passt nun der russisch-ukrainische Krieg hier in die Lage? Die Österreicher sprechen ja – auch ab dem 12. November – von einer „Bedrohung durch Waffenhandel und kriminelle Netzwerke“, Deutschland und andere von Terrorgefahr. Hängt beides miteinander zusammen?
Davon spreche ich schon seit Ausbruch des Kriegs in der Ukraine. Denn machen wir uns nichts vor: Die Gefahr ist ja permanent latent hoch, nicht erst seit heute. In Gebieten, in denen Krieg herrscht, bricht die Verwaltung komplett zusammen. Außerdem bekommt jeder, der sagt, ich möchte gerne an der Seite der ukrainischen Streitkräfte kämpfen, eine Waffe in die Hand gedrückt, und zwar Kriegswaffen. Da kontrolliert aber niemand, anders als bei uns, wo man jede Waffe, jede Handgranate, jeden Schuss registrieren würde. Das ist in solchen Gebieten nicht der Fall. Und die Waffe, die ein toter Soldat noch umhängen hat, die ist natürlich schnell genommen, und Waffenhändler haben da natürlich leichtes Spiel, genau die Falschen dann mit Kriegswaffen auszustatten. Das ist immer die große Gefahr.
Im dritten Teil des Gesprächs wird es um Abschiebungen gehen und um die Frage, ob die Bundespolizei einen parlamentarischen Polizeibeauftragten braucht bzw. welches Unheil eine solche Reform anrichten kann.