Tichys Einblick
TE-Interview

Hausdurchsuchung bei Björn Lars Oberndorf: „Es ist Rechtsbeugung“

Jemand bekommt eine Anfrage von sogenannten Reichsbürgern. Bald merkt er, um wen es sich da handelt, und geht auf Abstand. Nachdem die als Umstürzler Verdächtigen verhaftet worden sind, wird der Zeuge wie ein Beschuldigter angefasst. Wie der Rechtsstaat aus dem Ruder läuft.

IMAGO/Björn Trotzki

Björn Lars Oberndorf ist ehemaliger Polizeibeamter, Kriminologe, Polizei- und Politikwissenschaftler mit Schwerpunkt Verfassungsrecht. In der Vergangenheit hat er für verschiedene Landes- und Bundesbehörden gearbeitet und ist seit mehreren Jahren freiberuflich als Dozent in der politischen Erwachsenenbildung tätig, dort sinnigerweise auf dem Gebiet Demokratieverständnis, Wertetraining, Verfassungsrecht, interkulturelle Kompetenz, interreligiöser Dialog, Konfliktmanagement, Deeskalation, Gewaltprävention, gegen Hass- und Gewaltkriminalität. Er klärt auf zum Thema Extremismus und Bedrohungen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung durch bestimmte Gruppierungen.

Sein „Vergehen“: Mitglieder jener Truppe aus dem „Rollator“-Aufstand hatten Oberndorf kontaktiert. Er ist nämlich auch Gründungsmitglied und 1. Vorsitzender des Polizisten für Aufklärung e.V., einer Vereinigung kritischer Polizisten. Die „Rollator“-Gruppe wollte ihn als Sachverständigen anwerben. Oberndorf wusste zunächst nicht, mit wem er es zu tun hatte. Als er dies gemerkt hatte, distanzierte er sich und gab unmissverständlich zurück: lasst mich in Ruhe!

Doch offensichtlich wurden die Telefongespräche abgehört, der Apparat muss mitbekommen haben, dass Oberndorf nichts mit der Truppe zu tun haben wollte. Dennoch bekam Oberndorf eines morgens um 6:00 Uhr Besuch von der GSG 9 und vielen anderen Polizeieinheiten. Ein Beispiel, wohin „Kontaktschuld“ führt und Beispiel zugleich, wie locker mittlerweile der Staat Hausdurchsuchungen zur Einschüchterung einsetzt. Ein Gespräch mit Lars Oberndorf:

Tichys Einblick: Was ist denn bei Ihnen passiert?

Lars Oberndorf: Bei mir wurde im März 2023 um 6 Uhr morgens mein Haus durch Einsatzkräfte der GSG 9 gestürmt, also der Speerspitze der Terrorismusbekämpfung in Deutschland. Sie haben sich gewaltsam Zutritt verschafft, haben mich in meiner Küche mit Kabelbindern gefesselt. Mir wurde dann eröffnet, dass ich Zeuge in einem Ermittlungsverfahren bin. Dann wurden bis 12.30 Uhr, also sechseinhalb Stunden lang, die Garage, das Haus, der Keller, alles komplett durchsucht. Technik wurde mitgenommen, das Handy wurde gespiegelt, Speichermedien wurden mitgenommen – und das Ganze als Zeuge in einem Ermittlungsverfahren.

Wie sah Ihr Haus hinterher aus?

Es war natürlich unordentlich, aber im Großen und Ganzen sind die Einsatzkräfte vom BKA, die nach der GSG 9 hier waren, aber auch vom Polizeipräsidium Bochum und von der Waffenbehörde mit den Sachen sehr ordentlich umgegangen. Was natürlich nichts daran ändert, dass der ganze Block, in dem ich wohne, abgeriegelt war. Zu Hochzeiten hatten wir 25 Einsatzkräfte im und um das Objekt herum. Auch wenn vor Ort einigermaßen professionell vorgegangen wurde, ändert das nichts an der nach meiner Überzeugung rechtswidrigen Durchsuchungsmaßnahme und der damit verbundenen, gegebenenfalls beabsichtigten Einschüchterung. Streng genommen dauert die Durchsuchung sogar noch an, weil meine Speichermedien immer noch nicht wieder in meinem Eigentum sind. Das heißt, sie werden immer noch vom BKA durchgeschaut.

Und wie ging es dann weiter?

Die Durchsuchung ist nach wie vor rechtlich nicht abgeschlossen, weil die Unterlagen und die Speichermedien immer noch beim BKA liegen. Auch meine E-Mail-Accounts werden vermutlich immer noch durchsucht. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass mein Mobiltelefon der Telekommunikationsüberwachung unterliegt. Man hat deutlich gemerkt, dass ich bei dem Zugriff, aber auch im Nachhinein, behandelt wurde wie ein Beschuldigter, obwohl ich kein Beschuldigter bin, sondern Zeuge! Das Ganze ist also wirklich skandalös.

Wie müsste es denn ablaufen?

Ich kenne es halt so, dass wenn ich Zeuge in einem Ermittlungsverfahren bin, eine Vorladung zur Polizei kriege. Dann gehe ich dahin oder auch nicht – muss ich ja nicht. Ich persönlich würde dann da hingehen, würde das klären. Oder gegebenenfalls, wenn ein Durchsuchungsbeschluss beantragt und angeordnet wurde, klingelt man an der Tür mit Kräften der Kripo, durchsucht das Objekt. Aber den Zugriff durch die GSG 9 kann ich nur als obskur bezeichnen. Da drängt sich zumindest der Verdacht auf, dass es um eine Einschüchterung der außerparlamentarischen Opposition ging und dass es sich gegebenenfalls auch um eine Ausforschungsdurchsuchung gehandelt hat, weil man vielleicht mit aller Vorsicht auch an Daten des Vereins „Polizisten für Aufklärung“ kommen wollte.

Wie wurde der Einsatz der GSG 9 denn begründet?

Ich habe den Kriminalhauptkommissar vom BKA gefragt, und seine Begründung war, ich sei Jäger und Legalwaffenbesitzer – ohne auch nur einen Punkt in Flensburg, ohne eine Eintragung im polizeilichen Führungszeugnis zu haben –, und dies sei mittlerweile das Standardvorgehen bei Legalwaffenbesitzern. Was natürlich – entschuldigen Sie die Wortwahl – absoluter Schwachsinn ist. Wenn dies das Standardvorgehen wäre, wenn es also ausreichte, dass man legal Waffenbesitzer ist, dann wären in Deutschland ja Millionen davon betroffen: Jäger, Sportschützen, Waffensammler, Waffensachverständige und so weiter. Ich habe im Nachhinein mit vielen Juristen telefoniert, auch mit Professoren und Mitherausgebern des Waffenrechtskommentars. Die haben mir alle bestätigt, dass ihnen in der ganzen Zeit, in der sie tätig sind, kein Fall untergekommen ist, wo man sich bei einem Zeugen, einzig und allein weil er Legalwaffenbesitzer ist, mit einer polizeilichen Spezialeinheit, ganz zu schweigen von der GSG 9, Einlass in die Wohnung verschafft habe.

Also ist Ihr Fall einmalig?

Ja. Und es ist ja auch völlig unverhältnismäßig, was da passiert ist. Man muss sich ja nur mal vorstellen, was hätte passieren können. Man wird um 6 Uhr morgens durch den Lärm wach. Man hört seine Frau unten schreien, weil die gerade die Vögel im Garten füttern will. Man denkt, es könnte ja sonst etwas sein und man hätte dann irgendwas in der Hand, einen Baseballschläger, eine Taschenlampe oder irgendetwas, was ich zum Glück nicht hatte, weil dann die erste Einsatzkraft, die den Raum betritt, das Gefühl gehabt hätte, es handle sich um eine Bedrohung. Die haben die Waffen ja nicht aus Jux und Dollerei in der Hand, sondern die haben die Waffen, um notfalls zu schießen. Das ist das absolut höchste Eskalationspotenzial, mit dem der Staat einsteigen kann – und das bei einem Zeugen, der einzig und allein über ein Treffen mit bestimmten Personen Auskunft geben soll. Wo man normalerweise auch einfach fragen könnte, was denn bei diesem Treffen besprochen wurde.

Eigentlich halten Sie das, was Ihnen passiert ist, für rechtswidrig?

Dieser Durchsuchungsbeschluss hätte niemals von der Generalbundesanwaltschaft beantragt, er hätte niemals so durch den Bundesgerichtshof angeordnet werden dürfen. Es ist Rechtsbeugung, auch wenn die staatlichen Behörden das anders sehen. Und dazu kommt, dass der Paragraf 103 der Strafprozessordnung die Erfüllung ganz bestimmter Anforderungen verlangt, bevor es eine Durchsuchung bei Zeugen geben darf – zum Beispiel müssen ganz konkrete Tatsachen vorliegen, dass und welche Beweismittel dort wohl aufzufinden sind. Das heißt, man muss diese Auffindungsvermutung sehr konkret mit Tatsachen belegen. Das war bei mir alles nicht der Fall.

Sie haben sicherlich mit den Polizisten gesprochen. Welchen Eindruck hatten Sie? War denen das unangenehm?

Der Eindruck, den ich bei den GSG-9-Leuten hatte, war, dass denen ganz genau bewusst war, dass von mir und meiner Frau keine Gefahr ausgeht. Bei den anderen Beamten vom BKA und von der Landespolizei kann ich mir schon vorstellen, dass sie sich zwischenzeitlich gefragt haben, was sie hier machen und was sie überhaupt suchen. Ich habe ihnen auch Kaffee angeboten. Ich habe gesagt: „Sie können die Toilette benutzen“, auch wenn ich der Maßnahme an sich natürlich widersprochen hatte.

Ist das eine Art blinder Gehorsam?

Nein. Ein Polizeibeamter braucht natürlich ein bestimmtes Grundvertrauen in seine Dienstvorgesetzten. Wenn ein Kriminalhauptkommissar des BKA einen Durchsuchungsbeschluss bekommt, der von der Generalbundesanwaltschaft quasi geprüft wurde, der vom BGH geprüft wurde, der über seinen Dienstvorgesetzten dann ihm gegeben wird, als quasi verantwortlicher Polizeibeamter vor Ort, dann müsste er schon sehr bereit sein, sich unbeliebt zu machen, um das noch mal infrage zu stellen. Das entbindet ihn natürlich nach dem Beamtenstatusgesetz nicht davon, notfalls zu remonstrieren. Aber den Einsatzkräften, die hier vor Ort waren, mache ich den geringsten Vorwurf.

Wem machen Sie dann einen Vorwurf?

Den Vorwurf mache ich wirklich der politischen und der rechtlichen Führungsebene – ob das die Generalbundesanwaltschaft ist, das BKA, der BGH oder das Bundesministerium des Innern. Denn wie wir mittlerweile durch eine Kleine Anfrage im Bundestag rausbekommen haben, wurden vor der Durchsuchung bei mir sogar der Staatsschutz im BMI und der Staatssekretär informiert – über eine Durchsuchung bei einem Zeugen.

Und das ist ungewöhnlich?

Das ist ein Novum, und deswegen gehe ich ganz stark davon aus, dass auch Nancy Faeser im Vorfeld über diese Durchsuchung informiert wurde und dass man auch ganz bewusst die GSG 9 geschickt hat. Normalerweise würde man ja ein SEK des Landes hinzuziehen. Wir haben interne Informationen zugespielt bekommen, dass Frau Faeser der Landes-SEK NRW nicht vertraut und deswegen die GSG 9 geschickt hat. Das kann ich natürlich nicht beweisen. Aber es würde in das Große und Ganze passen, was wir jetzt auch in anderen Fällen von Frau Faeser mitbekommen.

Was sagt das aus Ihrer Sicht als Poli­zist über einen Staat aus, der jetzt hier sehr übergriffig vorgeht?

Es wird einfach bei einer Person, wo es greifbar überhaupt nichts gibt, eine Maßnahme durchgezogen – wie jetzt hier die Durchsuchung bei mir als Zeuge. Das war in meinem Fall das erste Rechtswidrige. Dann gab es die rechtswidrige Übermittlung von Daten an meine Waffenbehörde. Das darf man
in Ermittlungsverfahren bei Zeugen, aber nur dann, wenn von dem Zeugen eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht – was hier auch nicht begründet wurde. Andere Behörden wurden informiert nach dem Motto: Da wird schon keiner mehr nachfragen, wenn es eine bestimmte Dynamik erreicht hat, dann kriegt man die Anhörung.

Was heißt das?

Sie müssen Ihre Zuverlässigkeit belegen. Ich habe, glaube ich, 50 Seiten eingereicht. Ich bin Kriminologe, Wissenschaftler mit Schwerpunkt Verfassungsrecht. Ich habe alle Nachweise eingereicht. Ich biete eigene Seminare im Bereich Hass und Gewaltkriminalität für die Kommunalverwaltung an. Ich kläre auf über Reichsbürger, ich biete Seminare zum Thema Werte-Training an oder „Demokratie stärken“. Ich habe eingereicht, dass ich Mitglied bei der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen bin. Ich habe Tausende von Nachweisen eingereicht. Thema Beweislastumkehr. Ich muss ja quasi dann beweisen, dass ich kein Verfassungsfeind bin. Jetzt liegt das Ganze beim Verwaltungsgericht Gelsenkirchen. Aber man hat den Eindruck, dort wird überhaupt nicht mehr in eigener Zuständigkeit geprüft, sondern man bezieht sich auf irgendwelche Informationen, die das Landesamt und das Bundesamt für Verfassungsschutz zur Verfügung stellen.

Um welche Informationen geht es da?

Diese Informationen kenne ich nicht. Ich habe Anträge gestellt, aber bis heute keine Antworten erhalten. Das heißt, es ist ein riesiges Kuddelmuddel, und es wird eine Rechtswidrigkeit mit der nächsten begründet, nach dem Motto: Da wird dann schon gar keiner mehr fragen.

Sie nannten vorhin das Stichwort „re­monstrieren“. Was heißt das genau?

Jeder Beamte ist für die Rechtmäßigkeit seiner Maßnahmen persönlich verantwortlich. Wenn er Bedenken hat, muss er remonstrieren, also Einwände gegen die Anweisung seines Vorgesetzten erheben. Mittlerweile ist es so, dass ich das Gefühl habe, es wird überhaupt nichts mehr hinterfragt – und insofern auch kein Einwand mehr erhoben. Es gibt nur eine Marschrichtung. Diese Marschrichtung ist der vermeintliche Kampf gegen rechts. Etwas überspitzt: Der politische Gegner gerade im Bereich der außerparlamentarischen Opposition soll zerstört werden – wirtschaftlich, medial.

Harte Worte.

Nun, ich stelle mir schon ein paar Fragen: Warum eigentlich war Herr Schönbohm für Frau Faeser so unbeliebt? Warum musste Herr Schönbohm das Amt verlassen? Er war ja Präsident des BSI, des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik. Das ist ja ein sehr sensibler Bereich. Wenn ich jetzt sehe, dass die EU weitere Überwachung und so weiter einrichten will, vermute ich – ohne es natürlich zu wissen –, dass möglicherweise Herr Schönbohm ihr gesagt haben könnte, dass es in einem Rechtsstaat gewisse Grenzen gibt, die sie nicht überschreiten könne, und dass das vielleicht nicht genehm gewesen ist. Und das würde sich ja decken mit der Art der Vorgehensweise, die wir nun beobachten. Das heißt, es werden letzte Widerstände bei leitenden Beamten, die vielleicht noch ein Verständnis von Rechtsstaat haben, beseitigt.

Das sind sehr unerfreuliche Über­legungen, und sie klingen sehr pessi­mistisch.

Leider. Ab einem gewissen Punkt sind Entwicklungen in freien Gesellschaften nicht mehr aufzuhalten. Und das haben wir ganz massiv in den vergangenen Jahren erlebt. Ich hoffe, es ist nicht bereits zu spät. Dass die Leute noch nicht verstanden haben, was hier passiert, liegt vielleicht daran, dass sie sich in ihrer Komfortzone bewegen und es sich eben noch nicht mit bestimmten Leuten aufgrund ihrer politischen Arbeit „verscherzt“ haben.

Anzeige
Die mobile Version verlassen