Tichys Einblick: Herr Professor Heinsohn, Sie beschäftigen sich schon seit Langem mit den wachsenden Unterschieden im Bildungsniveau zwischen ostasiatischen und westlichen Ländern. Die Zahlen zu Corona sprechen dafür, dass ostasiatische Länder Covid19 deutlich besser überstanden haben und ein starkes Wirtschaftswachstum erleben. Besteht ein Zusammenhang zwischen Bildung, Intelligenz und Erfolg bei der Corona Bekämpfung?
Gunnar Heinsohn: Mit den Details der Bekämpfung von Covid-19 habe ich mich nicht ausreichend beschäftigt. Immerhin wissen wir, dass die Bevölkerungen der fünf Ostasiaten Singapur, Taiwan, Japan, Südkorea und Hongkong – alle unter den zehn Staaten mit der besten Covid-19-Bilanz laut Bloomberg – Stand April 2021 nur zu zwischen zwei und 19 Prozent geimpft sind. Sie schützen sich vor allem durch effizientes Nachverfolgen von Kontakten und genau zielende Isolierungen. Das geht nur bei hoher Kompetenz, so, dass alle verstehen, was vorgeschlagen wird.
Ich will das an einem Beispiel deutlich machen, das gar nichts mit Corona zu tun hat: der japanischen Eisenbahn. Dort misst man die jährliche Verspätung in Sekunden, während sich die Verspätung beispielsweise der Bahn in Deutschland im Jahr auf Tages- und Wochengrößen summiert. Wenn etwas so Komplexes wie die japanische Bahn derart zuverlässig funktioniert, dann kann das nur daran liegen, dass Sie dort Mitarbeiter mit einem guten Durchblick auf das Gesamtsystem nicht nur ganz oben finden, sondern auf allen Hierarchiestufen. Und das wiederum fördert vorausschauendes Handeln. Es wird dann nicht nur gemeldet, dass etwas kaputtgegangen ist, sondern dass es ausfallen könnte und vorsorglich zu ersetzen ist.
Und das hilft auch in einer Pandemie?
Um es ganz einfach zu sagen: Gesellschaften mit hoher Kompetenz auf den verschiedenen Ebenen bewältigen auch Krisen besser als Gesellschaften, in denen die Kompetenz geringer ist.
Kann das schon die viel niedrigeren Corona-Todesraten im Vergleich zum Westen erklären?
Man hat in Ostasien umgehend vorhandene Medikamente, etwa Ivermectin, ausprobiert, mit denen Covid verhindert oder Sterberaten deutlich verringert werden können, während im Westen Ärzte mit Eigeninitiative behindert oder gar juristisch belangt wurden.
Zum langfristigen Trend: im internationalen TIMSS-Ranking, das die mathematischnaturwissenschaftlichen Fähigkeiten von Schülern misst, kam Deutschland 2020 nur noch auf Platz 25. Auf den ersten vier Plätzen finden sich ostasiatische Staaten. Wo führt diese Entwicklung hin?
Trotzdem wiederholen hiesige Poli tiker und Medien die Formel: „Wir sind ein reiches Land.“ Deutschland sieht sich sogar in der Lage, großen Welt regionen zu helfen.
In Deutschland wird die früher unstrittige Stärke auch für die Zukunft unterstellt. Doch von unseren sechs unter den 1000 Kindern der Welt wandert eines aus, oft das tüchtigste. Als Erwachsener fragt es sich, ob der Niedergang der Heimat bei eigenem Hierbleiben verhindert werden kann. Fällt die Antwort negativ aus, wird emigriert. Nur wenige enden gern in Altersarmut, nur weil es als edel gilt, zu den wachsenden Rentnerheeren auch immer mehr der 800 hoffnungslosen Kinder zu versorgen. Sie wissen, dass trotz höchster Steuern weltweit die Megamilliardenbeträge für das Finanzieren der ins Land Geholten oder gar die Stabilisierung halber Kontinente unaufbringbar sind.
Welches Motiv vermuten Sie hinter die ser Überschätzung der eigenen Kräfte?
Bestenfalls ein verklemmtes „Nobel geht die Welt zugrunde“. Wenn man ohnehin absinkt, dann will man wenigstens unter ähnlich Betroffenen unter dem Banner von Weltenrettung und Spitzenhumanismus Sieger bleiben.
Noch vor 30 Jahren galten ostasiatische Länder vor allem als Nachahmer der westlichen Technik. Wie konnten sie so schnell aufsteigen?
Wir wissen durch die Forschungen von Harold Stevenson seit spätestens 1980, dass die Kinder armer Ostasiaten viel besser rechnen können als der Nachwuchs der reichsten Milieus in den USA. Wirtschaftsgeschichte hat bisher die globale Entwicklung nicht verstanden, weil sie die unschlagbare Kombination von Eigentumsschutz und hoher kognitiver Kompetenz ausgeblendet hat. Zwischen den 1870ern (Japan) und 1970ern (China) aber finden die kognitiv immer schon überlegenen Ostasiaten auch zum Eigentum – mit der Ausnahme Nordkorea. Jedes Land kommt dann wie ein Korken nach oben. Der Westen hingegen verortet dort nur geringe Löhne und Diebstahl. Doch klauen können auch wir, und lediglich durchschnittliche Löhne haben wir inzwischen auch. Dass wir die verlorenen Industrien trotzdem nicht zurückklauen können, liegt am Mangel an Kompetenten.
Ostasiens Fähigkeit, schnell aufzuholen und dann sogar in Führung zu gehen, hatte sich schon früh im 20. Jahrhundert gezeigt. Die ersten Flugzeuge sind schon vor dem Ersten Weltkrieg von Schiffdecks gestartet. Großbritannien hatte mit der „Royal Ark“ den ersten improvisierten Flugzeugträger. Japanische Ingenieure begriffen damals das Potenzial. Das weltweit erste von vornherein als Flugzeugträger geplante Schiff entstand deshalb nicht im Westen, sondern in Fernost: die „Hosho“, 1922. Im ersten Schritt hatten sie etwas übernommen, aber gleich im zweiten das Vorbild überholt.
Übrigens bestand darin auch die Stärke Deutschlands, als es zwischen den SteinHardenbergschen Eigentumsgesetzen, geschaffen 1807 bis 1811, und 1907 Großbritannien industriell hinter sich ließ. Deutsche Techniker reisten mit Papier und Bleistift zu den englischen Messen und merkten noch beim Abzeichnen der neuesten Maschinen, dass sich vieles besser machen ließe.
Das heißt, ostasiatische Länder sehen sich schon länger als Aufsteiger?
Seit der Antike gelten Wissen und Disziplin als höchste Tugenden. Und doch liegt der Siegeszug nicht am Bildungssystem. Ostasiatische Schüler in Australien und Nordamerika machen dort nämlich noch schnellere Lernfortschritte als daheim. Für die Überlegenheit westlicher Eliteschulen spricht auch, dass chinesische Eltern ihren Nachwuchs dort für viel Geld unterbringen. Die Stärke offenbart sich zudem darin, dass man im eigenen Land noch lange nicht alle Register gezogen hat.
Ostasiatische Länder betreiben eine deutlich andere Einwanderungspolitik als wir. Was könnten wir lernen?
Vor einiger Zeit besuchte mich in Danzig der Berliner Korrespondent von „Yo miuri Shimbun“, Japans größter Zeitung. Ich fragte ihn, wie die japanische Regierung ihr Volk davon überzeugen würde, dass eine Masseneinwanderung von Geringqualifizierten gut für das Land sei. Er machte sehr schnell deutlich, dass ein solches Vorhaben in der japanischen Politik undenkbar sei. Man hole durchaus Arbeitskräfte, zum Beispiel Altenpflegerinnen, aber kaum jemand wolle ihnen Einbürgerung und lebenslange Versorgung anbieten. Spätestens im Parlament scheiterten entsprechenden Vorstöße. Es gibt allerdings die Zuwanderung von Japanischstämmigen, deren Vorfahren etwa nach Südamerika emigriert sind. Ansonsten werden nur Könner jeder Augenstellung und Pigmentierung angeworben, solange sie dem Land etwas bringen. Das ist zwar kein Rassismus – aber Intelligenzismus könnte man das schon nennen.
Die Gegenargumentation in Deutschland lautet, durch Qualifizierung ließen sich Einwanderer aus Afrika und Arabien schnell auf das Niveau eines Industrielandes bringen.
Hier gibt es die merkwürdige Lehre, dass sich zwei junge Einwanderer mit schlechter Qualifikation irgendwie zu einem Ass addieren. Ich hatte mich über die Erwartung an Einwanderung einmal mit einem kanadischen Politiker unterhalten, der heute Chef einer Provinz ist. Ihr in Deutschland, sagte er, denkt tief und weit darüber nach,
wie weit Intelligenz erblich ist und wie weit erworben. Uns ist es völlig egal, woher die Intelligenz kommt. Hauptsache, sie ist beim Grenzübertritt eines Einwanderers vorhanden. Und wenn ihr in Deutschland den Nachweis liefert, dass ihr Migranten mit geringer Kompetenz durch den Aufenthalt in eurem Land in Asse verwandeln könnt, dann kopieren wir die Methode sehr gern. Kanada gehört zu den Ländern, die Einwanderung sehr pragmatisch handhaben.
Mittlerweile versuchen Politiker in Deutschland und anderswo in der EU, chinesischen Unternehmen die Übernahme einheimischer Firmen zu erschweren. Was halten Sie davon?
Als das chinesische Unternehmen Midea 2016 den deutschen Roboterhersteller Kuka übernahm, versuchten Politiker zunächst, das zu verhindern – und mussten feststellen, dass die Belegschaft von Kuka davon überhaupt nicht begeistert war. Die fragten: Welches Know-how wollt ihr denn schützen? Sie sahen die Übernahme eher als Chance, die besten Köpfe im Unternehmen zu halten und durch den Anschluss an das kognitive Potenzial in China den Standort in Deutschland zu erhalten.
Ist der Wettbewerb mit den ost asiatischen Ländern also verloren? Was können die Europäer tun?
Die Frage, die sich die europäischen Länder stellen müssen, ist: Bleiben wir offen für die Einwanderung von Geringqualifizierten, oder werden wir Kompetenzfestung? Ihr Wohlstand hängt davon ab, ob es ihnen gelingt, Kompetente ins Land zu holen und die eigenen guten Köpfe zu halten. Das Einzige, was hilft, im globalen Wettbewerb zu bestehen, ist die Errichtung einer Kompetenzfestung.
Wie sollen Deutschland oder die EU eine solche Festung werden?
Weder Deutschland noch die EU. Ich denke, dass neue politische Einheiten entstehen, die nichts mit dem Rückzug auf nationale Enge zu tun haben. Ich habe schon vor einem Jahrzehnt eine Northern Alliance vorgeschlagen, zu der auch Schleswig-Holstein und Hamburg gehören könnten. Von Isländern und Skandinaviern bis zu Balten und Westslawen gäbe es – mit den eher besseren Schülern Europas und dem Nuklearschutz Großbritanniens – eine wirklich vielfältige Mischung, die wirklichen Postnationalisten gefallen kann. Diese große Kompetenzfestung würde viele glücklich machen. Könner aus der Weiter-so-EU könnten dort anklopfen. Wer dagegen Hamburgs neue Leistungswelt nicht ertrüge, könnte im nahen Bremen jeden denkbaren Fortschritt finden.