Tichys Einblick
Interview

„Es ist ein Problem der Angebotsseite“

Die mittlerweile bei fast acht Prozent liegende Inflationsrate ängstigt die Deutschen. Höhere Zinsen können aber nur zum Teil Abhilfe schaffen. IWH-Präsident Reint Gropp erläutert die Folgen des Ukraine-Krieges und kommentiert das Entlastungspaket der Bundesregierung. Ein Interview von Thilo Boss

IMAGO / Bihlmayerfotografie

Die Folgen der Corona-Pandemie und des Ukraine-Krieges belasten das Wachstum. Der deutsche Aktienindex DAX ist seit Wochen auf Talfahrt. Die Inflationsrate rangiert auf Höchstniveau, wie zuletzt in den 1970ern. Lieferengpässe belasten zudem die Unternehmen. Vor diesem Hintergrund wird diskutiert, was die Bundesregierung jetzt tun sollte und die Europäische Zentralbank (EZB) noch tun kann, um einer Wirtschaftskrise zu begegnen, ob ein Unterbruch der russischen Lieferungen von Erdgas und Erdöl Deutschland und Europa in eine Rezession stürzt und ob deutsche Kern- und Kohlekraftwerke noch länger laufen oder wieder angefahren werden sollten.

Tichys Einblick: Herr Professor Gropp, die Ampelkoalition hat ein milliardenschweres Hilfspaket auf den Weg gebracht, um die Bevölkerung von den stark gestiegenen Energiepreisen und der damit auch verbundenen hohen Inflationsrate zu entlasten. Die Energiepauschale, der Tankrabatt, das Neun-Euro-Ticket im ÖPNV, der Kinderbonus und die Einmalzahlung für Sozialleistungsbezieher – ergreift die Bundesregierung die richtigen Maßnahmen?

Reint Gropp: Es ist jedenfalls richtig, dass sie handelt. Vor allem Kleinverdiener trifft die hohe Inflationsrate, wie wir sie in Deutschland nur aus den 1970ern kennen, hart – gerade die dramatischen Preissteigerungen bei den Energiekosten. Die Menschen müssen ihre Heizkostenrechnung zahlen und auch noch zur Arbeit fahren können, ohne ans Existenzminimum zu kommen.

Ist das Hilfspaket in sich stimmig?

Das Neun-Euro-Ticket kommt nicht jedem zugute und zielt eher darauf ab, die Menschen in der Stadt zum Umstieg vom Auto auf Bus und Bahn zu bewegen. Auf dem Land, wo der ÖPNV ausgedünnt ist oder gar nicht mehr existiert, spielt es überhaupt keine Rolle. Eine Einmalzahlung oder das Energiegeld ist eben eine Einmalzahlung und kann die gestiegenen Kosten nur abfedern. Das soll sie auch nur, denn es ist entscheidend, dass die höheren Preise auch noch die richtigen Anreize zum Energiesparen setzen. Preissignale zu erhalten und damit die höheren Kosten nur unvollständig auszugleichen, ist von entscheidender Bedeutung, wenn man mit den gestiegenen Preisen effizient umgehen will.

Wäre es besser gewesen, so wie es die Union gefordert hat, die Steuern zu senken?

Das hätte den Menschen mehr netto vom brutto gelassen und gleichzeitig die Unternehmen entlastet. Nein, das wäre der falsche Weg und würde dazu führen, falsche Anreize zu setzen. Hilfsmaßnahmen machen Sinn, wenn sie gezielt denjenigen helfen, die auch die Belastungen am meisten treffen. Gutverdiener können die Energiepreise und die Inflationsrate besser abfedern und einen Beitrag durch Einsparungen leisten. Eine Senkung der Mehrwertsteuer, etwa auf Nahrungsmittel, würde auch ihnen zugutekommen. Reichere Menschen geben zwar proportional weniger für Energie und Lebensmittel als Geringverdiener aus, aber ich sehe kaum einen Grund, warum sie von Mitteln aus dem Staatshaushalt profitieren sollten.

Sie hören sich an, als ob sie ein Keynesianer seien. In der Vergangenheit haben Sie stets für die freien Kräfte des Marktes plädiert, damit keine Fehlallokationen gesetzt werden …

… was ich auch immer noch tue. Durch den Krieg in der Ukraine und die Corona-Pandemie sind wir aber in eine Ausnahmesituation geraten, in der der Staat intervenieren sollte. Inflationsraten zwischen sieben und acht Prozent sind nicht hinnehmbar und schwächen die Volkswirtschaften. Sie entsprechen nicht den Zielkorridoren der Zentralbanken, die eine Teuerungsrate um die zwei Prozent anstreben. Deshalb muss jetzt auch von staatlicher Seite gehandelt werden – allerdings nur zeitlich begrenzt und vor allem zielgerichtet.

Fragt sich nur wie? Welche Optionen hat die EZB nach der jahrelangen Nullzinspolitik? Sollte sie wie die US-amerikanische Zentralbank Fed die Zinsen erhöhen? Das könnte die im Euroraum immer mehr ins Stocken geratene Konjunktur noch zusätzlich abwürgen …

… und dazu keine Effekte zur Bekämpfung der hohen Inflation erzielen. Un­ser Inflationsproblem liegt in der Un­terbrechung der Lieferketten mit einer darauf basierenden Verknappung der Waren und der steigenden Energieprei­se in Folge des Krieges. Es ist ein Pro­blem der Angebots­ und nicht der Nachfrageseite. Durch erhöhte Zinsen fallen weder die Energiepreise, noch werden Engpässe in der Produktion behoben. Das ist unser Dilemma, und das habe ich – und viele meiner Kollegen – falsch eingeschätzt. Und trotzdem plädiere ich dafür, dass die EZB jetzt die Zinsen anzieht.

Warum denn das? Das hätte Ihren Ausführungen zufolge doch gar keinen Sinn.

Es ist ein wichtiges Signal an die Tarif­parteien, dass die EZB bereit ist zu han­deln. Dabei ist es auch wichtig für die EZB zu erläutern, dass erwartet wird, dass die Inflation nicht über einen län­geren Zeitraum auf diesem Niveau ver­harrt oder sogar noch steigt, sondern dass sie temporär begrenzt ist. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die Inflationserwartungen von Inves­toren, Haushalten und Tarifparteien fest verankert bleiben – also möglichst bei dem Zwei­-Prozent­-Ziel der Zentralbank. Wenn die Erwartungen der Men­schen erst einmal stark von diesem Ziel abweichen, birgt das dann tatsächlich die Gefahr einer Lohn­-Preis­-Spirale, die die Teuerungsrate zusätzlich treiben würde. Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen daher jetzt umsichtig handeln.

Das ist leicht gesagt. Sie selbst argumentieren ja, dass die Energiepreise durch den Krieg getrieben sind und Kaskadeneffekte nach sich ziehen. Wenn sich infolge des Krieges Preise für Öl und Gas weiter verteuern und die gestiegenen Produktionskosten an die Konsumenten weitergegeben werden, ist die Inflation nicht mehr aufzuhalten – Zinspolitik hin, Zinspolitik her.

Der Krieg ist in der Tat die große Unbe­kannte. Würde ein Frieden geschlossen, würden sich auch die Märkte schnell beruhigen. Davon ist aber nicht auszu­gehen. Die Ukraine verteidigt unsere demokratischen Freiheitsrechte. Dafür werden wir bezahlen müssen. Aber die Lösung liegt nicht allein in einem Boy­kott der russischen Öl­- und Gasliefe­rungen. Sie liegt in der Diversifizierung unserer Lieferbeziehungen und dem Abbau von Abhängigkeiten. Das ist die Lehre, die wir aus dem Konflikt ziehen müssen. Die deutsche Volks­wirtschaft braucht möglichst viele unterschiedliche Lieferanten und muss dafür die Voraussetzungen schaffen. Deshalb ist es gut, dass wir jetzt bei­spielsweise LNG­-Terminals bauen und die Geschäftsbeziehungen zu anderen Erdgasproduzenten intensivieren. Mit dem gleichzeitigen forcierten Ausbau der erneuerbaren Energien sowie Energiesparmaßnahmen werden wir in ab­sehbarer Zeit auch unsere Abhängigkeit bei den Gasimporten deutlich verrin­gern. Das wird zu einer Normalisierung im Preisgefüge für Gas und Öl sorgen.

Noch einmal nachgehakt: Wir brauchen jetzt schnelle und keine langfristigen Lösungen. Spricht das für ein Weiterbetreiben respektive Wiederanfahren deutscher Kernkraftwerke und eine Verschiebung des Kohleausstiegs?

Ja und nein. Keine führende Industrie­nation ist so schnell aus der Kernener­gie ausgestiegen wie Deutschland. Das gilt sowohl für die Europäische Union als auch für Japan, wo man nach der Katastrophe von Fukushima noch am ehesten mit einer Atomkraftwende hätte rechnen müssen. Kernenergie ist C02­-neutral und darum auch mit Blick auf den Klimawandel nach wie vor eine Alternative …

… über die in Deutschland in der Bundesregierung nun nachgedacht werden sollte?

Wirtschafts-­ und Energieminister Ro­bert Habeck hat dies ja auch schon öf­fentlich getan, obwohl seine Partei sich über den Kernenergieausstieg definiert. Wenn es noch möglich ist, Kraftwerke weiterlaufen zu lassen oder mit über­schaubaren Kosten wieder anzufahren, dann sollten wir das auch tun. Kern­energie ist eine Lösung bis zu dem Zeit­punkt, da unser Energiebedarf durch Ökostrom zu bezahlbaren Preisen gedeckt werden kann.

Mit dem „Nein“-Teil Ihrer Antwort zielten Sie dann offensichtlich auf die diskutierte Aussetzung des Kohleausstiegs ab. Sollten wir auch hier eine Umkehr in Erwägung ziehen?

Wir dürfen nicht alle Grundsätze über Bord werfen. Die Ökobilanz von Kohle ist schlecht. Wenn wir unser 1,5­-Grad­-Ziel weltweit erreichen wollen, müssen wir den Weg der Dekarbonisierung kon­sequent beschreiten. Dazu gibt es keine Alternative. Und im Übrigen ist teure Energie ein Katalysator dafür, dass wir Energie einsparen und neue Techno­logien in der Stromerzeugung fördern, wovon auch wieder unsere Volkswirt­schaft profitiert. Der Staat kann die Bevölkerung nicht komplett von den Energiepreisen isolieren. Wir können nicht über die nächsten zehn Jahre den Energieverbrauch subventionieren.

Lassen Sie uns noch einmal einen Blick auf die unmittelbare Zukunft werfen. Viele Ihrer Kollegen in der Wissenschaft und auch Wirtschaftsminister Habeck rechnen damit, dass Deutschland in eine Rezession rutscht, wenn Russland die Gaslieferungen einstellt. Damit begründet er auch seine Ablehnung eines Gasembargos. Ist diese Befürchtung zutreffend? Droht Deutschland und Europa eine Wirtschaftskrise?

Die Gefahr ist real. Die Wirtschaftsforschungsinstitute und die Bundesregie­rung haben ihre Wachstumsprognosen bereits drastisch reduziert. Ein Liefer­stopp von Erdgas würde zu weiter stei­genden Preisen im Spothandel führen. Das sind aber nun einmal die Kosten der Freiheit und der Energiewende. Ich denke, wir müssen diese Kosten tragen. Der Staat jedenfalls sollte nur für die niedrigsten Einkommen diese Kosten abfedern.


Reint E. Gropp ist seit 2014 Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) und Inhaber eines Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre an der Uni Magdeburg.

Die mobile Version verlassen