Tichys Einblick
TE-Interview mit OB Matthias Berger

„Berliner Ampel – katastrophal“

Seit 18 Jahren unterhält Grimma mit der Stadt Gezer, nahe Jerusalem, eine Partnerschaft. Sachsen wählt am 1. September. OB Berger ist Spitzenkandidat der Freien Wähler in Sachsen. Er sagt, wer jetzt noch Optimist ist, hat nur zu wenige Informationen. Aber das ist sein Ansporn. Mit Berger sprach Godel Rosenberg

Matthias Berger spricht nach seiner Nominierung als Spitzenkandidat der Freien Wähler (FW) für die Landtagswahl 2024. Bergerist seit 2008 Oberbürgermeister der Stadt Grimma, Sachsen, 01.12.2023

picture alliance/dpa | Jan Woitas

Matthias Berger (56) ist seit über 23 Jahren Oberbürgermeister der 29.000-Einwohner-Stadt Grimma in Sachsen, mit insgesamt 65 Ortsteilen. Er ist mehrfach wiedergewählt und in seiner Regierungszeit ist die Stadt zu einem sächsischen Schmuckstück gediehen. Wer durch die Straßen geht, erkennt nicht, dass der Stadt-Fluss, die Mulde, den Ort 2002 und 2013 durch ein Extrem-Hochwasser fast unbewohnbar gemacht hat. Gemeinsam und auch mit Hilfe von außen haben die Bürger Grimmas die Stadt wieder zu einem lebenswerten und wirtschaftlich erfolgreichen Zentrum werden lassen. Für die Landtagswahlen in Sachsen am 1. September kandidiert Berger als Spitzenkandidat der Freien Wähler (FW).

Seit 18 Jahren unterhält Grimma mit der Stadt Gezer, nahe Jerusalem, eine Partnerschaft mit einem regen kulturellen Austausch. Am 8. Oktober 2023, einen Tag nach dem Massaker der Hamas im Süden Israels, rief OB Berger seinen Partner in Israel an und fragte: „Wie können wir helfen?“ Daraus entwickelte sich ein Besuch von israelischen Kindern in Grimma in diesen Tagen.

Godel Rosenberg, Israel-Korrespondent von Tichys Einblick, hatte Gelegenheit, mit OB Berger in Grimma zu sprechen:

Tichys Einblick: Herr Oberbürgermeister, Grimma hat als erste deutsche Stadt auf Ihre Initiative hin 17 Israeli – 13 Kinder, vier Eltern – aus dem Gaza-Grenzbereich eingeladen. Was haben Sie sich denn dabei gedacht?

Berger: Wahre Freunde erkennt man in der Not. Aufgrund unserer extremen Hochwasserkatastrophen wissen wir, wie wichtig schnelle Hilfe ist. Insofern war uns dies eine Selbstverständlichkeit. Von hier aus kann man die politischen Geschehnisse bei aller Erfahrung mit Israel schlecht beurteilen. Kindern und ihren Eltern aus dem am meisten betroffenen Kibbuz zu helfen und ihnen ein paar schöne Tage bei uns zu bereiten, kann einfach nicht falsch sein.

Was beeindruckt Sie an Israel am stärksten?

Der unglaubliche Patriotismus und Optimismus, den jeder Israeli ausstrahlt. Wenn man unsere Probleme hier in Deutschland und die Probleme der Israelis sieht, relativiert das immer meine Sicht auf unsere vermeintlichen Probleme hier. Ich glaube, die meisten Israelis würden ihre Probleme gerne mit den unsrigen hier in Deutschland tauschen.

Ohne Ihr Netzwerk in der Region Grimma, ich konnte mich davon überzeugen, hätte der Aufenthalt der Israeli niemals organisiert werden können. In der veröffentlichten Meinung wird Israel seit dem 7. Oktober stark kritisiert. Was und warum ist in Grimma alles anders?

Unser Anspruch als Stadt ist es nicht, weltpolitisch Einfluss zu nehmen, sondern wir wollten Freunden in Not helfen. In Kriegen gibt es nie Sieger, sondern immer bloß Verlierer, und denen wollten wir helfen. Aus meiner persönlichen Sicht ist die Diskussion zu der Frage, wie viel Not, sprich wie viele Menschenleben, darf die Notwehr oder der Angriff Israels kosten, eine Farce. In meiner juristischen Ausbildung habe ich gelernt, dass man Menschenleben nicht gegeneinander abwägen kann. Ein Menschenleben ist genauso wertvoll wie 100 andere und umgekehrt. Es ist einfach nur traurig, was jetzt passiert. Die Hoffnung auf einen dauerhaften Frieden im Nahen Osten ist im Blut ertränkt worden.

Die Mehrheit im Stadtrat von Grimma liegt in den Händen der AfD- und der Freien Wähler-Fraktion mit jeweils sechs Sitzen. Wie ist Ihre Idee, Israeli einzuladen, dort angekommen?

Zum Zeitpunkt der Geschehnisse in Israel wurde unser Stadtrat von den Freien Wählern bzw. ähnlichen unparteiischen Gruppierungen dominiert und einige von den Stadträten waren in die Umsetzung unseres Besuchsprogrammes direkt involviert. Große Diskussionen gab es zu diesem Thema nicht, es musste geholfen werden.

Am 1.9. wählt Sachsen einen neuen Landtag, Sie sind Spitzenkandidat der Freien Wähler. Ist Israel ein Wahlkampfthema? Was sind die tragenden Themen?

Unsere deutschen Probleme auf Landes- und Bundesebene sind dramatisch genug, sodass Israel bisher keine Rolle spielte. Die tragenden Themen bei uns sind die desaströse finanzielle Lage auf allen Ebenen, der Ukrainekrieg und die Migration. Gerade beim Thema Migration sind wir Deutschen bereit zu helfen. Das derzeitige Chaos und die Hilflosigkeit unseres Staates im Umgang mit der Migration akzeptieren wir nicht.

Was muss geschehen, damit der OB Matthias Berger in die Landespolitik wechselt?

Ich wollte nicht mehr zusehen, wie unser Land, geführt von Parteifunktionären, vor die Wand gefahren wird. Eine wuchernde Bürokratie und aufwachsende Personalbestände an allen Enden, dass muss anders werden. Ich trete als OBM von Grimma hier nur noch auf der Stelle.

Was wäre Ihre Ideal-Koalition für die nächsten Jahre in Sachsen?

Wir Freien Wähler möchten eine bürgerlich.konservative Regierung etablieren. Politisch stehen wir für die konservativen Werte, die die CDU früher vertrat, jetzt aber aus Interessen des Machterhalts durch die Koalition mit Rot-Grün in Sachsen aufgegeben hat. Wir sehen uns als Garant für konservative Politik mit einem Team aus Leistungsträgern aller gesellschaftlichen Bereiche ohne Parteifunktionäre.

Alle Parteien in Deutschland haben eine politische Brandmauer gegen die AfD errichtet. Wie gehen Sie in Grimma und Sachsen bisher damit um? Was geschieht, wenn die AfD 30 oder gar 35 Prozent der Stimmen in Sachsen erhält?

Wir reden vor der Wahl mit niemandem und nach der Wahl mit allen. Eine gute Idee ist eine gute Idee. Die CDU in Sachsen hat sich durch die ihre von Links-Grün aufgezwungene Brandmauerdebatte in ein strategisches Aus manövriert und wird daran demnächst zerbrechen. Leider ist dadurch das von circa 80 Prozent unserer Sachsen vertretene konservative Lager gespalten.

Sie sind in der DDR in einem System der Planwirtschaft aufgewachsen, haben aber den Sprung in die Marktwirtschaft gut hinbekommen, wie man an den internationalen Investoren in Grimma auf Schritt und Tritt erkennen kann. Wann war bei Ihnen der ganz persönliche Wendepunkt?

Ich bin ein Kind der DDR und bin der letzte Jahrgang, der noch eine volle Armeezeit in der DDR leisten durfte oder musste. Dies hat mich natürlich maßgeblich geprägt. Die sich anschließende Berufsausbildung zum Forstwirt bzw. mein Studium zum Volljuristen in Baden-Württemberg und verschiedene Studienaufenthalte in den USA und Kanada waren natürlich auch prägende Erfahrungen.

Wie beurteilen Sie als Kommunalchef die Arbeit der Ampel-Regierung in Berlin? Gibt es positive oder negative Auswirkungen, die Sie in Ihrer Region spüren?

Katastrophal. Parteifunktionäre versuchen, ihre Ideologien durchzupeitschen. Besonders enttäuscht bin ich von der FDP, die in Allem ihre politische DNA verraten hat. Besonders unerträglich ist für mich unsere Außenministerin. Ganz viel Meinung bei ganz wenig Ahnung. Aufgrund des schlechten Englisch unserer derzeitigen Außenministerin kann man bloß hoffen, dass unsere Dolmetscher bei der Übersetzung das Schlimmste für Deutschland vermeiden. An dem Schaden, welchen die jetzige Bundesregierung herbeigeführt hat, werden wir als Deutschland noch lange laborieren müssen. Leider ist die derzeitige CDU, die sich leider nicht klar abgrenzt von den Grünen oder dem BSW, auch kein Garant mehr dafür, dass es nach der nächstjährigen Bundestagswahl zu einem echten Richtungswechsel in unserem Land kommen könnte. Wer jetzt noch Optimist ist, hat nur zu wenige Informationen.

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