Tichys Einblick
TE-Interview

Energiewende: „technisch mach-, aber nicht finanzierbar“

Professor André Thess, einer der führenden Forscher auf dem Gebiet der Energiespeicherung, hält die Pläne Robert Habecks für realitätsfern. Der Wissenschaftler fordert die Abschaffung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, mehr Markt – und entwirft eine Alternative für eine bezahlbare Stromversorgung.

picture alliance/dpa | Sebastian Gollnow

Tichys Einblick: Herr Professor Thess, Sie erforschen das, was der Energiewende bisher fehlt: leistungsfähige Großspeicher, konkret: an einer Technologie, die auf flüssigem Salz beruht. Warum sollen sie besser funktionieren als Batterien?

André Thess: Diese Speicher sind große Behälter, etwa so groß wie ein Gasometer oder genau gesagt zwei Gasometer, typischerweise 20 bis 30 Meter Durchmesser, 20 bis 30 Meter Höhe. In einem dieser Energiebunker befindet sich „kaltes“ geschmolzenes Salz mit einer Temperatur von 250 Grad Celsius. In dem anderen befindet sich die gleiche Salzschmelze bei einer Temperatur von 550 Grad. Die Wärmespeicherung besteht darin, dass man das kalte Salz von 250 Grad auf 550 Grad erwärmt. Dann kann man mit dieser 550 Grad heißen Suppe Dampf erzeugen und mit diesem eine Turbine antreiben, die Strom erzeugt. Und wenn das heiße Salz wieder abgekühlt ist auf 250 Grad, erwärmt man es durch elektrische Heizung, gespeist durch ein Photovoltaikkraftwerk, wieder auf 550 Grad.

Und worin liegen die Vorteile verglichen mit anderen Speichermethoden?


Das System hat den Vorteil, dass diese Salzschmelzen – Mischungen aus Kaliumnitrat und Natriumnitrat – industriell sehr preiswert hergestellt werden können. Das führt dazu, dass eine Kilowattstunde Strom, gespeichert in einer Salzschmelze, nur etwa ein Zehntel einer traditionellen Batterie kostet.

Ist diese Technologie sehr neu?

Im Gegenteil, die Forschung ist sehr weit gediehen. Es gibt heute ungefähr 30 Solarkraftwerke weltweit mit diesen Salzspeichern mit einer Speicherkapazität von insgesamt 22 Gigawattstunden. Sie liegen meist in Wüsten oder in abgelegenen Orten in China, Spanien, Chile, Marokko und den USA. Einige davon arbeiten seit 20 Jahren zuverlässig. Die Technologie ist etabliert. Man spricht von „bankable technology“ das heißt, ein Investor bekommt dafür problemlos einen Kredit.

Wenn das so ist – woran muss dann noch geforscht werden?

Die Technologie ist im Prinzip vorhanden. Das Problem besteht nur darin, dass in Deutschland die Kopplung dieser Technologie mit Wind- und Sonnenenergie am Ende Strom erzeugt, dessen Kosten deutlich höher sind als in Kraftwerken, die mit Gas, Öl oder Kohle betrieben werden. Denn die Stromausbeute von Solaranlagen ist in unseren Breiten nun einmal niedriger als weiter südlich. Die internationale Forschung konzentriert sich deshalb auf die Frage: Wie kann man es günstiger machen? Wie kann ich die Temperatur der Salzschmelze hochsetzen auf 600, 650 oder 700 Grad? Denn je höher die Speichertemperatur, desto mehr Strom kann ich zurückgewinnen. Die Knackpunkte dabei sind die Stabilität und Verträglichkeit dieser Salzschmelze mit dem Stahlmantel und das Finden der richtigen Gasatmosphäre über dem Flüssigsalz, damit sich dieses nicht zersetzt.

Es geht also um Wirtschaftlichkeit. Was kostet die ausgespeicherte Kilowattstunde dort, wo die Technik schon funktioniert, und was würde sie – Stand heute – in Deutschland kosten?

Man kann schon heute im Sonnengürtel der Erde Photovoltaikstrom für ein bis zwei Cent pro Kilowattstunde erzeugen. Wenn man diese Anlagen mit Flüssigsalzspeichern kombiniert, dann kann man an einem günstigen Standort grundlastfähigen, CO2-freien Strom für weniger als fünf Cent pro Kilowattstunde haben. Für Deutschland lägen die Kosten höher, da die Sonne weniger Potenzial hat und auch der Wind nicht so weht – wahrscheinlich oberhalb von zehn Cent pro Kilowattstunde.

Ohne günstige Großspeicher funktioniert die gesamte Energieplanung der Regierung nicht. Ist das Ziel überhaupt realistisch?

Es besteht kein Zweifel an der grundsätzlichen technischen Machbarkeit einer Kombination aus Wind- und Solarkraft, Flüssigsalzspeichern oder Feststoffspeichern und Gas- oder Dampfturbinen. Wir nennen das Wärmespeicherkraftwerk. Ich bin auch der Meinung, dass man, wenn man diese Ausbauziele als gegeben annimmt, nur in Kombination mit Speichern eine zuverlässige und grundlastfähige Energieversorgung bekommt. Ich glaube aber nicht, dass es ein realistisches Ziel ist, Deutschland zu 100 Prozent mit Wind und Sonne zu versorgen – selbst wenn man die Überschüsse speichern könnte.

Warum nicht?

Das wäre selbst mit günstigeren Speichern immer noch zu teuer, wenn man ausschließlich auf erneuerbare Energieerzeugung setzte.

Bei der Finanzierung der Erneuerbaren tut sich ein riesiges Loch auf: Durch ihren Ausbau und ohne große Speichermöglichkeit für Überschüsse liegt der Börsenstrompreis an immer mehr Tagen im Negativbereich. Die festgelegte Einspeisevergütung muss trotzdem gezahlt werden – früher direkt durch den Stromkunden, heute aus dem Klima- und Transformationsfonds, also einem Nebenhaushalt. Die dafür eingeplanten zehn Milliarden Euro reichen längst nicht. Wie wird die Energiepolitik unter diesen Bedingungen weitergehen?

Das ist schwierig zu prognostizieren. Klar ist jedoch, dass die finanzielle Belastung durch diese Ausgleichszahlung mit wachsenden Anteilen an erneuerbaren Energien immer weiter ansteigt.

Angenommen, die vollständige Umstellung des Systems auf Erneuerbare plus Speicher würde trotzdem so durchgezogen – was würde das kosten?

Grob gerechnet zehn Billionen Euro, gerechnet auf 20 Jahre. Die Summe pro Jahr entspräche dann fast dem gesamten Bundeshaushalt.

Was müsste passieren, um wieder zu einer plan- und bezahlbaren Energieversorgung zu kommen?


Das deutsche Energiesystem ist teuer und ineffizient, weil es an staatlicher Überregulierung leidet. Um es preiswerter, sicherer und umweltfreundlicher zu machen, plädiere ich ganz allgemein
dafür, den staatlichen Einfluss zurückzudrängen. Dazu müsste konkret als Erstes das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das EEG, abgeschafft werden. Das EEG passt zum CO2-Zertifikatehandel ungefähr wie der Gürtel zum Hosenträger. Mein Kollege Hans-Werner Sinn hat mehrfach und umfassend dargelegt: Der mit den EEG-Milliarden finanzierte Ausbau von Solar- und Windenergie in Deutschland erspart der Erdatmosphäre keine einzige Tonne CO2.

Warum?

Weil das Zertifikatehandelssystem die CO2-Emissionen de facto für die ganze EU festlegt und das EEG die Emissionen nur verlagert: Die in Deutschland aufgrund des EEG eingesparte Tonne CO2 wird anderswo in der EU emittiert. Eine Abschaffung des EEG würde automatisch dazu führen, dass die volkswirtschaftlich effizientesten Maßnahmen zur CO2-Vermeidung ergriffen würden. Das würde mehr Marktwirtschaft schaffen. Die Begrenzung des gesamten CO2-Ausstoßes durch den EU-Zertifikatehandel auf eine bestimmte Menge reichen als Lenkungswirkung völlig aus. Dann wird je nach Standortbedingungen entweder Wind-, Solar- oder eben Kernkraft ausgebaut.

Das Gegenargument von Robert Habeck lautet: Märkte laufen ohne staatliche Lenkung in die falsche Richtung.

Wer an diese These glaubt, sollte zuerst einen Blick ins Geschichtsbuch werfen und die staatlichen Irrwege vom Atomeinstieg 1955 bis zum -ausstieg 2023 und vom Kohlepfennig 1974 bis zum Kohleausstieg 2038 studieren, die dreistellige Milliardenbeträge kosteten. Eine positive Rolle kann der Staat dagegen bei der Forschungsförderung spielen. Ich würde dafür plädieren, Forschung in voller technologischer Breite zur Weiterentwicklung von Solar- und Windkraft, Speichern, Kernenergie und zum Abscheiden und Lagern von CO2 zu betreiben. Dann werden Innovationen an Stellen kommen, von denen wir gar keine Vorstellung haben.

Viele Unternehmen leben sehr gut mit der auf Subventionen ausgerichteten Energiepolitik. Warum sollten die sich mehr Markt wünschen?

Mir ist klar, dass Unternehmen ihre Geschäftsmodelle auf die Rahmenbedingungen ausrichten. Wenn diese allerdings darin bestehen, den Steuerzahlern beziehungsweise Stromkunden zweistellige Milliardenbeträge pro Jahr abzuverlangen – und diese Milliardenbeträge fehlen dann an anderen Stellen, zum Beispiel Bildung oder Infrastruktur –, dann halte ich das für keine gute Entwicklung. Zumal wenn Deutschland pro Kopf doppelt so viel CO2 emittiert wie Frankreich. Übrigens: Auch ohne EEG gibt es durchaus Anwendungen für Wind, Sonne und Speicher in Kombinationen. Ich gebe mal ein Beispiel, ganz weit weg von Deutschland. Ich bin gelegentlich im Urlaub in Namibia. Dort gibt es keine Energiepolitik in dem Sinne, wie wir sie kennen. Es gibt eine fossile Stromversorgung, es gibt außerdem ein paradiesisches Solarpotenzial. Wo in abgelegenen Hotels und Lodges früher allein Dieselgeneratoren Strom erzeugten, geht das jetzt an vielen Orten mit einer Kombination aus diesen Generatoren, Photovoltaikanlagen und Batterien. Und das, obwohl es dort keine Subventionen und keine politische Direktiven zur Installation dieser Anlagen gibt. Allerdings gibt es dort eben mehr Sonne.

Anders als in Deutschland.

Jetzt komme ich wieder zurück zu Deutschland. In einem marktwirtschaftlich organisierten Energiesystem gäbe es hier natürlich nicht so viele Wind- und Solaranlagen wie heute. Aber es existieren zahlreiche Standorte in Deutschland, an denen es möglich ist, durch Kombination aus Wind, Sonne und weiterentwickelten Speichersystemen wettbewerbsfähig Strom zu erzeugen, zumal durch die EU-Zertifikate Preise für fossil erzeugte Energien künftig steigen werden. Wir hätten also weniger Anlagen zur Erzeugung von regenerativer Energie, aber diese würden kosteneffizient arbeiten – anders als Windturbinen in schwäbischen Schwachwindgebieten.

Die Produzenten müssten dann allerdings selbst zusehen, wie sie ihren Strom vermarkten.


In einer Energiewelt ohne EEG würde nur dann eine EE-Anlage gebaut, wenn sich dieser Strom entweder direkt oder in Kombination mit einem Speicher zu einem späteren Zeitpunkt vermarkten lässt. Aber das stellt ja prinzipiell kein anderes Problem dar als das, was auch jeder Erdbeerbauer lösen muss: Er kann entweder seine Erdbeeren in der Saison verkaufen oder sie einfrieren und später vermarkten. Das klappt offenbar, ohne dass es ein Erdbeergesetz und staatlich festgelegte Erdbeerpreise gibt.

Weiß das auch die Bundesregierung?

Der Gedanke, dass man mit Wind, Sonne und preiswertem Erdgas eine einigermaßen bezahlbare Alternative zur konventionellen Stromversorgung auf die Beine stellen kann, war bis vor fünf Jahren in den Kreisen der Energiesystemanalytiker Konsens. In dem Moment, wo die Gaslieferung wegfällt, zumindest zu den Preisen, wie wir sie vor der Energiekrise kannten, ist diese Kombination Wind und Sonne, ob mit oder ohne Speicher, allein nicht in der Lage, die Volkswirtschaft zu versorgen. Ich sehe es kritisch, wenn manche Kreise den Eindruck erwecken, man könne durch den exzessiven Ausbau der Wind- und Solarenergie in Deutschland so etwas wie eine Energieautarkie erreichen, vielleicht mit Wasserstoffimport. Das halte ich zwar für technisch machbar, aber nicht für finanzierbar.

Was wäre denn realistisch?

In unseren hiesigen Breiten wäre das eine Kombination aus Solarenergie, Wind, weiterentwickelten Speichern, Kernenergie und vielleicht etwas Geothermie. Zur hypothetischen Energieautarkie mit Wind und Sonne zitiere ich gern den zynischen Ausspruch eines ehemaligen Bundesministers: „Wenn Autarkie entscheidend für den Erfolg einer Volkswirtschaft wäre, dann müsste Nordkorea das erfolgreichste Land der Welt sein.“


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