Tichys Einblick: Haben Sie den ersten öffentlichen Muezzin-Ruf von der DITIB-Moschee in Köln-Ehrenfeld am Freitag selbst gehört?
Ali Utlu: Nein, da war ich wohl weit genug entfernt. Mit 60 Dezibel war das wohl nur im Umkreis der Moschee zu hören. Das war zwar eingeschränkt. Trotzdem: Es gab damals vor dem Bau der Moschee die Prämisse der Stadt, dass es keine Muezzinrufe geben wird. Da ging es auch nicht darum, ob das nur im Hof zu hören sein wird, sondern generell. Deswegen finde ich es schlimm, was da jetzt passiert.
Sie haben auf Twitter eine Anzeige angekündigt, weil die Stadt dieses Versprechen gebrochen hat. Ist die erfolgt?
Die Anzeige mache ich nicht, aber ich plane auf jeden Fall, Crowdfunding zu machen und mit einer Anwaltskanzlei dann dagegen zu klagen.
Auf Twitter hat Ihnen der bekannte Medien-Anwalt Ralf Höcker schon zugesagt.
Ich werde mich mit ihm besprechen und daraufhin das Crowdfunding starten und die Sache durchziehen. Für mich geht es da ums Prinzip. Ein Muezzinruf ist nicht wie ein Glockengeläut, mit dem er immer verglichen wird, sondern ein Glaubensbekenntnis. Für Ex-Muslime wie mich, die vom Islam immer wieder mit dem Tod bedroht werden, oder auch für viele Flüchtlinge – wir haben mit der säkularen Flüchtlingshilfe Frauen aus Saudi-Arabien geholfen – ist das Psychoterror. Darüber redet in Deutschland sonst keiner. Ich war hier auf einer Info-Veranstaltung, wo auch die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker sein sollte, um Fragen zum Muezzinruf zu beantworten. Da ist sie selbst nicht aufgetaucht und keiner konnte Antwort geben, warum dieser Ruf jetzt kommt. Man ist auf unsere Sorgen gar nicht eingegangen.
Würde es Sie weniger stören, wenn es nicht die Erdogan-hörige DITIB-Moschee, sondern eine unpolitischere, weniger radikale wäre?
Haben Sie als homosexueller Ex-Muslim traumatisierende Erlebnisse mit dem Islam gehabt?
Ja, das erste war, dass ich als Kind im Namen dieser Religion beschnitten wurde, ohne je gefragt zu werden, ob ich dieser Religion angehören und bei ihr bleiben will. Ich war auf der Koranschule, wo auch Gewalt gegen Schüler ein Erziehungsmittel war. Diese Religion hat mich in vielen Punkten traumatisiert. Als ich 2012 nach dem Beschneidungsurteil dagegen angegangen und in die Medien gegangen bin, habe ich Morddrohungen am laufenden Band von Muslimen bekommen. Und die bekomme ich bis heute noch.
Nach Ihren einschlägigen Erfahrungen mit solchen Drohungen und Diffamierungen: Erwarten Sie, dass das jetzt, wenn Sie gegen den Muezzinruf klagen, wieder schlimmer wird?
Ja, das ist garantiert. Aber das macht mir nichts aus. Wenn ich jetzt einknicken würde, würde ich das machen, was die deutsche Mehrheitsgesellschaft macht. Und so bin ich nicht. Wenn Bedrohungen wirken und ich mein Handeln daran anpasse, indem ich manche Dinge nicht mache, haben diese Menschen ja schon gewonnen. Das mache ich nicht. Da bin ich stur. Da bin ich Hesse.