Die Deutschen sorgen sich. Um die richtige Verwendung des Wortes «Hetzjagd»? Ach was. Sorge Nummer eins ist die drohende Altersarmut. Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaft zu recht. Laut ihr wird der Hälfte aller heute zwischen 55 und 64 Jahre alten Arbeitnehmer das Geld zur Fortführung des gewohnten Lebensstandards fehlen. Oder in Zahlen 700 Euro pro Monat, bei einer Standardrente von rund 1.400 Euro.
Das ist dramatisch, und die Dramatik wird noch weiter zunehmen. Aus rein demographischen Gründen. Die Leute werden immer älter, der Nachwuchs, der im Umlageverfahren die Renten finanzieren soll, bleibt aus. Es braucht nur banale Versicherungsmathematik, um auszurechnen, ab wann ein Beitragszahler für einen Rentner aufzukommen hat.
Nehmen nun die Politiker – und die Medien – die Sorgen der «Bürger draußen im Lande», wie eine beliebte Floskel lautet, auch ernst? Wer den Diskurs der letzten zwei Wochen verfolgt hat, ist sich sicher: nein, keinesfalls. Ginge es nach dem neuen Justemilieu, stünde zuoberst im Sorgenbarometer die braune Gefahr, das Problem, dass die Rechte «die Machtfrage» stelle, wie sich Journalisten nicht entblödeten zu schreiben. Diese Gefahr wird begleitet von der Trinität Hetzer, Fremdenfeind und Rechtspopulist. Dagegen stehen die solidarischen, humanen und fortschrittlichen Menschen mit ihrer Willkommenskultur.
Dass sie dennoch dermaßen erstarkt, ist ein Beweis für die Unfähigkeit der Altparteien. Wer nur das dumme Wort von der Lügenpresse denunziert, kritisiert am Problem vorbei, dass auch die Medien nicht in der Lage sind, Ängste und Sorgen und Probleme in der Bevölkerung adäquat aufzunehmen und zu analysieren. Wer nur die Nazikeule schwingt und sich in semantischen Auslegungen verliert, wessen Geistes Kind einer sei, der dieses oder jenes Unwort verwendet, macht sich nicht nur lächerlich, sondern überflüssig.
Wo geht die Reise hin, wo wird das enden? Der deutschen Politik und den Medien fehlen zunehmend die Messfühler – und die Sensibilität –, um die wirklichen Sorgen und Nöte der Bevölkerung aufzunehmen. Die artikuliert sich zudem immer mehr in all den neuen sozialen Plattformen im Internet und benützt immer weniger die althergebrachten Medien, um sich zu informieren. Daher weiß eigentlich niemand genau, wohin sich Deutschland bewegen wird. Nur eine Gefahr ist dabei sehr real: Das kann ganz übel enden.
Deutschland zerfällt immer mehr in Parallelgesellschaften, die religiös oder sozial stigmatisiert sind, in ein Prekariat und in eine Schicht Superreiche, während der Kitt einer modernen Gesellschaft, der Mittelstand, nicht von Aufstieg träumt, sondern sich vor Abstieg fürchtet. Löst sich dieser Kitt auf, empfindet sich der Bürger nicht mehr als Staatsbürger, sieht er seine Anliegen nicht von den Repräsentanten des Staates wahrgenommen, stellt er das Gewaltmonopol und die Rechtsordnung des Staates in Frage. Zieht sich der Staat aus bestimmten Gebieten zurück, entstehen No-Go-Zonen, in denen das Faustrecht herrscht, Bürgerwehren versuchen, ihre Auffassung von Recht und Ordnung durchzusetzen. Die nächste Eskalationsstufe wäre der offene Bürgerkrieg, der Staatszerfall, das Mosaik aus kleinsten Herrschaftsgebieten. Für Deutschland nichts Neues. Ob sich dieser Alptraum realisiert, steht in der Zukunft geschrieben. Aber heute kann man konstatieren: Die Regierenden in Deutschland tun viel dafür, dass er Wirklichkeit wird.