Tichys Einblick
Tradition kommt nicht von Oben

Woher kommt die Bundeswehr und wo steht sie?

Drei Oberstleutnante präsentieren ihren Beitrag zur Diskussion über die Bundeswehr in einer Zeit, die das Verständnis um das Militärische wieder stärker notwendig macht.

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Die Skandalisierungen verschiedenster Ereignisse haben in der Bundeswehr erneut dazu geführt, dass sie sich mit ihrem Selbstverständnis zu beschäftigen hat. Das heißt, Geschichte und die daraus zu entnehmenden Traditionen zu bewerten und Vorgaben für die Truppe zu entwickeln, wie die mündigen Staatsbürger in Uniform Geschichte zu lesen und zu bewerten haben – nun unter direkter Führung der Verteidigungsministerin von der Leyen. Unmittelbarer Anlass war die Radikalisierung eines jungen Offiziers, der seine Ausbildung zum Offizier maßgeblich bei den französischen Streitkräften erhalten hat. Seine eher formale Zugehörigkeit zu einem Jägerbataillon der Bundeswehr bewirkte einen Besuch der Ministerin, bei dem sie gegenüber den Medien unmittelbar von gefundenen „Wehrmachtsdevotionalien“ sprach, einen direkten Bezug zum Traditionsverständnis herstellte und scharf kritisierte. Die Wehrmacht sei in keiner Form traditionsstiftend für die Bundeswehr. Einzige Ausnahme seien einige herausragende Einzeltaten im Widerstand, denn sonst habe die Wehrmacht nichts mit der Bundeswehr gemein.

Bereits hier wird deutlich, dass die scharfe Verurteilung zu Vereinfachungen führt, die den Fakten nicht standhalten. Die Bundeswehr wurde von ehemaligen Soldaten der Wehrmacht und auch der Waffen-SS aufgebaut. Dabei legten die westlichen Verbündeten besonderen Wert darauf, einen westdeutschen Wehrbeitrag in der Qualität zu erhalten, wie sie ihn durch die Wehrmacht schmerzhaft kennen gelernt hatten. Diese geschlagene Armee wurde dann auch von vielen anderen Streitkräften – von den Vereinigten Staaten bis zum späteren Israel – gründlichst ausgewertet, um aus ihren erwiesenen Stärken zu lernen. Und selbst in der DDR war viel Wehrmacht in der sozialistischen Truppe. In den Medien war in der Berichterstattung jedoch kaum etwas von diesen Zusammenhängen zu erfahren. Auch nicht davon, dass die vermeintlichen „Wehrmachtsdevotionalien“ in einem Raum des Jägerbataillons eher Teil einer Darstellung der Geschichte der deutschen Infanterie vom 18. Jahrhundert bis in die Zeit der Bundeswehr waren – wenn auch sicherlich nicht auf dem Niveau wissenschaftlicher Arbeitskreise. Bezüge zur Wehrmacht sind nun Hinweis auf Radikalisierung, bei der jeder Verdacht für die Ministerin bereits einer zu viel ist.

Positionsbestimmung
Ein Offizier der Bundeswehr beschreibt den eigenen Standort
Unmittelbare Folge war die Überprüfung sämtlicher Kasernen, die für größten Unmut in der Truppe sorgte, aber nichts zu Tage förderte, das gegen geltende Vorschriften oder gar Gesetze verstieße. Allerdings bewertete die Ministerin den Traditionserlaß von 1982 für veraltet, kündigte dessen Überarbeitung an und ließ den Generalinspekteur vor den Medien ankündigen, dass dies noch vor Ende der Legislaturperiode abgeschlossen werden könne. Anfang Juni leitete Frau von der Leyen persönlich mit einer “Kick-Off-Veranstaltung“ die Überarbeitung des Erlasses ein. Sie betonte die Bedeutung der bundeswehreigenen Geschichte, die sich als Armee in der Demokratie bewährt habe. Es ginge ihr „nicht um die Würdigung der Geschichte, sondern um Soldatinnen und Soldaten von heute und morgen“. Dabei solle auch die Frage geklärt werden, warum „junge Soldatinnen und Soldaten auf die 12 dunkelsten Jahre unserer Geschichte“ zurückgriffen, „wenn es doch 61 Jahre Bundeswehr“ gebe? „Gibt es ein Vakuum?“ fragte sie und leitete damit die Diskussion mit 25 Generalen und Admiralen ein.

Eine Antwort auf diese Frage könnte sein, dass junge Soldaten sich nicht auf die „12 dunkelsten Jahre unserer Geschichte“ beziehen, sondern auf die Kampferfahrung, die in knapp 6 Jahren dieser Zeit gesammelt wurde und bis heute international auch vielfältige Anerkennung findet. Dafür spricht auch, dass in der Bundeswehr keinerlei positive Bezüge auf die verbrecherischen politischen und militärischen Aspekte des 2. Weltkrieges gefunden wurden. Dagegen wurde in der NATO die deutsche Auftragstaktik als „mission command“ zum anerkannten Führungsgrundsatz. Wohl vor allem mit Bezug auf die historischen deutschen Beispiele auch der Wehrmacht. Dagegen ist die Wahrnehmung deutscher Militärgeschichte international bis heute kaum auf die Bundeswehr bezogen. Wie z.B. eine deutscher Oberstleutnant schilderte, der 2016 den irischen Generalstabslehrgang als Lehrgangsbester absolvierte. Er schrieb:

„Die Iren halten sehr viel von den deutschen Soldaten und man bekommt als deutscher Stabsoffizier durchaus ‚militärtaktische Vorschusslorbeeren‘ zu Beginn des Lehrganges. Deutsche Protagonisten der Vergangenheit werden sowohl auf strategischer Ebene – am Beispiel von Clausewitz – wie auch auf operativer Ebene, beispielsweise durch die Aufarbeitung des Russlandfeldzuges im 2. Weltkrieg, sehr oft genutzt. (…) Ich habe somit über die historische deutsche Kriegsführung in einem knappen Jahr in Irland deutlich mehr gelernt, als in meinen 20 Jahren in der Bundeswehr zuvor.“

Das ist eine Bankrotterklärung der militärgeschichtlichen Ausbildung in der Bundeswehr, die sicher auch damit zu tun hat, dass zu oft auf politische Befindlichkeiten Rücksicht genommen wird. Der Artikel ist im übrigen mit „Führen mit irischer Gelassenheit“ überschrieben. In Deutschland kann man an der Führungsakademie dagegen hören, dass ein General um seinen Dienstposten fürchtet, wenn er als Beispiel für operative Führung eine Operation des Feldmarschalls von Manstein in den Lehrplan aufnehmen würde.

In diesem Zusammenhang sei auf das Manifest französischer Historiker von 2005 hingewiesen, die „Freiheit für die Geschichte“ forderten und u.a. anmahnten, dass Geschichte „stören“ könne. Sie sei weder „die Moral“ noch die Sklavin der Aktualität. Dabei sei es in einem freien Staat weder Sache des Parlaments noch der Justiz, geschichtliche Wahrheit zu definieren.

Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass die Streitkräfte eines freiheitlichen Rechtsstaates nicht darauf hinwirken, dass ihre Soldaten es aufgrund politisch-moralischen Drucks vermeiden, sich mit Geschichte zu beschäftigen oder sich nur auf einen engen gesellschaftlich-politisch tolerierten Kanon zu beziehen vermögen.
Ein Oberstabsfeldwebel schildert aus seinem Einsatz als Beobachter der vereinten Nationen in Afrika 2016 dazu folgendes:

„Meine Gespräche in diesem internationalen Umfeld drehten sich um die Panzergeschichte des II. Weltkrieges, die deutsche Infanterie, logistische Leistungen im II. Weltkrieg oder den Bewegungskrieg mit motorisierten Kräften bei pferdebespanntem Nachschub. Von den ausländischen Offizieren wurden Kenntnisse ‚über unsere militärische Geschichte und Literatur wie von Mansteins <Verlorene Siege> und Rommels <Infanterie greift an> vorausgesetzt.“ Nach seiner Wahrnehmung waren sie „sehr erstaunt und verwundert über sehr mangelhafte Kenntnis unserer Offiziere über diese Themen.“

Heute soll in der Bundeswehr darüber diskutiert werden, „wie Traditionen gebildet werden“. Wie den Soldaten jedoch eine „wertegebundene Auswahl aus der Geschichte für die Gegenwart und die Zukunft“ ermöglicht werden soll, wenn selbst die Offiziere große Lücken im relevanten Geschichtswissen haben, bleibt eine pikante Frage.

Die Bundeswehr hat kein Haltungsproblem
Die Ministerin muss sich bei der Bundeswehr entschuldigen!
Der Hinweis eines mit der Ministerin diskutierenden Generals, dass er seit 30 Jahren Soldat sei und die abstrakten Werte mit Beispielen aus seiner Erfahrung füllen könne, verliert vielleicht etwas an Wirkung, wenn diese dreißig Jahre Erfahrung in das Verhältnis gesetzt werden, zu den Kampf- und Ausbildungserfahrungen früherer deutscher Soldatengenerationen oder auch unserer Alliierten, die sich in ihrer Ausbildung oft auf die Wehrmacht beziehen und darüber hinaus bis heute am weit schärferen Ende militärischer Einsätze stehen als die Bundeswehr. Dass die Geschichte der Bundeswehr gerade in ihren Einsätzen seit 1990 noch gar nicht mit dem vollen Blick in die Archive geschrieben wurde, zeigt eine weitere Problematik auf.

Auch deshalb sei hier noch der Hinweis eines Diskutanten erwähnt, dass die „Aushandlungsprozesse ‚einerseits zwischen Geschichte und Tradition – und andererseits zwischen den Besonderheiten der einzelnen Truppengattungen und der Bundeswehr allgemein” Zeit brauchen. Ob die Zeit bis zum Ende dieser Legislaturperiode dafür ausreicht, ist fraglich. Und so besteht die Gefahr, dass Geschichte und Tradition in der Bundeswehr nun einer Art Richterspruch unterworfen werden, zu dem der ehemalige Wehrmachtsoberst und Bundeswehrgeneral a.D von Kielmansegg 1984 in seinen „Gedanken eines Soldaten zum Widerstand“ anmerkte:

“Bei den älteren, die das Dritte Reich noch bewusst erlebt haben, findet man bei aller Kritik nicht das, worauf man bei einigen jüngeren stößt, die das Naziregime nicht erlebt haben, die nicht betroffen waren. Ich meine die überlegene Richterattitüde nicht nur über den Widerstand, sondern auch gerade über all die, die nicht Widerstand geleistet haben. Pater Provinzial Karl Meyer hat dies in seiner Predigt an der Hinrichtungsstätte Plötzensee am 20. Juli 1983 aufgegriffen, als er sie unter den Text Matthäus 23, Vers 29 und 30 stellte: ‚Jesus sprach: Wehe Euch, Ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, Ihr Heuchler! Ihr errichtet dem Propheten Grabstätten und schmückt die Denkmäler der Gerechten und sagt dabei: Wenn wir in den Tagen unserer Väter gelebt hätten, wären wir nicht wie sie am Tode der Propheten schuldig geworden.’“

Es ist zu hoffen, dass in diesem Sinne auch die Erkenntnisse aus der Tagung des damaligen Militärgeschichtlichen Forschungsamtes zum Maßstab werden. Dort hieß es 2011, daß Militärgeschichte „zukünftig verstärkt Orientierungswissen für Soldaten bereitstellen“ müsse und dass Militärgeschichte „eine essenzielle Rolle für die zunehmende Professionalisierung unter den Bedingungen der Auslandseinsätze“ spiele. Eine Vorgabe von Traditionsbeispielen, die gerade wegen ihrer Entstehungsgeschichte eher als abgeschlossene, verbindliche Vorgabe denn als bloße Beispiele verstanden werden müssen, weist hier weniger den Weg einer Inneren Führung, die den mündigen Staatsbürger in Uniform fordert.

Gerade, wenn die politische Führung mit der Vorgabe, dass „jeder Verdacht, einer zu viel“ ist, engste Grenzen setzt. Diese Vorgabe, die keine Fehler und willentliche oder unwillentliche Missinterpretationen zulassen will, stellt die Bundeswehr vor die Herausforderung, dass ihre „Traditionslinien nach dem Prinzip des Staatsbürgers in Uniform“ nicht nur von den Angehörigen der Bundeswehr angenommen werden müssen, „sondern auch in der übrigen Gesellschaft akzeptiert“ sein sollen.

Ohne Öffentlichkeit
Bundeswehr neu denken? Der IBUK und seine Direktiven
Doch welche Traditionslinien akzeptiert unsere in weiten Teilen durchpazifizierte Gesellschaft? Welche gemeinsamen Handlungsmuster und Traditionen haben heute noch in einer demokratischen Gesellschaft Bestand? Und wer diskutiert denn mit der „Gesellschaft“ darüber? Für Soldaten der Bundeswehr sollte es inzwischen selbstverständlich sein, dass sie sich selber zu Wort melden. Dieser Text ist dazu hoffentlich nicht der einzige Beitrag aktiver Soldaten und Soldatinnen. Inhaltlich soll ein Beispiel aus der mit der Bundeswehr immer enger kooperierenden französischen Armee genannt sein. Es verdeutlicht, wie breit militärische „Tradition“ sein kann, wenn sie nicht ständig misstrauisch und beckmesserisch auf Demokratieverträglichkeit überprüft wird.

Das Gefecht von Camerone, das im Rahmen der französischen Intervention in Mexiko am 30. April 1863 stattfand, gilt in der Geschichte der französischen Fremdenlegion als Symbol für Opferbereitschaft und Heldentum. Dieser Tag wird als höchster Feiertag der Legion jedes Jahr in allen Standorten unter großer Anteilnahme der Bevölkerung begangen und ist konstitutiv in einem Großverband, bestehend aus Söldnern zahlreicher Länder.

Wer für eine multinationale europäische Armee eintritt, muss auch oder gerade solche „Traditionen“ anerkennen. Aus deutscher Sicht soll ergänzend noch auf das Zusammenwachsen der deutschen Armeen nach der Reichsgründung 1871 hingewiesen werden. Hier zeigen sich viele Beispiele, wie ehemalige Gegner unter preußischer Führung zu einem international anerkannten Vorbild für militärische Qualität wurden, während gleichzeitig Frankreich seine Militärreformen am siegreichen Vorbild orientierte.

Dieser preußisch-deutsche Bezug läßt sich auch aus Theodor Fontane entnehmen. In seinem Gedicht „Der alte Zieten“ zur Schlacht von Torgau am 3. November 1760, bei der König Friedrich das Schlachtfeld bereits entmutigt verlassen hatte, finden sich folgende Zeilen:

Bei Torgau, Tag der Ehre, ritt selbst der Fritz nach Haus,
doch Zieten sprach: „Ich kehre erst noch mein Schlachtfeld aus“

Viele der an der Schlacht beteiligten Regimenter feierten diesen „Tag der Ehre“, weil sie ohne die Führung und das Vorbild des Königs standgehalten und die Schlacht gewonnen hatten. Stolz, den Eid erfüllt zu haben. Stolz auf die eigene Initiative und das Durchkämpfen in verzweifelter Lage.

Dass diese Treue gegenüber dem Feldherrn und gleichzeitigem politischen Oberhaupt auch seine Grenzen hatte, wird deutlich, wenn es heißt:

„Auch die Grenadiere wollen nicht mehr.
Wie ein Rasender jagt der König daher
Und hebt den Stock und ruft unter Beben:
»Racker, wollt ihr denn ewig leben?
Bedrüger …«
»Fritze, nichts von Bedrug;
Für fünfzehn Pfennig ist’s heute genug.“

Dieser Traditionsansatz ist mit der Niederlage der alten preußischen Armee bei Jena und Auerstedt am 14. Oktober 1806 zu Ende gegangen. Ehrenhaft gefochtene Schlachten im Siebenjährigen Krieg, in den Befreiungskriegen, in den Einigungskriegen und im – in weitesten Teilen nach Völker- und Kriegsvölkerrecht – geführten Ersten Weltkrieg dienen in der veröffentlichten Meinung mit Masse nur als Belege für vermeintlichen deutschen Militarismus und direkte geschichtliche Linie hin zum Nationalsozialismus. Auf welche Traditionsbeispiele sollen wir dann heute zurückgreifen? Das Beispiel der Unteroffzierschule des Heeres, die ihren Lehrgangsbesten zum Abschluss des Feldwebellehrganges die Miniatur einer kursächsischen Postmeilensäule überreicht, weist in eine seltsame Richtung.

Tradition wird wirkmächtig, wenn sie als kollektives Erleben und als gemeinsames Schicksal erfahren wurde. Man wird skeptisch, wenn nun Traditionen aus der sechzigjährigen Geschichte der Bundeswehr auf Weisung von oben konstituiert werden müssen. Traditionspflege bildet sich maßgeblich von unten. Wenn es bei unserer Bundeswehr noch keine allgemein begangenen eigene Traditionen gibt, so ist erneut zu betonen, dass große prägende Ereignisse wie eine Kriegsteilnahme nicht mehr stattgefunden haben.

Die Teilnahme an Kampfeinsätzen in Afghanistan betraf nur eine deutliche Minderheit, weitab vom bundesdeutschen Alltag, während die Masse der Soldaten, die ihren Dienst in Feldlagern oder „Einsatzliegenschaften“ leistete, kaum wirkliche Entbehrungen in Kauf nahm. Und auch unsere Regierungen tun sich schwer, diesen Einsatz als Erfolg oder traditionsstiftend zu begründen. Aber auch hier harrt die bundesdeutsche Sicherheits-und Militärpolitik noch einer historischen Aufarbeitung in offenen Archiven.

Von der Leyen bei der Selbstverteidigung
"Säuberungen“ in der Bundeswehr
Mit der völkerrechtlich fragwürdigen Beteiligung der Luftwaffe an den Angriffen auf Serbien 1998/99 sei nur ein weiteres Thema dazu benannt. Die oft beschworenen Hilfeleistungen im In- und Ausland bei Waldbränden, Erdbeben, Hochwasser und Borkenkäferbefall leisten andere Organisationen dagegen ebenfalls und können kaum als traditionsbildend dienen. Dagegen fehlt deutscherseits das besondere Zeichen des Einsatzes gegen den zunehmenden Terror, das belgische, französische oder italienische Soldaten in ihren Heimatländern tagtäglich setzen. Deutsche Soldaten haben 1990/1991 Kasernen der US-Streitkräfte bewacht, als diese in den 2. Golfkrieg zogen oder erfassten 2015/16 behelfsmäßig die massenhafte Zuwanderung.

Das alles bewirkt auch, dass manche Soldaten heute den Rückgriff auf die Geschichte bzw. eine Tradition zur Wehrmacht nehmen, die als Institution im Dienst der Diktatur mit Recht nicht traditionswürdig ist. Verdächtig war den Nationalsozialisten die Bindung an christlichen Glauben und an ein über Menschen stehendes Gesetz. Die Masse ihrer Großverbände wurde ab 1936 überstürzt aufgestellt und war mehr Schicksalsgemeinschaft als gewachsener Truppenteil. Dieses überstürzt aufgestellte Massenheer musste auch ohne politische Indoktrination in vielen Bereichen den Verlust guter deutscher Militärtraditionen beschleunigen. Dazu kam die wirkmächtige Bilddarstellung der nationalsozialistischen Propaganda.

Auch heute kann man sich der Wirkung der Bilder kaum entziehen, die Kriegsberichterstatter mit damals modernsten Medien inszeniert haben. Verwackelte Schwarzweißfilmchen des 1. Weltkrieges und Farblithographien der Kriege davor verblassen dagegen. Doch auch die Bildersprache der Bundeswehr kommt ohne „Soldatenromantik“ und ein gewisses „Sonnenaufgangspathos“ nicht aus. Dabei ist der letzte Krieg in Form der Kriegsteilnahme von Großvätern und Großmüttern kaum noch bewusster Teil der Familiengeschichte. Und auch diejenigen, die in der Nacht ihre Väter im Traum haben wieder kämpfen und leiden hören, werden immer weniger. Im Eifelkloster Himmerod tagten 1950 ehemalige Wehrmachtsoffiziere im Auftrag des Bundeskanzlers, deren Bilder in Wehrmachtsuniform in den Kasernen jetzt vielleicht abgehängt müssen, denn es waren fast alle keine Widerstandskämpfer, sondern Soldaten, die die Tragik und die Brüche ihrer Zeit selbst erlebt hatten. Eine Konsequenz war die Einsetzung des sogenannten Personalgutachterausschusses, der vor Einstellung in die Bundeswehr überprüfte, ob sich der Bewerber in der Wehrmacht schuldig gemacht hatte. In Verwaltung, Justiz- und Schuldienst konnte man viel eher auf Nachsicht hoffen.

Doch tatsächlich ist deutsche Militärtradition mehr als Wehrmacht und II. Weltkrieg. So stehen auch ehrenhaft kämpfende Soldaten aus allen Jahrhunderten deutscher Militärgeschichte zur Verfügung. Als Württemberger oder Bayer nimmt man Anteil am Schicksal der Soldaten, die in Napoleons Grande Armée nach Russland gezogen und fast alle gefallen und verschollen sind. Den Angriffskrieg, den sie unter dem französischen Diktator unterstützten, wird man ihnen kaum zum Vorwurf machen können. Oder die Kontingente der deutschen Staaten, die 1870/1871 halfen, den Sieg gegen Frankreich und die nationale Einigung zu erkämpfen. Hier liegt der militärische Beitrag dazu, dass wir eine „Wiedervereingung“ überhaupt angestrebt haben und heute jährlich feiern.

Man kann auch des Schicksals der Söhne seiner Heimatstadt gedenken. Wie z.B. der Stadt Heilbronn, deren Männer in der Wehrmacht mit der I. Abteilung des Artillerie-Regiments 71, des Infanterie-Regiments 34 und des Festungs-Pionierstabs 10 ihre Wehrpflicht in einer Zeit erfüllt haben, in der die Grenzen von Recht und Unrecht nicht immer klar erkennbar waren. Mit ihnen verbindet sich aber auch die bis heute anerkannte militärische Qualität, die auf einer spezifisch deutschen Führungsphilosophie beruhte. Von hier ist es kein so großer Schritt zum Schicksal eines Obersten Graf von Stauffenberg oder des Sanitätsfeldwebels Hans Scholl.

"Zerstörer Ursula"
Was bleibt von der Bundeswehr nach Ursula von der Leyen?
Stauffenberg und seine Mitverschwörer haben auf ihrem langen Weg in den Widerstand manchen Kameraden angesprochen, um ihn für die notwendige Tat zu gewinnen. Viele konnten oder wollten diesen Weg nicht gehen. Aber es fällt eben auch auf, dass er, von Tresckow und andere über Jahre hinweg den Staatsstreich planen konnten. Oft verhinderten Ehre und Anstand, einen Kameraden der Gestapo auszuliefern. Als sich nach dem missglückten Attentat ein Verschwörer seinem Divisionskommandeur offenbarte, stellte sich dieser vor ihn mit der Begründung: „Sie sind kein Verräter. Sie sind ein Hochverräter. Das ist für mich ein großer Unterschied.“ Eine Unterscheidung, die der heutigen Wohlstandsgesellschaft wohl nicht im Frühstücksfernsehen näher gebracht werden kann, um jedweden Verdacht auszuschließen.

Die Soldaten und Soldatinnen der Bundeswehr haben mit ihren Vorgängern in den deutschen Armeen gemeinsam, in letzter Konsequenz auch das Leben bei der Auftragsdurchführung einsetzen und notfalls auch opfern zu müssen. Man muss deshalb erwarten können, dass Traditionslinien sich so bilden können und akzeptiert werden, die diese soldatische Besonderheit berücksichtigen. Dem ein oder anderen Stirnrunzeln in der Gesellschaft muss da gelassen, aber auch kontrovers begegnet werden. Denn nicht jeder ist im Denken und Handeln für den Dienst im Militär geeignet. Auch das wird darin deutlich.

Bei seinem Antrittsbesuch bei der Bundeswehr bezog Bundespräsident Steinmeier klar Stellung bei seinem Gedenken an alle Gefallenen der Bundeswehr sowie ihrer Hinterbliebenen im „Wald der Erinnerung“. Er sagte:

„Hier wird nun deutlich, was wir jungen Menschen abverlangen, die im Einsatz für unser Land Risiken auf sich nehmen, um in schwierigen Einsatzgebieten wie Afghanistan und Mali auch unsere Interessen und unsere Sicherheit zu verteidigen.“

Er wies darauf hin, „wieviel Vertrauen die Bundeswehr und ihre Soldatinnen und Soldaten in der deutschen Gesellschaft von der deutschen Öffentlichkeit brauchen. Ich habe dieses Vertrauen und die Bundeswehr hat es verdient.“

Die Frage ist nun, wie diesem Vertrauen praktisch Ausdruck verliehen wird.


Die Autoren Jens Barthelmeß, Jan Hoffmann und Heiko H. Perlitz sind aktive Soldaten im Dienstgrad Oberstleutnant. Sie verstehen diesen Text als Beitrag zur Diskussion in, aber vor allem mit der Bundeswehr in einer Zeit, die das Verständnis um das Militärische wieder stärker notwendig macht.


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