Auch im Zeitalter des Internet hat das gedruckte und gebundene Buch nichts von seinem alten Renommee verloren. Betrüger und Spekulanten, Callboys und Sexarbeiter*innen, ja selbst Politiker haben Bücher geschrieben, schreiben lassen oder abgeschrieben; das letztere besonders gern. Nachdem Annette Schavan das Plagiat gesellschaftsfähig gemacht hatte, sind viele auf den Geschmack gekommen und haben es ihr nachgetan; und keine von ihnen hatte ihren Diebstahl zu bereuen. Frau Baerbock hat er nicht geschadet, Frau Giffey hat er sogar gut getan, denn für den Verlust des Doktortitels ist sie mit dem Berliner Bürgermeisteramt entschädigt worden. In einer solchen Gesellschaft muss ein Mann, der seine Bücher selbst schreibt, angenehm hervorstechen. So ein Mann ist Robert Habeck, und deshalb sollte man ihn lesen.
Vor gut zehn Jahren hatte er ein anderes Buch geschrieben, und das klang anders. Es handelte von einem weißen Raben, von Heimatliebe ohne Heimat, von einem linken Patriotismus, der ohne Deutschland auszukommen glaubte. Mit Deutschland weiß er nicht viel anzufangen, er findet es überflüssig, gefährlich, wo nicht sogar zum Kotzen. Inzwischen ist er allerdings Minister, und da kommt ihm die große Bühne, dekoriert mit schwarz-rot-goldenen Fahnen, eben recht: Kleider machen Leute, Fahnen offenbar auch. Habeck macht es wie seine Partei, er geht mit der Zeit, wohin auch immer.
Habeck selbst hat davon berichtet, wie ihn der Fortschritt dazu zwang, Erfahrungen preiszugeben, Einstellungen zu überprüfen und Überzeugungen ins Gegenteil zu verwandeln. Vor vielen Jahren war er in Holland unterwegs und zwischendurch genötigt, das Pissoir des Flughafens Schiphol aufzusuchen. Was er dort sah, machte ihn nachdenklich. Es erinnerte ihn die unerfreulichen Zustände in den Unisex-Toiletten der Deutschen Bahn, und er wunderte sich, dass sich die Frauen so etwas – er meinte: solche Schweinereien – bieten ließen.
Davon kann heute keine Rede mehr sein. Die grünen Frauen sind längst schon weiter, sie finden gut, was Habeck schlecht fand, und fördern das, was er als Zumutung empfunden hatte. Erst neulich hat eine von ihnen, Bezirksbürgermeisterin in Berlin, die Eröffnung einer Unisex-Toiletten-Anlage am Kottbuser Tor als Fortschritt gefeiert. Die Schweinerei von gestern als Fortschritt von heute, oder umgekehrt: der Fortschritt von gestern als die Schweinerei von heute – für einen Grünen macht das keinen Unterschied, vorwärts geht es genauso gut wie rückwärts. Was gerade dran ist, wissen nur die Grünen, und das bedeutet: Fortschritt ist das, was ein Fortschrittler so nennt.