Tichys Einblick
3. Oktober

Wir müssen über den Westen reden

Die Welt am Sonntag fordert zum Tag der Einheit „Wir müssen über den Osten reden.“ Der Dresdner Journalist und Autor Torsten Preuß fordert das Gegenteil.

Barbed wire on the West side of the Brandenburg gate, put up as a 'Safety measure' by the British

© Keystone/Getty Images

Endlich! Endlich ist es passiert!! Als Ostdeutscher musste man in den letzten Jahren so viele Beschimpfungen, Unverschämtheiten, Lügen und böse Unterstellungen aus dem Westen des Landes ertragen, dass es irgendwann dazu kommen musste. Nach dem Motto: Ist der Ruf erst ruiniert, wählt sich’s ganz ungeniert. Sogar noch rechtzeitig. Bevor die gleichen Leute die gleichen Reden halten wie immer zum „Tag der Deutschen Einheit“. Obwohl die bis heute keine ist. Das wissen gerade wir in Sachsen am besten.

Spätestens seitdem uns die Hamburger Morgenpost in einem medialen Atomschlag auf Seite 1 zu einem  braunen Haufen pulverisiert hat und zum „Schandfleck Deutschlands“ erklärte. Schon damals fragte man sich hier entsetzt: Was muss im Kopf eines Chefredakteurs vorgehen, wenn er den roten Knopf drückt um öffentlich und ungeniert ein paar Millionen so übel zu beleidigen. Bürger, die schon wieder als erstes den Mut hatten, erst auf der Straße, dann an der Urne, ihre Stimme zu nutzen um zu sagen, was ihnen im Deutschland von heute alles „stinkt“. Ist der schlicht geisteskrank, größenwahnsinnig oder macht er das aus Überzeugung? Auch bei der jüngsten Hamburger Entgleisung sind solche Fragen berechtigt. Da bauten sie auf Seite 1 die Mauer wieder auf. Kurz vor dem Tag der Einheit.

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Eigentlich müssten wir im Osten über die Hasstiraden aus dem Westen froh sein. Wer will schon mit einer Stadt zusammengehören, in der man staatlich finanziert Gehwegplatten auf die Köpfe von Polizisten werfen kann? Ganz ohne, dass sie danach zum roten „Schandfleck Deutschlands“ erklärt wird. Weder in Hamburg selbst noch anderswo in den deutschen Medien oder der Politik. Auch solche Ungerechtigkeiten trugen und tragen weiter dazu bei, dass die Ostdeutschen von den Westdeutschen heute nur noch die Nase voll haben und sie am liebsten alle zusammen abwählen, oder noch besser „Ab-schie-ben! Ab-schie-ben!“ würden. Mit „Deutschland einig Vaterland“ hat das ja schon lange nichts mehr zu tun.

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Gerade das brauchen wir heute aber, dringender denn je. Denn, nur Einigkeit macht stark. Damit wir als Land wie als Volk den Gefahren, die uns heute in Deutschland, in Europa, der ganzen neuen Welt begegnen, gewappnet sind. Politisch, militärisch, moralisch. Die Probleme dieser Welt werden nicht kleiner und lösen kann man sie nur, wenn man sie ausspricht, statt verschweigt. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Nur hier nicht, im Glashaus Deutschland. Da wird man dafür sogar beschimpft. Von denen, die uns die ganzen Probleme in Deutschland, wie in Europa, überhaupt erst eingebrockt haben und längst selbst nicht mehr wissen, wie sie sie lösen können. Und wer sie in aller Öffentlichkeit daran erinnert, der wird dabei an das erinnert, was heute in ganz Deutschland schon wieder gilt: Jede Wahrheit braucht einen Mutigen, der sie ausspricht.

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So sind wir längst eine Auweia-Gesellschaft geworden.

Auweia, hat der jetzt wirklich gesagt, dass unser Fernsehen „grauenhaft“ ist?

Auweia, hat der jetzt wirklich geschrieben „Deutschland schafft sich ab“?

Auweia, hat der jetzt wirklich zugegeben, dass in Afghanistan „Krieg“ ist?

Auweia, haben die jetzt wirklich gesagt, dass der Islam „eine Bedrohung“ ist?

Auweia, haben die jetzt wirklich Kontrollverlust gesagt?

Dann ist der Aufschrei sofort riesengroß. Die Wahrheit soll in Deutschland lieber nicht mehr geschrieben oder gesagt werden. Auch darum ist der Protest gegen die „Lügenpresse“ und ihre politischen Mittäter gerade im Osten am größten. Das hat man hier schon mal erlebt und so hat man das Gefühl, man ist nur aus einer Einparteiendiktatur in eine Mehrparteiendiktatur gewendet.

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Auch diese Erfahrung spaltet Deutschland bis heute. Und auch daran sind nicht die Ostdeutschen schuld, sondern die Westdeutschen selbst. Weil sie beim Blick zurück in unsere Geschichte bis heute noch immer auf dem linken Auge total blind sind, während sie auf dem rechten noch immer und am liebsten die Lupe nehmen. Obwohl das Deutschland, in dem die meisten von uns groß geworden sind, nicht das Deutschland des Vernichtungsbefehls, sondern das Deutschland des Schießbefehls war. Vollstreckt an jedem, der vom Osten in den Westen wollte. Mit einer Kugel in den Rücken, in den Bauch oder mitten ins Herz. Und daran wollen weder die, die ihn abgegeben haben, noch ihre willigen Vollstrecker und Sympathisanten von damals bis heute erinnert werden. Nicht nur im Osten, erst Recht nicht im Westen.

Oben gegen unten
Mein Land, dein Land – Deutschland?
Denn, auch das gehört ja zur eher unbequemen Wahrheit über die „geteilten Zeiten“: Im Westen hatte man schon ziemlich zeitig entschieden, sich lieber die drei berühmten Affen zum Vorbild zu nehmen. Nichts mehr sehen, nichts mehr hören, nichts mehr sagen wollen. Obwohl das ja der freie Teil Deutschlands war. Aber: „Die Mauer muss weg!“, hat im Westen nie jemand gerufen. Im Gegenteil: Sie fanden Mauer, Stacheldraht und Todessreifen mitten durch Deutschland, mitten durch Berlin ganz „entspannt“, wie sie immer sagten. Und wer doch dagegen protestierte, wurde als „Kalter Krieger“ beschimpft und mundtot gemacht.  An die Wahrheit sollte lieber niemand mehr erinnern. Mauer? Stacheldraht? Todesstreifen? Es herrschte die totale Verdrängung. Politisch wie medial. So kam das ja mit den „Besserwessis“, die nach dem Fall der Mauer in den Osten kamen, nichts wussten, aber das auch noch besser. Und das war eben zum Jammern. Und so entstanden die „Jammerossis“. Aber während die westdeutsche Seele so selbstgerecht geblieben ist, wie sie immer war, wurde die ostdeutsche so selbstbewusst, wie sie noch nie war. Und dass sie damit nicht mehr ganz alleine steht, haben die letzten Wahlen auch dem letzten deutlich gezeigt.
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In ganz Deutschland scheinen Millionen Bürger schon länger der Meinung, dass irgendetwas nicht mehr richtig läuft in unserem Land. Politisch wie moralisch, geistig wie kulturell. Sonst hätte Guttenberg damals nicht über Nacht Kanzler werden können, die Piraten nicht die Parlamente geentert und es wäre heute auch keine Alternative für Deutschland nötig. Aber so? Scheint der Frust über unser politisches System jetzt überall in Deutschland ähnlich groß wie der Wille, es zu verändern. So war es auch kein Wunder, dass die, die es vertreten, schon von Anfang darauf so reagierten wie sie immer reagieren, wenn sie jemand in Frage stellt. Sie wollen es nicht hören.

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Mit Demokratie hat das alles schon lange nichts mehr zu tun. Denn die lebt davon, dass jede Meinung zählt. Ohne jede Angst vor dem, der eine andere hat. Die haben wir im Osten schon mal erfolgreich besiegt und das selbe steht heute ganz Deutschland bevor. In einer Wende Teil 2, diesmal als gesamtdeutsche Veranstaltung. Damit unsere eigentlich so schöne Heimat 28 Jahre später doch noch zu einem „einig Vaterland“ wird, in dem niemand mehr Mut braucht, um die Wahrheit zu sagen. Höchstens Verstand. Denn, wenn die immer gleichen Journalisten, die immer gleichen Gäste in die immer gleichen Sendungen laden, um mit den immer gleichen Argumenten über das immer gleiche zu streiten und dabei das immer gleiche herauskommt, wird Fernsehen eben „grauenhaft“. Und wenn die Probleme und Befindlichkeiten von Ausländern wichtiger werden als die der Inländer, dann schafft sich ein Land ab. Und wo geschossen und gestorben, geschrien und geweint wird, ist Krieg und wenn der im Namen einer Religion geführt wird, ist sie eine Bedrohung. Solange bis sie wieder friedlich wird. Besonders intelligent muss man dafür eigentlich nicht sein.

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Das wissen auch die meisten Journalisten wie Politiker. Im Osten wie im Westen. Deren Job ja überall ist, die Wahrheit zu schreiben, zu senden oder zu sagen. Gerade die unbequeme. Aber dafür fehlt auch den meisten Journalisten wie Politikern unter uns schon längst der Mut oder der Wille, wenn sie lieber „politisch korrekt“ sind, also lügen. Deshalb ist ja jede politisch korrekte Politik auch immer so verlogen und jeder Politisch Korrekte ein Lügner. Der die Wahrheit verdrängt, weil sie nicht in sein Weltbild passt. Dabei muss es ja genau andersherum sein, also wieder selbstverständlich werden, dass politisch korrekt nicht lügen, sondern die Wahrheit sagen ist. Sonst werden die vielen Probleme nicht immer kleiner, sondern immer noch viel größer. Politisch. Militärisch. Moralisch. Das lässt sich weder verleugnen, noch verschweigen und trotzdem passiert es jeden Tag. Angeführt von den vielen, nicht nur linksrotgrünen, Meinungsverschreibern in unserer Politik wie unseren Medien, die auch weiterhin auf jeden feuern werden, der eine andere hat. Das sind die wahren Antidemokraten, die sind die wahre Gefahr für unser Land. Man muss es nur immer wieder an – und aussprechen. Denn, auch das kann man von den Ossis lernen:

Jeder Widerstand fängt mit Widerspruch an.

Das ist eine der erfolgreichsten Lehren von 1989. Und auch die sollte man nie vergessen. Der nächste westdeutsche Angriff auf die ostdeutsche Seele fängt ja gerade wieder an. Auch pünktlich zum Tag der Deutschen Einheit fordert die Welt am Sonntag:

Wir müssen über den Osten reden

und verspricht darunter:

(aber ganz ehrlich)

Haben sie das bis jetzt etwa nicht gemacht? Oder nur mit den falschen Leuten? Die Opfer des Kommunismus sind in den deutschen Medien ja nicht so beliebt wie seine Täter. Deren bekannteste Sprecherin schafft es sogar regelmäßig auf Seite 1. Auch in der Welt am Sonntag. Mit einem Foto und der Frage: Wo geht Sahra einkaufen? Es darf vermutet werden, im KaDeWe. Zu den Armen des Kapitalismus gehörte sie ja noch nie. Und das auch sie nicht aus Scham Rot geblieben ist, sondern weiter aus Überzeugung, ist auch längst bekannt. Auch im Springerkonzern. Axel wird sich im Grab umdrehen. Eine Kommunistin auf Seite 1, als Leserfang für mein Flaggschiff? Die gehören alle gefeuert! In den geteilten Zeiten ja unvorstellbar. Dass sie mal ein Covergirl des Klassenfeindes wird, hätte sie sich wohl selbst nie träumen lassen. Aber es kam, wie es kam und ist, wie es ist. Und so müssen wir nicht schon wieder über den Osten, sondern müssen endlich und „ganz ehrlich“ über den Westen reden. Denn Deutschlands Problem ist nicht, dass der Osten viel zu „rechts“, sondern der Westen noch immer viel zu „links“ ist. In der Politik. Wie in den Medien. Auch das spaltet Deutschland weiter, statt zu einen und auch daran sollte am „Tag der Deutschen Einheit“ erinnert werden. Damit unsere Zukunft besser wird, als es unsere Vergangenheit war. Schon im Namen unsere Kinder. Und wenn Sie der gleichen Meinung sind, dann vergessen Sie ab jetzt einfach alles, was Sie bisher dazu gelesen, gesehen und gehört haben, egal ob im Osten oder im Westen. Hauptsache Sie benutzen wieder ihren eigenen Kopf und ihre eigene Stimme, wenn es um uns, also Deutschland und unsere Rolle in der Welt von heute und morgen geht. Ohne jede Angst dabei. Alles andere wäre Selbstmord.

Torsten Preuß ist Journalist und Autor.

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