Tichys Einblick
Windräder: "Kirchtürme der Neuzeit"

Bayern schleift Denkmalschutz für Windräder

Das schöne Bayern soll hässlich werden, hat Markus Söder entschieden. Für noch mehr Windräder will Bayern das Denkmalschutzgesetz ändern. Bislang spielte der Denkmalschutz bei der Genehmigung von Windrädern und Solaranlagen nur eine untergeordnete Rolle. Von Georg Etscheit

Symbolbild - Fotomontage

Der Kulturstaat Bayern hat noch vor der Sommerpause eine Bundesratsinitiative auf den Weg gebracht. Es geht um das „Sinneserbe“, das dringend staatlichen Schutzes bedürfe, ließ sich dazu Bayerns Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler) zitieren. Zur kulturellen Identität des Landes gehörten auch „ortsübliche und identitätsstiftende Gerüche und Geräusche. Glauber nannte unter anderem die Ausdünstungen von Bäckereien und Brauereien sowie das Geläut von Kirchen und Kuhglocken. „Heimat kann man riechen und hören. Dieses heimatliche Sinneserbe wollen wir bewahren.“

Durch die Bundesratsinitiative zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes solle, ähnlich wie in Frankreich, der gesetzliche Rahmen dafür geschaffen werden, dass die für das Landleben typischen auditiven und olfaktorischen Sinneneindrücke unter besonderen Schutz gestellt werden könnten. Den penetranten Geruch frisch geodelter Wiesen und riesiger Schweinmastanlagen, der die Intensität der einstigen Misthaufen um ein Vielfaches übertrifft, erwähnte der Minister nicht.

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Vielleicht ist die Initiative ohnehin nur ein Ablenkungsmanöver. Denn wenig später brachte das bayerische Kabinett unter Ministerpräsident Markus Söder (CSU) eine Reform des Denkmalschutzgesetzes auf den Weg, die dieses ohnehin traditionell recht schwache Instrument zur Bewahrung kultureller Identität bis zur Bedeutungslosigkeit aushöhlen wird. „Weitgehende Lockerungen“ im Bayerischen Denkmalschutzgesetz sollen „einen erleichterten Einsatz erneuerbarer Energien im Denkmalbereich“ ermöglichen. Künftig sollen Windparks weitgehend genehmigungsfrei auch in der Nähe geschützter Baudenkmäler errichtet werden können. Ähnliches gilt für Solarkollektoren auf denkmalgeschützten Dachlandschaften. Ausgenommen sein sollen nur, so die schwammige Formulierung, „besonders landschaftsprägende Denkmäler“.

Dazu wurde das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege (BLfD) angehalten, einen Katalog mit „rund 100 herausragenden Schlössern, Kirchen und anderen Monumenten zu erstellen, beispielsweise Schloss Neuschwanstein oder die Befreiungshalle in Kehlheim an der Donau. Der große Rest gilt künftig als vogelfrei. Nicht nur die Windkraftlobby jubelte ob dieser Nachricht. Auch ein Kommentator der Süddeutschen Zeitung bejubelte diesen beispiellosen Akt kultureller Barbarei und dekretierte, dass Windräder nun mal „die Kirchtürme der Neuzeit“ seien.

Es darf angenommen werden, dass der bayrische Landeskonservator Mathias Pfeil von der Reform wenig begeistert war. In einer Pressemitteilung sagte er, die Änderung des Denkmalschutzgesetzes spiegele den „sich wandelnden Zeitgeist wider“. Denkmäler seien schon immer Veränderungsprozessen ausgesetzt. „Nun geht das Bewahren historischer Bauten mit der Nutzung regenerativer Energien ein neues interessantes Kraftfeld ein, wobei die DNS unserer Denkmäler unberührt bleibt.“

Doch eingebunden in die staatliche Verwaltung, ist Pfeil weitgehend machtlos. Zudem wurde ihm mit einer Stärkung der Bodendenkmalpflege, die den angeblichen Raubbau an Bodendenkmalen stoppen soll, ein Zuckerl hingeworfen, das sich pompös „Schatzregal“ nennt. Die weitgehende Opferung der bayerischen Kulturlandschaften auf dem Altar des „Klimaschutzes“, flankiert von einem angeblich durch den Ukraine-Krieg (und nicht infolge einer gescheiterten Energiewende) herbeigeführten Energiemangel, nennt sich in Söders Propagandasprech „Zusammenführung von Denkmalschutz und Klimaschutz“. Zuvor hatte das bayerische Kabinett schon die bundesweit vorbildliche 10H-Abstandsregelung für Windräder stark aufgeweicht, die vorsieht bzw. vorsah, dass zwischen einem Windrad und der nächsten Wohnbebauung ein Abstand eingehalten werden muss, der der zehnfachen Höhe des Windkraftwerkes entspricht. Die Schleifung des Denkmalschutzes ist nun der zweite Streich.

Ende in Raten
Die vorbildliche Abstandsregelung für Windräder in Bayern wird aufgeweicht
Verabschiedet werden soll das neue Denkmalschutzgesetz vom Bayerischen Landtag direkt nach der Sommerpause. Gut möglich, dass Söder im beginnenden Landtagswahlkampf, in dem es ganz wesentlich um Energiewende und Klimaschutz gehen wird, Handlungsfähigkeit beweisen will auf einem Gebiet, das für den Ausbau erneuerbarer Energien bislang freilich nur eine untergeordnete Rolle spielte. In den meisten Fällen können Windparks auf gerichtlichem Wege verzögert oder in Einzelfällen auch verhindert werden, wenn artenschutzrechtliche Bestimmungen tangiert sind. Landschaftsschutz und Denkmalschutz rangieren vor Gericht unter „ferner liefen“, wobei nicht ausgeschlossen ist, dass Denkmalschutzkonflikte zunehmen könnten, wenn mit dem Ziel, zwei oder mehr Prozent der Landesfläche (was in Wirklichkeit angesichts der Fernwirkung der riesigen Anlagen mehr ausmacht) mit Windparks zu überbauen, wirklich ernst gemacht würde.

Bislang sind nur wenige Fälle dokumentiert, wo Windkraftwerke nicht genehmigt und gebaut wurden, weil sie Blickbeziehungen zu oder von Baudenkmälern stören könnten. So geschehen etwa in der hessischen Wetterau, wo ein Gericht 2020 mehrere Windräder in der fruchtbaren Ebene nördlich von Frankfurt am Main nahe der weithin sichtbaren Burg Münzenberg mit Hinweis auf das hessische Denkmalschutzgesetz einstweilen untersagte. Nahe Nürnberg scheiterte 2013 ein Windkraftprojekt auf dem Galgenberg, einer 423 Meter hohen Erhebung im sogenannten Neunhofer Land. Der Weiler Neunhof besteht aus einem denkmalgeschützten, einzigartigen Ensemble dreier Schlossanlagen, einer Kirche aus dem 15. Jahrhundert sowie knapp zwei Dutzend historischen Wohn- und Wirtschaftsgebäuden.

Um die Situation zu begutachten, hatte der bayerische Verwaltungsgerichtshof eigens einen Ortstermin anberaumt. Der Panoramablick von der Friedhofsterrasse der Kirche St. Johannis auf den Ort werde durch das Windrad ebenso „massiv beeinträchtigt“ wie auch die ungestörte Blickbeziehung aus den Innenräumen des Schlosses in einen barocken Landschaftsgarten, befanden die Richter in ihrem Beschluss vom 18. Juli 2013. Einem in Sachen Windkraft bewanderten Rechtsanwalt zufolge handelte es sich um die erste Grundsatzentscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes „im Spannungsfeld zwischen Windenergienutzung und Denkmalschutz“.

Denkmäler in nächtlicher Finsternis
In Deutschland gehen die Lichter aus
Eine weitere Grundsatzentscheidung trafen das Bundesverwaltungsgericht sowie das Bundesverfassungsgericht nach jahrelangem Rechtsstreit um den denkmalgeschützten Gutshof Haneworth bei Lamstedt zwischen Hamburg und Bremerhaven. Mehrere Gerichtsinstanzen hatten dem Eigentümer Heinz-Christian Gresens zunächst das Recht abgesprochen, als Privatmann gegen einen bereits gebauten Windpark mit elf Anlagen nahe seines Anwesens klagen zu dürfen. Nachdem Gresens nun die Möglichkeit bekam, vor Gericht zu ziehen, wurde den betroffenen Windparks Mittelstenahe/Lamstedt nachträglich die Baugenehmigung entzogen. 2017 mussten mehrere Anlagen, die das Baudenkmal „erheblich beeinträchtigten“, abgerissen werden – ein bislang wohl einmaliger Vorgang im Energiewendeland Deutschland.

Am hinhaltenden Widerstand der Unesco ist bislang ein Windpark mit drei Rotoren elf Kilometer nördlich der berühmten Wieskirche im oberbayerischen Pfaffenwinkel gescheitert. Die Unesco machte klar, dass der Welterbestatus des architektonischen Kleinodes gefährdet sei, wenn die Windräder gebaut würden. „Sobald von der Wieskirche aus auch nur ein Stück Flügel zu sehen ist, fällt nach Aussage der Unesco der Status des Weltkulturerbes weg“, sagte die zuständige Landrätin Andrea Jochner-Weiß, wenig begeistert von der harten Haltung der UN-Kulturorganisation. Doch das Thema schwelt weiter, angetrieben nicht zuletzt durch den bayerischen Wirtschaftsminister und stellvertretenden Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger (Freie Wähler), eines beinahe fanatisch zu nennenden Vorkämpfers der Windkraft in Bayern.

So könnte sich ein Welterbestatus künftig als das wirkungsvollste (und vielleicht noch einzige) Hindernis beim Bau von Windparks und anderen Artefakten der Erneuerbaren Energien erweisen, nachdem auch der Artenschutz empfindlich beschnitten wurde. Doch auch zur Änderung des Bayerischen Landesdenkmalschutzgesetzes dürfte das letzte Wort noch nicht gesprochen sein.

Anzeige
Die mobile Version verlassen