Tichys Einblick
Unwissenschaftlich

Wie Die Linke „offene Grenzen für alle“ darstellt und verwirklichen will

Eine Senatorin und eine Aktivistin der Partei Die Linke machen in ihrem Text "Offene Grenzen – Utopie oder erreichbares Ziel?" einen weiten Bogen um alle entscheidenden Fragen.

28. Oct. 2015 - German police lead arriving migrants across a field to a transport facility after gathering them at the border to Austria near Wegscheid, Germany

© Johannes Simon/Getty Images

Die bekannte Aussage „offene Grenzen für alle“ ist im Angesicht von Globalisierung und weltweiten Flucht- bzw. Migrationsbewegungen ein sehr heißes Eisen, welchem man sich von verschiedenen politischen Grundausrichtungen nähern kann. Konservativ, progressiv oder liberal gesinnte Menschen werden uns auf die Frage, ob eine globalisierte Einwanderung sinnhaft ist oder nicht, unterschiedliche, teils sich widersprechende, teils sich ergänzende Antworten geben. Unabhängig davon, wie die konkrete Beantwortung der Frage auch aussieht, sie bleibt in all diesen Fällen doch eines: politisch. Daher wäre es von fundamentalem Interesse sich dieser Frage wissenschaftlich anzunehmen und sie entsprechend nachzuweisen oder zu widerlegen. Elke Breitenbach und Katina Schubert suggerieren mit Titel und Aufbau ihres aktuellen Beitrags „Offene Grenzen – Utopie oder erreichbares Ziel?“ genau diese Wissenschaftlichkeit.

Beide Damen haben wissenschaftlich gearbeitet und sind gestandene Personen der Partei Die Linke, die eine jahrelange Mitgliedschaft im Berliner Abgeordnetenhaus und verschiedene Funktionen im Vorstand des Berliner Landesvorstandes oder im Bundesvorstand in ihrer Vita vorweisen können. Frau Breitenbach wirkt aktuell als Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales im Berliner Senat. Und Frau Schubert ist seit vielen Jahren in „antirassistischen und migrationspolitischen Zusammenhängen aktiv“. Beide Frauen sollten also wissen, wovon sie sprechen und zusätzlich das methodische Rüstzeug besitzen, um die Fragestellung wissenschaftlich zu bearbeiten und zu beantworten.

Ihr Beitrag gliedert sich dabei wie folgt. Zuerst stellen die Autorinnen etwas auf, was sie eine These nennen: „Das Recht auf Freizügigkeit […] muss Ausgangspunkt der Überlegungen für eine linke Einwanderungspolitik sein und verallgemeinert werden“. Dann untermauern sie in vier Abschnitten diese These, indem sie das Grundrecht auf Asyl ausweiten, das Recht auf Freizügigkeit verallgemeinern, die Illegalität von Menschen aufheben und schließlich eine radikale Umkehr in der Flüchtlingspolitik beschwören.

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Der mit wissenschaftlichen Arbeiten vertraute Leser merkt bereits jetzt ohne profunde Textkenntnis, dass hier keine These aufgestellt, die dann Schritt für Schritt bewiesen wird, sondern gottgegeben als Prämisse der weiteren Überlegungen angelegt ist. Die Autorinnen nehmen an, dass sie das Recht auf Freizügigkeit verallgemeinern müssen und folgern dann daraus die Maßnahmen, die ihrer Ansicht nach diese Verallgemeinerung impliziert. Interessanter und wissenschaftlicher wäre die These: Das Recht auf Freizügigkeit lässt sich verallgemeinern. Entweder lässt sich diese These im Sinne der fragenden Überschrift nun nachweisen, womit offene Grenzen ein erreichbares Ziel sind, oder eben nicht, womit offene Grenzen folglich eine Utopie darstellen. Da beide Damen, wie erwähnt, in ihrem Lebenslauf Tätigkeiten als wissenschaftliche Mitarbeiterinnen vorzuweisen haben, sollten sie eigentlich besser wissen, wie eine These bewiesen oder widerlegt wird! Nebenbei: Der Logiker wird ihnen sagen, dass man aus einer falschen Voraussetzung jeden Nonsense folgern kann.

Bereits der einleitende Abschnitt ist ein Muster für die unlogische Denkweise der Autorinnen. Bei Ihnen gilt, dass die Aussage „Antirassismus“ die Konjunktion der folgenden vier Aussagen impliziert: (1) Deutschland ist Einwanderungsland, (2) eine Migrations- und Integrationspolitik, die nicht nach Nützlichkeit für das Kapital handelt, (3) soziale und politische Teilhabe für alle in Deutschland lebenden Menschen, (4) offene Grenzen für alle Menschen. In der Logik sind bekanntlich die Aussagen „C impliziert (A und B)“ bzw. „(nicht A oder nicht B) impliziert nicht C“ äquivalent, wobei A, B und C Aussagen sind. Demnach könnten wir feststellen: aus der Disjunktion der vier Aussagen (1) Deutschland ist kein Einwanderungsland, (2) Migrations- und Integrationspolitik, die nach Nützlichkeit für das Kapital handelt, (3) es gibt mindestens einen Menschen in Deutschland, der nicht sozial und politisch partizipiert, (4) es gibt mindestens einen Menschen, für den die Grenzen geschlossen sind, folgt die Aussage „Rassismus“. Wie man nun hieraus „Rassismus“ folgern kann, mag sich wohl nur jemandem erschließen, der das Kapital vorwärts wie rückwärts zu jeder Tages- und Nachtzeit rauf- und runterbeten kann.

Im ersten Absatz sind die Autorinnen zumindest ehrlich: „wie wir diese Forderungen umsetzen, bleibt jedoch offen“. Allerdings: seit 2011 steht die obige Konjunktion „linker“ Aussagen als Folgerung des „Antirassismus“ bereits im Grundsatzprogramm der Partei Die Linke. Es ist davon auszugehen, dass die Diskussionen, die zu diesem Grundsatzprogramm führten, mindestens seit 2007, also dem Jahr des Beschlusses des vorherigen Grundsatzprogramms, geführt worden sind. Folglich hat die Linkspartei rund zehn Jahre Zeit gehabt, die Verwirklichung solcher Forderungen zu diskutieren und einen klaren Fahrplan zu entwickeln, der beispielsweise die erwartete Zahl der Flüchtlinge, die Kosten für den deutschen Staat oder die konkrete Umgestaltung von Gesetzen beinhaltet. Es entsteht über den gesamten Text der Eindruck, dass diese Diskussion nie die bekannten Marx-Lesezirkel verlassen hat und so auch niemals nur der Hauch eines Realitätschecks vorgenommen worden ist.

Dabei beginnt der dritte Absatz für eine linke Publikation bereits sehr verheißungsvoll, indem eine klare Unterteilung zwischen Flüchtlingen und sonstigen Migranten vorgenommen wird. Bislang war es in „linken“ Kreisen sakrosankt jeden Migranten als Flüchtling zu sehen. Wobei der erste Grund für Migration recht erheiternd ist: „der Wunsch, andere Länder kennenzulernen“. Nach diesem „linken“ Lichtblick folgt aber die übliche Auflistung deutscher und westlicher Untaten, die wie entsprechende Aufzählungen in den folgenden Abschnitten vermutlich die moralische Überlegenheit der Autorinnen unterstreichen soll. Im Einzelnen sind es: Verschiebung der gesellschaftlichen „Debatte von der Bereitschaft zu Hilfe und Unterstützung […] sehr schnell in Richtung Abschottung, Abschiebewettläufe, Ausgrenzung und Abwertung“, „martialische Sicherung der EU-Außengrenzen“, sowie „Fluchtverhinderungsabkommen […] mit Despotien und Diktaturen“.

Im letzten Absatz vor dem ersten Abschnitt „Das Grundrecht auf Asyl erweitern“ wird es dann völlig inkonsequent. Wird eingangs die These aufgestellt, ein globales Recht auf Freizügigkeit implementieren zu müssen, bescheiden sich die Autorinnen ab hier auf das nationale Recht in Deutschland. Entweder haben die Autorinnen keine Ahnung, wie sie ihr Vorhaben international umsetzen können oder wollen oder sie folgen schlicht und einfach dem Prinzip: gilt es für eins (also Deutschland), gilt es für alle (also den Rest der Welt). Mathematisch gesehen ist das natürlich totaler Humbug. Auf der anderen Seite ist es eine konsequente Fortsetzung ihrer Annahme, dass ihre These ja bereits gelten würde, es also eine globale Freizügigkeit geben muss. Damit können sie dies natürlich auf ein Element dieser Welt, d.h. Deutschland, herunterbrechen und weitere Folgerungen anstellen. Diese Methodik schreit zum Himmel.

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Das Grundrecht auf Asyl wollen die Autorinnen in einer „demokratischen Asylgesetzgebung“ (gibt es im deutschen Rechtsstaat auch eine undemokratische?) wiederherstellen und ausweiten. Dazu wollen sie „Konstrukte wie »sichere Drittstaaten« und »sichere Herkunftsstaaten«“ aus dem Grundgesetz entfernen oder wie im Text politisch korrekt formuliert: das Grundgesetz davon befreien. Das erinnert mich an das bekannte Brettspiel „Risiko“, in dem man ab den 1980er Jahren keine Länder mehr „erobern“ musste, sondern „befreien“ durfte. Ein wunderbarer Euphemismus. Allerdings ist den Autorinnen bewusst, dass sie diese Grundgesetzänderung mangels Zweidrittelmehrheit im Bundestag nicht realisieren können, also folgt die eingängige Idee, beide Länderlisten auf Null zu setzen. Es wäre ja auch eine Frechheit, wenn unterdrückte „Linke“ aus bekannten Despotien wie Frankreich, Spanien oder Italien hier kein Asyl beantragen dürften! Im letzten Absatz dieses Abschnitts wird allerdings klar formuliert, was die Autorinnen genau umtreibt: „Jeder, der hier um Schutz und Aufnahme bittet, muss ein Aufenthaltsrecht bekommen, das die Chance zu gleichberechtigter Teilhabe am gesellschaftlichen Leben bietet. Dazu gehören der vollständige Familiennachzug und der unbeschränkte Zugang zu Bildung, Ausbildung, Erwerbsarbeit und die sozialen Sicherungssystemen.“ Sie sehen dies dann als „erste praktische Schritte zu einem humanitären Flüchtlingsrecht“.

Im folgenden Abschnitt über das „Recht auf Freizügigkeit“ sticht dem Leser die unwissenschaftliche Vorgehensweise der dereinst als wissenschaftliche Mitarbeiterinnen tätigen Politikerinnen sofort direkt ins Auge, indem sie formulieren: „Wenn wir davon ausgehen, dass es das Recht eines jeden Menschen sein muss selbst zu entscheiden, wo sie oder er leben will, dann muss sich auch ein Einwanderungs- und Aufenthaltsrecht daran orientieren“. Nein, liebe Autorinnen, um es noch einmal zu wiederholen, sie können bei einer These, die sie eigentlich beweisen wollen, nicht davon ausgehen, dass sie bereits gilt. Da aber ihre These ja bereits gilt, ist es natürlich ein Leichtes, sie auf ein kleineres Element wie die BRD herunterzubrechen und zu folgern, dass der „Weg zu legaler Einwanderung und Wohnsitznahme in der Bundesrepublik“ geöffnet werden muss.

Darauf folgt eine „Reihe von Fragen“: „Wer darf einwandern? Kommt es bei einer solch »freien« Einwanderung nicht zu Lohn- und Sozialdumping und zu Konkurrenz mit »Einheimischen«? Befeuert das nicht Rassismus und Vorurteile?“ Und „auch die Linke ist nicht frei von solchen Debatten“. Wobei, wenn man hier der eingangs aufgestellten Disjunktion von Aussagen folgt, die „Rassismus“ impliziert, hätten wir dann nicht eine „Migrations- und Integrationspolitik, die nach Nützlichkeit für das Kapital handelt“ und gäbe es so nicht „mindestens einen Menschen, für den die Grenzen geschlossen sind“? Damit sind schon zwei Teilaussagen der Prämisse wahr und aufgrund der Disjunktion der vier Aussagen ist es auch die gesamte Prämisse. Demnach muss Die Linke „rassistisch“ sein!

Und dann treffen wir wieder auf den bekannten Stil: die These ist bereits wahr, folgern wir wild drauf los. Konkret: „eine Einwanderungspolitik auf der Basis eines allgemeinen Rechts auf Freizügigkeit [stellt] erhebliche Anforderungen an eine funktionierende Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik“. Für die Autorinnen gelten dann folgende Anforderungen: „die Entscheidungsfreiheit des einzelnen Menschen [muss] im Mittelpunkt stehen“, ein „Umbau der sozialen Sicherungssysteme […] um alle hier lebenden Menschen gegenüber sozialen Risiken abzusichern“, „ein höherer Mindestlohn“ sowie „eine schnellere und kostenfreie Anerkennung von Bildungs- und Berufsabschlüssen der Migrant*innen“. Und hier formulieren sie ganz im Sinne des Begriffs „Anforderung“ Aussagen über zu erfüllenden Eigenschaften ihrer Einwanderungspolitik, ohne sich zu fragen, ob diese Anforderungen überhaupt zu ihrer gewünschten Einwanderungspolitik führen. Das müssten sie auch beweisen, was sie natürlich wiederum nicht tun. Warum sie dies nicht tun, wird dann klar mit der Aussage „linke Migrationspolitik muss also gekoppelt sein mit entschiedenen linken Politiken in diesen Feldern“. Es geht also um „linke Politiken“ und nicht um Sinn oder Unsinn ihrer These.

Aber immerhin beschäftigen sie sich auch mit einem zweiten Einwand gegen „eine grundrechtsbasierte Einwanderungspolitik“, nämlich „dass diese sehr viele Migrant*innen anziehe – das sei Wasser auf die Mühlen der »Das Boot ist voll«-Demagogie“. Aber dieser Einwand sei ja völlig unberechtigt, denn „dagegen lassen sich verschiedene Erkenntnisse der Migrationsforschung anbringen: Zum einen wandern Menschen in der Regel dahin aus, wo sie bereits Anknüpfungspunkte haben, Freund*innen, Familie, Verwandte oder eine konkrete Aussicht auf einen Arbeits-, Ausbildungs- oder Studienplatz – wo sie also die Möglichkeit sehen, an bestehende soziale Zusammenhänge anzuschließen“. Wunderbare Methode: ohne eine konkrete Quelle zu benennen, werden hier tatsächliche oder vermeintliche Erkenntnisse der Migrationsforschung aufgelistet. Solche ich die Quellensuche jetzt selbst betreiben? Studenten bekämen bei mir an dieser Stelle einen Rüffel für unsaubere Quellenarbeit. Aber es wird noch besser: „Das Bild, Millionen kämen hierher und überforderten die Integrationsfähigkeit der Gesellschaft, entbehrt jeder empirischen Grundlage“. Quelle? Die örtliche Linkspostille? Ist aber auch völlig gleichgültig, denn „mit solchen Bildern argumentierten konservative und Reaktionäre“. Stimmt, und da die böse sind, ist das alles auch ohne Nachweis falsch, da bräuchte man ja nicht einmal die Erkenntnisse der Migrationsforschung! Ich empfehle dringend die Aufnahme von „Linker Logik“ in das Curriculum philosophischer und mathematischer Studiengänge, Aussagenlogik, Prädikatenlogik und Co. sind so etwas von antiquiert.

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Und wer bis hierhin noch Zweifel an den hehren Zielen der Autorinnen hat und diesen wissenschaftlich verbrämten Nonsens auch als solchen sieht, wird in den beiden abschließenden Absätzen des Abschnitts mit einer Soße aus Moralin und Selbstgerechtigkeit übergossen. Denn „schließlich sind es häufig »unsere« Kriege, »unsere« fossilistische Produktionsweise und »unsere« Handelspolitiken, die massive globale Ungerechtigkeit, Armut, Klimakatastrophen und Elend aller Art erst verursachen, weshalb Menschen aus den betroffenen Regionen dann wegziehen wollen oder müssen“. Es geht also gar nicht darum, ein globales Einwanderungsrecht zu implementieren, sondern uns für unsere Sünden büßen zu lassen. Gut, dass ist ein religiöser Ansatz, bestimmt kein wissenschaftlicher, aber garantiert ein „linker“. Und wie können wir für unsere Sündhaftigkeit büßen? Wir sind gefordert „Einwanderung als Bereicherung zu betrachten und die gesellschaftliche Entwicklung gemeinsam mit den Eingewanderten voranzutreiben. Nicht Abwehr, Ausgrenzung und Abwertung des »Anderen« dürfen das gesellschaftliche Leitbild bestimmen, sondern Öffnung, Neugier, die Bereitschaft, sich mit anderen gemeinsam zu verändern“. Und nur hiermit lässt sich das kommunistische Paradies erreichen: „ein demokratisches Einwanderungsrecht eröffnet also weitere Chancen, das Gemeinwesen der Bundesrepublik auf ein neues, demokratisches und vielfältiges Fundament zu setzen“. Halleluja!

Etwas sonderlich und unmotiviert ist dann zu Beginn der Abschnitt „Kein Mensch ist illegal“. Der ewig gleiche Singsang: Menschen aus der Illegalität herausholen und Rechte auf gesundheitliche Versorgung und Altersvorsorge einräumen. Interessanter und handfester ist dann später die Aussage: „tatsächlich ist es so, dass wir noch viel konzeptionelle Arbeit leisten müssen, um ein demokratisches Einwanderungsrecht zu entwickeln, das in der Lage ist, Menschen für diese gesellschaftliche Umwälzung zu begeistern und Mehrheiten zu organisieren“. Wie oben bereits erwähnt, dafür hatten sie jetzt mindestens zehn Jahre Zeit, wenn nicht noch mehr. Ich empfinde es als schlechten Scherz, wenn Menschen, die als Senatorin arbeiten oder jahrelang in „antirassistischen“ und migrationspolitischen Zusammenhängen aktiv sind, nun auf einmal merken, dass sie auch konzeptionelle Arbeit leisten müssen.

Das abschließend explizit angeführte und etwas lang geratene Zitat vom Soziologen Etienne Balibar ist zusammenzufassen mit: Kommunikations- und Geschäftsbeziehungen sind globalisiert, also muss es auch das Recht auf Freizügigkeit sein. Über solch eine These kann man sicherlich diskutieren. Doch fragt sich der interessierte Leser, sind das nicht die gleichen „Linken“, die gegen internationale Freihandelsabkommen wettern und demonstrieren, nun aber diese als Motivation nehmen, Freizügigkeit zu globalisieren? Und noch einmal, beschweren sich nicht gerade solche „linken“ Theoretiker darüber, dass Globalisierung viele Menschen prekarisiert? Und statt dieser Globalisierung nun Einhalt zu gebieten, wollen sie sie noch verstärken!? Wieder ein weiteres Kapitel in der Veranstaltung „Linke Logik“ – bald auch an ihrer Universität.

Der finale Abschnitt „Radikale Umkehr jetzt“ beschwört dann noch einmal den nächsten Untergang Deutschlands: „deshalb geht es bei der Frage linker Einwanderungspolitik um die Neubestimmung von Demokratie und Teilhabe in einer globalisierten Welt – nicht mehr und nicht weniger“. Richtig, allerdings haben sie diese Einwanderungspolitik nur für Deutschland formuliert. Alle anderen lachen sich ins Fäustchen, dass wir dann bald „linker“ Logik folgend, die Einwanderung einzig in Deutschland globalisieren, während sich andere Länder ihre Einwanderer aussuchen. Aber das ist auch alles unerheblich, schließlich geht es auch eigentlich darum, „die gesellschaftliche Deutungshoheit über die Migrationsprozesse, Fluchtursachen, Kriegsgründe zu erringen, und davon ausgehend eine Erzählung einer demokratischen Einwanderungspolitik zu entwickeln“. Die „Deutungshoheit“ erringen? Eine „Erzählung“ entwickeln? Das klingt wie eine Aufgabe für das Orwellsche Wahrheitsministerium! Dazu passt dann auch die „wahre“ Aussage: die demokratische Einwanderungspolitik „muss nicht nur dem rassistischen Mainstream zuwiderlaufen, sondern mehrheitsfähig werden und in der Lage sein, Perspektiven einer linken internationalen Politik hervorzubringen, die Fluchtursachen bekämpft, einen fairen Handel und soziale Gerechtigkeit weltweit ermöglicht“. Aber nun fragt man sich, wenn es ein globales Recht auf Freizügigkeit gibt, wozu noch Fluchtursachen bekämpfen oder fairen Handel betreiben? Wem es nicht in seinem Heimatland passt, der kann doch einfach woanders hinziehen, wo es seinem Empfinden nach fairer und gerechter zugeht!?

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Wenn man am Ende dieses Textes angelangt ist, ist man baff darüber, dass solch ein Nonsens tatsächlich ein Debattenbeitrag sein soll. Wir halten noch einmal fest, die Autorinnen wissen nicht, wie man Thesen formuliert und nachweist oder widerlegt, sie nehmen sie einfach als gottgegeben hin und folgern hieraus dann jede Maßnahme, die sie für nötig erachten, um ihre Einwanderungspolitik in die Tat umzusetzen. Allerdings prüfen sie dann auch nirgends nach, ob ihre Maßnahmen tatsächlich die gewünschte Einwanderungspolitik implementieren. Ihre Argumentation ist häufig mangelhaft und quillt von logischen Fehlern über. Wenn sie dann merken, dass ihre Argumentation ins Leere läuft, bedienen sie sich moralischer und pseudo-religiöser Aussagen, um dem Leser zu suggerieren, dass wir alle doch schlecht sind, alle Menschen außerhalb der Industriestaaten übervorteilen und daher eine Verantwortung tragen, alle und jedem, jetzt und überall zu helfen. Und dies ist nur durch ihre Einwanderungspolitik menschengerecht und demokratisch zu realisieren.

Würde ein Student im ersten Studienjahr dieses Machwerk verfassen, könnte man darüber hinwegsehen, müsste ihm aber aufzeigen, wie eine wissenschaftliche Arbeit zu dieser durchaus interessanten Fragestellung aufgebaut wäre. Doch das halte ich hier für hoffnungslos. Es handelt sich um zwei Frauen, die bereits seit Jahrzehnten „linke“ Politik machen, selbst wissenschaftlich gearbeitet haben und in ihren herausgehobenen Positionen auf einen Stab von wissenschaftlichen Mitarbeitern zurückgreifen können, der ihnen helfend und unterstützend zur Seite steht. Da kann man dieses Diskussionspapier nur als mangelhaften bis ungenügenden Beitrag betrachten. Es macht einen weiten Bogen um die eigentlich interessanten Fragen: Ist ein globales Einwanderungsrecht das richtige Mittel um Migrationsbewegungen zu begegnen? Bräuchte man internationale, nationale und lokale Organisationen, die dies überwachen und steuern? Müsste man es zentral oder dezentral organisieren? Wie würde es finanziert? Wie würde garantiert werden, dass nicht alle Menschen in Industriestaaten wie USA, Kanada oder Deutschland immigrieren? Hätte dies Auswirkungen auf die heimische Gesellschaft? Gibt es Flaschenhälse: bspw. Nahrungsversorgung, Anzahl Arbeitsplätze, Endlichkeit des Topfes der Sozialleistungen, vorhandener Wohnraum, Anzahl Sprachkurse, Anzahl Schüler in Schulklassen usw. usf.? Wie sollen Sozialleistungen finanziert und verteilt werden, wenn sich das Verhältnis Zahl der Einwanderer zu Zahl der Steuerzahler schrittweise zu Gunsten der Einwanderer verändert? Importiert man kulturelle und religiöse Konflikte? Und wenn ja, welche Auswirkungen hat dies auf die aufzunehmende Gesellschaft? Welche Auswirkungen gäbe es auf die Verbrechensentwicklung? Nimmt die Gefahr Opfer eines terroristischen Anschlags zu? Bleibt die Gleichberechtigung von Männern und Frauen erhalten? Welche Auswirkungen hätte es für Homo-, Trans- und Intersexuelle? Wie steht es um den Gesundheitszustand der Einwanderer? Sind Impfungen notwendig und wenn ja, in welchem Umfang und mit welchen Kosten? Haben Einwanderer Infektionserkrankungen wie HIV, Hepatitis C oder Hepatitis B und wenn ja, wie hoch ist die Prävalenz? Und lässt sich unter diesen Nebenbedingungen ein globales Recht auf Freizügigkeit implementieren?

Dr. Dr. Marcus Ermler hat in theoretischer Mathematik und in theoretischer Informatik promoviert. In seiner Dissertation in theoretischer Informatik hat er untersucht, ob und wie die Semantik verschiedener Berechnungsmodelle in aussagenlogische Formeln übersetzt und dieser Ansatz dann zum computergestützten Beweis von Theoremen eingesetzt werden kann.

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