Unter Deutschlands schwergewichtigen Medienmachern ist Dr. Kai Gniffke einer der schwergewichtigsten. Nicht nur, weil er seit nunmehr zwölf Jahren zwei der schwergewichtigsten Nachrichten-Formate des Landes zu verantworten hat. So richtig an Gewichtigkeit zugelegt hat der Erste Steuermann von „Tagesschau“ und „Tagesthemen“ im Kielwasser der „Flüchtlingskrise“, bei deren regierungsfreundlicher Einhegung ihm der spektakuläre Coup gelang, eine der ältesten und bewährtesten journalistischen Grundregeln mit einem einzigen simplen Blogeintrag über Bord zu werfen.
Die Grundregel lautet (bzw. lautete): Hund beißt Mann = keine Nachricht; Mann beißt Hund = Topnachricht. Dr. Kai Gniffke hat daraus gemacht: Egal, wer wen beißt = für „Tagesschau“ und „Tagesthemen“ ist das eine wie das andere absolut kein Thema. Und als ihm daraufhin aus seinem Laptop ein Orkanstärke erreichender Shitstorm entgegenbläst, fügt er verschlimmbessernd hinzu: Erst wenn der Nachweis erbracht ist, daß Männer öfter Hunde beißen als umgekehrt, könnte man vielleicht mal darüber nachdenken, ob das nicht eventuell doch eine Meldung in „TS“ oder „TT“ wert wäre.
Im O-Ton Dr. Kai Gniffke klingt das so: Wenn es sich bei dem Tatverdächtigen „um einen Asylbewerber handelt, sollten wir aus meiner Sicht das dann tun (darüber berichten), wenn Asylbewerber überproportional an Tötungsdelikten beteiligt wären. Das ist, soweit wir es recherchieren können, nicht der Fall“.
Dr. Gniffkes innovative journalistische Conditio sine qua non – nennen wir sie praktischerweise das Gniffke-Syndrom – warf allerdings Fragen auf:
• Wie ist es um die Recherchefähigkeit des Dr. Gniffke unterstellten 300köpfigen Redaktionsapparates bestellt, wenn dieser Mega-Redaktion die amtliche Kriminalstatistik ein Brief mit sieben Siegeln zu sein scheint?
• Wie steht es um die professionelle Kompetenz eines öffentlich-rechtlichen Alphajournalisten, der sich als außerstande outet, zwischen Taten einheimischer Mörder und Totschläger (Hund beißt Mann) und solchen Messer, Äxte, Sprengstoffgürtel und Brummis nutzender Nicht-Einheimischer (Mann beißt Hund) zu unterscheiden? Zumal, wenn letztere sich auch noch mit der Behauptung, vor Mördern und Totschlägern in ihren Heimatländern geflohen zu sein, Zugang in unser Land erschlichen haben.
Ende August diesen Jahres landet daher folgende Frage in Dr. Kai Gniffkes Posteingangskorb: „Asylbewerber waren im Jahr 2017 bei Tötungsdelikten um den Faktor 46 krimineller als die deutsche Bevölkerung. Worauf Sie, sehr geehrter Herr Chefredakteur, angesichts einer solchen Faktenlage Ihre Behauptung stützen, Asylbewerber seien an Tötungsdelikten nicht überproportional beteiligt, wüßte ich gern.“
Doch halt, was ist denn das?
Nochmal ganz langsam und mit Leselupe. Kein Zweifel: Am Fuße des mit unzähligen Links zu irgendwelchen „Faktenfinder“-Beiträgen und solchen über Kriminalitäts-„Studien“ eines gewissen Professor Pfeiffer garnierten Sermons steht tatsächlich dieser Satz mit der Sprengkraft einer Bombe:
„Flüchtlinge sind öfter als Bundesbürger an Tötungsdelikten beteiligt.“
Gütiger Himmel! Mal abgesehen davon, dass nun plötzlich von „Flüchtlingen“ statt Dr. Gniffkes „Asylbewerbern“ die Rede ist (was kriminalstatistisch zwei ziemlich verschiedene Stiefel sind), – was geht hier vor? Probt der „Publikumservice“ den Aufstand gegen seinen Chef? Oder sollte womöglich gar Artikel eins des journalistischen Grundgesetzes – berichten, was ist – nach all den Jahren im Exil wieder an den Schreibtischen von „Tagesschau“ und „Tagesthemen“ Platz genommen haben?
Wie auch immer: Dass eine Redaktion ihren eigenen Chef derart unverblümt korrigiert und als professionelles Windei öffentlich bloßstellt, dürfte in Zeiten eines nach wie vor mächtig daherkommenden medialen Mainstreams eher Seltenheitswert besitzen.
Zwei Tage später trudelt im „Gremienbüro“ des NDR-Rundfunkrates eine „von mehreren hundert Programmbeschwerden in den letzten fünf Jahren“ ein. Zwar „nichts“, wie Dr. Gniffke coram publico zu kokettieren beliebt, „worauf ich stolz bin“, nur um im gleichen Atemzug stolzgeschwellt hinzufügen, alle Beschwerden seien, sofern sie ihm denn überhaupt vorgelegt wurden, vom Rundfunkrat ausnahmslos abgeschmettert worden.
Was freilich keinesfalls als Qualitätsnachweis für das Schalten und Walten des Dr. Gnffke bei „ARD-aktuell“ missverstanden werden sollte. Programmbeschwerden, denen vom Rundfunkrat stattgegeben wurde, genießen in der Geschichte unserer öffentlich-rechtlichen Medien den Seltenheitswert einer Blauen Mauritsius. Was wiederum nicht unbedingt für die Qualität der angeblich die Zuschauerinteressen vertretenden Rundfunkräte spricht.
Diesmal jedoch scheint der Schlüsselsatz der Programmbeschwerde – „Damit räumt der NDR ein, dass der Chefredakteur von ARD-aktuell, Herr Dr. Kai Gniffke, in dem beanstandeten Beitrag die Unwahrheit verbreitet hat“ – die Hamburger Anstalt in einer Art komatösen Schockzustand versetzt zu haben. Anders lässt sich ihr mehrere Monate währendes dröhnendes Schweigen – laut Geschäftsordnung sind Programmbeschwerden innerhalb von vier Wochen zu bescheiden – schwerlich erklären.
Ein Verdacht, der sich durch gelegentliche aus dem Gremienbüro dringende Rauchzeichen zur Gewissheit verdichtet: „Offenbar einen heiklen Punkt getroffen“; Abstimmungsprobleme zwischen Fernsehdirektor und Herrn Dr. Gniffke“; „Räder“, die selbst nach Monaten noch „auf „Hochtouren drehen“; auch ist es „den Verantwortlichen entsetzlich peinlich, dass es so lange gedauert hat“ – wenigstens das.
Exakt ein viertel Jahr nach Eingang der Programmbeschwerde meldet die Mailbox des Petenten abermals Post aus Hamburg. Zwölf geschlagene Wochen hat die Hamburger Anstalt gekreißt – und herausgekommen ist das:
• „Wir haben Ihr Schreiben zum Anlass genommen, noch einmal in eine vertiefende Zahlenrecherche einzusteigen“ (Dr. Cornelia Renz, Rundfunkratsvorsitzende).
• „Bei einem komplexen Thema wie dem Anteil der Zuwanderer bei Tötungsdelikten ist eine vereinfachte Aussage tatsächlich problematisch. Im Grunde kann man feststellen, dass Zahlen eine gewisse Richtung aufweisen“ (Frank Beckmann, Programmdirektor Fernsehen).
• „Nach intensiver Recherche stellen wir fest, dass diese (meine) Vereinfachung zu kurz greift“ (Dr. Kai Gniffke, Erster Chefredakteur ARD-aktuell).
Was lernen wir daraus? Wir lernen: Im dreieinhalbtausend Planstellen fetten Norddeutschen Rundfunk hat man es nicht so mit den Zahlen. Und mit dem Recherchieren schon gar nicht. Es wird zwar gewaltig recherchiert, sogar „vertieft“ und „intensiv“, es kommt nur nichts dabei heraus.
Erinnern wir uns: Schon in seinem die Programmbeschwerde auslösenden Blogeintrag vom August diesen Jahres entblößte sich dessen Verfasser mit dem Geständnis: „. . . soweit wir es recherchieren k ö n n e n“. Nun haben wir es quasi amtlich: Sie können es nicht! Auf dem Flaggschiff des deutschen Nachrichten-Journalismus herrscht akuter Recherchenotstand.
Wie katastrophal die Zustände an Bord sein müssen, erhellt aus der Tatsache, dass sich sogar der NDR-Rundfunkrat, dessen eigentliche Aufgabe die Kontrolle der Programmacher im Interesse der Hörer und Zuschauer sein sollte, gezwungen sieht, der überforderten „ARD-aktuell“-Crew mit „einer vertiefenden Zahlenrecherche“ beizuspringen. Peinlicher geht´s schwerlich.
Oder doch? Raten Sie mal, verehrte Leser, wo „das Gesicht hinter der Tagesschau“ (Hamburger Abendblatt über Gniffke) die verdruckste Bemäntelung seiner Fake News über angeblich auf Augenhöhe mit der deutschen Bevölkerung mordende und totschlagende Asylbewerber vor den Augen der Öffentlichkeit versteckt hat.
Kommen Sie nie drauf!
Wie auch, wenn selbst der Beschwerdeeinreicher – trotz Hinweis der Rundfunkratsvorsitzenden, sie habe veranlasst, den Gniffke-Blogeintrag vom 18. August 2018 „entsprechend zu ergänzen“ -, Mühe hatte, die Ergänzung ausfindig zu machen.
Nein, Gniffkes Rumgeeiere von der „zu kurz gegriffenen Vereinfachung“ steht – gepostet am 16. November 2018, 17:14 Uhr – und getarnt als Kommentar Nr. 146 eines Wald- und Wiesenbesuchers „Kai Gniffke“ ganz am Ende einer Besucher-Diskussion, die seit dem 18. August 2018 geschlossen ist und bestenfalls noch als toter Briefkasten für ARD-Schlapphüte taugt.
Und als sei das immer noch nicht genug an öffentlich-rechtlicher Erbärmlichkeit: In Gniffkes persönlichem Blog – neben dem von ihm und drei weiteren ARDlern betriebenem „Tagesschau“-Blog gibt vier ausschließlich Beiträgen der jeweiligen Autoren vorbehaltene Namensblogs – im Gniffke-Blog also, taucht seine verquaste Bemäntelung einer öffentlich verbreiteten Falschaussage praktischerweise gar nicht erst auf. Die Liste der Kommentareinträge endet dort mit Kommentar Nr. 145 des Besuchers „DrBeyer“, eingestellt am 18. August 2018.
Fassen wir zusammen:
• Ein „Tagesschau“-Konsument erhebt beim öffentlich-rechtlichen Medienriesen „Norddeutscher Rundfunk“ Programmbeschwerde.
• Gegenstand der Beschwerde ist die vom Chefredakteur der wichtigsten Nachrichtensendung des Landes – der sich nach eigenem Bekunden für seinen „unabhängigen Journalismus“ weder rechtfertigen noch entschuldigen muss – öffentlich verbreitete Falschbehauptung, Asylbewerber seien an Mord- und Totschlagdelikten nicht „überproportional“ beteiligt.
• Der Falschbehauptung liegt ein Problem zugrunde – die tödlichen Folgen der von der Regierung exekutierten Zuwanderungspolitik -, das, wie kaum ein anderes in der Geschichte der Bundesrepublik, zu ihrer gesellschaftspolitischen Spaltung geführt hat.
• Der „Norddeutsche Rundfunk“ benötigt, unter Missachtung seiner selbstauferlegten Regeln, volle drei Monate, um dem Beschwerdeführer zu antworten.
• Die „Berichtigung“ der Gniffke-Falschbehauptung wird im Internet derart hermetisch versteckt, dass ihre Auffindbarkeit einem Sechser im Lotto gleichkommt – mit Zusatzzahl.
Aber schauen Sie selbst, verehrte Leser, und denken Sie daran, wenn es demnächst wieder heißt: „´Tagesschau´ im Urteil der Zuschauer glaubwürdigste Nachrichtensendung.“
Wolfgang Moser, Journalist (früher unter anderem bei Report Baden-Baden).