„Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.“ Das sagte, laut Nachrichtenmagazin “Der Spiegel”, der jetzige Präsident der EU-Kommission Jean-Claude Juncker 1999. Nur zwei Jahre später, 2001, am Höhepunkt einer Eurokrise gab er einen weiteren seiner Trinksprüche zum Besten: „Wenn es ernst wird, muss man lügen.“
Die „Ever Closer Union“, der europäische Superstaat, den Jean-Claude Juncker meint, ist keine neue Utopie. Wirklichkeit wurde er, trotz vieler blutiger Versuche, nie. Karl der Große war der Erste, der es an der Wende vom 8. zum 9. Jahrhunderts anstrebte und erstaunlich weit damit kam. Danach war lange Pause. Die Nächsten, die es versuchten, waren die Habsburger. Aber im 30-jährigen Krieg scheiterten sie an der Konkurrenzdynastie der französischen Bourbonen, den Kurfürsten des Heiligen Römischen Reiches und ihrer eigenen Hybris. Danach probierten es die Franzosen. Hier kam der Militär Bonaparte am weitesten. Er unterwarf und verwüstete große Teile Europas. Erfolg war aber auch ihm letztlich nicht beschieden. Dann waren die Deutschen an der Reihe: mit einem Kulturbruch außerhalb jeder, auch der unzivilisiertesten Vorstellung. Allen Vorhaben gemeinsam war Krieg, Leid, Tod und Verderben.
Die empirische, evolutionäre Methode der Engländer hat, das zeigt ihr Erfolg, große Vorteile. Sie ist aber ständig in Bewegung, verändert sich dauernd und es bedarf viel Arbeit und Einsicht, zu verstehen, wie und welche Kräfte in ihr wirken. Für Ideologen ist diese Methode jedoch vollkommen inakzeptabel, da sie untrennbar mit dem verbunden ist, was sie am meisten hassen: Dem Markt und der Freiheit.
„Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.“
Die Schritte, die, wenn wir Herrn Juncker richtig verstanden haben, behutsam, still und leise erfolgen sollten, um nicht mit dem lauten Auftritt der Militärstiefel früherer Versuche in Verbindung gebracht zu werden, sind aber, auch ohne Geschrei und Aufstand, ins Straucheln geraten.
24. Juni 2016
Ein erstes deutliches Anzeichen war die Abstimmung über den Verbleib Großbritanniens in der EU. Brüssel gab sich unbeeindruckt zuversichtlich. Alle Umfragen sahen den Verbleib Englands in der EU voraus. Das zweite, schon lautere, Anzeichen, in den frühen Morgenstunden kam am Tag nach der Abstimmung. Es war ein Schock. Unerhörtes war geschehen. Ein Volk, eine Nation, etwas, das es nach den EU-Ideologen gar nicht mehr geben durfte, erdreistete sich für den Austritt aus „Europa“, gemeint war natürlich nur die EU, zu stimmen. Jetzt war der Superstaat in Gefahr. Großbritannien mit dem Commonwealth könnte eine Alternative zur EU werden und andere Nationen könnten sich anschließen.
Mitentscheidend für den Meinungswandel der Briten war die Verkündung einer einsamen Entscheidung zur Grenzöffnung der deutschen Kanzlerin in einer Unterhaltungssendung des deutschen Fernsehens, die, zumindest von einem Teil der Briten als das verstanden wurde, was es war: Der Aufgabe der Herrschaft des Rechts.
Zum ersten Mal war die „Ever Closer Union“ klar und unüberhörbar abgelehnt worden, ohne Möglichkeit diesen Sachverhalt umzuinterpretieren.
20. Januar 2017
Aber es kam noch schlimmer: Der „Gottseibeiuns“ Trump wurde zum amerikanischen Präsidenten gewählt. Das war zu viel. Das war nicht mehr mit der einzig gültigen Auffassung von Demokratie der EU-Elite vereinbar. Wähler und Präsident wurden übelst beschimpft und um die Absurdität auf die Spitze zu treiben, wurde ausgerechnet Frau Merkel, von der freien deutschen Presse als einzig verbliebene Retterin des Westens bezeichnet.
7. Mai 2017
Jetzt stand die Wahl in Frankreich an. Hier war nicht mehr auszuschließen, dass eine rechte Partei gewinnen könnte. Die Sozialisten waren in den Umfragen hoffnungslos abgerutscht. Der konservative Kandidat war, wegen bisher für Politiker durchaus zum guten Ton zählenden Verfehlungen, diskreditiert und vor Gericht gestellt worden und so war der Weg frei für eine neue Volksbewegung. Mit dem ehemaligen sozialistischen Minister Macron wurde eine viel sprechende Werbefigur installiert, die dann, „erdrutschartig“ und unter dem Jubel der Medien gewinnen sollte. Die geringe Wahlbeteiligung blieb unerwähnt. Auch wurde nicht danach gefragt, wer in der Lage wäre, eine solche Bewegung finanziell und logistisch in kürzester Zeit aus dem Boden zu stampfen und was die möglichen Interessen dieser Gruppe sein könnten.
24. September 2017
Dann die deutsche Wahl. Die große Koalition verlor dramatisch. Vermutlich um den Masterplan doch noch zu retten, erfolgte am nächsten Tag die „flammende Rede“ des neue EU-Messias Macron, in der er visionär einen pseudo-demokratischen europäischen Superstaat auf Kosten Weniger forderte. Die deutsche Kommunikation war begeistert. Die endgültige Wiedergutwerdung schien zum Greifen nahe und der Verzicht auf das Budgetrecht des deutschen Bundestages und die Unterordnung der Deutschen als rechtlose EU-Supersteuerzahler schien ein zu vernachlässigbarer Preis dafür zu sein, wieder in den Kreis der zivilisierten Nationen aufgenommen zu werden. Flugs wurden in Deutschland die Weichen für die baldige Zustimmung auf einem demnächst stattfindenden EU-Gipfel gestellt. Der als gesetzestreu bezeichnete Finanzminister wurde auf den Posten des Bundestagspräsidenten weggelobt und ein der Kanzlerin in wirklich allem treu ergebener Peter Altmaier zum Finanzminister ernannt.
So musste, umständlich, mit vielen Fototerminen auf guteinsehbaren Balkonen, der Versuch einer Viererkoalition mit eigentlich nicht kompatiblen Parteien gestartet werden.
10. Oktober 2017
Eine solche Vierparteienkoalition wurde nun in Holland, ein halbes Jahr nach der Wahl, an die Regierung gewählt. Diese neue Regierung hat eine Stimme mehr als die Opposition. Über die europafreundlichen, aber EU-kritischen Wortmeldungen dieser Regierung wird in Deutschland nicht berichtet.
15. Oktober 2017
Fünf Tage später der nächste Schock für die EU-Mandarine. In Österreich gewann eine tatsächlich konservative Partei die Wahl. Nach kurzen, sachlichen und unspektakulären Verhandlungen – ohne Balkonauftritte – bildet sie nun mit einer als rechtspopulistisch diffamierten Partei die Regierung. Auch hier wird nicht geschrien, doch leise, höflich und sehr deutlich europafreundliches, aber sehr EU-kritisches gesagt. Fast schon ein Aufstand.
20. November 2017
Der Vorsitzende, der nur als Mehrheitsbeschaffer gedachten Partei in Deutschland, Christian Lindner, verkündet, er wolle lieber nicht, als schlecht regieren und lehne deshalb eine Regierungsbeteiligung seiner Partei, der FDP, ab.
4. März 2018
Die Wahl in Italien hat die Tendenz bestärkt. 70% der Wähler haben für eine EU-kritische Partei gestimmt.
7. März 2018
Kein Geschrei, aber doch ein Aufstand: Dänemark, Estland, Finnland, Irland, Lettland, Litauen, die Niederlande und Schweden erklären, dass sie gegen eine Vertiefung der EU sind, also gegen die “Ever Closer Union” und dass sie eine Erhöhung ihrer EU-Beiträge, um den Verlust der englischen Zahlungen zu kompensieren, ablehnen. Damit haben, neben den Visegrádstaaten und Österreich, nun 13 Mitgliedstaaten der Union, den Plänen der EU-Kommission eine klare Absage erteilt.
Wie wird es weitergehen?
Die von Macron, der europäischen Kommission und Merkel vorgeschlagenen Reformen der EU-Verträge, die Vertiefung der EU, die „Ever Closer Union“, die Bankenunion mit Einlagensicherung, die europäische Arbeitslosenversicherung, ein von der Kommission kontrollierter EWF, die Aufgabe der letzten Reste nationaler Souveränität würden, frei nach Hayek, den sicheren Weg in die Knechtschaft bedeuten. Und zwar einer Knechtschaft, die nach außen von einer “Elite” vom Schlage eines Jean-Claude Juncker, Guy Verhofstadt, Heiko Maas, Uschi von der Leyen und vergleichbaren Kalibern repräsentiert würde.
Wer wird uns dieses Mal unsere Freiheit verteidigen? Vielleicht einmal wir selbst?
Thomas Punzmann ist Galerist in Frankfurt am Main.