Wahlfälschung als Möglichkeit ist auch vor der EU-Wahl ein Thema in persönlichen Gesprächen und im Internet. Wahlbeobachtung in möglichst allen Wahllokalen soll Wahlfälschung verhindern oder zumindest eindämmen. Kann Wahlbeobachtung das? Die Antwort ist ein klares; Nein.
Warum? Weil alles, was bei Wahlen in den letzten Jahren an Wahlfälschungen mit den sich draus folgenden Konsequenzen bekannt geworden ist, nicht Ergebnis von Wahlbeobachtung an Ort und Stelle war, sondern Folge von Bekanntwerden offenkundig unglaubwürdiger Ergebnisse hinterher.
Ein besonders drastisches Beispiel dafür ist die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen 2017, bei der auf so plumpe Weise der AfD in über 50 Stimmbezirken, auf das ganze Land verteilt, rund 2.200 Zweitstimmen gestohlen wurden, dass es bei Bekanntgabe der Ergebnisse Wahlbürgern sofort auffiel.
Wie wurde die Sache „bereinigt“? Die offensichtlich falschen Ergebnisse wurden auf Gemeindeebene, öffentlich nicht kontrollierbar, irgendwie korrigiert. Spätere offizielle Einsprüche gegen diese falsch ermittelten Ergebnisse wurden ausnahmslos mit dem Hinweis zurückgewiesen, dass die zunächst falschen Ergebnisse des vorläufigen amtlichen Endergebnisses inzwischen in den endgültigen amtlichen Endergebnissen korrigiert seien. Ein Einspruch gegen das Wahlergebnis insgesamt, mit der Begründung, dass die in über 50 von vielen tausenden Stimmbezirken festgestellten „Unregelmäßigkeiten“ nur die Spitze des Eisberges sei, wurde in letzter Instanz vom Verfassungsgericht des Landes Nordrhein-Westfalen mit der Begründung zurückgewiesen, dass von 50 offensichtlichen Wahlfälschungen nicht auf eine viel größere Zahl von unauffälligeren Wahlfälschungen geschlossen werden könne. Das Wort „Wahlfälschung“ wurde dabei sowohl vom Gericht als auch in der Medienberichterstattung darüber vermieden.
Auch aus Strafanzeigen wegen erwiesener Wahlfälschungen, wie in Mönchengladbach, wurde nichts. Die polizeilichen Ermittlungen wurden nach langer Zeit eingestellt, weil die Täter (angeblich) nicht zu ermitteln waren.
Warum – und damit kommen wir zum Thema Nützlichkeit von Wahlbeobachtung – konnten die Täter nicht ermittelt werden? Weil nicht zweifelsfrei feststellbar war, wer der Täter waren?
Da müssen wir zwischen Stimmauszählung und Übermittlung der Ergebnisse unterscheiden. Wenn die falschen Zahlen (z.B.: Null Zweitstimmen bei gleichzeitig 30 Erststimmen) in der Wahlniederschrift standen, dann wären die Täter im Wahlvorstand zu finden gewesen. Denn alle hätten die Wahlniederschrift unterschreiben müssen. Wenn jedoch die Ergebnisse – wie zu vermuten – richtig in der Wahlniederschrift standen, dann ist es ein Übertragungsfehler gewesen. Dabei ist dann nicht zu klären, ob die „Sender“ bei der telefonischen Durchsage eine Falschmeldung gemacht haben oder die Empfänger die Fehler bei der Aufnahme und Weitergabe der Ergebnisse fabriziert haben.
Die Empfänger sind auf der Gemeindeebene zu finden, die oder deren Vorgesetze dann auch von den Wahlleitern aufgefordert wurden, die offensichtlich falschen Zahlen zu korrigieren. Das ist nicht viel anders, als bei fehlendem Geld in der Kasse den Kassierer aufzufordern, den fehlenden Geldbetrag in die Kasse zu legen, um Unannehmlichkeiten für beide Seiten zu vermeiden.
Kann daraus geschlossen werden, dass auch bei der EU-Wahl Wahlfälschungen im größeren Stil und gleichgerichtet zu erwarten sind? Das ist sehr schwer abzuschätzen und sollte deshalb nicht ausgeschlossen werden. Wenn aber deshalb Wahlbeobachtung, dann gut vorbereitet und umfassend durchgeführt.
Die wichtigste Vorbereitung für interne Wahlbeobachter aus dem Kreis der Wahlvorstandsmitglieder und externer Wahlbeobachter ist die genaue Kenntnis der vorgeschriebenen Auswertungsverfahren nach den jeweiligen Wahlordnungen. Die Wahlordnung für die Wahl zum EU-Parlament (EuWO) ist in einigen wenigen, aber sehr wichtigen Punkten anders als bei Landtagswahlen oder Bundestagswahlen:
- Für die EU-Wahl gilt das Einstimmen-Wahlrecht. Das beschleunigt die Auszählungen enorm und senkt die Anfälligkeit für unbeabsichtigte Fehler. Es vermindert aber die Chance, hinterher unglaubwürdige Ergebnisse zu entdecken.
- Die EU-Wahlordnung kennt auch die umfangreiche Wahlniederschrift, die von allen Mitgliedern des Wahlvorstandes unterschrieben und von der aus das Wahlergebnis am Ort der Auszählung allen Anwesenden bekanntgegeben werden muss. Daneben gibt es bei der EU-Wahl ein weiteres Dokument, die Schnellmeldung. Die Schnellmeldungen müssen von denjenigen aus den Wahlvorständen unterschrieben werden, die die Zahlen bei der telefonischen Durchsage von der Schnellmeldung abgelesen haben.
Klingt kompliziert, ist aber sehr durchdacht, weil es eine Art doppelter Buchhaltung ist. Die Ergebnisse der Schnellmeldungen führen auf Gemeindeebene summiert zum vorläufigen amtlichen Endergebnis noch am Abend. Damit ist in Deutschland bei der EU-Wahl am 26. Mai schon deutlich vor 24.00 Uhr zu rechnen.
Die Ergebnisse aus den Wahlniederschriften, gleichfalls auf Gemeindeebene summiert, führen zum endgültigen amtlichen Endergebnis einige Tage später.
Bei den letzten Landtagswahlen in Hessen wurden die Schnellmeldungen abgeschafft und Wahlvorstände angewiesen, die Ergebnisse auf Grund der Wahlniederschriften durchzugeben. Das klingt wie eine Vereinfachung, hat aber zur Folge, dass wohl in fast allen hessischen Wahlkreisen das endgültige amtliche Wahlergebnis ganz einfach vom vorläufigen Wahlergebnis übernommen wurde. Erst wenn – wie vor allem in Frankfurt – Ergebnisse einzelner Stimmbezirke unglaubwürdig waren, wurde das auf Gemeindeebene auf äußerst undurchsichtige Weise korrigiert. Das ist einer der drei Punkte, die mich veranlasst haben, Einspruch gegen die Ergebnisse der hessischen Landtagswahl einzulegen. Über diesen ist vom hessischen Wahlprüfungsgericht noch nicht entschieden worden. Da wird sich vor der EU-Wahl auch nichts mehr tun.
Wer Wahlbeobachtung ernst nimmt, muss die öffentlich verkündeten Ergebnisse in jedem Stimmbezirk festhalten und dann sowohl mit den vorläufigen als auch den endgültigen amtlichen Wahlergebnissen vergleichen. Wahlbeobachtungs-Initiativen sind gut beraten, überörtliche Wahlbeobachtung auf zweierlei Weise zu organisieren:
- Die Ergebnisse der Stimmbezirke in Deutschland noch in der Nacht sichergestellen, um sie später mit dem endgültigen amtlichen Ergebnis vergleichen zu können. Wenn die Ergebnisse für eine Gemeinde absolut identisch sind, ist davon auszugehen, dass die Ergebnisse der Wahlniederschriften einfach von den Schnellmeldungen übernommen wurden. Was ein schwerer Verstoß gegen die Vorschriften der EU-Wahlordnung wäre.
- Eine Partei kann dafür sorgen, dass in den Gemeindewahlausschüssen, die das endgültige amtliche Wahlergebnis feststellen, Vertreter der eigenen Partei sind. Wenn das nicht der Fall ist, sollten zumindest an dieser öffentlichen Sitzungen wenige Tage nach der Wahl Wahlbeobachter teilnehmen.
Zwei weitere wichtige Tipps:
- Wahlbeobachtung vor Ort sollte möglichst nicht im Alleingang betrieben werden, sondern zu zweit. Das können sowohl ein Team von zwei externen Wahlbeobachtern sein, als auch interne Wahlbeobachter, die im Zweifelsfalle durch befreundeten externen Beobachter unterstützt werden.
- Die Wahlbeobachter sollten sich die Mitglieder der Wahlvorstände genau anschauen und vor allem den Wahlhelfern genau auf die Finger schauen, die vorher schon als Wahlkämpfer aufgefallen sind.
Wahlbeobachtung bei der Briefwahl
Gerade hat sich der Bundeswahlleiter laut „welt online“ mit erheblichem Medienecho zur Briefwahl geäußert:
Die Briefwahl beeinflusst die Prinzipien der gleichen und geheimen Wahl. Der Wahlzeitraum wird auf mehrere Wochen gestreckt.
Ob ein längerer Wahlzeitraum den Grundsatz der Gleichheit verletzt, darüber kann gestritten werden. Warum die Briefwahl auch die Prinzipien der geheimen Wahl beeinflussen kann, dazu schweigt sich der Bundeswahleiter an dieser Stelle aus.
Dazu ein klares Wort: Bei der Urnenwahl in einem Wahllokal ist die Wahl geheim, die Auszählung der Stimmen öffentlich. Bei der Briefwahl ist es oft umgekehrt: Die Wahl ist nicht geheim, die Auswertung der Stimmen nicht öffentlich.
Über die Wahl zuhause bis zur Anlieferung der Wahlbriefe zur Auswertung durch Wahlvorstände will ich an dieser Stelle nichts schreiben. Das ist ein eigenes interessantes Thema, sehr abhängig von der Größe einer Gemeinde und der Zusammensetzung der Briefwählerschaft. „Betreutes Wählen“ ist hier nur ein bewusst vages Stichwort dazu.
Warum schreibe ich „Auswertung“ und nicht wie üblich „Auszählung“ der Stimmen?
Die Antwort ist: Die Auswertung der Briefwahlstimmen als Oberbegriff beginnt einige Stunden vor 18.00 Uhr, die Auszählung als zweiter Teil der Auswertung erst um Punkt 18.00 Uhr. Vor 18.00 Uhr werden die äußeren roten Wahlbriefumschläge durch die Wahlvorstände geöffnet, die Wahlscheine mit vollständigem Namen und Adresse der Wähler entnommen und geprüft und dann die weiterhin verschlossenen blauen Stimmzettelumschläge in eine verschlossene Urne geworfen, die dann erst um 18.00 Uhr geöffnet werden darf. Das ist bei EU-Wahlen nicht anders als bei anderen Wahlen.
Auch die vorbereitenden Arbeiten vor 18.00 Uhr sind theoretisch öffentlich, praktisch aber geheim, weil die Möglichkeit der Beobachtung der Auswertung vor 18.00 Uhr weitgehend unbekannt ist. Die Vorsitzenden und Schriftführer der Wahlvorstände sind fast immer und langjährig „in fester Hand“ und reagieren oft sehr gereizt, wenn externe Wahlbeobachter auftauchen. Jeder Versuch, genauer hinzuschauen oder etwas zu erfragen, kann auf Grund konkreter Erfahrungen als Störung behauptet werden und wirksame Beobachtung verhindern.
Bei den vorbereitenden Arbeiten sind Wahlfälschung möglich, die auch hinterher kaum aufzudecken sind. Wenn irgendetwas auf dem Wahlschein nicht in Ordnung ist, kann der gesamte Wahlbrief zurückgewiesen werden, die entsprechenden Stimmen gelten jedoch nicht als ungültig, sondern als nicht abgegeben. Solche zurückgewiesenen Stimmen fallen dann in ein statistisches Loch, nämlich in die große Zahl der Nichtwähler.
Nur durch die konkrete Beobachtung der vorbereitenden Arbeiten der Wahlvorstände in etlichen von 27 Briefwahlbezirken unter einem Dach in Darmstadt führte zu dem konkreten Verdacht, dass eine größere Zahl von Stimmzetteln zu Unrecht zurückgewiesen wurden. Näheres zu dieser etwas komplizierten Materie kann auch in meinem Wahleinspruch nachgelesen werden.
Zwischenfazit:
Wenn schon externe Wahlbeobachtung vor Ort am Wahltag beabsichtigt wird, sollte der Schwerpunkt bei der Beobachtung der Auswertung der Stimmen aus den Briefwahlbezirken liegen, und da schon vor 18.00 Uhr.
Da kann schon die Nachfrage bei der Gemeinde nach Beginn und Ort dieser Arbeiten der Briefwahlvorstände sehr nützlich sein.
Wahlbeobachtung in den Wahlausschüssen
Dazu kann ich bisher nur theoretisch etwas sagen, weil ich weder bisher in einem solchen Wahlausschuss, noch als externer Besucher bei einer Sitzung eines solchen Wahlausschusses Beobachter war.
Die Wahlausschüsse, deren Mitglieder vom jeweiligen Wahlleiter nach dem Wahlergebnis der vorausgegangenen Wahlen berufen werden, stellen die endgültigen amtlichen Wahlergebnisse für die entsprechenden Gemeinden fest. Nach der EU-Wahlordnung müssen den Mitgliedern der Wahlausschüsse auf Verlangen vorher Einsicht in die Originaldokumente (Wahlniederschriften, Schnellmeldungen, Anlagen der Niederschriften) gewährt werden.
Das ist nach allem vorher Geschriebenen die effektivste Art, Wahlbeobachtung zu betreiben.
Wenn dann noch Einzelbeobachtungen (z. B. Notierung der vorläufigen amtlichen Ergebnisse vor Ort) mit den im Wahlausschuss zu behandelnden endgültigen amtlichen Ergebnis zusammenfließen, umso besser.
Gesamtfazit:
Wahlbeobachtung auch bei der EU-Wahl ja,
- aber gut vorbereitet (z. B. EU-Wahlordnung kennen),
- gezielt (z. B. Schwerpunkt: Briefwahlauswertung) und
- umfassend (z. B. Beobachtung bei der öffentlichen Sitzung der Wahlausschüsse)
Andere Wahlen am 26. Mai 2019
Am Sonntag, dem 26. Mai finden auch andere Wahlen in Deutschland statt. So Landtagswahlen in Bremen und Kommunalwahlen in vielen Bundesländern. Die Ergebnisse dieser Wahlen dürfen erst nach den Ergebnissen der Europawahl ausgezählt werden.
Die Landtagswahlen in Bremen sind mit Sicherheit wesentlich „störanfälliger“ als die EU-Wahl woanders und sollten deshalb noch intensiver beobachtet werden als die EU-Wahlen. Das gilt vor allem für die Briefwahlen, deren Auswertung vor 18.00 Uhr (s. oben) gleichzeitig mit der Auswertung der Briefwahlen für die EU-Wahl in Bremen erfolgt.
Die Zählung der Stimmen bei den Kommunalwahlen nach Zählung der Stimmen bei den EU-Wahlen ist hochkompliziert und langwierig, sodass meistens die Zählung sowohl bei der Urnenwahl als auch der Briefwahl entweder erst gar nicht begonnen oder abgebrochen wird. Die Auszählung findet dann in den nächsten Tagen bei den Gemeinden statt. Auch das ist öffentlich zugänglich.
Die Vorbereitung der Auszählung der Briefwahlergebnisse vor 18.00 Uhr durch Öffnung der äußeren, roten Wahlbriefumschläge dürfte aber für alle Wahlen an diesem Tage parallel oder nacheinander erfolgen. Da werden Wahlbeobachtungen besonders interessant sein.
Diplom-Kaufmann Dieter Schneider ist ein Wahlforscher besonderer Art.
Bei Tichys Einblick hat er schon mehrfach kritisch über die Übergröße deutscher Parlamente auf Landesebene und Bundeebene geschrieben und erklärt, wie es dazu kommt. Bei den augenblicklichen Prognosen für die nächste Bundestagswahl kommt er bei seinen ständig aktualisierten und nachvollziehbaren Berechnungen auf über 800 Mandate.
Schneider ist auf unterschiedlichste Weise praktizierender Wahlbeobachter:
- Als Besucher von Stimmauszählungen, besonders von Briefwahlergebnissen (Er nennt sie externe Wahlbeobachter)
- Als Wahlhelfer in Wahlvorständen (Er nennt sie interne Wahlbeobachter)
- Als Analytiker von Wahlergebnissen bis zurück in einzelne Stimmbezirke
- Als Beobachter von Empfehlungen und Erfahrungsberichten unterschiedlichster Art für eine wirksame Wahlbeobachtung
- Als neu berufenes Mitglied in einem örtlichen Wahlprüfungsausschuss
- Als Beobachter unterschiedlichster Wahleinsprüche in der Vergangenheit und deren Behandlung durch Wahlprüfungsausschüsse und Gerichte
- Als einer, der seine Beobachtungen bei der letzten Landtagswahl in Hessen zu einem qualifizierten Wahleinspruch genutzt hat