Tichys Einblick
Tabuisieren gilt nicht und hilft nicht

Vorsicht Selbstzensur: Merkwürdige Zeiten

So lange wir den öffentlichen Diskurs von den Dogmatikern bestimmen lassen, wird sich auch in Zukunft an der Flüchtlings- und Integrationspolitik nichts ändern.

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Es sind merkwürdige Zeiten, die wir gerade erleben. Merkwürdig deshalb, weil ich mich auch nach wochenlangen intensiven Überlegungen noch nicht in der Lage dazu fühle, ein adäquateres Adjektiv zur Beschreibung der momentanen Situation und Stimmung in Deutschland und Europa zu wählen. Eine Stimmung, die ich als verhältnismäßig junger Mensch, der sich die meiste Zeit seiner Jugend und die komplette Zeit seines Erwachsenenlebens mit Politik auseinandergesetzt hat, noch nie erlebt habe.

Kritische Auseinandersetzung hält Einzug

Umso genauer habe ich alles um mich herum beobachtet, versucht, die Stimmung der Menschen um mich herum und in Deutschland generell zu erfassen und zu analysieren, was nicht zuletzt auch immer wieder eine kritischere Auseinandersetzungen mit mir selbst und meiner Einstellung beinhaltete. Als Bloggerin und Aktivistin geschah dies bei mir vor allem über das Internet, die sozialen Medien, aber auch über persönliche Gespräche mit Freunden und Bekannten. Dabei bin ich mehrheitlich weder auf durchweg positive Meinungen gestoßen, wie sie einem im Sommer noch zu Hauf in den sozialen Netzwerken und persönlichen Gesprächen begegnet sind, noch auf polemische, gar hetzerische Aussagen gegenüber Flüchtlingen oder Muslimen im Allgemeinen. Stattdessen hielt die kritische Auseinandersetzung Einzug in den privaten und öffentlichen Diskurs.

Ein Diskurs, der jedoch innerhalb der Bevölkerung und teils auch mittlerweile im Journalismus deutlich offener und kritischer geführt wird als in der Politik, und genau diese Diskrepanz zwischen Bevölkerung und Politik ist das Problem, der Tropfen, der das Fass jederzeit zum Überlaufen bringen könnte.

Natürlich muss man mit der eigenen subjektiven Wahrnehmung vorsichtig umgehen. Und selbstverständlich habe ich mir deshalb den Kopf darüber zerbrochen, ob der Ausschnitt von Stimmungen, vor allem jene aus dem Internet, die Meinung der breiten Mehrheit abbildet oder doch nur die der Internetpöbler, die sich genüsslich auf jeden Beitrag zum Thema Flüchtlinge stürzen, um ihren Ressentiments Luft zu machen. Und natürlich muss man dabei Abstufungen machen.

Bei FocusOnline und n-tv, die mittlerweile fast durchweg kritisch und dabei auch hin und wieder tendenziös über die Flüchtlingsproblematik berichten, sind logischerweise harschere Töne und härtere Kritiken von Seiten der Artikel-Kommentatoren deutlich häufiger als unter Artikeln der Süddeutschen. Nichts desto trotz wird auch hier der Ton schärfer, die Kritik lauter. Nur noch ganz vereinzelt trifft man auf die Idealisten des Sommers, die „Gutmenschen“, wie sie oft von der Gegenseite abschätzig betitelt werden.

Die kritische Auseinandersetzung, aber auch die Sorge und mitunter die Ablehnung gegenüber der Flüchtlingspolitik, das muss nun auch der Letzte erkennen, ist längst in der ganz normalen Mitte der Gesellschaft angekommen. Das bedeutet zugleich, dass sie sich in ihrer Differenziertheit und ihrer ehrlichen und fundierten Argumentation nicht als dummes Geschwafel des „Pegida-Packs“ abtun lässt. Statt mit der Karikatur des besorgten Bürgers, dem pegidaischen Xenophobiker, der seine Ressentiments gegenüber dem Fremden in ein falsches Gewand hüllt, haben wir es jetzt mit dem wirklichen, dem berechtigt besorgten Bürger zu tun, an dem seit Wochen und Monaten vorbeiregiert wird. Darunter nicht nur jene, die der Flüchtlingsfrage von Anfang an kritisch gegenüberstanden, sondern auch – und das sollte aufmerksam machen – jene, die sich noch vor wenigen Wochen selbst noch über die „besorgten Bürger“ lustig machten.

Es sind jene, die nicht in der Anfangsabwehrhaltung verharrt sind, in der es der menschliche Anstand vor dem geschichtlichen Hintergrund des eigenen Landes geboten hatte, dem Rechtsradikalismus hierzulande Einhalt zu gebieten, sondern begonnen haben, die Situation konsequent zu Ende zu denken, sich zu fragen, wie es weitergeht mit nun einer Million Flüchtlingen im Land – und ich warne eindringlich davor, diese Menschen nicht ernst zu nehmen, oder unter dem Schleier der Political Correctness in öffentlichen oder auch privaten Debatten mundtot zu machen.

Vorsicht Selbstzensur

Im Übrigen war auch ich eine, die sich über die pegidaische Persiflage des besorgten Bürgers lustig machte, die Menschen verspottete, die Phrasen von sich gaben, wie „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen…“. Wie schwierig es hierzulande ist, sich kritisch zu äußern, musste ich jedoch nur wenig später am eigenen Leib spüren. Dabei wurde mir auch bewusst, wie schnell die Selbstzensur greift in Anbetracht der sozialen Erwünschtheit. Nicht nur, dass ich plötzlich merkte, wie sehr ich mir selbst schon im Vorfeld Gedanken darüber machte, was ich nun sagen könne und was nicht und vor allem, wie es zu formulieren sei und dass ich zudem bei jedem kritischen Kommentar Angst haben musste, dass ich damit jemanden so verärgern könnte, dass er nicht mehr mit mir redet, nein, ich wurde auch wirklich angefeindet.

Natürlich war es zumindest von linker Seite zu erwarten, dass man meine kritischen Worte eventuell nicht teilt und dennoch war ich in meiner naiven Vorstellung wirklich überrascht, wie viel Intoleranz ob meiner Meinung mir von Seiten der eigentlichen Toleranzwächter in diesem Land mit einem Mal entgegenschlug. Nun könnte man sich fragen, was ich denn so Schlimmes von mir gegeben habe, deshalb möchte ich an dieser Stelle kurz auf meine Gedanken, die ich mir in den letzten Wochen zu dem Thema gemacht habe, eingehen:

Zum einen bin ich der Ansicht, dass die Verteilungskämpfe in diesem Land, speziell am unteren Rand der Gesellschaft, drastisch zunehmen werden und dass dem eine noch nicht abzuschätzende soziale Sprengkraft innewohnt, die den sozialen Frieden und damit auch die innere Stabilität in Deutschland gefährdet. Eine gewisse Anzahl an Flüchtlingen ist in Bezug auf unser Sozialsystem sicherlich machbar. Schwieriger wird es bei den Zahlen, die wir aktuell haben und noch erwarten dürfen.

Asylverfahren, Arbeitserlaubnis – all das nimmt in Deutschland unsäglich viel Zeit in Anspruch. Zeit, in dem der Staat für die Flüchtlinge aufkommen muss. Zudem erscheint es nach derzeitigem Kenntnisstand unwahrscheinlich, dass man einen Großteil der Flüchtlinge, die hier bleiben dürfen, direkt in den deutschen Arbeitsmarkt integrieren kann. Die Mär vom syrischen Arzt hat sich längst selbst überholt. Gerade die Menschen am unteren Rand der Gesellschaft werden gerade auf lange Sicht immer weniger Verständnis dafür haben, dass jemand, der nie in dieses System eingezahlt hat, die gleichen Leistungen erhält, wie jemand, der sein Leben lang gearbeitet hat und dem am Ende nach zwei Jahren Arbeitslosigkeit nur noch Hartz-IV oder in der Rente nur die Grundsicherung bleibt. Schon Milton Friedman merkte an, dass man entweder offene Grenzen oder einen Wohlfahrtstaat haben könne. Insofern bräuchte es dringend ein Einwanderungsgesetz, welches Menschen, sofern nicht von Krieg und Elend bedroht, auch wieder schnell in ihre Heimatländer ausweist, wenn sie hier auf Dauer keine Arbeit finden. Das ist der wirtschaftliche Aspekt (wobei langfristige Kosten, die z.B. durch eventuell mangelnde Integration und Bildung der Nachfolgegenerationen noch entstehen könnten, noch gar nicht eingerechnet worden).

Zum anderen habe ich in den letzten Wochen immer wieder Zweifel an der Machbarkeit der Integration von muslimischen Flüchtlingen erhoben. Hier zeigt sich, wie schwierig die politische Auseinandersetzung mit dem Thema wirklich ist. Ein Thema, das wie kein Zweites in unserer heutigen Zeit das liberale Paradoxon der Toleranzfrage offenbart und zeigt, wie komplex und ambivalent politische Überlegungen sein können und im Kern die Frage behandelt, ob und in welchem Maße man die Intoleranz in liberalen Gesellschaften tolerieren müsse, oder ob in diesem Fall die liberale Toleranz gegenüber der Intoleranz zur Einschränkung der Freiheit und so zum Risiko aller werden könnte. Auf den Fall der Integration vor allem arabischer Muslime angewandt, bedeutet dies, dass wir uns fragen müssen, inwiefern wir unsere Toleranz gegenüber dem Islam und seinen Überzeugungen einschränken müssen, um unsere gesellschaftliche Freiheit zu wahren.

Grenzen der „Umerziehung“

So würde ich mich durchaus als weltoffenen, an anderen Kulturen interessierten Menschen bezeichnen. Müsste ich mich als liberal denkende Person jedoch zwischen kultureller Toleranz und dem Erhalt unserer freiheitlichen Werte entscheiden, wäre meine Entscheidung klar. Insbesondere als Frau ist es mir ein Anliegen, dass der bisherige Status Quo der Gleichberechtigung von Frau und Mann erhalten bleibt und weiter ausgebaut wird. Als selbstbewusste Frau ist es für mich ferner nicht vorstellbar, eine Kultur, eine Religionsausübung im öffentlichen Raum zu tolerieren, die mich als minderwertig ansieht. Darüber hinaus sollte dies auch von der Gesellschaft an sich nicht toleriert werden. Dabei stört mich, dass in der politischen Debatte nur allzu oft so getan wird, als könne man die Menschen dahingehend leicht „umerziehen“ und ihnen unsere Werte vermitteln. Hier ist festzuhalten, dass es sich nicht um den vergleichsweise moderaten europäischen Islam der türkischen und kurdischen Migranten handelt, die in den 1950er und 1960er Jahren zu uns kamen und deren Kinder und Kindeskinder bereits hier geboren wurden.

Der Islam, der jetzt zu uns kommt, ist ein anderer und ich bin skeptisch, dass wir es schaffen werden, diese Menschen adäquat zu integrieren, wenn wir es teilweise auch nach Jahrzehnten nicht geschafft haben, die dritte und vierte hier geborene Generation der türkischen und kurdischen Migranten zu integrieren.

Parallelgesellschaften sind seit Jahren keine Seltenheit, der radikale Islam wächst und gedeiht nicht nur im Nahen und Mittleren Osten, sondern auch direkt hier bei uns. Menschen, die hier geboren worden, schließen sich dem IS an und obwohl sich nichts am öffentlichen Umgang mit dem Thema Integration geändert hat, meinen wir plötzlich, dass wir es dieses Mal besser machen werden. Das erweckt bei vielen Menschen und auch bei mir berechtigte Zweifel. Es ist an der Zeit – und die kritische Stimmung innerhalb der Bevölkerung belegt das – dass wir aufhören, die Menschen von ihrer Selbstverantwortung freizusprechen und sie als bloße Opfer der gesellschaftlichen und sozialen Umstände zu betrachten. Man tut unserer Gesellschaft und diesen Menschen keinen Gefallen damit, dass man nicht von ihnen fordert. Jean-Paul Sartre würde sogar so weit gehen, zu sagen, man nähme ihnen damit die Würde. Dabei geht es nicht darum, von Anfang an volle Anpassung zu fordern. Es ist nur logisch, dass entwurzelte Menschen nach Orientierung suchen und dass sie dabei ihre Identität nur allzu oft durch Rückbindung an die eigene Kultur definieren, aber diese Zeit, die man ihnen gibt und die Toleranz, die man ihnen entgegenbringt, darf nicht so weit führen, dass man die eigene Freiheit, die eigenen, teils über Jahrhunderte mühsam errungenen Werte opfert.

Es war diese Meinung, die in den letzten Wochen dazu führte, dass ich mehrfach harsch von vornehmlich linker Seite angegriffen wurde. Es ist die ewige Diskrepanz zwischen einer Welt, wie sie manche gerne hätten und der Welt, wie sie ist, die es manchen so unglaublich schwer macht, kritisch zu differenzieren und andere Meinungen auszuhalten. Diese Personen tabuisieren die öffentliche Debatte über Obergrenzen, ein vernünftiges Einwanderungsgesetz, Integration genauso wie die Debatte über grundsätzliche kulturelle und religiöse Aspekte und so lange wir den öffentlichen Diskurs von diesen Menschen bestimmen lassen, wird sich auch in Zukunft an der Flüchtlings- und Integrationspolitik nichts ändern. Die Diskrepanz zwischen gesellschaftlicher Mehrheit, Politik und Medien wird weiter wachsen.

Genauso wie der Unmut. Aber genau diesen kritischen Diskurs aus der Mitte der Gesellschaft braucht es. Weil er eben nicht Pegida und auch nicht Gutmensch ist, sondern der realitätsnahe Mittelweg, den es unbedingt aufzugreifen gilt, damit der soziale Friede langfristig gewahrt wird. Denn wie wir damit umgehen, wird darüber entscheiden, ob die Stimmung hierzulande doch irgendwann so düster sein wird, wie sie in Frankreich und anderen europäischen Staaten, in denen mittlerweile zu einem beachtlichen Anteil Rechts gewählt wird, bereits ist. Je länger die hiesige Politik ihr Versagen in der Flüchtlingsfrage aussitzt, desto wahrscheinlicher wird auch hier ein Abdriften der Mitte nach Rechts. Die Konsequenz ist eine Rückkehr zum Nationalismus in Europa, dessen Tendenzen wir in unseren Nachbarländern beobachten können. Hieran wird sich nicht zuletzt das Schicksal der Europäischen Gemeinschaft manifestieren.

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