Er war der Herr der steilen Graphen in der Pandemie. Einige seiner Pressekonferenzen sind nahezu legendär. „Die Corona-Maßnahmen dürfen nie hinterfragt werden“, sagte Wieler einmal. Vor Corona konnten sich nur wenige den Tierarzt und Präsidenten des Robert-Koch-Instituts (RKI) in Erinnerung rufen. Hatte man beruflich mit Erregern und Seuchen zu tun, dann kannte man ihn freilich – und sein Institut ebenfalls. Vieles, was Wieler in der Pandemie sagte und tat, war falsch. Aber sicher für die Politik des ihm vorstehenden Gesundheitsministers hilfreich und nützlich.
Eine große Behörde zu führen, bedeutet Verantwortung. Nicht nur gegenüber seinen Mitarbeitern. Nein. Verantwortung hat man eben auch gegenüber den Bürgern. Zu den Kernaufgaben des RKI gehört die Erkennung, Verhütung und Bekämpfung von Krankheiten. Hierzu zählt insbesondere die Verhinderung von Infektionskrankheiten und deren Ausbreitung sowie die Erarbeitung von wissenschaftlichen Erkenntnissen, die als Grundlage für gesundheitspolitische Entscheidungen dienen sollten.
In der Pandemie versagt
Doch hier haben Wieler und sein RKI in der Pandemie versagt. Bis heute ist es dem RKI nicht gelungen, saubere Daten bezüglich der Pandemie zu sammeln und wissenschaftlich auszuwerten. Nach fast drei Jahren gibt es weiterhin keine Differenzierung, ob jemand mit oder an Covid verstorben ist. Dieses Beispiel steht stellvertretend für ein Versagen, das ohnegleichen ist. Wie kann es sein, dass es eine Behörde mit etwa 1150 Mitarbeitern nicht schafft, brauchbare Daten zu generieren?
Könnte dieses Versagen nicht doch der puren Unwissenheit oder gar Unfähigkeit entsprungen sein? Möglich. Aber unwahrscheinlich. Denn selbst wenn Wieler keine Erfahrung mit Ausbrüchen von Infektionserkrankungen und deren Management hatte und auch ahnungslos von der Generierung brauchbarer Daten und deren Auswertung gewesen wäre, so standen ihm doch fähige Mitarbeiter zur Seite. Das RKI bildet selbst aus, tauscht immer wieder Mitarbeiter mit der ECDC (Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten) aus und bringt regelmäßig hervorragende Spezialisten hervor, die auch in den eigenen Reihen zu finden sind. Das notwendige Know-how hat das RKI. Die Pferdestärken bringt es jedoch nicht auf die Straße.
Deshalb muss die Frage ausgeleuchtet werden, weshalb das RKI teilweise so dilettantisch vorging und diesen Kurs drei Jahre stoisch beibehielt. So ziemlich jeder Gastwissenschaftler oder Trainee in der epidemiologischen Ausbildung am RKI kann eine bessere Datenerhebung samt anschließender Auswertung hinbekommen. Wenn man ihn lässt.
Das RKI ist zu beamtisch und abhängig
Wer etwas kann, aber beharrlich nicht macht, der will nicht. Das gilt auch hier: Die Generierung brauchbarer Daten und deren Auswertung war nicht gewollt. Das RKI hängt wie eine Marionette am Faden des Bundesgesundheitsministeriums. Sowohl der Präsident als auch die Abteilungsleiter dürften alles Beamte sein. Widerworte oder gar große Widerstände gegen den Bundesgesundheitsminister sind daher nicht zu befürchten. Und auch Wieler selbst musste aus den eigenen Reihen nicht damit rechnen.
Aber was ist nun zu tun? Wie kann das RKI es besser machen? Die Lösung liegt auf der Hand – das RKI muss aufgelöst werden. Im Übrigen gilt das auch für die Ständige Impfkommission (STIKO) und das Paul-Ehrlich-Institut (PEI). Um deren Beeinflussbarkeit und Abhängigkeiten soll es hier nicht gehen. Jedoch bietet es sich sinnvollerweise an, sowohl das PEI als auch die STIKO in ein neues „RKI“ einzugliedern. Aber wie soll eine neues RKI aussehen? Welche Aufgaben soll es haben?
Ein neues Institut muss her
Als neues Public-Health-Institut, also ein Institut für die öffentliche Gesundheit, muss völlig unabhängig und frei sein. Strukturen, die es ermöglichen, politischen Druck oder Zwang auszuüben, müssen bewusst ausgeschlossen werden. Zu groß ist die Gefahr der Einflussnahme, wie uns nun die Pandemie gezeigt hat.
Warum unterließ man dies? Man hätte hervorragende Einblicke über deren Infektionszahlen, Ansteckungen und Verläufen gewinnen können. Weshalb ist bis heute noch immer nicht genau zu klären und in offiziellen Zahlen auszudrücken, wer mit oder an Covid verstarb? Das Gleiche gilt nun für die Impfung. Auch hier scheint politischer Unwille einer sauberen Datenerhebung entgegenzustehen. Deshalb muss das zukünftige Public-Health-Institut unabhängig sein.
Aber was braucht es noch? Natürlich werden Infektionserkrankungen und auch Pandemien weiterhin eine Rolle spielen. Daher ist es essentiell, aus vergangenen Pandemien zu lernen. Ebenso wichtig ist die Gesunderhaltung der Bevölkerung im Sinne der allgemeinen Gesundheits-Prävention.
Prävention ist die Zukunft
Neben einer guten Krisenkommunikation vermisste ich als Arzt während der Pandemie Programme und Empfehlungen, wie Kinder, Jugendliche und Erwachsene gut durch einen Lockdown oder sonstige Einschränkungen kommen. Die Bevölkerung wurde sich in einer Situation selbst überlassen, in der Informationen viel bewirkt hätten.
Denn was zeigt sich nun als Folge dieser Maßnahmen? Über eine Zunahme der Fettleibigkeit und eine Zunahme der psychischen Erkrankungen bei Kindern wird berichtet. Sogar das Rauchen hat wohl wieder zugenommen. Hier hätten geeignete Empfehlungen den Nebenwirkungen der Maßnahmen gut entgegenwirken können. Aber dies hatte man nicht im Blick. Weshalb? Weil eben der gesamte Blick auf die Bevölkerung fehlte. Eigentlich genau das, was die Aufgabe der Epidemiologie und von Public-Health ist: ein gesamtheitlicher Blick auf die Gesundheit der Bevölkerung.
Die Verhinderung von Entstehung und Verbreitung von Erkrankungen, das Beobachten und zukünftige Verhindern sozialer Folgen von Pandemien und Epidemien, die Verhinderung von Krankheiten allgemein, einer Verlängerung eines gesunden Lebens sowie die Förderung der Gesundheit innerhalb einer Gesellschaft – das wären die Kernaufgaben eines neuen Instituts für die öffentliche Gesundheit. Man darf ja noch Träume haben.
Dr. med. Friedrich Pürner, MPH, ist Facharzt für Öffentliches Gesundheitswesen und Epidemiologe.