Tichys Einblick
Sebastian Matthes rechnet mit jungen Helden und Heldinnen der Arbeitswelt ab

„Unsicher, ziellos und wenig belastbar“: Eine Abrechnung mit der Generation Y

Liebe Generation Y!

Es ist viel geschrieben worden über euch. Dass ihr kreativ seid, die Freiheit liebt, anders über Karriere denkt. Dass ihr Unternehmen radikal verändern werdet, weil ihr Dinge hinterfragt und verstaubte Strukturen aufbrechen wollt.

Aber ganz ehrlich: So erlebe ich nur die wenigsten von euch. Im Gegenteil.




Ich erlebe eine Generation, die irgendwie ziellos und unsicher durch ihr Leben surft – auf der Suche nach einer kreativen, ausgeglichenen, teamorientierten, sicheren Traumwelt. Einer Welt, die es so nicht gibt – und die es nie geben wird.

Work-Life-Balance noch vor Work und Life

Liebe Generation Y, wenn ich euch so sehe, dann sehe ich viel zu viele Menschen, die sich Gedanken über ihre Work-Life-Balance machen, noch bevor Work und Life so richtig begonnen haben.

Fast jeden Tag höre ich neue Beispiele: Ein befreundeter Besitzer einer stark wachsenden EDV-Beratung im Rheinland etwa ist auf der Suche nach jungen Leuten, die er als potenzielle Mitglieder der Geschäftsführung aufbauen kann.

Doch, so erzählt er, nach anfänglicher Euphorie geben die Kollegen auf und begnügen sich damit, was sie haben. Sonderprojekte bleiben liegen. Ideen auch. Immer wieder. Es fehle den jüngeren Kollegen der Biss und der Wille, die extra Meile zu gehen, sagt er.

Es ist ein Einzelfall, klar. Doch einer von vielen, die sich wie Mosaiksteine zu einem Bild zusammensetzen.

Ich dachte lange, liebe Generation Y, dass ihr vielleicht einfach falsch verstanden werdet. Vielleicht habt ihr andere, bessere Ideale, dachte ich, und einen Masterplan, den außer Euch keiner kennt. Doch ich beginne zu zweifeln.

Natürlich seid ihr nicht alle gleich. Und es gibt ja auch einige unter euch, die sehr ehrgeizig Ziele verfolgen; brillante Teamplayer, die richtig etwas bewegen. In meinem Team habe ich sehr viele davon.

Doch solche Menschen gab es schon immer.

Es gibt nicht auf einmal mehr davon. Sondern eher weniger. Die jungen Menschen heute sind „längst nicht alle kreative Freigeister, die viele unter der Generation Y verstehen“, sagte neulich Ex-Telekom-Personalvorstand Thomas Sattelberger. „Ich erlebe eine zutiefst verunsicherte oder rückwärtsgewandte Generation.

Eine verunsicherte Generation mit einer interessanten Haltung. Da bewarb sich eine 23-jährige Studentin um ein Praktikum bei einer großen Unternehmensberatung. Sie bekam eine Zusage für Düsseldorf – und antwortete: „Leider werde ich im Sommer in Köln wohnen. Jeden Tag mit der Bahn zu fahren, dauert mir zu lange, das ist für mich leider nicht möglich.“

Zur Erinnerung: Die Bahnfahrt dauert rund 30 Minuten.

Menschen, die viel mit euch zu tun haben, liebe Generation Y, sehen eine Generation, die sich extrem schnell überfordert fühlt, der es schwerer fällt, sich durchzubeißen. Sie sehen eine Generation, die einfach etwas weinerlich ist.

Es muss ja nicht gleich die „Work hard play hard“-Leistungskultur der New Economy sein. Die war ungesund.

Aber vielleicht fehlt vielen von euch ein klares Ziel. Denn erst wenn die Richtung feststeht, werden Entscheidungen logisch und Niederlagen verkraftbar. Steht die Richtung nicht fest, ist jeder Schritt irgendwie beliebig. Und das macht die Sache anstrengend – und auf Dauer macht das unglücklich.

Kürzlich erschien eine Studie, wonach unter den Vertretern der Generation Y angeblich jeder Fünfte depressiv sei. Zu diesem Schluss kam die US-Beratungsfirma Bensinger, DuPont & Associates. Auch wenn die Welt in den USA anders aussieht, passt es doch ins Bild.




Der Besitzer einer Kommunikationsberatung erzählte mir vor ein paar Tagen die Geschichte eines jungen Mitarbeiters, der über die hohe Belastung in seinem Job klagte. Das Unternehmen reagierte und setzte ihn anders ein. Er war zufrieden.

Doch nach ein paar Monaten klagte der junge Kollege, dass er nun keinen Kundenkontakt mehr habe. Das Problem aber in Beratungen ist, dass Kundenkontakt mehr Arbeit bedeutet. Reisen. Präsentationen vorbereiten. Abendtermine. Genau das hatte ihn zuvor stark belastet.

Man könnte den Eindruck gewinnen – und das bestätigen gerade viele Personalchefs und Unternehmer – dass ihr, liebe Generation Y, mit viel zu großen Ansprüchen ins Berufsleben startet:

Der Arbeitgeber muss ein perfektes Umfeld schaffen, ein Wohlfühlklima, ein Team aus Freunden, einen perfekten Job. Kurz: Das Unternehmen muss erstmal liefern.

Früher einmal war es anders herum.

Ihr wollt hoch hinaus, das höre ich immer wieder. Aber ihr wollt am liebsten bequem mit der Seilbahn auf den Gipfel. Das passt nicht zusammen. Denn nicht auf jeden Gipfel gibt es eine Seilbahn.

Und – das kann man nicht wegdiskutieren – der Weg auf die meisten Gipfel ist anstrengend. Gerade am Anfang, wenn man sein Tempo noch nicht so recht gefunden hat.

Aber was viele von euch, liebe Generation Y, übersehen: Wir sind am Anfang unseres Berufslebens so leistungsfähig wie später nie wieder. Nach zehn Jahren im Job sind wir erfahrener, können Dinge besser einordnen und werden dadurch effizienter. Aber die Lernkurve wird mit den Jahren immer flacher.

Seilbahn zum Gipfel – es geh los!

Liebe Generation Y, was ihr jetzt erreicht, kann euch später niemand mehr nehmen. Aber dafür müsst ihr euch festlegen. Auf ein Ziel. Eine Mission. Und das fällt vielen von euch unglaublich schwer.

Neulich hatten wir einen Praktikanten-Bewerber, der am liebsten sofort beginnen wollte. Eigentlich haben wir einen langen Vorlauf. Doch der junge Mann sah interessant aus. Als wir dann am nächsten Tag zusagten, antwortete er knapp, er müsse nun erstmal überlegen, ob er das überhaupt wolle.

Aber was genau wollt ihr eigentlich, Liebe Generation Y?

Ihr sprecht von Freiheit. Aber ich sehe eine Generation, die am liebsten beim Staat oder bei großen Konzernen arbeiten will. Ihr wollt eine Freiheit mit einem Sicherheitsnetz, das so kräftig ist wie die Stahlseile einer Eisenbahnbrücke.

Das Problem dabei: Diese Sicherheit gibt es nicht. Vor allem in den Branchen und Unternehmen, die die Zukunft gestalten. Kein Wunder, dass in Deutschland so wenige Hightech-Startups gegründet werden wie seit Jahrzehnten nicht.

Die meisten Branchen stehen vor dramatischen Veränderungen: Die Autoindustrie, die Medienwelt, Banken, Handelsunternehmen: In keinem Unternehmen der größten Branchen bleibt ein Stein auf dem anderen. Die eigentlichen, durch die Digitalisierung und Automatisierung getriebenen Veränderungen, stehen erst noch bevor. Es wird massenhaft Umstrukturierungen geben, Firmen werden vom Markt verschwinden.

Und das ist eine gute Nachricht!

Denn ihr seid in einer einmaligen Situation: Ihr werdet all diese Veränderungen gestalten können.

Ihr werdet die Medienunternehmen der Zukunft aufbauen, den Autoantrieb von Morgen entwickeln und ihr werdet Antworten darauf finden, wie eine komplett saubere Energieversorgung aussieht.

Doch das wird euch nur gelingen, wenn ihr ausbrecht aus der kuscheligen Wohlfühl-Welt, wenn ihr Risiken eingeht und damit anfangt, die Dinge wirklich einmal zu hinterfragen.

Die Suche nach Sicherheit dagegen ist das größte Risiko.

Packt es an!

Sebastian Matthes war Ressortleiter in einem führenden Wirtschaftsmagazin und ist Chefredakteur der Huffington Post. Und: Dieser Beitrag ist auf Huffington Post erschienen.




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