Tichys Einblick
Porträt Tamás Sulyok

Ungarns neu gewählter Staatspräsident

International ist wenig über den neuen Staatspräsidenten Ungarns, Tamás Sulyok, bekannt. Doch lohnt sich ein Blick auf den Neugewählten, der ein großer Freund Deutschlands ist. Von Bence Bauer

Tamás Sulyok nach seiner Wahl zum ungarischen Staatspräsidenten, Budapest, Ungarn,, 26. Februar 2024

IMAGO / Xinhua

Vor mehr als zwei Wochen trat Katalin Novák als Präsidentin Ungarns zurück, am 26. Februar 2024 erfolgte auch die formal endgültige Annahme dieses Rücktritts durch die Ungarische Nationalversammlung. Das Parlament hatte ein Mammutprogramm zu bewältigen, wurde doch schließlich am selben Tage nicht nur die Nato-Mitgliedschaft Schwedens ratifiziert, sondern auch der Jurist und bisherige Präsident des ungarischen Verfassungsgerichts, Dr. Tamás Sulyok, zum neuen Präsidenten bestimmt.

Für Sulyok votierten 134 Abgeordnete von 199, womit er bereits im ersten Wahlgang die erforderliche Zweidrittelmehrheit erreichte. Beachtenswert ist, dass sich Sulyok nie als politischer Akteur sah, sondern vor allem als Jurist und Hüter des Rechts. Er gilt als strenger Verfechter der Überparteilichkeit und der Neutralitätspflicht der Staatsorgane.

Juristische Karriere

Tamás Sulyok wurde am 24. März 1956 in der südungarischen Kleinstadt Kiskunfélegyháza (Deutsch: Feulegaß) im Komitat Bács-Kiskun in eine Juristenfamilie geboren. Nach dem Ablegen des Juristischen Staatsexamens im Jahr 1980 betätigte er sich zunächst als Rechtsberater, dann ab 1991 als Rechtsanwalt. 2000 wurde er zum Honorarkonsul der Republik Österreich in der südungarischen Großstadt Szeged ernannt und dozierte seit 2005 an der dortigen Universität im Fach Verfassungsrecht.

Nach seiner Wahl zum Verfassungsrichter im September 2014 erfolgte ein rasanter Aufstieg auf der Karriereleiter. Er wurde im März 2015 zum stellvertretenden Präsidenten des Verfassungsgerichts ernannt, ehe er im November 2016 vom Parlament zum Präsidenten des Verfassungsgerichts gewählt wurde, damals auch mit Stimmen der Opposition. Seine Zeit als Verfassungsgerichtspräsident gilt in Fachkreisen als eine Zeit solider Entscheidungen, völlig frei von politischen Ambitionen. Sulyok erklärte öffentlich immer wieder, in erster Linie ein Jurist zu sein, in den Kategorien des Rechts zu denken und mit politischen Angriffen auch nichts anfangen zu können, die Politik hätte ihn nie interessiert.

Erfahrungen mit dem Kommunismus

Die Familie von Tamás Sulyok begegnete der kommunistischen Machtausübung aus nächster Nähe. Sein Vater musste nach 1945 als Rechtsanwalt ein Jahrzehnt lang pausieren, da ein ehemaliger Prozessgegner aus den dreißiger Jahren nunmehr ein hohes Amt bei den Kommunisten bekleidete und sich so am Anwalt rächte. Die Doktorarbeit verfasste Sulyok dann im Jahr 2013 zur Thematik „Verfassungsrechtliche Stellung der Rechtsanwälte“ – wohl auch eine Hommage an das Schicksal des Vaters und eine Quintessenz aus der eigenen Familiengeschichte. Doch auch Tamás Sulyok selbst erlebte in den achtziger Jahren aus eigener Anschauung, wie sehr der Kommunismus und dessen Ideologie sich des Rechtswesens und der Gesellschaft bemächtigten.

Nach dem Zweiten Juristischen Staatsexamen legte ihm sein Komitatsgerichtspräsident nahe, in die kommunistische Partei des Landes einzutreten, da er andernfalls kein Strafrichter werden könne. Seine verblüffende und lakonische Antwort, dass er nämlich gar kein Strafrichter sein wolle, brachten ihm eine Versetzung in das benachbarte Komitat ein und ein jahrelanges Pendeln zwischen Arbeits- und Wohnort. Doch die Zeit auf dem Land sensibilisierte ihn für die Anliegen und Lebenswirklichkeiten der dortigen, ländlichen Bevölkerung. Diese denkt anders über die Herausforderungen des Lebens. „Hierzu braucht man den Glauben: Was ich heute säe, das werde ich morgen ernten”, so Sulyok.

Ein guter Freund Deutschlands

Der jetzt neu in das Amt gewählte Sulyok spricht und schreibt nicht nur ausgezeichnet Deutsch, sondern gilt auch als großer Freund Deutschlands. Die Zeit als Honorarkonsul und als Verfassungsgerichtspräsident nutzte er dabei immer wieder, die engmaschige Bande zwischen Ungarn und den deutschsprachigen Ländern weiter auszubauen und das Beziehungsgeflecht zu vertiefen. Ihm waren auf seinem ganzen Lebensweg die kulturellen, historischen und vor allem juristischen Bezüge zu Deutschland immer sehr wichtig.

Mit der Konrad-Adenauer-Stiftung entwickelte er ein Stipendienprogramm für junge ungarische Juristen, in deren Rahmen juristische Hospitationen an bedeutenden deutschen Rechtsstätten absolviert werden konnten. Auch diese Initiative stärkte das bilaterale Gewebe zwischen Ungarn und seinen Partnern, was nötig ist, um miteinander statt nur übereinander zu sprechen.

In juristischen Fachkreisen gilt Sulyok als eine Persönlichkeit, die an Statur, Solidität und Integrität seinesgleichen sucht. Auch daher kann seine Wahl zum neuen Staatsoberhaupt auch als ein Zeichen der gelebten, fundierten und soliden Rechtsstaatlichkeit im Lande gesehen werden. Ein Mann des Rechts und des Ausgleichs ist in diesen aufgeregten Zeichen sicherlich keine schlechte Wahl.

Botschaften des neuen Staatsoberhaupts

In seiner Antrittsrede vor dem Plenum der Ungarischen Nationalversammlung im unmittelbaren Anschluss an seine Wahl erklärte Sulyok – wohl als Hinweis auf die Hintergründe des Rücktritts seiner Vorgängerin –, dass er in Sachen des Begnadigungsrechts volle Transparenz walten lassen werde. Sulyok erklärte, dass er ein Europa anstrebe, in dessen Institutionen in erster Linie eine rechtliche, keine politische Arbeit vonstatten gehe. Er verlieh seiner Überzeugung Ausdruck, dass es keine von den Mitgliedsstaaten losgelösten europäischen Werte gebe und dass der Begriff der Souveränität unteilbar sei.

Damit könnten die Mitgliedsländer der Europäischen Union keine Souveränitätsrechte, sondern nur Zuständigkeiten übertragen. Sie täten dies aber nicht als Selbstzweck, sondern weil die gemeinsame Ausübung der Zuständigkeiten effizienter sei. Bezüglich einer diskutierten politischen Gemeinschaft in Europa unterstrich er, dass es keine einheitliche europäische politische Nation gebe, sondern ausschließlich die jeweiligen politischen Nationen der Mitgliedsstaaten, die als staatsbildende Faktoren zu interpretieren seien. Aufgrund dieser Tatsache sei die Europäische Union auch gar kein Staat, so Sulyok in seiner ersten Rede.

Fazit

Politische Analysten deuten die schnelle, geräuschlose und vor allem erfolgreiche Wahl von Tamás Sulyok als ein Zeichen der Beruhigung der Krise und als ein Ausdruck der inneren Geschlossenheit der Regierungsparteien. Dass die Opposition sich weder auf einen gemeinsamen Kandidaten noch auf die Wahl von Sulyok hat verständigen können, lässt sie in einem schlechten Licht erscheinen. Am Vorabend der Wahl des Staatspräsidenten rief die Opposition zu einer Demonstration für eine Direktwahl des Staatsoberhauptes auf, der nur wenige folgten.

Auch nahm die grüne Oppositionspartei LMP nicht an dieser teil. Einige Beobachter weisen auch darauf hin, dass Ministerpräsident Viktor Orbán schnell und souverän auf eine völlig überraschende Krise habe antworten und aus der Not eine Tugend machen können. Seine Stellung scheint sich durch die Wahl eines unanfechtbaren Juristen zum Staatspräsidenten eher gestärkt zu haben. Wieder einmal mehr gilt: Die Reaktion auf eine Krise ist meist entscheidender als die Krise selbst.

Bence Bauer ist Direktor des Deutsch-Ungarischen Instituts für Europäische Zusammenarbeit am Mathias Corvinus Collegium in Budapest/Ungarn und Mitherausgeber des Magazins Hungarian Conservative. Er schreibt regelmäßig für deutsche Medien und veröffentlichte vor kurzem sein Buch „Ungarn ist anders“, in dem über Geschichte, Politik und Zeitgeschehen aus Ungarn informiert wird.


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