Tichys Einblick
Eine letzte Chance für den Westen

Trump und die Rückkehr des gesunden Menschenverstandes

Was würde ein Wahlsieg Donald Trumps bedeuten für die USA, für Europa und global? Vor allem eine Abkehr von universalistisch-imperialistischen Bestrebungen, und eine Rückkehr pragmatischer Realpolitik: Selbstbehauptung durch Selbstbegrenzung. Von Heinz Theisen

picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Evan Vucci

Trump ist kein Konservativer. Es gibt aber auch nicht mehr viel zu bewahren in den USA. Er ist ein konservativer Revolutionär, der das Erhaltenswerte erst einmal wieder aufbauen will, damit man es anschließend schützen kann. Trump zieht auch deshalb Hass auf sich, weil er jenes Bürgertum bloßstellt, welches die eigene Kultur und Gesellschaft im Stich gelassen, es wolkigen und woken Ideen von der Weltoffenheit preisgegeben hat.

Die fortschreitende Selbstzerstörung der USA – diejenige Großbritanniens scheint schon unumkehrbar zu sein – und damit jedenfalls der angelsächsischen Welt hat ihren Ausgang in der Auflösung jener protestantischen Ethik, die erst die Disziplin und den unbedingten Erfolgswillen ihrer Gesellschaften hervorgebracht hat. Trump ist gewiss kein kulturchristlicher Erneuerer, aber er, der noch nie einen Tropfen Alkohol angerührt hat, verkörpert bei aller Lebensfreude jene Disziplin und den Erfolgsdrang, der von jener strengen Lehre übrig geblieben ist. Zumindest weiß Trump um die Bedeutung religiöser Ethik, insbesondere in einem Land, in dem das Christentum noch in der Lage ist, Wahlen zu entscheiden.

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Eine Revitalisierung der protestantischen Leistungsethik würde statt einer Quote wieder Leistungen entscheiden lassen. Die „Affirmative Action“, die auch einer geistig wenig begüterten Kamala Harris eine ansonsten unerklärliche Karriere ermöglichte, kann sich die USA nicht mehr leisten.

Die alte Ethik verband noch Freiheit und Verantwortung, Rechte und Pflichten zu einem bürgerlichen Ethos der Selbstbehauptung auf jeder privaten wie öffentlichen Ebene. Sie unterschied sich damit grundlegend vom nihilistischen Neoliberalismus, der die eigenen Werte soweit relativierte, dass sie auf alle Funktionssysteme und Kulturen ausdehnbar erschienen. Politischer Universalismus, ökonomischer Globalismus und kultureller Relativismus schaukelten sich gegenseitig hoch.

Der Ordo-Liberalismus will hingegen die Gegensätze des Lebens zu Gegenseitigkeiten transformieren. Er fordert nicht einfach nur „mehr Markt“, sondern betont zugleich auch die moralische Verantwortung der Marktakteure. Trump ist nicht einfach gegen „freien Handel“, sondern für fairen Handel. Die alte Praxis, jene von Peking geförderten Dumpingprodukte zollfrei ins Land zu lassen, bedeutete eine Zulassung, ja Förderung eines einseitig gelenkten Handels.

Trump gibt eine richtige Antwort auf die neue Weltunordnung. Er sieht Russland und China nicht als Feinde, sondern als potentielle Partner. Dies bedeutet: Anerkennung der Multipolarität insbesondere der Weltmächte statt der angemaßten Universalität des Westens, der damit zuerst andere und dann sich selbst – von Kabul über Bagdad bis Kiew – immer tiefer ins Unglück gezogen hat.

Zu dieser neuen Strategie gehört eine gute Position Anti-Idealismus, Geschäftssinn, Pragmatismus. So wie er als Immobilientycoon in New York sicherlich nicht nur mit kommunalen Sozialarbeitern verhandelt hat, so kann man in einer Welt, die mehrheitlich von Oligarchen und Diktatoren regiert wird, auch nicht nur mit Demokraten reden.

Trump ist kein Idealist, sondern Realist

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Damit bleibt uns immerhin die „wertegebundene“ Außenpolitik einer Annalena Baerbock oder womöglich Kamala Harris erspart, die die Welt auf das Maß der eigenen moralisierenden Wahrnehmungsfähigkeit reduzieren. Diese Naivität reagiert dann auch die Grenzpolitik. Die Regierung Biden ließ – laut offiziellen Angaben der Border Control – elf Millionen neue illegale Migranten ins Land. Trotz ihrer Zuständigkeit hat Kamala Harris sich um die Grenze überhaupt nicht gekümmert.

In einer multipolaren Welt muss der idealistische Imperialismus der USA, der für die Interessen seiner Oligarchen die Ideale der politischen Linken einzuspannen wusste, an sein Ende kommen. Dieser Imperialismus hatte jeden Nachteil nicht nur für die Europäer, sondern auch für die eigene Bevölkerung in Kauf genommen. Das Ausmaß der sichtbaren Armut in amerikanischen Städten hat viel mit der Welt- und Außenhandelspolitik der USA zu tun.

Die amerikanische Außenpolitik der vergangenen drei Jahrzehnte war getragen von neokonservativer Großmannssucht, neoliberalem Profitstreben und wokem Werteidealismus. Künftige Historiker müssen sich an der Frage abarbeiten, wie es der CIA und den von ihm finanzierten NGOs gelungen ist, die einst antiimperialistische, zumal antiamerikanische Linke mit der globalen Offenheit, die allem Schutz kleiner Leute widerspricht, in Übereinstimmung zu bringen. Ein wichtiger Schritt dafür war die Ablenkung von der im globalen Wettbewerb vollends unmöglich gewordenen sozialen Gleichheit innerhalb einer Gesellschaft zur globalen Gleichwertigkeit aller Kulturen, aller möglichen Geschlechter und aller denkbaren sexuellen Interessen.

Nachdem der sozial-ökonomische Marxismus die kommunistische Welt zerstört hat, droht dieser neue Kulturmarxismus den Westen geistig und sozial zu zerrütten. Die strukturellen Zerstörungen folgen wenig später. Der Erfolg des Kulturmarxismus beruht auch darauf, dass er statt einem mühsamen dialektischen Denken die Schlichtheiten bloßen Moralisierens begünstigt. Eine reine Wohlfühlgesinnung ohne jede Kompetenz und Differenzierungsfähigkeit reicht heute oft schon zur Karriere. Mit dem weltweiten „Affirmative Action“ wurden zahllose Titelhungrige an die Universitäten gehievt, die unter rationalen Maßstäben dort keine Chance gehabt hätten. Sie konnten nur bestehen, indem sie den Übergang vom Analysieren aufs Moralisieren erzwangen.

Trump – ein Kaufmann in der Politik

Der in einer Demokratie eigentlich ungeheuerliche Vorwurf des „Populismus“ zeigt die ganze Verachtung der elitären Moralisten für die Massen. Es ist nur folgerichtig, dass der Siegeszug der woken Gesinnung über die Realität an Hochschulen seinen Ausgang nahm. Zuerst in den USA, woher er dann wie ein Virus auf europäische Universitäten übersprang, deren Absolventen in die Medien und schließlich bis in Regierungen vordrangen.

Die sogenannten einfachen Leute, jedes Gespräch mit einem Handwerker belehrt einen darüber, durchschauen den non-binären und woken Unsinn sofort und fühlen sich dementsprechend von Donald Trump verstanden. Ihre Urteilsfähigkeit ist weitaus höher als die all der akademischen Spinner, die sich im Reich der Gedankenfantasien tummeln. Sie müssen täglich mit ihren Beständen rechnen, ihre Planungen am Möglichen ausrichten, ihre Kunden pünktlich beliefern.

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Als Kaufmann verkörpert Trump den gesunden Menschenverstand, der rechnen kann und nicht in anschauungsfreien Begriffen schwelgt. Ein interessenbasierter Realpolitiker muss statt über die Untugenden eines Sozialpädagogen über die Tugenden eines Handwerkers verfügen. Er muss auch mit den militärischen Beständen seines Landes rechnen und er weiß daher, dass der Westen – der nur circa ein Achtel der Weltbevölkerung ausmacht – nicht mehr die Welthegemonie anstreben kann, sondern seine Macht mit den anderen Mächten teilen muss. Der sich für global haltende Westen wird sich auf sich selbst besinnen müssen.

Umgekehrt bedeutet dies aber auch, dass wir unseren Wohlstand nicht mit der weiten Welt teilen können. Die wahnhafte gefeierte Grenzenlosigkeit der eigenen Staatenwelt nach außen und innen wird einer Begrenzung der eigenen Einflusssphären und Schutz durch kontrollfähige Grenzen weichen müssen. Selbstbehauptung durch Selbstbegrenzung ist die einzige Strategie, die dem Westen in einer aus dem Ruder laufenden Weltunordnung noch zu helfen vermag.

Trump weiß, dass es Bosheit und Feindschaft gegen den Westen gibt, aber er verortet sie nicht bei den autoritären Regimen, mit denen wir koexistieren können, sondern bei den totalitären Kräften des Islamismus, die wir eindämmen müssen. Seine einstmalige Entscheidung, keine Muslime mehr ins Land zu lassen, trifft genau den Punkt. Vietnamesische Einwanderer bereichern jede Gesellschaft. Ob konfuzianische Ethik oder die Gebote des Heiligen Krieges macht einen Unterschied.

Die politische Rechte besteht Gott sei Dank nicht nur aus einem Mainstream, sondern aus unterschiedlichen Kräften. Diese können aber nur von einer charismatischen Person zusammengefügt werden. Was sie aber gemeinsam wollen, ist angesichts der Folgen offener Grenzen leicht zu erkennen. Sie wollen die selbstauflösende, geradezu selbstmörderische Politik der global denkenden Eliten stoppen und diese in einer Politik der Selbstbehauptung zunächst der einheimischen Local Player stoppen. Die Ernennung von J.D. Vance, der eben aus dem von globaler Offenheit zerstörten Kleinbürgertum des mittleren Westens stammt, bringt das Selbstbehauptungsanliegen auf den Punkt.

Diese Grundlage für eine Selbstbehauptung der Familie, der bürgerlichen Gesellschaft, des eigenen Staates, der kein Nationalstaat sein muss, bis hin zur westlichen Kultur von Christentum und Aufklärung ist die Aufgabe aller bürgerlichen Kräfte. Brandmauern zwischen ihnen sind eine Art Sabotage an dieser Aufgabe. Mit der Einigung der Republikaner hat Trump in den USA alle Brandmauern auf seiner Seite eingerissen.

Die Mitstreiter Trumps

Die Neoliberalen um Ronald Reagan haben mit ihrer bedingungslosen Freisetzung der Marktkräfte erst jene liberale Oligarchie hervorgebracht, die heute an die Stelle der Mehrheitsdemokratie getreten ist. Ordoliberale wie auch Javier Milei wollen nicht nur mehr Freiheit für den Markt, sondern fordern zugleich auch mehr Verantwortung von den Marktakteuren. Der Staat hat dafür die Voraussetzung und Kontrolle zu erbringen.

Beeinflussung des US-Wahlkampfs
Britische Zensur-NGO: „Tötet Musks Twitter”
In seiner ersten Amtszeit hat Trump personalpolitisch oft danebengegriffen. Als Businessman fehlten ihm die spezifischen Kenntnisse und Vernetzungen. Heute wirkt schon die Schar von Stars um ihn herum eindrucksvoll. Elon Musk kann als Leitbild eines neuen Unternehmertums gelten. Er ist seiner Verantwortung schon gerecht geworden, indem er Twitter aufgekauft und aus den Händen der korrekten Zensoren befreit hat. X hat seit dem 2. Januar 2024 auch in Deutschland die höchste Downloadrate. Musk soll in der Regierung Trump gewaltige Einsparungen des Staates orchestrieren, ein Gremium anführen, welches Bürokratie abbauen und die Technologieförderung zugleich ergebnisoffener und effizienter gestalten soll.

Robert Kennedy jr. soll das überteuerte und zugleich marode Gesundheitssystem neu aufbauen. Die Hersteller von Medikamenten sollen wieder für diese haftbar sein, was in den 1980er Jahren abgeschafft wurde und die nicht hinreichend geprüften Impfprodukte der Covid-Zeit ermöglichte. Kennedy soll auch die CIA zusammenstutzen, deren „Wirken“ auch außerhalb der USA ungeheuren Schaden angerichtet hat. Die Akten im Mordfall John F. Kennedy sollen endlich offengelegt werden. Keine guten Nachrichten für den CIA.

Vivek Ramaswamy und Ron Paul, die sich dem Trump-Lager zugeordnet haben, können als die Javier Mileis der USA gelten. Radikale Einschnitte beim Staat gehen in deren Lehre mit der radikalen Forderung nach Wahrnehmung seiner Verantwortung einher. Statt eines gewissermaßen nihilistischen Weltmarktes sollen Zölle jene Fairness im Welthandel erzwingen, die chinesischen Dumpingprodukten den Vormarsch erschweren sollen. Ein riesiger Binnenmarkt und die stärkste Volkswirtschaft der Welt ermöglichen eine solche Steuerung, die keine Deglobalisierung, aber ihre Einhegung bedeutet.

Konsequenzen für Europa

US-Wahlkampf:
Teflon-Trump im Endspurt unantastbar
Trumps Nahostpolitik hatte zu jenen Abraham-Accords geführt, die auch nach dem Krieg die einzige Perspektive für den Nahen Osten sind. Mit der Förderung von zivilisierten Beziehungen zwischen Israel und einigen arabischen Staaten ging die Eindämmung des totalitären Islamismus, vor allem des Iran einher. Auch die Huthis bekamen ihre Grenzen aufgezeigt. Nachdem Biden deren Eindämmung aus „humanitären Gründen“ aufgehoben hatte, konnten die Islamisten neue Kräfte sammeln. Nicht nur Israel, sondern auch die Schiffe im Roten Meer und damit der Welthandel müssen die Folgen dieser Naivität tragen. Klarsichtig auch Trumps Einstellung der Gelder für die UNWRA, die sich später als Terrorgehilfe der Hamas entpuppen sollten.

Mehr Stabilität im Nahen Osten würde auch den Europäern zugutekommen, die all jene Folgen der verunglückten amerikanischen Interventionen oder auch humanitär gemeinten Naivitäten ausbaden müssen.

Während die Antiimperialisten Europas in den USA eine Art Besatzer sehen, will Trump die angeblich Besetzten nur dann weiter schützen, wenn sie sich selbst wieder zur eigenen Wehrhaftigkeit bekennen. Europa wird von Trump gezwungen werden, wieder für seine eigene Selbstbehauptung – auch an seinen offenen Grenzen – Verantwortung zu übernehmen. Hilfe zur Selbsthilfe gilt dann auch innerhalb der Nato, die zugleich von einem überdehnten Global Player wieder zu jenem Defensivbündnis schrumpfen muss, um der Strategie der Selbstbehauptung durch Selbstbegrenzung entsprechen zu können.

Nach einem Wahlsieg von Trump dürfen wir auf eine schnelle Einstellung des Ukraine-Krieges hoffen. Selbstverständlich wird die Ukraine danach geteilt sein. Korea, Zypern und vierzig Jahre auch Deutschland mussten dieses Opfer für den Weltfrieden bringen.

Dies bedeutet gewiss keinen „gerechten Frieden“, aber lieber einen ungerechten Waffenstillstand als Hunderttausende weiterer Tote, um die liberale Oligarchie der Ukraine vor der autoritären Oligarchie Russlands zu retten.

In Europa werden Viktor Orbán und all die anderen „Rechten“, also diejenigen, die Selbstbehauptung zum Hauptprogramm erklärt haben, endlich jene Unterstützung erhalten, die für einen Paradigmenwandel notwendig ist. Ein Wahlsieg Trumps könnte auch in Europa jene Kehre zur Selbstbegrenzung hervorbringen, die der Westen zu seiner Selbstbehauptung dringend braucht.


Prof. Dr. Heinz Theisen, Jahrgang 1954, lehrte bis 2020 Politikwissenschaft an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen und an Universitäten im Nahen Osten. Er arbeitet als freier Autor unter anderem für die „Neue Zürcher Zeitung“, „Tichys Einblick“ und „Die Neue Ordnung“. Schwerpunkte sind: die Rolle des Westens in der neuen Weltordnung, Konflikte der Kulturen, Europa und der Nahe Osten. Sein Werk „Selbstbehauptung. Warum Europa und der Westen sich begrenzen müssen“ ist im TE Shop erhältlich.

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