Tichys Einblick
Thüringer Honigimker

Was ist eigentlich eine „Projektregierung“?

Was ist eigentlich eine „Projektregierung“? Das „Framing-Manual“ der ARD brachte es zu zweifelhafter Berühmtheit. Möglicherweise inspirierte das Dokument auch den ein oder anderen Politiker in Thüringen – meint der Politikwissenschaftler Heiko Rohowski.

Mike Mohring und Bodo Ramelow

imago Images

Nachdem die Mehrheitsverhältnisse im Thüringer Landtag seit dem 28. Oktober 2019 ungewohnt kompliziert gestaltet sind, bemühen sich insbesondere Mike Mohring, CDU, und Ministerpräsident Bodo Ramelow von der Linkspartei um eine Lösung bei der Regierungsbildung. Die zentrale Problematik besteht in der Stärke von Linken und der AfD. Da beide Parteien zusammen mehr als die Hälfte der Mandate halten, ist eine regierungstragende Mehrheit ohne eine der beiden Fraktionen nicht möglich.

Nun gab es auch schon früher – bevor die AfD den politischen Wahlmarkt aufmischte – und in anderen Landtagen Wahlergebnisse, die klassische Koalitionen wie Schwarz-Gelb oder Rot-Grün unmöglich machten. Hier gab es allerdings stets praktikable Lösungen: Die prominenteste war die Große Koalition, dafür hatte es in der Regel locker gereicht. Später zeigten sich die Parteien experimentierfreudiger und installierten – mal mehr, mal weniger überraschend für die Wähler – neue Koalitionsformen mit griffigen Bezeichnungen wie „Jamaika“- oder „Kiwi“-Koalition. Und wenn gar nichts mehr ging, dann musste es die ungeliebte Minderheitsregierung sein, regelmäßig unter Tolerierung der Linken, die dann zumeist froh waren, wenn sie wenigstens ein bisschen mitmachen durften. Und spätestens mit der Bildung der ersten Kenia-Koalition nach der Wahl in Sachsen-Anhalt 2016 war klar, dass sich die im politischen System etablierten Parteien weiter vom Lager-Denken bei der Partnersuche emanzipieren würden.

Für Thüringen gibt es diese Koalitionsoptionen nicht, weder die klassischen wie auch die neuen. Und so kam es auch nicht ganz überraschend, als CDU-Chef Mohring zunächst Ramelow die Hand reichte, nur um sie tags darauf schnell wieder zurückzuziehen, nachdem aus dem Konrad-Adenauer-Haus mahnende Worte kamen. Die rot-rot-grüne Landesregierung zeigt sich bis heute ob der verfahrenen Situation weitgehend gelassen: Eine Besonderheit in der Thüringer Landesverfassung garantiert ihr Fortbestehen solange, bis vom Landtag eine neue Regierung gewählt wurde. Die Lösung für die Situation lieferte dann Alt-Ministerpräsident Dieter Althaus zum Jahreswechsel: Eine „Projektregierung“ sollte es in Thüringen geben, gebildet von Linken und der Union. Hüben wie drüben waren die Kommentatoren der nachrichtenschaffenden Leitmedien begeistert. Aktive wie ehemalige Politiker zeigten sich ebenso entzückt, nicht zuletzt auch, weil Altbundespräsident Gauck das Ganze einfädeln sollte.

Jacke wie Hose: Regierungsprojekte und Projektregierungen

Erstaunlich ist bisher, dass sich offenkundig niemand mit der Frage auseinandergesetzt hat: Was ist eigentlich eine „Projektregierung“? Die Thüringer Landesverfassung kennt diesen Begriff nicht. Auch in den politikwissenschaftlichen Standardwerken ist er nicht zu finden. Die Erklärung ist simpel: Es handelt sich schlicht nicht um eine noch nie da gewesene, exotische Regierungsarchitektur. Folgt man den Ausführungen der Beteiligten, wäre es nichts anderes als eine dunkelrot-schwarze Koalition. Der Terminus „Projektregierung“ klingt jedoch süffiger, trägt den Duft von Aufbruchstimmung und Innovationsfreude, genauer gesagt: Er täuscht sie vor. Denn dass eine Regierung ihre Vorhaben als Projekte bezeichnet, ist nichts Neues, sondern liegt in der Natur der Sache. Der Begriff ist also eine Paraphrasierung des Selbstverständlichen. Aus Regierungsprojekt wird also Projektregierung. Ähnlich wolkige Wortkunst konnte man bereits im Sommer des letzten Jahres erleben, als aus dem Sommerklima der Klimasommer wurde. Wer also von Projektregierungen redet, sagt auch Honigimker oder Medizinarzt. Bei der Union dachte man womöglich, wenn man es nur nicht Koalition nennt, wird es vielleicht keiner merken, dass es eine ist, wenn man dann erst einmal projektregiert. Und auch das Einspannen des Altbundespräsidenten wirkt wie ein ungelenker Versuch, dem Vorhaben den Anschein parteipolitischer Neutralität zu verpassen.

Feine Unterschiede: Keine Kooperation, sondern Zusammenarbeit

Seit einigen Tagen heißt es nun, die Projektregierung sei „vom Tisch“. So ganz vom Tisch scheint sie aber doch nicht zu sein, denn es fiel einigen Akteuren wohl auf, dass Ramelow ja trotzdem ein paar Stimmen von CDU, FDP oder AfD bräuchte, wenn er wiedergewählter Ministerpräsident werden möchte. Und so wird das neue Lieblingswort der Union direkt wieder recycelt und es ist die Rede von „projektbezogener Zusammenarbeit für Thüringen“. Auch hier scheint man zu hoffen, dass die aus dem politischen Phrasenbaukasten eilig zusammengezimmerte Wortneuschöpfung die Wähler darüber hinwegtäuschen möge, dass damit nichts anderes als eine von der CDU tolerierte rot-rot-grüne Minderheitsregierung gemeint ist. CDU-General Paul Ziemiak und seine Chefin Kramp-Karrenbauer werden unterdessen nicht müde, immer wieder auf die „Beschlusslage“ der Partei hinzuweisen, dass es mit der Linken (ebenso wie mit der AfD) keine Kooperation geben darf. Mike Mohring jedoch scheint das kaum zu kümmern. Man wartet nur darauf, dass er mit winkendem Zeigefinger vor die Kameras tritt und mit schelmischem Grinsen verkündet: „Das ist keine Kooperation, sondern eine projektbezogene Zusammenarbeit.“

Mohrings Katze

Mike Mohring versucht einen unmöglichen Spagat hinzubekommen: Er will seine CDU Regierung und Opposition gleichzeitig sein lassen. Händeringend versucht er, seine angeschlagene Macht als Fraktionsvorsitzender zu retten, indem er alle um sich herum irgendwie ein bisschen zu befrieden versucht. Ein wenig erinnert das ganze an das Gedankenexperiment „Schrödingers Katze“, bei dem eine Katze gleichzeitig tot und lebendig ist. In der subatomaren Teilchenwelt kann tatsächlich ein System zwei verschiedene Zustände gleichzeitig einnehmen. So paradox die Idee des österreichischen Physikers im Bereich der größeren Körper ist, so ist es auch der Versuch Mohrings, irgendwie noch trocken durchs Wasser zu kommen.
Denn neben den kunstvollen Wortklaubereien steht auch noch eine weitere spannende Frage im Raum, die man bei der Union bei der Erfindung neuer medienwirksamer Begriffen nicht bedacht hat: Was passiert eigentlich, wenn CDU und FDP im Landtag mal einen gemeinsamen Antrag einbringen? Die AfD könnte auf den ketzerischen Gedanken kommen, einfach zuzustimmen. Und schon gäbe es – sozusagen versehentlich – eine Kooperation mit Höcke. Da das aus Sicht der Union zwingend zu verhindern ist, bringt das Mohring in die groteske Lage, stets sicherstellen zu müssen, dass die Anträge seiner eigenen Fraktion keine Mehrheit bekommen. Wie sich das im parlamentarischen Tagesgeschäft auswirkt, wird zweifellos spannend zu beobachten sein.

Denkbar wäre übrigens auch ein weiteres Szenario: Irgendwann muss vielleicht einmal ein Vorhaben Projekt von Ramelow und den Genossen unbedingt verhindert werden. Und Mohrings Union und die Freidemokraten nehmen dann doch zähneknirschend aber dankbar die AfD-Stimmen für die Ablehnung mit. Die Frage ist: Wäre das dann quasi eine „Projektopposition“?


Heiko Rohowski, Jahrgang 1985, ist Politikwissenschaftler und lebt in Kiel.

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