Wer je einen kräftig gewürzten Eintopf erwartet hat, dann aber einen faden und verwässerten vorgesetzt bekam, der wird geschmacklich nachvollziehen können, worüber ich schreibe.
Es geht um das Sondierungspapier in Thüringen, welches vor etwa zehn Tagen an die Öffentlichkeit kam und darin die Positionen des BSW, meiner Partei, nachzulesen waren. Und es geht um die aktuelle Präambel zwischen CDU, SPD und BSW.
Vision und Hoffnungen
Das Wahlergebnis der Landtagswahl in Thüringen am 1.9.2024 war für das BSW mit 15,8 Prozent sensationell, die Freude in der Partei und bei den Wählern riesig. Die Thüringer setzten große Hoffnungen in unsere neue Partei.
Bei allen Wahlen traten wir mit dem Anspruch an, vielen unzufriedenen und enttäuschten Bürgern eine neue politische Heimat zu geben. Bei so ziemlich jeder Veranstaltung waren die Themen Frieden und Aufarbeitung der Anti-Coronamaßnahmen allgegenwärtig und unsere Positionen dazu eindeutig. Die Besucher unserer Veranstaltungen feierten das. Das BSW wollte anders sein. Die Thüringer unterstützten das mit einem eindeutigen Wahlvotum.
Nach der Wahl ging es leider nicht rühmlich weiter. Ab diesem Zeitpunkt war in Thüringen der Wurm drin.
Anstatt die AfD inhaltlich zu stellen, wurde hysterisch versucht, die AfD zu „verhindern“. Auf rückgratlose Weise wurden unsere Überzeugungen und Positionen in hohem Bogen über Bord geworfen.
Die konstituierende Sitzung war ein Desaster und in dem nun erstellten Sondierungspapier erkenne ich die BSW-Positionen nicht wieder. In Thüringen sehe ich es gerade mit Sorge, dass wir die in uns gesetzten Hoffnungen enttäuschen.
Kein „weiter so“!
Doch aus meiner Sicht ist es noch nicht zu spät. Nach den Ergebnissen im Sondierungspapier ist klar, dass es mit den Sondierungspartnern CDU und SPD nur ein „weiter so“ mit der sog. Brombeerkoalition geben wird. Neuer und frischen Wind in Thüringen? Fehlanzeige. Wir als neue politische Kraft haben es versäumt unsere Akzente in diesem Papier zu setzen. Das Papier ist lasch, verwässert und dürfte bei den Thüringer BSW-Wähler einen faden Geschmack erzeugen. Die Gespräche müssen abgebrochen werden. Besser auf Ministerposten verzichten, als diesen faden Eintopf die nächsten fünf Jahre auslöffeln zu müssen.
Die Aussagen im Sondierungspapier lassen für mich nur zwei Interpretationsmöglichkeiten zu. Entweder hat man sich über den Tisch ziehen lassen, weil man um jeden Preis mitregieren möchte oder man hatte gar kein Interesse für die Inhalte und Programmatik des BSW, die Kern des Wahlkampfes waren, zu kämpfen. Beide Varianten sind für mich Warnsignale, dass man keine Regierungsverantwortung übernehmen sollte.
Worum geht´s?
Die Themen Frieden und Aufarbeitung der Coronazeit, die sich das BSW auf die Fahne geschrieben hat, bei jeder Veranstaltung laut verkündete und worauf auch viele Wähler vertraut haben, sind in dem Papier nicht enthalten bzw. nicht wieder zu erkennen. Das für uns wichtige Thema Frieden glänzt nur mit Abwesenheit. Wie kann das sein? Gar nicht! Das darf nicht sein! Dass ein wichtiges Thema komplett fehlt und ein anderes wichtiges nur leicht angeschnitten wird, darf bei dem Entwurf eines Sondierungspapiers nicht passieren. Jede Formulierung ist bei solchen Dokumenten bewusst gewählt und jedes Wort überdacht – so sollte es zumindest sein.
Wenn also schon im Sondierungspapier die Essenz einer Partei fehlt, dann ist wohl kaum anzunehmen, dass diese plötzlich bei weiteren Gesprächen oder dann in möglichen Koalitionspapieren wieder auftauchen wird. Wer das ernsthaft glaubt, der hat nie wirklich verhandelt.
Präambel wird Dissens enthalten
Nun soll eine Präambel im Koalitionsvertrag das Thema Frieden aufgreifen und damit die ins Stocken geratenen Verhandlungen wieder ins Rollen bringen. Eine Präambel zeigt meist die gemeinsame Zielsetzung, Absichten sowie Motive des folgenden Vertrages und hilft bei dessen Auslegung. Es wird normalerweise ein Basiskonsens niedergeschrieben. In Thüringen aber sollen offene Uneinigkeiten bezüglich der Waffenlieferungen an die Ukraine und auch bezüglich der außenpolitischen Ansichten in der Präambel formuliert werden. Diese Abstrusität zeigt das Grundproblem. Es wird versucht, um jeden Preis in Regierungsverantwortung zu kommen und dem Wähler etwas als Kompromiss bei Standpunkten zu verkaufen, die konträrer nicht sein könnten. Keiner möchte nachgeben. Eine freiwillige Übereinkunft und Verzicht auf Teile der eigenen Forderungen ist das Wesen eines Kompromisses. Die bisherige Präambel enthält in puncto Frieden die Darstellung eines Dissens. Eine denkbar schlechte Auslegungshilfe für den Koalitionsvertrag.
Die Pandemie wird zum Sündenbock – nicht die politischen Maßnahmen
Zur Aufarbeitung der Coronazeit gehört Ehrlichkeit dazu. Etwas, was Bürger bei Politikern oft vermissen. Nur wenn man auch den Schneid hat Fehler direkt anzusprechen und Verantwortung zu übernehmen, wird Vertrauen zurückgewonnen. Als neue Partei haben wir die Chance von Anfang an eine Fehlerkultur zu pflegen, die den Namen auch verdient. Es kann nicht immer perfekt laufen, aber wenn etwas schief läuft – so wie in Thüringen, dann muss man es ansprechen. Nur so kann weiterer Schaden vermieden werden. Die Wähler schätzen Ehrlichkeit.
Im Sondierungspapier konnten sich BSW, CDU und SPD nicht auf ein direktes Benennen der Fehler in der Corona-Zeit einigen. Was raus kam, ist das, was zur Zeit die Aufarbeitung blockiert. „Es war schlimm; die Pandemie hat geschadet; wir wussten es nicht besser; wir müssen daraus lernen“. Die Wahrheit ist aber, dass man vieles eben schon besser wusste. Die RKI-Protokolle belegen das.
Eine falsche Rahmenerzählung im Sondierungspapier
Auf Seite 8 des Sondierungspapiers ist zu finden „Die Pandemie hat tiefe gesellschaftliche Spaltungen offenbart und viele Menschen durch Einsamkeit und Isolation zutiefst getroffen“. Das ist nicht korrekt! Diese Aussage ist verzerrend und verletzt zutiefst die Menschen, die unter den Maßnahmen leiden mussten.
Es war nicht die Pandemie, die etwas „offenbart“ hat. Es waren die politischen und oft evidenzlosen Maßnahmen, die zu einer tiefen Spaltung geführt haben.
Nicht die Pandemie verursachte Einsamkeit und Isolation, sondern die Maßnahmen, die menschenerdacht waren und von Politikern angeordnet wurden.
Die wohlfeilen Worte des Thüringer-Papiers, die eine erhebliche Distanz zwischen den verantwortlichen Personen und dem Leid vieler Menschen offenbaren, machen eine ehrliche Aufarbeitung unmöglich.
Gerade, wenn man zu einer Partei, die die Coronazeit ehrlich aufarbeiten möchte, wechselt und selbst in einer verantwortungsvollen Position, wie beispielsweise Katja Wolf als Oberbürgermeisterin, war, muss man sich ehrlich machen. Insbesondere wenn man wie Katja Wolf gegenüber Maßnahmenkritikern und Ungeimpften nicht zimperlich war, werden der Fokus und das Scheinwerferlicht auf dieser Person liegen.
Goldgräberstimmung im BSW
Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass durch schwammige Wortwahl und unpräzisen Aussagen die Aufarbeitung verhindert wird.
Es darf auch nicht der Eindruck entstehen, dass Politiker der Linken, die das sinkende Schiff verlassen haben oder dies wollen, in das BSW wechseln, um sich dann Posten und Ämter zu erwerben.
Diese Goldgräberstimmung in unserer Partei gilt es zu unterbinden.
Es wird sich vermutlich in der nächsten Zeit zeigen, wer wirklich Veränderung bewirken will und für die Kernthemen des BSW uneigennützig kämpft und wer Linke 2.0 im eigenen Interesse spielen möchte.
Für das BSW wird das Sondierungspapier und das weitere Verhalten von Katja Wolf und Kollegen ein Gradmesser werden, sollte BSW-Thüringen auf dieser Basis weiter in Koalitionsverhandlungen treten.
Bisherige Verhandlungen nicht umsonst
Dass Sondierungen – angesichts der Sondierungspartner – schwer bis unmöglich werden, war von vornherein offensichtlich.
Es war dennoch gut, dass man sich dem gestellt und sich ausgetauscht hat. Nun muss man aber auch erkennen, dass es in Thüringen einfach nicht passt. In Thüringen ist der Zeitpunkt zum Ziehen der Reißleine gekommen. Das BSW kann jetzt nur noch verlieren.
Gehen die Gespräche weiter, wird Katja Wolf die Positionen nicht mehr verschärfen können – man hatte sich ja schon auf das Positionspapier geeinigt. Nun nur weiter in Koalitionsverhandlungen zu treten, weil man schon viel Zeit investiert hat und die AfD verhindern möchte, sind keine Gründe, die ein derartiges Verbiegen rechtfertigen.
Warum ich mich zu Thüringen äußere?
Weil ich es möchte. Weil ich für das BSW eintrete. Weil ich mich traue.
Es geht um viel. Das BSW wird daran gemessen, wie glaubwürdig es ist. Unsere junge Partei ist historisch gut gestartet. Nun müssen wir mit dem Vertrauen in uns behutsam umgehen. Das kann auch bedeuten auf Macht und Regierungsverantwortung zu verzichten.
Zwar hat die Thüringer Landespolitik mit dem Europäischen Parlament wenige Berührungspunkte und persönlich bin ich als Bayer auch von der Regierungsbildung nicht tangiert. Gerade weil ich derart außenstehend bin, kann ich die Situation ungetrübt beurteilen. Als Mitglied der ersten Stunde ist es mir die Glaubwürdigkeit unserer Partei ein persönliches Anliegen und ich sehe es als meine Aufgabe an, auf Fehler hinzuweisen.
Essentiell für mich ist, dass die Wähler und Wählerinnen sehen und darauf vertrauen können, dass wir eine Partei sind, die sich den Realitäten stellt und diese offen anspricht. Vertrauen ist eine gute Währung in der Politik. Roulette mit dem Vertrauen der Wählerschaft zu spielen, ist gefährlich. Zu oft wurde dieses Vertrauen von den etablierten Parteien schon verspielt.
Im BSW bin ich ein Außenseiter. Doch ich werde nicht zusehen, wie entweder ungeeignete oder machtgierige Personen die Hoffnungen und den Vertrauensvorschuss des Wählers und damit unsere Partei auffressen.
Dr. med. Friedrich Pürner, MdEP