Die seit vorchristlicher Zeit zu Rom gehörende Region zwischen Mittelmeer und Euphrat fiel im siebten Jahrhunderts als erstes dem arabischen Imperialismus des Mohammed zum Opfer. Seitdem ist sie zentraler Teil des islamischen Dhar al’Islam und wurde seit dem 16. Jahrhundert vom Osmanischen Reich verwaltet. Dieses organisierte seine Herrschaft maßgeblich über bewaffnete Garnisonen, die Unabhängigkeitsbestrebungen regionaler Völkerschaften und Sippen notfalls auch mit brutaler Gewalt zu unterdrücken pflegten. Wirtschaftliche Entwicklung ebenso wie Schulbildung blieben auf die Bemühungen ortsansässiger Kleinkaufleute bzw. auf Koranschulen beschränkt.
Spielfeld der Großmächte
In dem Selbstvernichtungskrieg der europäischen Reiche zwischen 1914 und 1918 wurde die gesamte Region am östlichen Mittelmeer zum Spielball unterschiedlichster Interessen. Die Deutschen standen als Verbündete der Türken mit einer eigenen Fliegerstaffel in Palästina, welche jedoch im Schwerpunkt der Ausbildung türkischer Kräfte dienen sollte. Auf der Gegenseite hatten die Briten ihren Stützpunkt in Kairo und strebten danach, die bereits 1908 als Hauptverbindung zwischen dem osmanischen Anatolien und den Südprovinzen an der Westküste der arabischen Halbinsel maßgeblich von deutschen Ingenieuren und mit deutschem Geld fertiggestellte Hedschasbahn zu zerstören oder zu übernehmen. Strategisches Ziel der Briten war eine Landverbindung zwischen Kairo und dem Persisch-Arabischen Golf.
Im Hedschas, das die Küstengebiete der Arabischen Halbinsel zum Roten Meer ohne den Jemen umfasst, regierte zu dieser Zeit der Haschemit Hussein ibn Ali mit den Titeln Emir des Hedschas und Sharif von Mekka. Als arabischer Nationalist von der jungtürkischen Junta bedroht, schlug er sich 1916 auf die Seite der Briten, die ihm nach zähen und teils widerwillig geführten Verhandlungen unter Henry McMahon, dem Hohen Kommissar der britischen Regierung in Kairo, für die Nachkriegszeit ohne konkrete Grenzgarantien einen arabischen Nationalstaat zusicherten. Parallel dazu hatten das Vereinigte Königreich und Frankreich am 16. Mai 1916 ein von den Diplomaten Mark Sykes und Francois Georg-Picot ausverhandeltes Geheimabkommen über die Nachkriegsaufteilung der ehemals osmanischen Provinzen gezeichnet. Dieses sah ohne Rücksichtnahme auf ethnische und traditionelle Siedlungsgebiete ein französisches Mandatsgebiet nördlich der heutigen Grenzen zwischen Israel und Libanon, Jordanien und Syrien sowie südlich der Kurdengebiete im heutigen Irak vor. Die arabische Halbinsel fiel, ohne dass dieses explizit im Sykes-Picot-Abkommen erwähnt worden war, damit in das britische Hinterland.
Zusätzlich erklärte sich Großbritannien am 2. November 1917 gegenüber der Zionistischen Weltorganisation in der Balfour-Deklaration mit deren Ziel einverstanden, in Palästina eine „Heimstatt der Juden“ einzurichten, in der die angestammten Rechte der vorhandenen Bevölkerung gewahrt bleiben sollten.
Auf Grundlage der Korrespondenz zwischen Hussein und McMahon verwickelten die von Hussein geführten Araber mit logistischer, personeller und finanzieller Unterstützung durch Großbritannien die Türken in einen Guerillakrieg. In Erwartung des aus ihrer und des britischen Agenten Thomas E. Lawrence („of Arabia“) Sicht zugesicherten arabischen Nationalstaats hatte sich Hussein am 2. November 1916 zu König von Arabien ausrufen lassen, wurde jedoch von den Westmächten nur als König über den Hedschas anerkannt und sollte 1924 ohne alliierte Hilfe dem erfolgreichen Angriff seines radikalislamischen Feindes vom zentralarabischen Stamm der Ibn Saud überlassen bleiben.
Syrisch-arabische Unabhängigkeitsbestrebungen unter französischem Mandat
Nachdem die arabisch-britische Allianz 1918 Damaskus erobert hatte, ließ der dortige Nationalkongress am 7. März 1920 Husseins Sohn Faisal zum König von Syrien erheben und die Unabhängigkeit einschließlich des Libanon und Palästinas sowie großer Teile des heutigen Jordaniens erklären. Im April des gleichen Jahres die von Sykes und Picot vereinbarte Grenzziehung der Interessengebiete mit Zustimmung des frisch gegründeten Völkerbundes für völkerrechtlich verbindlich erklärt. Die europäischen Mächte Frankreich und Großbritannien erhielten die bordarabischen Gebiete als Mandate des Völkerbunds.
Im Mai bildete sich im Widerspruch zur Völkerbunds-Deklaration eine neue, nationalarabische Regierung in Damaskus, was wiederum die maronitischen Christen im Gebiet um Beirut und Tyrus zur Abspaltung in Form einer Unabhängigkeitserklärung veranlasste – die Geburtsstunde des modernen Libanon.
Die Franzosen besiegten in der Schlacht von Maysalun am 23. Juli 1920 die Nationalarabischen Truppen und zogen tags darauf in Damaskus ein, wo sie den britischen Protegé Faisal zur Abdankung zwangen. Der Sohn des Emirs vom Hedschas ging daraufhin ins Exil nach London und wurde von den Briten 1921 als Marionettenkönig im Irak eingesetzt.
Die Franzosen schufen 1922 auf ihrem Mandats-Territorium zahlreiche abhängige Kleinstaaten: Den Staat Aleppo zwischen der Mittelmeerküste bei Alexandrette und dem ostsyrischen Kurdengebirge; den Staat Damaskus, der neben der Großregion Damaskus die syrische Halbwüste umfasste; den Großlibanon als maronitisch geprägten Küstenstaat; einen Alawitenstaat nördlich des Libanon mit der Hauptstadt Latakia sowie einen Drusenstaat südöstlich des Staates Damaskus um die Stadt a’Suwaida.
Immer noch unter französischer Oberhoheit kam es 1930 zum Zusammenschluss zur Republik Syrien, die alle Staaten des Mandatsgebietes außer dem Libanon umfasste. In der europäisch geprägten Verfassung dieser französischen Republik Syrien waren unter anderem die Rechte religiöser Minderheiten in dem mehrheitlich von Sunniten bevölkerten Staat festgeschrieben.
Im Juni 1939 schnitt Frankreich aus seiner „Republik“ die nordöstliche Küstenprovinz Alexandrette (Iskenderun) – nunmehr Hatay genannt – heraus und übertrug sie nach einem Referendum an die Türkei, zu der sie heute gehört. Frankreich wollte sich mit dieser faktischen Schenkung die Gewogenheit der Türken im befürchteten Konflikt mit Deutschland sichern. Laut französischer Statistik sollen 1938 im Hatay 39 % Türken, 20 % Alawiten, 11,5 % christliche Armenier, 10 % Sunniten und 8 Prozent assyrisch-aramäische Christen gelebt haben. In der türkischen Lesart allerdings wären bereits damals 80 % der dortigen Bevölkerung Türken gewesen, was sich recht simpel dadurch erklärt, dass die Türkei lediglich Armenier und Aramäer nicht als Türken berücksichtigte.
WK 2 – Großbritannien gegen Frankreich
Mit Frankreichs Niederlage im Kampf gegen Deutschland 1940 übernahm die Vichy-Regierung das Mandat über Syrien. Ab Mai 1941 kam es zu Gefechten der in Palästina stationierten Briten gegen die französischen Truppen in Syrien. Hintergrund war die britische Befürchtung, dass die Achsenmächte sich im Syrien der in Vichy amtierenden französischen Regierung festsetzen und damit gegen die britischen Truppen in Ägypten und Palästina einen Zwei-Fronten-Krieg führen könnten.
Ab Juni drangen aus Palästina eine australische Infanteriedivision, eine britisch-indische Brigade und sogenannte freifranzösische Truppen nach Syrien ein, wo es zu mehreren Schlachten der britisch geführten Verbände gegen die Franzosen kam. Nachdem aus dem ebenfalls britischen Irak weitere Armee-Einheiten gegen die Franzosen nach Syrien geschickt wurden, kam es am 14. Juli 1941 zum Waffenstillstand. Rund 32.000 französische Soldaten wurden gegen den Willen der Freifranzosen entwaffnet von den Briten nach Frankreich verschifft, über 5.000 schlossen sich den „Freien Franzosen“ an. Bei den Kämpfen sollen insgesamt knapp 6.000 Mann ums Leben gekommen sein, davon mehr als 3.000 aus den Einheiten der Commonwealth-Staaten und über 1.000 Mann der freifranzösischen Verbände.
In der Weltkriegssituation setzten die Syrer am 11. Januar 1944 ihre formelle Anerkennung als Republik durch, jedoch verblieben französische Truppen noch bis zum 17. April 1946 im Land.
Die syrische Republik der Baath-Partei
Bereits im Jahr 1940 hatten der griechisch-orthodoxe Syrer Michel Aflaq und der Sunnit Salah-a’Din al Bitar in Damaskus eine laizistisch-nationalistische, arabische Partei mit dem Namen „Wiedergeburt“ (al Ba‘th) gegründet. Orientiert an kommunistischen Bewegungen entwickelte sich hieraus bis 1953 eine dann panarabische Bewegung mit dem vollständigen Namen „Sozialistische Partei der Arabischen Wiedergeburt“.
Der junge unabhängige Staat Syrien kam nach der Niederlage im Feldzug gegen das frisch gegründete Israel 1948 nicht zu stabilen Verhältnissen, sodass infolge der 1956 von Großbritannien, Frankreich und Israel gegen Ägypten geführten „Sueskrise“ 1958 die sogenannte „Vereinigte Arabische Republik“, ein geistiges Kind des ägyptischen Offiziers und Staatsmanns Nasser, die Rettung zu versprechen schien. Diesem ägyptisch dominierten Experiment setzte ein Putsch syrischer Offiziere jedoch schon 1961 ein Ende. Zwei Jahre später usurpierte sich die Ba’th-Partei die Macht, konnte aber infolge innerer Zerstrittenheit ebenfalls nicht maßgeblich zur Stabilität der syrischen Verhältnisse beitragen. So kam es 1970 zur parteiinternen Palastrevolution des Hafiz alAssad, der die Staats- und die Parteiführung übernahm und faktisch eine alawitisch geprägte, laizistische Präsidialdiktatur begründete.
Assad entstammte einer alawitischen Familie aus der Küstenregion um Latakia, dem früheren Mandatsstaat gleichen Namens, mit seiner mehrheitlich dieser schiitisch geprägten Glaubensrichtung angehörenden Bevölkerung. Der Alawit hatte unter anderem in der Sowjetunion eine Offiziersausbildung absolviert. Seine Politik war außenpolitisch durch die Nähe zu Russland und nach deren Machtübernahme trotz seines Laizismus zu den schiitischen Mullahs im Iran geprägt. Gegenüber Israel nahm er nach marginalen Erfolgen im Jom-Kippur-Krieg 1973 die pragmatische Position eines kalten Friedens ein, ohne auf seine Gebietsansprüche auf die drusisch geprägten Golanhöhen gegenüber Israel zu verzichten.
Innenpolitisch bekämpfte er mit großer Härte die sunnitisch-fundamentalislamischen Kräfte um die Muslimbruderschaft. 1982 ließ Assad einen sunnitischen Aufstand in der Stadt Hama mit Militäreinsatz niederschlagen. Unterschiedliche Schätzungen gehen von bis zu 30.000 zivilen Opfern aus. Polizeistaatliche Verhaftungsaktionen brachen seinerzeit den Anhängern des radikalen Islam das Genick und bescherten Assad und seinem diktatorisch geführten Syrien eine Phase relativen Wohlstands.
Ein kurzer Damaszener Frühling
Mit dem Tode Hafiz‘ im Jahr 2000 übernahm sein zweitjüngster Sohn Baschar die Regierung. Nach anfänglichen, vorsichtigen Demokratisierungsversuchen des westeuropäisch gebildeten Alawiten schienen jedoch bereits schnell die alten Eliten in den Sicherheitskräften das Ruder zu übernehmen. Nach einem kurzen „Damaszener Frühling“ wurde der Druck auf die Opposition verstärkt. Aufkeimende Proteste in den kurdisch geprägten Regionen führten 2004 zu Massenverhaftungen und politisch begründeten Morden durch die Sicherheitskräfte.
Außenpolitisch setzte Baschar wie zuvor sein Vater auf die großsyrische Option. Konkret bedeutete dieses, sowohl den 1920 ausgegründeten Staat Libanon wie auch die seit 1939 türkische Provinz Alexandrette wieder in den syrischen Staat einzugemeinden. Hierdurch verschärfte sich der nicht offen ausgetragene Konflikt sowohl mit der Türkei als auch mit den USA und Frankreich als immer noch heimliche Schutzmächte der maronitischen Christen im Libanon.
2011 kam es nach Protesten im Zuge des von Tunesien ausgehenden „Arabischen Frühling“ erneut zu polizeistaatlichen Aktionen, die nunmehr ein Pulverfass entzündeten und die seit 1970 unterdrückten Konflikte zum Explodieren brachten. Nach vier Jahren Krieg hat der radikalsunnitische Islamische Staat weitgehend die Gebiete des früheren Mandatsstaat Aleppo unter Kontrolle – ohne dabei die Staat Aleppo selbst zu beherrschen. Lediglich im Norden und Nordosten halten sich einige kurdische Regionen gegen die islamischen Fundamentalisten.
Im ehemaligen Drusenstaat sind sowohl der alQaida nahestehende, sunnitische alNusra-Milizen wie auch Assad-Einheiten aktiv. Von der Weltöffentlichkeit unbeachtet fiel das geistige Oberhaupt der Drusen, Sheikh Wahid al Balaus am 4. September 2015 einem Attentat zu Opfer. Die Drusen, die heute als Mitglieder einer eigenständigen Religionsgemeinschaft anerkannt sind und sowohl in Opposition zu Assad wie zum IS stehen, gelten den radikalen Sunniten ähnlich den nordirakischen Jeziden als Ungläubige, die – anders als Christen und Juden – auch durch einen islamischen Schutzvertrag kein Aufenthaltsrecht im islamischen Staat erhalten können.
Assad selbst ist neben den alawitischen Regionen an der Küste weitgehend auf die besiedelten Gebiete des früheren Mandatsstaats Damaskus im Südwesten Syriens zurückgeworfen.
Russland tritt auf den Plan
Die Interventon Russlands setzt in dem Konflikt eine neue Komponente. Der russische Präsident ist derzeit dabei, mit seiner russischen Armee das Gebiet des früheren Alawitenstaates – der ursprünglichen Heimat der Sippe Assad – rund um die alte Hauptstadt Latakia zu sichern. Da es Russland in diesem Konflikt vorrangig um seinen letzten Mittelmeerstützpunkt Tartus (südlich von Latakia) geht, scheinen Zweifel an der offiziellen Version einer gemeinsam mit den Allierten gewünschten Aktion gegen den fundamentalislamischen IS durchaus angebracht.
Putin wird es völlig ausreichen, den ehemaligen Mandatsstaat Latakia mit Russland als Schutzmacht der Alawiten zu reanimieren und zu einem von ihm abhängigen, offiziell unabhängigen Völkerrechtsobjekt zu machen. Die Verteidigung von Damaskus wird für Russland nur von Bedeutung sein, wenn es dadurch seine Ausgangsposition bei der zu erwartenden Aufteilung eines ausgezehrten Syrien verbessern kann. Gut vorstellbar ist auch, dass der russische Präsident seinen alawitischen Schutzmachtanspruch entsprechend deren Definition auf die alawitischen Siedlungsgebiete im Nordlibanon einerseits und die türkisch verwaltete Region Alexandrette ausdehnt. Er wäre dadurch in der Lage, bei Fortgang des von Erdogan initiierten Bürgerkriegs in der Türkei vergleichbar dem Donbass einen Fuß in die türkische Tür zu schieben, mittels dessen er das ohnehin schon schwächelnde Reich am Bosporus künftig manipulieren und die Südostflanke der NATO deutlich schwächen könnte. Gleichzeitig könnten die aktuellen Gespräche Russlands mit Israel zu einer lockeren Allianz führen in dem Ziel, den radikalislamischen Einfluss in die östlichen Gebiete Syriens zurück zu drängen, von wo aus diese angesichts der russischen Präsenz nunmehr verstärkt gegen die irakischen Schiiten und Kurden vorgehen könnten. Dadurch verschärfte sich der Druck auf die pro-amerikanischen Kräfte im ebenfalls zerfallenden Irak – etwas, das gut in die Verständniswelt des Vladimir Putin passen würde.
Wer allerdings hofft, dass der russische Präsident über Nacht zu einem Kämpfer der Humanität geworden ist, sollte sich von dieser Täuschung schnell lösen. Das Schicksal der syrischen Bevölkerung ist Putin völlig egal – ganz im Gegenteil sieht Russland in den sich ausschließlich auf Zentraleuropa konzentrierenden Flüchtlingsstrom ein perfektes Instrument, um das Projekt EU, welches für ihn den Brückenkopf der US-Anwesenheit auf dem Alten Kontinent repräsentiert, weiter zu schwächen und deren innere Sollbruchstellen zum Bersten zu bringen. Insofern läuft für Russland in seiner von General Waleri Gerassimow vor 2013 entwickelten hybriden Kriegsführung derzeit alles nach Plan – in Syrien wie in Europa. Mit dem Brückenkopf Alawitenstaat kehrt Russland aktiv auf das Nahost-Theater zurück – und macht eine weitere weltpolitische Niederlage der postsowjetischen Russischen Föderation wett.