„Piketty, Varoufakis, Krugman und Stiglitz sind inzwischen so etwas wie die Boy-Group des Neo-Sozialismus. Sie werden auf alle möglichen Bühnen linker Sehnsüchte geholt und spielen ihr Lied von der ungerechten Globalisierung und den angeblich zunehmenden Ungleichheiten in der Welt.“ (Wolfram Weimer)
Der Nobelpreisträger und Starökonom Paul Krugman teilt seine Kollegen in zwei Kategorien ein. Da sind auf der einen Seite die dummen Süßwasser-Ökonomen, die überwiegend aus Chicago am Michigansee stammen und Angebotspolitik betreiben. Auf der anderen Seite stehen die guten Salzwasser-Ökonomen, die wie er selbst an einer Elite-Universität an der Ostküste lehren und sich für eine aggressive Nachfragepolitik engagieren. Krugman gehört neben dem Nobelpreisträger Joseph Stiglitz und den Ökonomen Thomas Piketty, Jeffrey Sachs und Yanis Varoufakis zu den akademischen Stars der alten Links- und der neuen linken Anti-Establishment-Parteien in Europa.
Gab es in den 90er Jahren gewisse Synthesen und akademische Projekte zwischen Süßwasser- und Salzwasser-Ökonomen und sorgte dies für den sachlichen Austausch von Argumenten über die ökonomischen Schulen hinweg, so ist seit der Finanzkrise von 2007/2008 das Tischtuch zerschnitten. In der Öffentlichkeit geben von Keynes inspirierte linke Ökonomen den Ton an und das höchst unbeeindruckt von sachlichen Gegenargumenten. Obwohl Thomas Pikettys Berechnungen zur Ungleichheit mehrfach widerlegt worden sind, feiern ihn die europäischen Linkspopulisten als geistigen Che Guevara, der Europa zur geistigen Revolution und zu neuen Ufern führen wird. Für Thomas Piketty gibt es für Europa nur drei Möglichkeiten:
„A new financial crisis, a cultural shock coming from the left, and finally a political shock coming from the right. European leaders now should have the intelligence to recognize that the second option is by far the best of all: The policy advocated by the Podemos in Spain and Syriza in Greece is deeply internationalist and European.” (Quelle: Why Star Economists Support Left Wing Parties in Europe)
Erklärtes Ziel ist expressis verbis der “cultural shock coming from the left”. Es geht um Kulturkampf und nicht um ökonomische Wissenschaft, weshalb das Bild der fortschrittlichen, coolen und smarten Pop-Ökonomen, die als intellektuelle Kämpfer gegen die etablierten gesellschaftlichen Kräfte zu Felde ziehen wichtiger ist als ökonomische Argumente. Und der Kampfplatz ist Europa. So wurde von Krugmann, Stiglitz, Sachs und Piketty nicht nur Yanis Varoufakis in Griechenland unterstützt, der als Lösung für die europäische Überschuldungskrise einen europäischen Mechanismus zum Überschußrecycling (EMÜR) in der Eurozone durchsetzen wollte. Es werden auch Podemos in Spanien und der neue Labour-Vorsitzende Jeremy Corbyn in Großbritannien öffentlichkeitswirksam flankiert.
Nach seiner Berufung in das Team von Jeremy Corbyn äußerte Piketty, daß Corbyns Wahl zum Labour-Führer eine ausgezeichnete Gelegenheit für die Labour-Partei sei, ein neues Verständnis von Volkswirtschaftslehre zu entwickeln. Dadurch könnten die Feh¬ler der Austeritätsprogramme in Großbritannien und Kontinentaleuropa entlarvt werden. Stopp! Ein neues Verständnis von Volkswirtschaftslehre? Austeritätsprogramme entlarven? Gab es da nicht jemanden, der schon länger gegen Marktfundamentalismus und Austeritätsprogramme in der Öffentlichkeit agiert und der einen neuen Konsens in der Volkswirtschaftslehre durchsetzen will?
Ende November 2009 gründete George Soros das „Institute For New Economic Thinking INET“ mit Hauptsitz in New York mit dem Ziel, neue Paradigmen in der Volks-wirtschaftslehre zu entwickeln, um den „marktfundamentalistischen Konsens“ der Ökonomik zu erschüttern. Nach der Finanzkrise müsse ein neuer Konsens in der Volkswirtschaftslehre geschaffen werden. Geschäftsführer (Institute President) des INET ist Robert Johnson, der früher Managing Director des Hedge-Fonds „Soros Fund Manage¬ment“ war.
Der deutsche Ökonom Stefan Homburg hält das INET indes nicht für ein wissenschaftliches Institut, sondern für eine Lobbyorganisation, „der inzwischen auch mehrere deutsche Volkswirtschaftsprofessoren angehören“ – z. B. Peter Bofinger – „und die auf allen Kanälen für Bankenunion, Bailouts und monetäre Staatsfinanzierung trommelt… So lange genügend Gutmenschen in Medien, Politik und Wissenschaft mitspielen, ist „New Economic Thinking“ profitabel. Jenen Insolvenzspekulanten, die sich früher mit Entwicklungsländern begnügten, muss die Eurozone als wahre Bonanza erscheinen.“ Homburg warf George Soros bereits 2012 vor, das INET zu nutzen, um Wissenschaftler für seine persönlichen Spekulationsziele und steuerfinanzierte Bailouts zu instrumentalisieren. Das „Old Economic Thinking“, das für materiellen Budgetausgleich, Vorsichtsprinzip oder Realisationsprinzip steht, muß dazu in der Öffentlichkeit als unmodern, rückständig, spießig und verklemmt diskreditiert werden.
Im Advisory Board des INET sitzt zum Beispiel Kenneth Rogoff, der mit Vorschlägen zur Bargeldabschaffung brilliert, so daß Zentralbanken Negativzinsen wirkungsvoll durchsetzen und die Märkte weiterhin mit billigem Geld fluten und durch Anleihenkäufe zerstören können. In Deutschland tritt dann wieder der lokal bedeutsame Wirtschaftsweise Bofinger dafür ein. Hier finden wir aber auch zwei amerikanische Aktivisten auf dem europäischen Kampfplatz wieder. Sowohl Joseph Stiglitz als auch Jeffrey Sachs geben sich die Ehre. Ist das Engagement der linken Popökonomen in Griechenland, Spanien und jetzt bei Old Labour in Großbritannien wirklich Zufall?
Auf jeden Fall sind die an der Popkultur orientierten, bewußt produzierten Bilder von Krugman, Stiglitz, Piketty und Varoufakis, der auf dem Motorrad mit Blondine auf dem Rücksitz davonrauscht, wohl Teil einer europaweiten Kampagne von Tagungen, Vorträgen und politischer Beratertätigkeit. In Griechenland hat die Unterstützung von Yanis Varoufakis zwar nicht zum erhofften politischen Erfolg der Einführung eines europäischen Mechanismus zum Überschußrecycling EMÜR geführt. George Soros dürfte mit einem neuen Rettungspaket aber auch nicht ganz unzufrieden sein.
Das oft radikale Auftreten von Krugman, Stiglitz, Piketty und anderen sollte jedoch nicht zu dem Trugschluß verleiten, als seien diese Starökonomen nur in Richtung radikale Linke oder neue linke Anti-Establishment-Parteien vernetzt. Die Verbindungen und Vernetzungen reichen auch in gemäßigte sowie etablierte und einflußreiche Zirkel.
Aktuell dürfte von Interesse sein, daß Krugman zusammen mit Maurice Obstfeld und Marc Melitz die an Universitäten vielgelesenen Bücher „International Economics“, „International Trade“ und „International Finance“ verfaßt hat. In dieser Woche wurde nun vom Internationalen Währungsfonds bekanntgegeben, daß Maurice Obstfeld zum neuen IWF-Chefökonomen berufen wird. Obstfeld, der genau wie Krugman, Stiglitz und Piketty von Keynes inspiriert ist, kommt wie der derzeitige IWF-Chefökonom Olivier Blanchard auch vom MIT und gehört zur sogenannten „MIT-Gang“, welche die Wirtschaftspolitik in den letzten Jahren dominierte. Als informeller Führer gilt Stanley Fischer, seit dem 28. Mai 2014 stellvertretender Vorsitzender der Fed. Krugman gehört dazu genauso sowie Ben Bernanke und Mario Draghi. Der Weg von Programmen zum Ankauf von Staatsanleihen zu einem globalen Mechanismus zum Überschußrecycling, also Keynes‘ altem Vorschlag einer Internationalen Clearing-Union und dem Bancor, ist von daher nicht sehr weit. In der Sache gilt also nicht „New Economic Thinking“, son¬dern alter Wein in neuen Schläuchen.