Tichys Einblick
Exit Weimar?

Staatsrechtler bringt im ZDF-Interview „Notverordnungsrecht“ ins Spiel

Verstörend am Interview ist, dass der Staatsrechtler Marietta Slomka zustimmt, wenn sie die Medien als „volksvertretend“ klassifiziert und ihr hierin nicht widerspricht. Sind also nicht die vom Bürger gewählten Abgeordneten die Volksvertreter, sondern die Medien?

Screenprint:ZDF/heute journal

Der Staatsrechtler Ulrich Battis gab dem heute journal am 21.11. ein Interview, das Marietta Slomka endlich einmal wieder Grund zur Freude bescherte. Der Professor sieht weder eine gescheiterte Regierungsbildung, noch Weimarer Verhältnisse. Beide Aussagen sind richtig, denn schließlich stellten die Jamaika-Sondierungen nur den ersten Versuch einer Regierungsbildung dar und ist die Situation wenn auch für Deutschland ungewohnt ein Normalfall der Demokratie.

Doch ordnet Ulrich Battis dem Ziel Regierungsbildung, egal welche, egal mit welchen Zielsetzungen, im weiteren Interview alles andere unter. Die Politiker, die sich nicht einigen konnten, weil sie dann doch für Inhalte standen, bezeichnet er in paternalistischer Attitüde als „ungezogene Kinder“. Heißt im Klartext: auch die Wähler seien ungezogene Kinder, denn die haben die gewählten Volksvertreter mit einem Wählerauftrag versehen, dem sie im Grundsatze nachzukommen haben, wenn sie keinen Wahlbetrug begehen wollen. Aber auf die Wähler scheint es nicht anzukommen. Denn der Staatsrechtler stellt in einer gewagten These klar, dass nun der Bundespräsident und die Medien Druck machen müssten, damit die Politiker ihre Arbeit tun. Die Medien als Verfassungsorgan oder als Gehilfe, der „mitzuspielen“ hat?

Ein Skandal
Polit-Aktivist Slomka
Das ist bestenfalls so weltfremd wie das ZDF, denn es lässt sich vieles über die Jamaika-Sondierungen sagen, nur eines kann man nicht in Abrede stellen, dass sich alle Beteiligten einer harten Arbeit unterzogen, auch wenn die Sondierungen zu keinem Erfolg führten. Politikerschelte, weil die Politiker nicht das machen, was sich Ulrich Battis und Marietta Slomka wünschen? Man muss schon fest die Augen vor der Wirklichkeit verschließen, wenn man nicht wahrnimmt, dass alle Politiker der Parteien, die für die Regierungsbildung derzeit relevant sind, sich seriös um eine Regierungsbildung bemühen.

Verstörend an dem Interview ist, dass der Staatsrechtler Marietta Slomka zustimmt, wenn sie die Medien als „volksvertretend“ klassifiziert und ihr hierin nicht widerspricht. Sind also nicht die vom Bürger gewählten Abgeordneten die Volksvertreter, sondern die Medien? Also nicht mehr bspw. Angela Merkel, sondern Marietta Slomka, nicht mehr Jürgen Trittin, sondern Claus Kleber, weil die Politiker sich ja jetzt wie „unartige Kinder“ benehmen?

Ein Blick auf die Sachlage.
Wie demokratisch das Kaiserreich wirklich war.
Schön, dass die Meinungsforschungsinstitute endlich aufgelöst werden können, denn der Professor scheint eine Glaskugel zu besitzen, in der er den Wählerwillen erschaut, wenn er doziert: Neuwahlen seien nicht das, was der Wähler will. Da der Wähler keine Neuwahlen wünscht, wie der Staatsrechtler zuverlässig weiß, muss also der Bundespräsident eine Kanzlerin oder einen Kanzler einsetzen, wenn sich die „unartigen Kinder nicht einigen können.“ Sollte sich dann der Bundestag gegenüber der vom Bundespräsidenten eingesetzten Regierung „destruktiv“ verhalten, „das könnte man jetzt schon sagen“, also die „notwendigen“ Gesetze, die von der Regierung ins Parlament eingebracht werden, vom Bundestag nicht abgenickt werden, darf nach Artikel 81 GG der Bundespräsident auch ohne Votum des Parlaments die Gesetze in Kraft setzen. Dieser Paragraf 81 sei ein Ersatz für das Notverordnungsrecht der Weimarer Verfassung, informiert uns der Staatsrechtler.

Weimarer Verhältnisse, hierin ist dem Staatsrechtler zuzustimmen, haben und bekommen wir nicht, denn in der Weimarer Republik wurde der Präsident noch direkt vom Volk gewählt. Es hat seinen guten Grund, dass wir eine Parlamentsdemokratie haben. Die Anwendung des Paragraphen 81 mag rechtlich möglich sein, doch politisch wäre sie eine Katastrophe, sie würde zu Berliner Verhältnissen führen, die wir uns nicht ausmalen wollen. Die Anwendung des Paragraphen 81 wäre möglicherweise nicht das Mittel eine Staatskrise abzuwenden, sondern sie herbeizuführen.


Klaus-Rüdiger Mai ist Schriftsteller, Historiker und Philosoph.

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