Sie hatten Ihre Amtszeit einstmals unter das Motto „Freiheit“ gestellt, und ich habe Ihnen das geglaubt. In einer Zeit, in der die bürgerlichen Freiheiten einer satten Mehrheit in unserem Lande viel zu selbstverständlich geworden waren, um auch nur noch den entferntesten Gedanken an die Verteidigung dieser Freiheiten zu verschwenden, sind Sie mit Ihrer Biographie und Ihrem Bekenntnis zur Freiheit das Licht am Ende des Tunnels gewesen.
Sie mögen zwar immer noch irgendeiner „Bevölkerung“ nahe stehen, aber den mündigen Bürgerinnen und Bürgern sind Sie inzwischen weit entrückt. Wo ist heute Ihre Stimme, Herr Bundespräsident, wenn Bürgerinnen und Bürger als „Nazis“ verunglimpft werden, nur weil sie ihren Unmut über den politischen Mainstream der neuen deutschen Einheitsparteien äußern? Selbst Sie haben im August 2015 zu dieser Polarisierung unserer Gesellschaft beigetragen, in der Süddeutschen wurden Sie im August vergangenen Jahres folgendermaßen zitiert:
„Es gibt ein helles Deutschland, das sich leuchtend darstellt gegenüber dem Dunkeldeutschland“.
Herr Bundespräsident, was bedeutet es eigentlich für unsere Demokratie, wenn Bürgerinnen und Bürger als „Nazis“ bezeichnet werden, die sich auf Basis unserer freiheitlichen Grundrechte erlauben, anderer Meinung zu sein? Es kann doch wohl nicht wahr sein, dass heute in unserem Lande Menschen, die anders denken, als eine medial verbreitete Einheitsmeinung vorzugeben beliebt, mit Unmenschen, die damals auch solche andersdenkenden Menschen umgebracht haben, in einen Topf geworfen werden!
Herr Bundespräsident, Sie kennen den Unterschied zwischen Meinungseinfalt und Meinungsvielfalt aus eigener Erfahrung. Wissen Politiker, Medienvertreter und sonstige linientreue „Gutmenschen“ eigentlich, was sie da tun, wenn sie Bürgerinnen und Bürger unseres Landes, die lediglich ihr Grundrecht auf freie Meinungsäußerung wahrnehmen, als Nazis diffamieren?
Hoffentlich nicht, denn sonst wäre es eine absichtliche Verharmlosung des Nationalsozialismus!
Herr Bundespräsident, Sie haben den Unterschied zwischen Demokratie und Diktatur selbst erlebt, und Sie kennen die deutsche Geschichte. Wikipedia sagt über den Nationalsozialismus, Zitat:
… Die 1920 gegründete Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) gelangte unter Adolf Hitler am 30. Januar 1933 in Deutschland zur Macht, wandelte die Weimarer Republik durch die „Gleichschaltung“ in eine totalitäre Diktatur um und löste ab 1939 mit dem Polenfeldzug den Zweiten Weltkrieg aus. In dessen Verlauf verübten die Nationalsozialisten und ihre Helfer zahlreiche Kriegsverbrechen und Massenmorde, darunter den Holocaust an etwa sechs Millionen europäischen Juden (1941–1945). Die Zeit des Nationalsozialismus endete mit der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht am 8. Mai 1945 …
Indem verfassungstreue Demokraten in diesem unserem Lande ungestraft als Nazis ausgegrenzt werden dürfen, nur weil sie öffentlich eine von der aktuell herrschenden Einheitsideologie abweichende Ansicht vertreten, kehrt man im öffentlichen Diskurs die Täter-Opfer Beziehung des Nationalsozialismus um. Die Opfer des Nationalsozialismus waren „einfach nur anders“, anders als es die damals herrschende Einheitsideologie erlaubt hatte, anders von Herkunft, anders im Glauben, anders in ihrer körperlichen und geistigen Ausstattung, anders in ihrer sexuellen Orientierung – oder einfach auch nur anderer Meinung. Herr Bundespräsident, die Bezeichnung „Nazi“ für Demokraten, die ihr selbstverständliches Grundrecht auf freie Meinungsäußerung wahrnehmen, ohne damit den Boden unseres Grundgesetzes zu verlassen, ist also eine bewusste Verharmlosung von Kriegsverbrechen und Massenmorden und müsste eigentlich strafrechtlich verfolgt werden.
Sie, Herr Bundespräsident, sind das gewählte Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland. Dieser Bundespräsident sollte nach dem Willen des Verfassungsgebers der Jahre 1948/49 eine integrierende, die Einheit des Staates und des Volkes repräsentierende Autorität sein (Bundesverfassungsgericht, dort Punkt 91).
Herr Bundespräsident, damals, bei Ihrer Wahl, hielt ich Sie für den richtigen Mann am richtigen Platz. Warum aber erhebt derjenige Bundespräsident, der ausdrücklich die Freiheit zum Motto seiner Amtszeit gemacht hat, jetzt nicht seine Stimme für unsere demokratische Kultur und für die Meinungsfreiheit aller Bürgerinnen und Bürger in unserem Lande?
Eine der vielen Lebensweisheiten von Herrn Murphy, dem Lieblingsphilosophen aller Ölsucher, lautet, das Licht am Ende des Tunnels könne auch ein entgegenkommender Zug sein …
Mit einem freiheitlichen Glückauf!
Uli Weber
Uli Weber ist Geophysiker und Publizist.