Tichys Einblick
RKI-Files: Reaktion auf Spahns Ausrede

Covid-Patienten auf den Intensivstationen rechtfertigen den „Pandemie der Ungeimpften“-Vorwurf keinesfalls

Jens Spahn hält den von ihm verwendeten Begriff „Pandemie der Ungeimpften“ für gerechtfertigt, weil 9 von 10 Corona-Intensivpatienten Ungeimpfte waren. TE dokumentiert die Stellungnahme einer Wissenschaftler-Gruppe unter Federführung von Prof. Dr. Paul Cullen, Facharzt für Laboratoriumsmedizin und Molekularbiologe.

picture alliance/dpa | Kay Nietfeld

Mit der Argumentation „Pandemie der Ungeimpften“ wurde gut ein Fünftel der deutschen Bevölkerung in den Jahren 2021 und 2022 auf eine Art und Weise diskriminiert und ausgegrenzt, die man bis dahin nicht für möglich gehalten hätte. Wer sich weigerte, sich mit einem kaum getesteten Produkt aus der Gentechnik spritzen zu lassen, wurde vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen. Nur zur Apotheke oder zum Supermarkt hatten Aussätzige noch Zugang.

Und selbst diese minimale Lebenserhaltungsmaßnahme stand zur Disposition. So verlangte Prof. Dr. Dr. Richard Werkmeister, Vorsitzender der Krebs-Gesellschaft Rheinland-Pfalz und Chirurg am Bundeswehrkrankenhaus Koblenz am 4. Dezember 2021 in der „Bild“-Zeitung ein „Supermarktverbot für Ungeimpfte“. „Wer nicht geimpft ist,“ tönte Werkmeister „kann sich Lebensmittel auch online bestellen oder bringen lassen.“

Nun wissen wir aus den ungeschwärzten RKI-Files, die ein Whistleblower der Investigativjournalistin Aya Velázquez zugespielt hat, dass dieser Begriff „aus fachlicher Sicht nicht korrekt“, also aus der Luft gegriffen war.

In den letzten Wochen haben sowohl der Journalist Nikolaus Blome, der 2021 im Spiegel den Wunsch geäußert hatte, „die Republik“ möge „mit dem Finger auf [Ungeimpfte] zeigen“ als auch der damalige CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn ihre Verwendung der diskriminierenden Formulierung damit verteidigt, dass damals etwa neun von zehn Covid-Patienten auf Deutschlands Intensivstationen nicht geimpft gewesen wären.

Zu dieser Behauptung ist Folgendes zu sagen:

Es gab nicht nur keine „Pandemie der Ungeimpften“, sondern es gab überhaupt keine Pandemie im Sinne eines ungewöhnlich hohen Krankheits- oder Todesgeschehens. In Deutschland starben 2020 nicht mehr Menschen als sonst, und in den Ländern mit Übersterblichkeit war diese nach heutiger Information nicht auf Coronavirus-Infektionen, sondern auf Isolation, Depression und wirtschaftliches Elend, sowie auf unsachgemäße Beatmungen und Sedierungen zurückzuführen.

Zwar definiert die Weltgesundheitsorganisation seit April 2009 eine Pandemie als die weltweite Verbreitung einer neuen Erkrankung unabhängig von deren Schweregrad, doch haben Nikolaus Blome und Jens Spahn nicht diese Definition im Sinne, sondern meinen mit „Pandemie“ auch sowas wie „ein ungewöhnlich starkes Krankheitsaufkommen“. Sonst ergäbe ihre Intensivstation-Rechtfertigung für den „Pandemie der Ungeimpften“-Begriff keinen Sinn.

Jeder Patient auf einer Intensivstation mit positivem Corona-PCR-Test galt als „Corona-Fall“, auch wenn er keine Symptome hatte und etwa wegen einer vorangegangen Hüftoperation dort lag. Auch wurden Ungeimpfte im Krankenhaus häufiger einem PCR-Test unterzogen als Geimpfte, die man für „geschützt“ hielt.

Viele der als „ungeimpft“ geführten Patienten hatten bereits mindestens eine Impfung erhalten, denn als „geimpft“ galt man erst 14 Tage nach der zweiten Impfdosis. Ab dem 1. Oktober 2022 galt sogar als „vollständig geimpft“ nur, wer zusätzlich eine dritte, „Booster“-Dosis erhalten hat. Auch wurden Personen mit unbekanntem Impfstatus generell als „ungeimpft“ geführt. Diese Regelungen haben die Impfstatistik stark verzerrt.

Im Schnitt waren in der Corona-Zeit nur vier Prozent aller Intensivpatienten Corona-PCR-positiv. Fast alle waren im fortgeschrittenen Alter und hatten weitere gesundheitliche Einschränkungen wie Diabetes mellitus und starkes Übergewicht. Insofern war das Kollektiv der Corona-Intensivpatienten klein und nicht repräsentativ für das Krankheitsgeschehen in der Allgemeinbevölkerung. Aber die Allgemeinbevölkerung – und nicht die Intensivpatienten – war Ziel der diskriminierenden Äußerungen von Blome, Spahn und vielen anderen.

Spätestens jetzt ist der Bankrott der Politik und vieler Medien seit 2020 sichtbar. Die RKI-Protokolle beweisen: Gegen die Empfehlung der eigenen Experten hat man sich nicht für Rationalität und sachgemäße Aufklärung entschieden, sondern für Spaltung, Aufwiegelung und Ausgrenzung. Ohne eine ehrliche Aufarbeitung mit den gebührenden juristischen Konsequenzen kann die Wunde, die die letzten Jahre in unserer Gesellschaft geschlagen haben, nie geheilt werden.


Prof. Dr. Andreas Brenner
Prof. Dr. Paul Cullen
Associate Professor Dr. Jan Dochorn
Prof. Dr. Ole Döring
Prof. Dr. Gerald Dyker
Prof. Dr. Michael Esfeld
Dr. Johann Frahm
Prof. Dr. Ulrike Guérot
Prof. Dr. Detlef Hiller
Roland Hofwiler
Prof. em. Dr. Dr. Georg Hörmann
Prof. Dr. Klaus Kroy
Prof. Dr. Boris Kotchoubey
Prof. Dr. Christof Kuhbandner
PD Dr. Axel B. Kunze
Dr. Norbert Lamm
Prof. Dr. Salvatore Lavecchia
Dr. Christian Lehmann
PD Dr. Stefan Luft
Prof. Dr. Jörg Matysik
Dr. Christian Mézes
Prof. Dr. Günter Roth, München
Prof. Dr. Andreas Schnepf
Dr. Harald Schwaetzer
Prof. Dr. Wolfgang Stölzle
Prof. Dr. med. Henrik Ullrich
Prof. Dr. Tobias Unruh
Prof. Dr Martin Winkler

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