Tichys Einblick
Keine Sonderrechts-Zonen

Rechtsstaat statt Scharia

Die Gefahren einer Parallejustiz zeigt eine aktuelle Studie des Jura-Professors Mathias Rohe auf.

imago images / Günther Ortmann

„Eine Paralleljustiz ist für Staat und Gesellschaft deshalb gefährlich, weil sie sich in koordinierter Form gegen das Gewaltmonopol des Staates einschließlich des staatlichen Strafanspruchs wendet.“ So beschreibt es eine aktuelle Studie, die der Erlanger Professor Mathias Rohe im Auftrag des baden-württembergischen Justizministeriums erstellt hat. Insbesondere würden die Freiheits- und Schutzrechte Schwächerer durch außerhalb der Justiz stehende Strukturen missachtet.

In großen Clans, Rockerbanden oder auch bei den sogenannten Reichsbürgern gibt es Entwicklungen, die darauf ausgerichtet sind, internen „Konfliktlösungen“ dort Geltung zu verschaffen, wo eigentlich staatliche Instanzen zuständig wären. Islamistische Fundamentalisten stellen zuweilen das angeblich vom Koran vorgeschriebene, muslimische Scharia-Recht über die Rechtsordnung des Staates, in dem sie dauerhaft leben.

Probleme vor allem in NRW und Berlin

Während die Studie für Baden-Württemberg beschreibt, dass die Probleme dort insgesamt geringer sind als beispielsweise in Nordrhein-Westfalen oder Berlin, so sind sie aber auch dort vorhanden. Jedoch kommt es besonders im Ruhrgebiet immer wieder zu massiven Auseinandersetzungen arabisch-libanesischer Clans. Diese schalten anstelle der Justizbehörden sogar eigene „Friedensrichter“ ein. Deshalb hat NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) inzwischen damit begonnen, konsequent gegen die kriminellen Machenschaften arabischer Großfamilien vorzugehen. „Wir müssen Machtdemonstrationen der Clans Machtdemonstrationen des Staates entgegensetzen“, machte Reul zuletzt mehrfach nicht nur durch Worte deutlich.

Die Hintergründe des Entstehens einer Paralleljustiz sind nach den Feststellungen der Studie vielfältig. Sie beruhen auf Normenkonflikten, die unterschiedliche Ursachen haben. Im Zusammenhang mit organisierter Kriminalität und Bandenwesen geht es um die gemeinsame Missachtung geltenden Rechts. Andere Gruppierungen setzen sich im Konflikt mit unseren rechtsstaatlichen Normen über sie hinweg und postulieren eigene Rechtsnormen oder rechtliche Handlungsbefugnisse. Zu diesen gehören radikale Islamisten und Salafisten ebenso wie die Reichsbürger oder sogenannte Bürgerwehren. Oft stehen auch individuelle Sozial- oder Gruppennormen im Widerspruch zum geltenden Recht. Das findet man in Rockergruppen, bei Fußballultras oder Hooligans.

In kollektivistischen Migrantenmilieus geht es oft um Begriffe wie „Ehre“

Ebenso können sich aus kulturell verankerten Sozialnormen Gegenbilder zur staatlichen Ordnung aufbauen. Das geschieht häufiger in kollektivistisch aufgebauten Migrantenmilieus mit patriarchalischen Grundstrukturen. Hier geht es oft um Begriffe wie „Ehre“. Verstöße gegen eigene Definitionen werden dann gegen die bestehende Rechtsordnung auch gewaltsam durchgesetzt. Zur Hinwegsetzung über geltende Vorschriften gehört ebenso die aggressive Beanspruchung des öffentlichen Raums zur Austragung politischer Gegensätze.

Das lässt sich bei Aufmärschen und Aktionen von rechts- wie linksextremistischen Gruppierungen feststellen. Eine weitere Gefahr liegt in dem Entstehen sozialer Machtstrukturen in besonderen Verhältnissen wie beispielsweise in Justizvollzugsanstalten oder im Rotlichtmilieu. „Die Paralleljustiz muss man allerdings abgrenzen von einer rechtlich zulässigen und in vielen Fällen sogar wünschenswerten Konfliktbewältigung außerhalb staatlicher Institutionen“, erklärt die Studie.

„Missachtung und offene Anfeindung des Rechtsstaats
und seiner Institutionen sowie Angriffe auf das
staatliche Gewaltmonopol finden sich in
unterschiedlichsten gesellschaftlichen Milieus“
Erlanger Professor Mathias Rohe

Sie richtet sich immer gegen das staatliche Gewaltmonopol und die Freiheits- und Schutzrechte aller Menschen. „Missachtung und offene Anfeindung des Rechtsstaats und seiner Institutionen sowie Angriffe auf das staatliche Gewaltmonopol finden sich in unterschiedlichsten gesellschaftlichen Milieus“, stellt Rohe fest. In manchen Migrantenmilieus liegen darüber hinaus spezifische äußere Umstände vor, die das Entstehen einer Paralleljustiz begünstigen. Rohe nennt hier „mangelnde Sprachkenntnisse, im Herkunftsstaat erlerntes Misstrauen gegen staatliche Behörden oder unterschiedliche Kommunikationskulturen“. Es sind aber auch fehlende Kenntnisse über die Arbeitsweise unserer staatlichen Institutionen oder eigene Diskriminierungserfahrungen, die zu einem Vertrauensverlust in den Staat führen.

Konsequent Recht durchsetzen

Wie lässt sich die Entwicklung einer Paralleljustiz bekämpfen? Eine Kernaufgabe sieht Rohe in der Kommunikation mit den unterschiedlichen Milieus und Communities. Dazu brauche es allerdings eine konsequente Rechtsdurchsetzung wie einen empathischen Umgang mit den Betroffenen. Insgesamt sei es eine Querschnittsaufgabe von Justiz, Inneres und Soziales. „Die bloße Bekämpfung vorhandener Strukturen, so wichtig sie ist, bliebe ein Kurieren an Symptomen“, betont Rohe.

Deshalb fordert er, zunächst personen- und gruppenneutral bestehende Probleme zu identifizieren. In der Folge müsse man dann, so der Jura-Professor, nach Mitteln zugunsten einer passgenauen Lösung für alle Betroffenen suchen.


Dieser Beitrag von Heinrich Wullhorst erschien zuerst in Die Tagespost. Katholische Wochenzeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur.

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