Seit fast 30 Jahren nimmt Deutschland an Schulleistungsstudien teil. Dabei werden auch zwischen Bundesländern die kognitiven Fähigkeiten der Schüler verglichen. Die Ergebnisse sind robust: Egal was oder wer getestet wird, ob Lesen oder Mathematik, Rechtschreibung oder Naturwissenschaften – und das bei Viertklässlern oder 15-Jährigen, immer liegen die Schüler im Süden vorn: Bayern und Baden-Württemberg im Westen sowie Sachsen und Thüringen im Osten schneiden durchweg besser ab als Nordrhein-Westfalen oder Brandenburg. Am schwächsten in kognitiven Tests sind Schüler in Bremen und Berlin. Ähnliche Muster finden sich in alten Studien aus den 70er Jahren im Westen oder wenn man Intelligenztests der Bundeswehr aus den späten 90er Jahren heranzieht.
Junge Leute scheinen im Süden klüger zu sein. Nun könnte man sagen: Ja und, ist das relevant, wie Kinder in irgendwelchen Schultests abschneiden?
Gute Testergebnisse finden sich in gut funktionierenden Gesellschaften
Je höher das Niveau kognitiver Fähigkeiten in einem Bundesland ist – also bessere Ergebnisse in kognitiven Schülerleistungstests und in Intelligenztests –, desto geringer sind gesellschaftliche Krisenphänomene ausgeprägt: Die Bundesländer sind im Schnitt weniger verschuldet, auch die privaten Haushalte haben weniger Schulden, weniger Erwachsene sind arbeitslos, weniger Bürger sind auf Sozialhilfe angewiesen, es gibt weniger Kriminalität und die geringer vorhandene wird auch noch besser aufgeklärt. Selbst die Qualität von Finanzämtern scheint mit Intelligenz zu steigen, zudem studieren Studenten schneller bis zum Abschluss und die Qualität der Universitäten ist höher.
Was sind die Ursachen?
Arbeitslosigkeit, Armut und Sozialhilfe können deprimieren und so Bildungsanstrengungen verringern. Viel stärker ist jedoch der umgekehrte Effekt: Hohe kognitive Fähigkeiten – Intelligenz und Wissen sowie dessen verstehende Anwendung – stehen für Humankapital, das zu höheren schulischen Leistungen, Einsicht in die für einen selbst günstigen Effekte von Bildungsanstrengungen, besseren Ergebnissen bei komplexen beruflichen Anforderungen, größerem beruflichen Erfolg und höherem Einkommen führt. Man kann besser mit Geld umgehen, gibt langfristig nicht mehr aus, als man einnimmt, und kann auch sein Verhalten generell rationaler steuern. Man erkennt, dass sich Kriminalität auf die Dauer nicht auszahlt, weder für einen selbst noch für andere.
Zwar lassen sich Unterschiede zwischen Menschen nur wenig durch Förderung verändern, aber das Niveau aller kann durch eine günstige Umwelt in Familie und Schule angehoben werden: In der Familie etwa durch Vorlesen und gesellschaftlich durch Bildungspolitik – und hier unterscheiden sich die Bundesländer.
Erfolgreiche Bildungspolitik: bürgerlich-traditionelle Leistungsorientierung
Schaut man sich die Bildungsmerkmale genauer an, die innerhalb Deutschlands mit höheren Fähigkeiten einhergehen, lassen sich diese in zwei Dimensionen zusammenfassen: Bildungsumfang und bürgerlich-traditionelle Leistungsorientierung.
Zu (1) Bildungsumfang gehören Kindergarten- und Kinderkrippenbesuch – je mehr Kinder diese Einrichtungen besuchen und je länger sie dort sind, desto besser schneiden Bundesländer und ihre Schüler später in der Schule und in Tests ab. Mehr Unterrichtszeit in der Schule und kein Lehrermangel gehen ebenfalls mit besseren Ergebnissen einher.
Dabei gibt es auch paradox anmutende Befunde: Je mehr Schüler in das an sich anspruchsvolle Gymnasium gehen und je mehr Schüler sich länger bilden und dann das Abitur erwerben, desto schwächer sind im Schnitt die Ergebnisse der Bundesländer. Dies scheint mit einer Absenkung der Leistungsanforderungen erkauft zu werden, die die Kompetenzentwicklung in der Breite beeinträchtigt.
Bürgerlich-konservativ-rechte Wahlergebnisse und Landesregierungen
Bildungspolitik hat etwas mit Politik im Allgemeinen zu tun. Eine bürgerlich-traditionelle Leistungsorientierung findet sich eher bei bürgerlich-konservativ-rechten Landesregierungen und diese fußen auf ebensolchen Wahlergebnissen. Über die Jahrzehnte hinweg weisen Bayern und Sachsen konservative Mehrheiten auf und machen eine andere Bildungspolitik als etwa progressiv-linke Landesregierungen in Nordrhein-Westfalen oder Bremen. Dies hat zur Folge, dass Schüler CDU-regierter Länder in leistungsorientiertere Schulen gehen und bessere Testresultate erzielen als Schüler in SPD-geführten Ländern.
Allerdings kann man nicht von einem einseitigen Politikeffekt sprechen, links allein macht nicht doof: Zum einen gibt es zusätzlich noch einen direkten Effekt bürgerlich-konservativ-rechter Wahlergebnisse unabhängig von der Bildungspolitik – etwa weil bei bürgerlichen Orientierungen in den Familien eine andere Erziehung praktiziert wird. Zudem gibt es in Deutschland ein Wechselspiel von kognitiven Fähigkeiten und politischen Präferenzen: Bürgerlich-traditionelle Bildungspolitik fördert kognitive Fähigkeiten und diese wiederum führen zu einer Bevorzugung eher bürgerlicher als progressiver Parteien.
Schließlich ist ein allgemeiner Trend zu schlechteren Bildungsergebnissen wie zuletzt bei PISA beobachtbar, sowohl in Deutschland als auch in anderen westlichen Ländern. Es gibt weitere Faktoren, etwa die Schulschließungen in der Corona-Zeit (die zu einem Verlust von ca. 15 Punkten oder 2,31 IQ-Punkten oder vier Monaten Schulunterricht führten) und die Zunahme von bildungsfernen Migranten in den Schulen.
Migrantenquote
Neben bürgerlich-traditioneller Bildungspolitik und den dahinter stehenden bürgerlich-konservativ-rechten Ausrichtungen der Landesregierungen und Wahlergebnisse spielt als drittes der Anteil an Migranten je Bundesland eine Rolle: je mehr Migranten in einem Bundesland, desto schwächer im Schnitt die Ergebnisse. Migrationshintergrund an sich ist aber nicht entscheidend. Würden beispielsweise Millionen Chinesen oder Kanadier nach Europa einwandern, hätte dies mittelfristig eher einen positiven Effekt auf die Testergebnisse, entscheidend ist vielmehr das Bildungs- und Kompetenzniveau der Migranten und ihrer Herkunftsländer. In Singapur oder Australien beispielsweise schneiden Einwandererkinder bei PISA besser ab als Einheimische.
Für die innerdeutschen Unterschiede bleibt der Politikeffekt aber relevanter: Je bürgerlich-traditioneller die Bildungspolitik und je bürgerlich-konservativ-rechter die Politik im Allgemeinen, desto höher sind die kognitiven Kompetenzen der Schüler; und langfristig tendieren Bundesländer mit höherem kognitiven Kompetenzniveau zu bürgerlich-konservativ-rechten Einstellungen und Wahlergebnissen und zu einer förderlicheren Bildungspolitik. Dies zusammen führt zu einer günstigeren Entwicklung dieser Bundesländer, ökonomisch wie gesellschaftlich.
Prof. Dr. Heiner Rindermann, Jahrgang 1966, ist Professor für Pädagogische und Entwicklungspsychologie an der TU Chemnitz. Er befasst sich mit Fragen der Schulleistung, Intelligenz und Bildung und hat dazu Bücher, Zeitschriftenartikel und Vorträge veröffentlicht.
Weiterführende Hinweise
- Rindermann, H. (2024). Why are there differences across German states in student achievement and cognitive ability? Heliyon, e25043 (zum freien Herunterladen).
- Im Juni 2024 erscheint: Rindermann, H. (2024). Bildung und Intelligenz: Ist Deutschland auf die Zukunft vorbereitet? Stuttgart: Kohlhammer.