„Schnaps, ÖVP, Schnaps!“ So skizzierte vor vielen Jahren ein frommer steirischer Kirchgänger sein Wahlverhalten. Schon damals gab es in Österreich nicht „die“ katholische Partei. Das Klischee, dass Arbeiter und Angestellte SPÖ wählen, während Bauern und konservative Katholiken ihr Kreuz bei der ÖVP machen, ist mehr nostalgische Erinnerung als politische Wirklichkeit. Unter Jörg Haider wurde die FPÖ zur alternativen Arbeiterpartei, unter H.C. Strache auch zu einer Alternative für konservative Katholiken. Die Grünen sprechen gezielt die Umweltbesorgten aller Stände und Lager an, die liberalen NEOS jene, die individueller Leistung und Unternehmergeist mehr vertrauen als Übervater Staat.
„Die“ katholische Partei gibt es auf dem Wahlzettel nicht
Heute jonglieren alle Parteien Themen unterschiedlicher Interessens- und Wählergruppen. Dass es „die“ katholische Partei auf dem Wahlzettel nicht gibt, liegt aber an den Katholiken selbst, die – wenig überraschend – mehrheitlich nicht nach Weisungen des kirchlichen Lehramts oder christlichen Werthaltungen wählen. Auch Kirchgänger haben, wie alle Bürger, unterschiedliche Interessen: als Steuerzahler oder Sozialhilfeempfänger, Unternehmer oder Angestellter, Bauer oder Selbstständiger, Hausbesitzer oder Mieter, Pensionist oder Student, Single oder Familienvater, Karriere- oder Hausfrau. Mit dezidiert christlichen Positionen – etwa gegen die jüngst eingeführte Ehe für gleichgeschlechtliche Paare oder gegen die politisch tabuisierte Fristenregelung – ist im immer noch mehrheitlich von Christen besiedelten Österreich keine Wahl zu gewinnen, ja nicht einmal der Einzug ins Parlament zu schaffen.
Fast alle präsentieren sich als werthaltige Optionen für Christen
Umso erstaunlicher, dass fast alle Parteien sich irgendwie auch als werthaltige Option für Christen präsentieren: die SPÖ unter dem Banner der Gerechtigkeit, die Grünen unter dem von Umweltschutz und Klimawandel (ins Christliche übersetzt: Schöpfungsverantwortung), die NEOS unter jenem von individueller Verantwortung und Freiheit. Am deutlichsten haben sich zuletzt christliche Bekenntnisse bei ÖVP und FPÖ verdichtet, auch unter dem Eindruck, dass das Wachsen eines zerstrittenen, doch selbstbewusst auftretenden Islam eine Selbstvergewisserung der Österreicher nötig macht. „Ja, wir wollen unsere kulturelle Identität aufrechterhalten. Wir sind stolz auf unsere Bräuche, Traditionen und Kultur“, sagte ÖVP-Chef Sebastian Kurz jüngst im Wahlkampf. Wer zuwandert, der müsse sich daran halten.
Am politischen Islam arbeitete sich auch der neue FPÖ-Chef Norbert Hofer beim Parteitag am vergangenen Samstag in Graz ab: Als er auf die Welt kam, lebten 20.000 Muslime in Österreich, heute seien es 800.000, meinte Hofer leicht aufrundend. „Mohammed“ sei in Wien der drittbeliebteste Vorname. „Es braucht eine Partei, die alles tut, um diesem Trend der völligen Veränderung unseres christlichen Abendlands entgegenzutreten“, rief Hofer. „Der Islam war niemals ein Teil unserer Kultur, und er wird niemals ein Teil unserer Kultur sein. Wir wollen unsere Werte nicht aufgeben! Es ist unser Land!“
Instrumentalisierung der Religion zur Abgrenzung von „den Anderen“?
Bereits in den 1990er Jahren unter Jörg Haider, hatte die FPÖ mit der Angst vor ausländischer Überfremdung Wahlkampf gemacht und Stimmen maximiert. Bedient Norbert Hofer heute ähnliche Ängste, wenn er fordert, Hass-Prediger auszuweisen und „Hass-Moscheen zu schließen“, wenn er warnt, es werde bei Einführung eines Ausländerwahlrechts „eine Islam-Partei“ geben? Dient, wie FPÖ-Kritiker meinen, die Berufung auf das christliche Abendland vor allem zur Abgrenzung von einem muslimischen Morgenland, das in Gestalt von Migranten Österreich zu fluten droht? Geht es also um eine Instrumentalisierung der Religion zur Abgrenzung von den Anderen, von den Ausländern, mit ihrem fremden Glauben und ihren fremden kulturellen Gepflogenheiten – um ein Spiel mit der Angst der autochthonen Bevölkerung vor Überfremdung?
Ex-Innenminister Herbert Kickl bediente – anders als der zum Protestantismus konvertierte Hofer – beim FPÖ-Parteitag die alten antiklerikalen Reflexe der FPÖ, als er das Kirchenasyl zum „Modell der Vergangenheit“ erklärte, das im Rechtsstaat des 21. Jahrhunderts nichts zu suchen habe. Die Kirche dürfe nicht Leute in ihren Klöstern verstecken, die es sonst mit dem Christentum so gar nicht haben, wetterte Kickl. Dabei hat die FPÖ im Parteiprogramm mit Christentum und Judentum längst ihren Frieden gemacht: „Europa wurde in entscheidender Weise vom Christentum geprägt, durch das Judentum und andere nichtchristliche Religionsgemeinschaften beeinflusst und erfuhr seine grundlegende Weiterentwicklung durch Humanismus und Aufklärung.“ Weiter heißt es da: „Wir bekennen uns zu den daraus resultierenden Grundwerten und zu einem europäischen Weltbild, das wir in einem umfassenden Sinn als Kultur-Christentum bezeichnen und das auf einer Trennung von Kirche und Staat beruht.“
SPÖ, Grüne und „Jetzt“ sehen „traditionelle Familie“ als rotes Tuch
Für SPÖ, Grüne und „Jetzt“ ist das, was sie „traditionelle Familie“ und „klassische Rollenbilder“ nennen, ein rotes Tuch. Kritik an der Gender-Ideologie und der LGBTI-Lobby wagen nur Politiker von ÖVP und FPÖ. Auch wenn beide Parteien die von den Höchstrichtern erzwungene Homo-„Ehe“ nicht verhinderten, bekennen sie sich zum Leitbild der Ehe von Mann und Frau, zur Familie aus Vater, Mutter und Kindern. Die NEOS wehren sich immerhin gegen die von Rot-Grün ersehnte Verstaatlichung der Kindererziehung. Eine Ausweitung des sogenannten „Schutzes vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung“ über die Arbeitswelt hinaus lehnen nur ÖVP und FPÖ ab. Das wäre eine drastische Einschränkung der Vertragsfreiheit und der Privatautonomie, heißt es aus der ÖVP. Der Diskriminierungsschutz sei bereits ausreichend, heißt es aus der FPÖ. Dass Privatpersonen etwa ein schwules Paar als Mieter ablehnen dürfen oder ein Bäcker keine Hochzeitstorten für Homo-Hochzeiten machen will, würden alle anderen Parteien gerne gesetzlich verbieten.
Im Wahlkampf und in der Wahlzelle geht es jedoch weniger um Ehe, Familie und Lebensschutz. Auch kaum um Steuern, Pensionen und die Zukunft der Pflege. Eine moralische Bewertung der kurzen ÖVP/FPÖ-Regierung unter Bundeskanzler Sebastian Kurz dominiert zumindest die mediale Debatte. Ob die österreichischen Leitmedien damit Recht behalten, oder doch FPÖ-Chef Hofer, der die gescheiterte Regierung als die beliebteste aller Zeiten preist, das wird sich am Abend des 29. September zeigen. Die FPÖ würde jedenfalls gerne mit der Kurz-ÖVP weiter regieren. Kurz selbst lobt die inhaltliche Arbeit der vergangenen eineinhalb Jahre, hält sich aber zunächst alle Optionen offen. Bei Umfragewerten um die 35 Prozent – knapp 15 Prozent vor SPÖ und FPÖ – kann sich der ÖVP-Chef diesen Luxus leisten.
Dieser Beitrag von Stephan Baier erschienen zuerst in Die Tagespost. Katholische Wochenzeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur, der wir für die freundliche Genehmigung zur Übernahme danken.
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