Tichys Einblick
Glosse

Nutzen der Maskenpflicht: Nichts Genaues weiß man nicht

Jüngst wurde berichtet, dass das von Lauterbach geführte Gesundheitsministerium keinen Hinweis zur Effektivität eines Maskengebotes habe, da diese Maßnahme mit weiteren „tiefgreifenden Einschränkungen wie Schließungen von Schulen und Arbeitsstätten“ einhergingen. Was sagt man dazu? Von Friedrich Pürner

IMAGO / Frank Ossenbrink

So oft und wann immer es ihm möglich war – erinnerte Karl Lauterbach bei jeder Gelegenheit die Gesellschaft daran, wie wichtig das Tragen einer Maske sei. Auch in der Öffentlichkeit. Selbst im Freien ließ sich der Gesundheitsminister mit Maske fotografieren – wenn er wusste, dass ein Foto gemacht wird. Auch auf Twitter erinnerte Lauterbach immer wieder an die Wirksamkeit einer Maske und führte dabei gerne Studien an – womit er sich damit gelegentlich bis auf die Knochen blamierte.

Und nun? Gestern wurde berichtet, dass das von Lauterbach geführte Gesundheitsministerium keinen Hinweis zur Effektivität eines Maskengebotes habe, da diese Maßnahme mit weiteren „tiefgreifenden Einschränkungen wie Schließungen von Schulen und Arbeitsstätten“ einhergingen. Was sagt man dazu? Und so ganz zu recht getitelt: „Lauterbach weiß nicht, ob die Maskenpflicht was gebracht hat.“

— Argo Nerd (@argonerd) May 4, 2023

Nach fast drei Jahren, in denen die Bevölkerung zum Masketragen ermahnt oder verpflichtet wurde, sollte doch eine valide Aussage möglich sein. Aber nein. Ob das Maskengebot als alleinige Maßnahme einen positiven Effekt hatte, bleibt ungeklärt. Einen negativen Effekt hatte die Maskenpflicht aber sehr wohl. Mehrere Jahre konnten nun Menschen in der Öffentlichkeit und in geschlossenen Räumen mit Masken – manchmal sogar mit zwei übereinander – angetroffen werden. Die Maske hat sich von einem ursprünglichen Warnsignal zu einem Accessoire entwickelt. Die fatale Folge lässt sich mit der folgenden Geschichte aus dem realen Leben wunderbar erklären.

Oma Erna lebt seit vielen Jahren alleine in ihrer Wohnung im 3. Stock. Sie ist seit einiger Zeit mit einem Hausnotrufsystem ausgestattet, damit sie per Knopfdruck zu jeder Zeit Hilfe holen kann.

An einem Samstag in aller Herrgottsfrüh drückte Oma den „Notknopf“, als sie von Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Durchfall bis zur Erschöpfung geplagt wurde. Sie sprach mit der Notrufzentrale und sehr schnell waren zwei freundliche Retter zur Stelle. Diese brachten Oma Erna mit Verdacht auf eine Norovirusinfektion in das nächst gelegene kreisangehörige Krankenhaus. Weiterspuckend wurde sie in der Notaufnahme als „Infektfall“ empfangen, mit Infusionen versorgt und kam in ein Einzelzimmer.

Wo ist Oma?

Die Enkeltochter hörte von Omas Ausflug ins Krankenhaus am gleichen Tag und machte sich für einen spontanen Besuch direkt auf den Weg. Sie klapperte vergeblich zwei Stationen ab, weil man Oma noch nicht im System fand. Auf der dritten Station wurde sie endlich fündig. Die Verdachtsdiagnose der Retter sowie des aufnehmenden Assistenzarztes im 1. Jahr kannte die Enkeltochter nicht. Es war eben nur bekannt, dass es Oma nicht besonders gut ging. Mehr hatte die Zentrale des Hausnotrufs der Familie nicht mitteilen können.

Als sie also endlich die richtige Station fand, wurde ihr nur das Zimmer der Oma genannt. Bevor sie in das Zimmer marschieren konnte, drückte man der Enkeltochter die durch das Erbrochene stark verdreckte und übelriechende Kleidung in einer Tüte in die Hand. Sie wurde gebeten, den Inhalt der Oma doch zu waschen. „Warum auch nicht“, dachte sich die fürsorgliche Enkeltochter. Weder die unmaskierte und unbehandschuhte Krankenpflegerin noch die Enkeltochter dachten dabei an eine Infektionsübertragung via Schmierweg oder durch das Aufstauben möglicher angehafteter Erreger.

Als die Enkeltochter endlich das Zimmer der Oma erreichte, sah sie eine Pflegekraft aus dem Zimmer der Oma kommen. Eine weitere folgte sogleich. Beide waren wohl bei Oma, um ihre Bettwäsche zu wechseln. Diese Vermutung drängte sich auf, da ein übelriechendes Bettlaken voll braun-gelber Flecken unter den Armen einer Pflegekraft steckte. Das Besondere an der Situation war, dass die eine Pflegekraft mit FFP-2 Maske im Gesicht zu sehen war, die andere Pflegekraft, die dafür mit roten langen Fingernägeln bestückt war, trug keine Maske.

Isolation – aber ohne Information

Das tapfere Enkelkind betrat das Zimmer der hörbar würgenden Oma. Sie sah voller Mitleid in ihr gelb-grünliches Gesicht. Oma war krank. Das war deutlich zu sehen. Mit der besprenkelten Kotztüte auf dem Schoß, die anscheinend kurz zuvor ausgeleert wurde, machte sie einen hilflosen Eindruck. Das Würgen wollte nicht aufhören. Die weiteren Geschehnisse erspare ich Ihnen hier – liebe Leser.

Ich fahre an der Stelle fort, wo plötzlich eine weitere Pflegekraft in das Zimmer der Oma kam und die liebevolle Enkeltochter zur Schnecke machte. Sie sei hier auf der Isolierstation und ohne Maske und sonstige Schutzausrüstung im Zimmer. Nun wurde die Enkeltochter bleich im Gesicht, weil die Krankenpflegerin erklärte, dass sich Oma ein hochinfektiöses Virus eingefangen habe. Ohne Maske sei es sehr wahrscheinlich, dass sie innerhalb der nächsten Tage ebenso darniederliegen würde.

Überrascht von der Situation war die Enkeltochter nun wütend. Nirgendwo waren Hinweise auf eine Isolation der Oma zu sehen. Niemand sagte ihr rechtzeitig, dass Oma mit einem solch fiesen Virus zu kämpfen habe.

Der Gewöhnungseffekt hat eingesetzt

Besonders haderte das Enkelkind aber mit sich selbst. Warum hatte sie nicht auf die Krankenschwester reagiert, die masketragend aus Omas Zimmer kam? Die Enkeltochter hatte sich an maskentragende Menschen gewöhnt. Der Anblick löste keine Reaktion zur Vorsicht aus. Sah sie früher Menschen mit Maske, besonders im Krankenhaus, dann wusste sie instinktiv, dass hier Infektionsgefahr zu befürchten war. Sie hätte innegehalten und nachgefragt, ob es etwas zu beachten gäbe, da niemand früher einfach so eine Maske trug. Nun hatte sie sich durch unzählige Fahrten im ÖPNV, in der Arbeit, ja sogar in der Freizeit an maskentragende Menschen gewöhnt. Das Warnsignal „Achtung Infektionsgefahr“ wurde durch den Gewöhnungseffekt erstickt.

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Geknickt und in Erwartung eines unangenehmen Schicksals fuhr die Enkeltochter nach Hause. Auch die Tüte mit Omas Kleidung war ihr nun eine befremdliche Last. Am nächsten Tag gab es Neuigkeiten. Oma hatte keine Infektion. Oma hatte einen Darmverschluss. Dieser wurde als solcher nicht direkt erkannt, weil Oma und der ausländisch sprechende Arzt unter anderem auch sprachlich nicht zueinander fanden. In der Notaufnahme übergaben die einliefernden Retter nicht nur die Oma, sondern auch eine „Verdachtsdiagnose“ an das Krankenhauspersonal. Weitere Untersuchungen blieben deshalb zunächst aus.

Ja, lieber Herr Lauterbach, das Tragen einer Maske hat etwas gebracht. Einen Gewöhnungseffekt. Zum Glück war es – zumindest aus epidemiologischer Sicht – kein hochinfektiöser Norovirus, sondern ein Darmverschluss. Dieser wurde jedoch dank Ihres zugrunde gerichteten Gesundheitssystems spät erkannt.

Wie ging die Geschichte aus? Ein engagierter Oberarzt übernahm den Fall der Oma und rettete ihr vermutlich das Leben. Eine notoperierte Oma und eine kreidebleiche Enkeltochter bleiben dennoch zurück.


Dr. med. Friedrich Pürner, MPH
Facharzt für Öffentliches Gesundheitswesen, Epidemiologe

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