Tichys Einblick ist ein Forum alter weißer Männer. Das behaupten zumindest unsere Gegner gern und versuchen damit, uns in eine Ecke der Weltfremden, Unbelehrbaren zu stellen. Und zumindest, was das biologische Alter betrifft, ist diese Feststellung nicht gänzlich aus der Luft gegriffen.
Anfang Dezember überlegten nicht zuletzt wegen des TE-Altersschnitts Fritz Goergen und Tomas Spahn, ob es nicht spannend sein könnte, in diesem Forum auch einmal junge Leute zu Wort kommen zu lassen. Ganz junge. Solche, die nicht wie die breite Mehrheit der Mitwirkenden über viel Lebenserfahrungen verfügen und die deshalb zumeist nicht ohne Grund mehr als skeptisch auf die Geschehnisse der Gegenwart schauen. Junge Bürger, deren Blick auf die Politik noch unverstellt ist von jahrzehntelangen Erfahrungen. Die aber gerade deshalb noch viele Jahrzehnte mit dem leben müssen, was die Politik heute verursacht.
Bürger aber auch, die in ihrem bislang kurzen Leben nie etwas anderes erlebt haben als eben jene Regentschaft Angela Merkels.
Prägt das Jugendliche? Wie gehen sie damit um? Verstellt es vielleicht auch den Blick auf „das, was ist“ (um an dieser Stelle angesichts der Spiegel-Affäre einmal Rudolf Augstein zu zitieren).
Also plante TE, einen solchen Versuch zu starten. Die Gelegenheit ergab sich anlässlich des CDU-Parteitages Anfang Dezember. Denn unerwartet schien dieser Parteitag maßgebliche Weichenstellungen für die Zukunft Deutschlands vornehmen zu müssen.
Nils Kahnwald, Schüler der zehnten Klassenstufe des Hamburger Niels-Stensen-Gymnasiums, hatte mit seiner Klasse die Chance, diesen Parteitag als Gast zu besuchen. Sein Interesse für die Politik hatte ihm zu diesem Zeitpunkt unter seinen Mitschülern längst den Ruf des Politik-Experten eingebracht. TE sprach ihn an. Hätte er Spaß daran, für uns seinen Blick auf diesen Parteitag zusammen zu fassen? Das zu schreiben, was aus seiner Sicht dazu zu schreiben ist? Und dieses gänzlich unbeeinflusst durch „die alten Hasen“ zu tun?
Nils sagte ja. Doch er bat – kurz vor Weihnachten standen noch zahlreiche Klassenarbeiten auf dem Plan – darum, erst mit Beginn der Weihnachtsferien liefern zu müssen. Und das hat er getan.
TE bringt seinen Bericht nun ungekürzt und unverändert, auch wenn manches unseren Lesern in der Sache längst bekannt ist. Und doch finden wir es spannend zu lesen, wie die Sicht eines heute 15-Jährigen ist.
Neuwahlen noch 2019?
Vom 7. bis 8. Dezember 2018 fand in den Hamburger Messehallen der Bundesparteitag der CDU statt. Ich freute mich, dass ich als Zuschauer am siebten den Parteitag vor Ort erleben durfte, da ich mich schon seit längerem sehr für Politik interessiere.
Für uns ist Merkel und Politik eins
Aufgrund der langen Amtszeit Merkels kennen Jugendliche wie ich nur Angela Merkel als Bundeskanzlerin und CDU-Aushängeschild. Politik und Merkel waren für uns immer verbunden. Es ist für viele schwer vorstellbar, dass nun ein Wechsel an der Spitze ansteht – für viele Jugendliche bleibt die legendäre ,,Merkel-Raute“ im Gedächtnis.
Wer hätte gedacht, dass Menschen auf der ganzen Welt bei einer Raute direkt an Merkel und damit verbunden gleich auch an Deutschland denken würden? Es gab immer das Gefühl, dass man Merkel mit ihrer besonnenen und ruhigen Art vertrauen könne. Durch die lange Amtszeit Merkels entstand jedoch auch ein erkennbarer Stillstand in der Politik. Es fehlte ihr unübersehbar an Visionen und Ideen für die Zukunft unseres Landes. Die Digitalisierung wird verschlafen. Es gibt einen großen Mangel an Arbeitskräften in Seniorenheimen, Krankenhäusern und Schulen und weiterhin keine erkennbare Linie in der Migrations- und Integrationspolitik. Das Gefühl entstand, dass es sowieso egal ist, was gewählt wird, da Merkel ja eh Kanzlerin bleiben würde, wodurch bei vielen vor allem jungen Menschen ein Interesse an der Politik gar nicht erst aufkommt.
Ein kurzer Blick zurück
Während der 18-jährigen Amtszeit Merkels als Parteivorsitzende, die 2000 begann, gelangen der CDU viele beeindruckende Wahlsiege. 2005 löste die Union die SPD bei der Bundestagswahl als stärkste politische Kraft in Deutschland ab. Merkel wurde daraufhin in einer schwarz-roten Koalition zur Bundeskanzlerin gewählt. Bei den Bundestagswahlen 2009 reichte es für die schon seit längerem gewünschte Regierungskoalition aus Union und FDP, was vor allem an einer starken FDP lag, die mit knapp 15 Prozentpunkten ihr bestes Ergebnis erreichte.
Ein starkes Ergebnis holte die Union bei den Bundestagswahlen 2013 mit knapp 41 Prozent. Es fehlten nur fünf Sitze für die absolute Mehrheit im Bundestag. Die schwarz-gelbe Regierung verlor jedoch ihre Mehrheit, da die Liberalen mit 4,8 Prozent erstmals den Einzug in das Parlament verpassten. Es kam zu der ungeliebten ,,Großen Koalition“, nachdem die Grünen die Sondierungsgespräche beendet hatten.
Ab Herbst 2015, als die Flüchtlingskrise ihren Höhepunkt erreichte und der VW-Abgasskandal aufgedeckt wurde, begann die CDU stark an Vertrauen zu verlieren. Außerdem gab es kein Konzept, wie man mit der aufstrebenden Alternative für Deutschland umgehen sollte. Auch die FDP stieg wieder von den Toten auf, nachdem die Liberalen lange Zeit nur noch bei zwei Prozent in Umfragen standen. Die Unzufriedenheit mit der großen Koalition und der Politik Merkels wuchs. Bei den Wahlen in Sachsen-Anhalt holte die AfD mit einem Schlag 25 Prozent der Wählerstimmen. Im Herbst 2016 landete die Union in Merkels Heimatbundesland Mecklenburg-Vorpommern historisch schlecht hinter der AfD.
Merkel hielt sich trotz aufkommenden Drucks innerhalb der Partei souverän an der Parteispitze, da es auch Wahlerfolge gab, zum Beispiel im Saarland mit 40 Prozent; in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein wurden die SPD-Regierungen abgewählt.
Bei den Bundestagswahlen 2017 jedoch verlor die schwarz-rote Koalition fast 14 Prozentpunkte. Die größten Stimmenzuwächse erhielten AfD und FDP, die sich in der außerparlamentarischen Opposition befanden und sich beide rechts von der nach links gerückten Union positionierten.
Unerwartet eine neue Situation
Noch knapp eineinhalb Monate vor dem CDU-Parteitag dachte jeder, dass Merkel erneut für den Vorsitz kandidieren werde. Immer wieder hatte sie unterstrichen, dass Kanzlerschaft und Parteivorsitz in eine Hand gehörten. Doch am 29. Oktober 2018, dem Tag nach der Landtagswahl in Hessen, in der die CDU, wie auch die SPD, erneut knapp elf Prozentpunkte verloren hatten, verkündete die Kanzlerin, sie werde nicht erneut für den Parteivorsitz kandidieren, um so einen Erneuerungsprozess einzuleiten. Das Rennen um die Nachfolge Merkels als CDU-Vorsitzender war somit eröffnet.
Jens Spahn, Friedrich Merz und Annegret Kramp-Karrenbauer bekundeten schnell ihr Interesse daran, am Parteitag für den Vorsitz zu kandidieren. Die Kandidaten lieferten sich knapp einen Monat lang einen fairen Dreikampf um den Parteivorsitz, indem sie sich in Regionalkonferenzen der Parteibasis stellten.
Die Kür des neuen Vorsitzenden
Um neun Uhr sind wir am Veranstaltungsort angekommen. Für den Parteitag mietete die CDU mehrere der Hamburger Messehallen. In einer Halle ist der Sitzungssaal, in der der Parteitag abgehalten wird. In einer anderen Halle gibt es zahlreiche Stände von Wirtschaftspartnern der CDU und einzelnen Gruppierungen innerhalb der Partei. Zur Unterhaltung stehen viele Tischkicker in einer Halle, an denen auch gleich gespielt wird. Für das leibliche Wohl ist ebenfalls gesorgt, da die ,,Frauen-Union“ kostenlos Waffeln verteilt und es in einer anderen Halle kostenlos warme Mahlzeiten gibt. Die CDU will ihrem Ruf als letzte größere Volkspartei Deutschlands, wenn nicht sogar Europas, mit den vielen Partnern, innerparteilichen Organisationen und dem großen Ambiente gerecht werden.
Auf dem Parteitag bekommt die Kanzlerin einen knapp 10-minütigen Applaus für ihre letzte Rede als Vorsitzende. Die Delegierten bedanken sich für die 18 Jahre Merkels mit ,,Danke Chefin“-Plakaten. Nach der etwas zähen Aussprache der Delegierten halten die drei Kandidaten ihre Bewerbungsreden für den Parteivorsitz.
Den Auftakt macht Annegret Kramp-Karrenbauer, die erst im Februar Generalsekretärin der CDU geworden war. Sie hält eine kämpferische Rede, für die sie mit viel Applaus bedacht wird.
Friedrich Merz, Hoffnungsträger des konservativen und wirtschaftlichen Parteiflügels, spricht als zweiter Kandidat. Zunächst bleibt Merz ungewohnt blass, doch je länger er spricht, desto sicherer wirkt er. Seine Botschaft für einen Neustart mit Kurskorrektur der Union wird deutlich. Er fordert einen Neuanfang in der Wirtschafts, Integration- und Migrationspolitik, wirbt für eine ,,Agenda der Fleißigen“.
Auch Jens Spahn, der im Vorhinein von vielen für seine Kandidatur belächelt wurde, hält eine gute Rede. Ähnlich wie Merz und AKK lobt er die Debattenkultur, die durch den Dreikampf um die Parteiführung entstand. Wie Merz fordert er, dass sich harte Arbeit endlich wieder lohnen müsse.
Im ersten Wahlgang wird Spahn mit akzeptablen 15 Prozent der Stimmen für seine Rede belohnt. Weder Kramp-Karrenbauer mit knapp 45 Prozent der Stimmen noch Merz mit 40 Prozent erhalten die absolute Mehrheit. Da kein Kandidat die notwendigen 50 Prozent für eine Mehrheit einfahren, folgt die Stichwahl zwischen Merz und Kramp-Karrenbauer.
Nun stellt sich die Frage, ob ,,AKK“ mindestens fünf Prozentpunkte der Spahn-Anhänger für sich mobilisieren können wird, oder ob genügend Spahn-Wähler für Merz stimmen. Schließlich gewinnt Kramp-Karrenbauer die Stichwahl mit 51 Prozent gegen Merz und wird somit neue Vorsitzende.
Neubeginn einer Volkspartei?
Doch die Frage bleibt: Steht Kramp-Karrenbauer für einen echten Neubeginn der Union, der so dringend notwendig wäre, um als Volkspartei Bestand zu haben?
Für viele Delegierte und Beobachter von außen nicht, denn „AKK“ wird den Ruf als ,,Merkel 2.0“ nur schwer los. Zu unverkennbar war sie Merkels Wunschnachfolgerin. Doch die CDU sollte als Volkspartei erhalten bleiben, damit das Wirtschaftswachstum nicht gefährdet wird, durch das der Wohlstand in unserem Land gesichert wird.
Durch eine starke CDU als Volkspartei hätten wir politische Ruhe in unserem Land und könnten italienische Verhältnisse mit einer populistischen Regierung verhindern. Ist es nicht genau das, was unser Land so stark macht?
Aber wie soll das möglich sein, da ein erkennbarer Neuanfang mit der Wahl gegen Merz als Vorsitzendem verhindert wurde, und mit ,,AKK“ eine Frau gewählt wurde, die auf Merkel-Linie steht? Für viele ist das Scheitern von Merz eine große, vergebene Chance. Ihm wurde zugetraut, die Union wieder zu stärken und Stimmen von der AfD zurückzuholen. Und an die hat die CDU allein bei der Bundestagswahl 2017 mehr als eine Millionen Stimmen verloren. Hätte es nicht eine deutliche Antwort auf diesen massiven Stimmenverlust gebraucht?
Nun hat ,,AKK“ die Aufgabe, die CDU als Volkspartei wieder zu stärken und das Vertrauen der Bürger zurück zu gewinnen, was schwer werden wird in der aktuellen Regierungskoalition, die durch innerparteiliche Streits und einen strauchelnden Koalitionspartner geprägt ist.
Hoffnung Neuwahlen?
Eine Chance, verlorenes Vertrauen zurück zu bekommen, wären Neuwahlen. Damit hätten die Wähler die Chance, über neue Köpfe und Ideen abzustimmen, denn der aktuellen Koalition wurde 2017 das Vertrauen eindeutig entzogen. Neuwahlen sind jedoch vor allem deshalb unwahrscheinlich, da gerade die SPD diese fürchtet.
Eine neue Situation könnte nach den anstehenden Europawahlen im Mai 2019 entstehen, sollte die SPD auf ein ähnliches Ergebnis wie bei der Bayern-Wahl abstürzen. Das könnte der Weckruf sein, dass es so nicht mehr weiter geht und das Vertrauen der Wähler aufgebraucht ist.
Nach Neuwahlen bestünde vermutlich die Möglichkeit zu neuen Verhandlungen über eine schwarz-grün-gelbe Regierungskoalition, in denen dann auch die Anliegen der Liberalen ernst genommen werden werden.
Sollte die CDU historisch schlechte Ergebnisse bei den Landtagswahlen im kommenden Jahr in Sachsen, Brandenburg und Thüringen einfahren und AfD und Linkspartei starke Ergebnisse bekommen, wird eine Regierungsbildung schwer und es steht zu erwarten, dass in der CDU ein weiterer Richtungsstreit ausbricht. Und es wird sich zwangsläufig die Frage stellen: Wie sähe es aus, wäre im vergangenen Dezember Merz CDU-Vorsitzender geworden?
Nils Kahnwald