Tichys Einblick
Herrschaft und Disziplinierung

Eine pandemologische Anmerkung zum hundertsten Mozartfest Würzburg

Wenn alle Mitwirkenden negativ getestet waren, wieso mussten sich die Streicher der Camerata Salzburg dann dem Stress unterziehen, das ganze Konzert mit Maske vor dem Gesicht zu spielen? Einen pandemiehygienischen Grund kann man darin nicht entdecken.

IMAGO / HMB-Media

Am Freitag, 28.05.2021, konnte man auf ARD-alpha die Eröffnungsgala 100 Jahre Mozartfest aus der Würzburger Residenz erleben. Bundespräsident Frank Walter Steinmeier gab sich die Ehre mit einem Eingangsreferat.

Im Publikum sah man Prominenz, u.a. Gerhard Schröder mit Gattin. Mit der Camerata Salzburg und den Starsolisten Renaud Capuçon (Violine) und Gérard Caussé (Viola) in Mozarts Sinfonia Concertante KV 364, sowie mit dem Dirigenten Jörg Widmann war das Konzert in besten Händen. Gerne hätte ich es im Detail verfolgt, musste aber leider nach kurzer Zeit gewisse extra-musikalische Eigenartigkeiten bemerken, die mich letztlich so gefangen nahmen, dass ich der Musik nur noch eingeschränkt folgen konnte.

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Man sah zuerst den Bundespräsidenten mit Maske das Podium betreten und nach Abnahme der Maske seine Rede halten. Im Hintergrund konnte man eine Bassistin aus dem Orchester sehen, die die ganze Zeit mit Maske vor dem Gesicht warten musste. Der Steinmeier’schen Rede folgte das Ritual des Wiederanlegens der Maske und der Abgang vom Podium. Es folgte ein weitere Rede mit demselben Ritual.

Nun begann das Konzert. Alle Musiker – außer natürlich die Bläser – spielten in Maske, während der Dirigent das Orchester ohne Maske leitete. Wieso eigentlich, fragt man sich. Nun ja, vielleicht ist ein Dirigent rein sportlich mehr gefordert als eine Bassistin oder ein Bratschist. Er braucht also mehr Luft. So ließe sich die Masken-Choreographie vielleicht erklären. Aber jetzt war ich doch mehr als gewöhnlich auf die Sinfonia Concertante mit den beiden Solisten gespannt. Würden sie maskiert, so wie die Streicher der Camerata Salzburg, spielen oder aber unmaskiert? Sie kamen unmaskiert aufs Podium und konzertierten mit den anderen Musikern unmaskiert.

Jetzt war ich mit meinen Überlegungen am Ende. Diese hatten sich bis zu diesem Punkt an der Annahme eines rationalen Konzepts orientiert, das mir als Laien schon nicht recht einleuchten wollte. Aber jetzt? Ich war perplex.

Die Sache ließ mir keine Ruhe. Ich musste mich beim Bayerischen Rundfunk über den pandemiehygienischen Sinn der Masken-Choreographie erkundigen. Bereits kurze Zeit später erreichte mich eine freundliche E-Mail von Frau Ilona Mair vom Zuschauerservice des BR, die mir in Ausschnitten folgendes mitteilte, ich zitiere:

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„Die verantwortlichen Kolleg*innen haben dieses Thema ausführlich mit dem verantwortlichen Veranstalter des Konzerts, dem Mozartfest Würzburg, diskutiert. Denn uns als Medienpartner und übertragende Rundfunkanstalt war es wichtig, unseren Zuschauer*innen die Orchesteraufstellung zu erläutern und deutlich zu machen, dass alle Hygienevoraussetzungen seitens der Veranstalter und der zuständigen Gesundheits- und Ordnungsbehörden geprüft und genehmigt sind. Dies hat das Mozartfest Würzburg uns gegenüber mehrfach bestätigt. Aus diesem Grunde wurde wiederholt folgende Information während der Übertragung eingeblendet und auch in der Moderation immer wieder erwähnt: Alle Mitwirkenden des Mozartfestes sind getestet. Das Hygienekonzept wurde von der Stadt Würzburg genehmigt.“

Macht das (abgesehen von der merkwürdigen Anwendung der gendergerechten Sprache) irgendeinen Sinn? Wenn alle Mitwirkenden negativ getestet waren, wieso mussten sich die Streicher der Camerata Salzburg dann dem Stress unterziehen, das ganze Konzert mit Maske vor dem Gesicht zu spielen? Einen pandemiehygienischen Grund kann man darin nicht entdecken.

Menschen mit einem negativen Covid-Test dürfen sich inzwischen ja auch wieder unmaskiert an den Tischen von Gaststätten tummeln. Und wieso durften Renaud Capuçon und Gérard Caussé ihre Soli unmaskiert spielen? Geht von Solisten weniger Gefahr aus? Stoßen sie weniger oder weniger gefährliche Aerosole aus? Oder haben sie vielleicht den Veranstaltern mitgeteilt, dass sie bei Maskenzwang einfach nicht auftreten würden? Die Orchestermusiker könnten sich so etwas nicht leisten. Sie müssen froh sein, überhaupt wieder spielen zu können.

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Ich halte das für gut denkbar. Jedenfalls hatte das Würzburger „Maskenspiel“ mit medizinischen und pandemiehygienischen Fragen null und nichts zu tun. Plausibel scheint mir indessen zu sein, dass diese und ähnliche Inszenierungen im Dienste einer Semiotik von Herrschaft und Disziplinierung stehen, über die dem Publikum bewusst oder unbewusst eine Hackordnung vorgeführt wird, an die man sich bitte halten und für die Zukunft auch gewöhnen möge, und zwar am besten ohne weitere Rückfragen. Das Ziel könnte durchaus die Etablierung einer neuen Etikette für Konzertveranstaltungen sein.

Soviel ich über die TV-Ausstrahlung mitbekommen habe, war das berühmte Deckenfresko von Giovanni Battista Tiepolo mit der Darstellung der vier Erdteile zu sehen. Dieses Kunstwerk, das den 2. Weltkrieg überstanden hat, zeigt u.a. leibhaftige „Wilde“, z.B. Indianer. Dass es bis jetzt der cancel culture entrinnen konnte, deutet auf eine gute Bewachung hin. Der Geist der Unterwürfigkeit, der das hundertste Jubiläum des Würzburger Mozartfestes durchweht hat, legt allerdings nahe, bei künftigen bedeutenden Anlässen über eine Verhüllung nachzudenken.


Josef Bayer ist Prof. em. für Allgemeine und Germanistische Linguistik
Universität Konstanz

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