Nun, er hat sich Zeit gelassen, bevor er über seinen Agenten mitteilen ließ, er sei „überwältigt“, wie es doch so üblich ist beim Literatur-Nobelpreis, den diese schwedischen Sozialpädagogen jährlich vergeben. Hingerissen von sich selber, versteht sich, wie immer, wenn es irgendwelche lappländischen Mystiker oder einem linken italienischen Agitprop-Clown oder anderen interessante Randfiguren der Welt-Literatur, vorzugsweise verfolgten und und dissidentischen, „mutig“ ihren Nobelpreis verleiht.
Rührte sich einfach nicht, sagt weder danke noch IRGENDWAS, und war auch nicht gerührt davon, dass hier ergraute Fans ihrem Jugendidol begegnen wollen, als er davon hörte, während er in Las Vegas auftrat.
Leonhard Cohen, selber kein unbegabter Dichter, (Suzanne, John of Arc, Story of Isaac) meinte lapidar: „es ist, als würde man dem Mount Everest eine Medaille dafür überreichen, das er der höchste Berg ist“ – wo ist da der Witz?
In der Zwischenzeit ruht der Mount Everest in sich auf seiner „never ending tour“, mit rund hundert Gigs pro Jahr und lässt sich auf der Bühne von seinen Fans als fossiliertes Weltwunder der Popmusik bestaunen, all diese Falten und die Schluchten, die steilen Flanken und schroffen Gebirgskronen, über denen bisweilen, wenn die Nebelschleier zerreißen, die Abendsonne glänzt.
Wenn seine rauhe Wetterstimme in Anflügen Melodien erkennen lässt, im allgemeinen aber haut er seine Klassiker kurz und klein, wie auf diesem Konzert vor ein paar Jahren in Hamburg, dann klingt „All along the watchtower“ wie Steinschlag, wie rollender Donner, wie „thunder on the mountain, rolling like a drum …“
Nicht dass er Ehrungen grundsätzlich ausschlagen würde, aber ob er es schafft zur Verleihung, konnte er der netten Sara Danius vom Nobel-Komitee auch nicht sagen, weil er seinen Tourplan gerade nicht im Kopf hatte.
Sagen wir es so: er ließ sich von Obama im Weißen Haus die amerikanische „Freiheitsmedaille“ umhängen, ist schließlich sein Land, sein Präsident, und den Oscar hat er ebenfalls abgeholt, schliesslich sein Hollywood, aber Schweden? Allenfalls ein Tournee-Abstecher.
Die Begründung des Komitees habe ich nicht verstanden, selbst nachdem sie aus dem Schwedischen ins Englische übersetzt war. Er hat da wieder mal einer ganzen Generation ein Gesicht und eine Stimme gegeben, ach was?
Sicher waren seine Protestsongs, seine Folksongs, diese „Masters of War“ und „The times they are a-changing“ und, ach ja, das endlos gecoverte „Blowing in the wind“, ohne Zweifel poetische und politisch korrekte Geniestreiche zu einer Zeit, als sie politisch unkorrekt waren. Gegen den Krieg und so.
Aber dann eben auch das emblematische und namenprägende und zynische „Like a rolling stone“, den wohl fiesesten und frauenfeindlichsten Rachegesang der Popgeschichte, der vom Musikmagazin „Rolling Stone“(!) zum besten Song aller Zeiten gewählt wurde, auf Platz 2 dann die „Rolling Stones“ (!!) mit „(I can get no) Satisfaction“.
Haben die Nobelpreis-Musikologen da mal reingehört? Da wird der Abstieg eine Frau in die Gosse besungen, also eher gehässig gefeiert, so höhnisch, so sehr purer Hass, dsss eigentlich Caroline Emcke einschreiten müsste. Es müsste sie zumindest „interessieren“. Zum Beispiel „woher dieser Hass“ kommt.
Es handelt sich bei der geschmähten upper-class-Tusse um die Tochter eines Öl-Barons, Edie Sedgwick, die in den Pop-Adel gewechselt war, zur Muse an der Seite von Andy Warhol und als Foto-Model durchaus Rivalin auf der Suche nach Ruhm. Sie hing später an der Nadel.
Offensichtlich hatte sie Dylan eine Abfuhr gegeben. Es könnte aber auch irgendwer anders gewesen sein, oder eine erfundene Lady, eine erfundene Geschichte, aber er singt sie mit seinem fiesesten Näseln: du warst mal ganz oben und hast diese tollen Fummel getragen, und alle da unten ignoriert, nicht wahr? „Didn’t youuuuu?“ Das zieht er dann so meckernd hoch, weit hoch über die Nasenwurzel, ein Art gehässiges gehässiges Heulen.
Aber weiter im Text: jetzt kennt dich keiner mehr, du bist ein totaler nobody, du lebst in der Gosse, na wie fühlt sich das an? „How does it feeeeel“, das gleiche Triumpfgeheul, und noch mal „how DOES it feel“ na, jetzt WIRKLICH, wie fühlt sich das an, eine Pennerin zu sein, eben ein „Rolling Stone“?
Andere glauben, dass es sich bei der Besungenen um Joan Baez handelt, die ihn damals, Anfang der 60er gleichsam adoptiert hatte, diese Heulboje des Protest-Songs, aber sie war total vernarrt in ihn, da hat er sie wohl irgendwann, heute würde man sagen: gedisst, weil sie ihm auf die Nerven ging. (Seinen Protestsong „The-times-they-are-a-changing“ hat er später irgendeiner Bank für ein Commercial zur Verfügung gestellt.)
Und wer damals, 1984 muss es gewesen sein, die Szene backstage hinter der Berliner Waldbühne beobachtet hat, wie Joan Baez – erfolglos – seine Body Guards bat, sie vorzulassen zum Trailer ihres ehemaligen Lovers, der weiß, dass diese Version nicht stimmen kann.
Er wollte sich nicht festlegen lassen, weder auf den Protest, noch auf Joan Baez – sie sang ihm dafür auf die schrecklichste Weise ins Gewissen mit der Schnulze „To Bobby“, mit dem Refrain: “Dont you hear the voices in the night Bobby, they are crying for you, don’t you hear the children in the night, Bobby, they are dying…“
Also fieseste und selbstgerechteste moralische Gutmenschenerpressung – da hätte wohl jeder seinen Container verrammelt.
Aber was das Verschwinden angeht, das Spuren verwischen, all diese unerwarteten Drehungen und Wendungen in seiner langen Karriere – und schließlich ist es sein Gesamtwerk, das nun prämiert wurde – das gehört eben dazu, da kann sich dieses andere, ungenannt gebliebene Mitglied des Nobel-Komitees noch so sehr über die „Arroganz“ ereifern, dass er tagelang alle Anrufe aus Schweden ignorierte.
Er ist der Houdini des Pop, verschwinden und plötzlich wieder auftauchen als ein ganz anderer, das ist geradezu seine Spezialität, und „Like a Rolling Stone“ war sein größter Hit, jetzt geh’s dir richtig mies, naaaa, wie fühlt sich das an, du bitch!
Wie sagte das Komitee? Es verleihe den Preis für Dylas „poetische Neuschöpfungen in der großen amerikanischen Songtradition“, aber Literatur in dem Sinne ist es ja eigentlich nicht, wie es auf Wikipedia heißt, da sie erst „durch die musikalische Darbietung ihre Wirkung ganz entfalten“.
Und wie! Man muss nur dieses höhnische Meckern hören, „How does it feeeeel?“… Na wie fühlt sich das an? „Highway 61 revisited“ hieß das Album mit dem Song, das 1965 erschien (Platz 4 auf der ewigen Bestenliste), gleichzeitig übrigens mit „Revolver“ von den Beatles und „Pet Sounds“ der Beach Boys, ein ganz großes Jahr, und es markierte seinen endgültigen Abschied von der Folkgemeinde und die Wiedergeburt als Rockstar.
Damit war er das, was er immer sein wollte. Der Song schoß immerhin bis auf Platz 2 in den Charts hoch, eine Nummer-1-Single hatte er nie.
Gefolgt wurde er von einer weiteren Nummer 2, auf der nächsten LP, „Blonde on Blonde“, die 1966 erschien. Er soll das Lied „Rainy day woman #35 – 25“, so Wikipedia, bekifft komponiert haben: “Als gesichert gilt, dass Dylan während der Aufnahme im Drogenrausch von Cannabis war.“
Tatsächlich ist das Lied von vielen Radiostationen boykottiert worden, weil es zum Drogenkonsum aufgerufen habe, also zum „Drogenrausch von Cannabis“, dabei ist es musikalisch ein unvergleichlicher und unfassbar gut gelaunter lärmender Kneipen-Blues:
„They stone ya you walkin’ long the street
They’ll stone ya when you tryn to keep your seat
…
Well I would not feel so all alone
Everybody must get stoned….“
Dann „John Wesley Harding“ 1967, das allgemein als das Jahr gilt, in dem die Beatles ihr „Sgt Pepper“-Konzeptalbum herausbrachten, dieses alle und alles überstrahlende Meisterwerk, aber auch Dylans „John Wesley Harding“ ist ein Juwel, tatsächlich eine Sammlung von Gedichten und Balladen, die zunächst nicht für musikalische Begleitung geschrieben waren, deshalb gibt es keinen einzigen Refrain auf der Platte.
Dafür gibt es dieses „All along the Watchtower“, das Jimi Hendrix mit seinen Elektro-Sturm-Riffs zu einem Heavy Metal Hit machte, als Heavy-Metal noch gar nicht erfunden war, und es gibt „I’ll be your baby tonight“, eines der schönsten Liebesgedichte überhaupt, was auch die Neuseeländer erkannten, die den Song zur Nummer 1 in ihren Charts machten.
Bis dahin war das Bob-Dylan-Repertoire im Grunde geschrieben und ausgedichtet, behauptet zumindest Greill Marcus vom „Rolling Stone“ in seiner Sammlung von Dylan-Kritiken, die er unter dem prätentiösen Titel „Bob Dylan – Schriften“ herausgebracht hat. Drunter tun sie’s nicht, die Popkritiker.
Zwei Schönheitsfehler: Erstens ist Greill Marcus ein unfassbarer Pop-Schwätzer, sozusagen ein Pop-Intellektueller, ein Kartonschädel, der z.B. stolz darauf ist, nie Kerouacs „On the road“ gelesen zu haben, weil der später so konservativ wurde, und dann hat er sich für Dylan offenbar erst 1974 interessiert, denn da beginnt das Buch, und Dylans Geniestreich „Desire“ 1975 erwähnt er noch nicht mal.
Bis auf eine Stelle. Da macht er sich über die Reimerei in „Hurricane“ lustig, jenen genialen Song, in dem Dylan die Geschichte des Mittelgewichtlers Ruben „Hurricane“ Carter erzählt, den sie in den Knast gesteckt haben für einen Mord, den er nie begangen hat, „put in a prison cell but one time he coul-a been/ the champion of der World“.
Dylan stiess mit seinem Song ein Wiederaufnahmeverfahren an, und tatsächlich: Carters Unschuld wurde bewiesen, die weißen Zeugen hatten gelogen, die weiße Jury war befangen, alles so, wie Dylan es gesungen hatte, alles wurde neu verhandelt und Carter schließlich frei gelassen.
Auf der gleichen Platte „Joey“, die Geschichte eines Straßenkids, das später zum Gangsterkönig Joe Gallo wurde, mit den legendären Zeile: „‚What time is it‘ said the judge to Joey when they met/’Five to ten‘ said Joey. The judge says, ‚That’s exactly what you get'“. Besser kann man das US-Justizsystem mit seinen bisweilen erratischen Entscheidungen mit einem einzigen Reim nicht auf den Punkt bringen
Gefolgt wird das von der stimmungsvollen outlaw-Ballade „Romance in Durango“, und dann das rätselhafte „Isis“ und das Liebeslied „Sara“ – es war Dylans poppigstes und erfolgreichstes Album in den 70ern. Danach folgten eine Reihe von evangelikalen und religiös gestimmten LPs, womit Bob Dylan in der Popszene erst recht verschissen hatte, allen voran bei Greill Marcus, der diese Wendung des Sängers als Reaktion auf seine Scheidung als pur frauenfeindliches Manöver beschrieb – dass sich einer tatsächlich für die Bibel interessieren sollte, kommt in diesen Kreisen offenbar niemandem in den Sinn.
1984 hatte ich für den STERN den Auftrag, Dylan zu interviewen vor einer großen Europa-Tournee, (nach Jahren der Tourpause) was mir die Möglichkeit gab, aus Recherche-Gründen erst mal die gesamten Dylan-Platten auf Spesen zu kaufen, die ich noch nicht hatte (so gut wie alle), um dann mit dem Promoter Bill Graham (Fillmore West, Woodstock) in einem Studio in San Francisco zu warten und immer neue schriftliche Fragen einzureichen, die allesamt für ungenügend befunden wurden.
Ich begann mit: Wie geht es Ihnen, und hörte mit sehr komplizierten Fragen zum deutsch-israelischen Verhältnis auf – Bob Dylan hieß eigentlich Zimmermann und stammt aus einem jüdischen Elternhaus – aber alles lief ins Leere. Eine Kollegin hatte mir einst voller Stolz erzählt, dass sie ihm mal hinter einer Imbissbude in LA einen Blowjob gegeben hatte, aber soweit wollte ich nicht gehen, selbst für den STERN nicht.
Also, ich fand ihn damals ebenfalls wahlweise arrogant oder idiotisch, aber während des Wartens im Studio freundete ich mich mit Carlos Santana an, den Bill Graham ebenfalls unter Vertrag hatte und der dort eine neue Platte aufnahm, ein lustiger, lebenszugewandter Typ dieser Gitarrengott, während Dylan wie Dracula in einem stillgelegten Theater probte, nach Auskunft meines Fotografen Michael Montfort unter dunkler Sonnenbrille auf dunkler Bühne, ganz der Fürst der Finsternis.
Ich schwor mir damals, nie wieder eine Dylan-LP zu kaufen, aber dann schenkte mir ein Freund „Modern Times“ dieses späte Meisterwerk von 2006, mit einer Stimme wie Stahlwolle auf einer Bunkerwand, Kritiker wählten es zum besten Album des Jahres, die erste Nr. 1 seit dem Album „Desire“, da sind Pretiosen wie „Thunder on the mountain“ und „Spirit on the Water“ und „When the Deal goes down“.
Und die „Never ending tour“ läuft und läuft, und mittlerweile ist Dylan 75, und die Tour läuft eventuell auch mal in Schweden vorbei, wo sich die Sache mit der Preisübergabe regeln ließe.
Bob Dylan, die Stimme einer Generation, ist nun tatsächlich so alt wie die Generation, die er angeführt hat und die später so dogmatisch und beinhart völlig unpoetische und politisch korrekte Standards durchgesetzt hat, also eine Generation der Caroline Emckes mit all dem kruden Genderquatsch und dem humorlosen poststrukturellen „Zuschreibungs“-Blödsinn und seinen Opfer-Liturgien, und da man kann nur sagen: mit Dylan, liebe Leute, habt ihr dafür den falschen Kron-Zeugen besetzt!
Didn’t youuuu?
Von Matthias Matussek.