Laut dem neuen „Servicevertrag“ von Microsoft gilt: „Schwere oder wiederholte Verstöße gegen unsere Richtlinien (…) können zur Sperrung des Kontos führen. Manchmal kann eine Sperrung dauerhaft sein. Bei einer dauerhaften Sperrung verliert der Besitzer des gesperrten Profils alle Lizenzen, Abonnements, Mitgliedszeiten und Microsoft-Kontoguthaben.“
Man darf dagegen Widerspruch bei Microsoft einlegen. Viele der erwähnten Regelbrüche sind kriminelle Handlungen, von Kinderpornographie bis Phishing. Aber es gibt eben auch Begriffe im Verhaltenskodex, von denen wir gelernt haben, dass sie extrem dehnbar sind, wie „Hassrede“ und „anstößig“. Viele bezeichnen es inzwischen bereits als Hassrede, wenn die Regierung, oder eine Person einfach nur kritisiert wird. Auch mit dem Urheberrechtsschutz kann man relativ leicht in Konflikt kommen, ohne kriminell veranlagt zu sein.
Microsoft verspricht, nur verhältnismäßige Strafen bei schweren und wiederholten Verstößen zu verhängen. Aber in dem Regelwerk steht nichts, was eine halbwegs glaubwürdige Garantie bieten würde, dass nicht genau dasselbe passiert, wie bei den sozialen Medienplattformen Facebook, Instagram, Twitter und Co. Dass diese nämlich unter dem Druck der Regierungen viel zu viel zensieren, blocken und regelmäßig über ihre diesbezüglichen Bemühungen berichten. Oft wird wegen kleinster oder nicht nachvollziehbarer Vergehen auf völlig intransparente Weise zensiert, blockiert und gekündigt, bevorzugt gegen Kritiker der Regierung und internationaler Organisationen wie der WHO und Abweichler von deren Narrativ.
Einladung zum Machtmissbrauch
Die Plattformen haben sogar spezielle Seiten für die Regierungen eingerichtet, über die diese ihre Zensurbegehren privilegiert übermitteln könnten. Offenkundig wurde und wird dem oft nachgekommen. Das ist auch bei Microsoft unter diesem Service-Vertrag ohne weiteres möglich und vielleicht sogar zu erwarten.
Das Praktische für Regierungen: Sie brauchen einem aufmüpfigen Künstler oder Autor kein kriminelles Fehlverhalten mehr nachzuweisen, wenn sie ihn oder sie zum Schweigen bringen wollen. Es reicht, Microsoft darauf hinzuweisen, dass einer der Gummiparagraphen des „Servicevertrags“ angeblich verletzt worden sei. Diese Möglichkeit ist auf der Netzseite zur Durchsetzung der Regeln sogar ausdrücklich angesprochen (übersetzt):
„Wir nutzen Berichte von Nutzern, Behörden und vertrauenswürdigen Hinweisgebern, die uns auf mögliche Richtlinienverstöße aufmerksam machen.“
Klar muss ein Unternehmen reagieren, wenn eine Behörde auf fortgesetztes kriminelles Verhalten unter Nutzung seiner Produkte hinweist. Aber warum sollte ein Unternehmen speziell Regierungen und Behörden einladen, es auf Verletzungen seiner eigenen, weit darüber hinausgehenden Richtlinien hinzuweisen?
Das ist eine offene Einladung zum Machtmissbrauch. Warum sollte Microsoft sich mit einer Regierung anlegen, die ihr privilegiertes Recht Zensur vorzuschlagen, missbraucht, warum im Einzelfall auf einer anderen Einschätzung beharren? Eine Regierung, zumal eine mächtige, kann dem Unternehmen sehr viel mehr Ärger machen als eine Kundin mit unfair gesperrtem Account.
Als aktuelles Beispiel möge die geharnischte Antwort der sozialen Medienplattform Rumble an das britische Parlament dienen, von dem sie einen Brief mit der Frage erhalten hatte, ob und wann sie die Inhalte des mit Vorwürfen sexuellen Fehlverhaltens konfrontierten regierungskritischen Entertainers Russell Brand demonetarisieren würde, so wie es die Google-Tochter Youtube gleich bei Bekanntwerden der Vorwürfe getan hatte. Rumble erinnerte das Parlament an die Unschuldsvermutung bis zu einer gerichtlichen Verurteilung als zentralen Pfeiler des Rechtsstaats. (Demonetarisieren bedeutet, dass keine Werbung geschaltet werden kann.) Auch Tiktok und andere Plattformbetreiber erhielten den Brief des britischen Parlaments.
Vage Regeln öffnen Tor zu Willkür
Schon das Generieren von Nacktdarstellungen ist ein Bruch des Microsoft-Verhaltenskodex. Aktmalerei, Aktfotografie, das Posieren von Liebespaaren füreinander, das alles kann zur Accountsperrung führen. Es reicht dem Wortlaut nach auch, anstößige Sprache nur zu generieren, man muss sie nicht einmal verbreiten.
Offenbar gibt es keine Selbstverpflichtung von Microsoft, Sanktionen zu begründen. Das Unternehmen kann also agieren, wie es bei den sozialen Medienplattformen und Finanzdienstleistern wie Paypal seit längerem gang und gäbe ist. Da wird ein Nutzerkonto einfach mit dem Hinweis auf nicht näher bezeichnete Regelverletzungen gesperrt und der Kunde kann raten warum und wie er am besten dagegen Widerspruch einlegt. Man denkt dabei unwillkürlich an Kafkas Josef K., der ohne Anklage von den Behörden verfolgt und sanktioniert wird, und beim Versuch, sich zu verteidigen, ständig ins Leere läuft.
Automatisierte Totalüberwachung
Auf einer vom Servicevertrag aus verlinkten Seite zu den „Durchsetzungsprozessen“ erfährt man (übersetzt):
„Bei Microsoft verwenden wir eine Kombination aus automatisierter Technologie und geschulten menschlichen Prüfern, um Inhalte oder Verhaltensweisen, die gegen unsere Bedingungen und Richtlinien verstoßen, zu finden und dagegen vorzugehen. (…) Wir verwenden Hashes [digitale Prüfsummen; N.H.] von bekannten illegalen und schädlichen Inhalten. Wir verwenden auch unsere eigene Technologie und Klassifikatoren, um schädliche Inhalte zu finden, die über unsere Dienste verbreitet werden.“
Man nutze Maschinenlernen, wie zum Beispiel text-basierte Klassifikatoren, um zum Beispiel Hassrede aufzuspüren, die jemand auf seinem Microsoft-Textverarbeitungsprogramm generiert haben könnte und die dann, wie inzwischen kaum noch zu vermeiden, in der Microsoft-Cloud abgelegt wurde. Wenn sogar die Berliner und andere Staatsanwaltschaften unverständig oder willkürlich genug sind, gegen Künstler und Autoren wegen Nazi-Verherrlichung vorzugehen, weil sie Faschismus und Nazis kritisch zitieren, wollen wir dann wirklich einer künstlichen Intelligenz und irgendwelchen unterbezahlten Moderatoren in Indien vertrauen, dass sie schon richtig einordnen, ob jemand ein Hassrede-Zitat ernst, kritisch oder ironisch gemeint hat?
Fazit
Da Microsoft alle in seiner Cloud gespeicherten Nutzerdaten ständig automatisiert durchforstet, sind Nutzer einer hochentwickelten, fast allumfassenden Überwachungsinfrastruktur ausgesetzt, die anhand ihrer vielen Daten ständig weiterentwickelt und dabei immer komplexer und undurchschaubarer wird. Sie haben keinerlei Handhabe zu prüfen, wonach die Algorithmen suchen, welche Muster sie zusammenfügen und speichern. Für die Geheimdienste und Behörden ist eine solche Überwachungsinfrastruktur natürlich ein gefundenes Fressen.
Ich persönlich nutze deshalb schon länger ein Linux-Betriebssystem und – soweit ich weiß – keine Microsoft-Produkte. Wenn ich mich besser mit Computern auskennen würde, würde ich eine Anleitung geben. Aber mit etwas Herumfragen sollte fast jeder jemand finden können, der beim Abschied von Microsoft helfen kann.
Dieser Beitrag ist zuerst bei Norbert Häring erschienen.