Tichys Einblick
Corona-Impfstoff

Probleme der Massenimpfung gegen SARS-CoV-2

Keine der Maßnahmen gegen Covid-19 hat soviel Potential für Probleme wie die neuartigen Impfstoffe. Die Prüfprozesse waren besonders kurz, die vorgesehene Anwendung ist dafür umso breiter. Das ist aus mehreren Gründen überaus gefährlich. Von Paul Cullen.

Aufbau eines Impfzentrum für die Coronaimpfungen, in einer Halle der Messe Essen

imago images / Jochen Tack

Mitte August habe ich in der Wochenzeitung Die Tagespost einen Text zur Bewertung des damaligen Stands der Corona-Impfstoffentwicklung verfasst. In den drei dazwischenliegenden Monaten sind drei Impfstoffe entweder bereits zugelassen oder stehen kurz davor. Weitere werden folgen. In Deutschland laufen die Vorbereitungen für das Massenimpfen in Arztpraxen, Impfzentren und Betrieben auf Hochtouren. Dabei werden die möglichen Probleme, auf die ich und andere hingewiesen haben, nicht nur nicht diskutiert, sondern es herrscht sowohl in der Fach- als auch in der Laienpresse fast überall eine seltsam unkritische, beinahe Jubel-Stimmung. Falls Bedenken geäußert werden, dann nur dergestalt, dass die Verteilung des Impfstoffs nicht rasch genug oder „ungerecht“ erfolgen könnte. Überlegungen grundsätzlicherer Art, etwa bezüglich des Nutzen/Risiko-Verhältnisses der Impfstoffe oder in Hinblick auf die Sinnhaftigkeit einer Massenimpfung versus der gezielten Impfung von Risikogruppen, sind dagegen ausgesprochen rar. Dieser Zustand war mir Anlass, meinen Text von August zu überarbeiten und um eine Besprechung der neueren Entwicklungen zu ergänzen.

Der erste Impfstoff wurde Ende des 18. Jahrhundert von dem englischen Landarzt Edward Jenner entwickelt. Jenners Erfolg war so durchschlagend, dass er bis heute die Blaupause für alle Impfprogramme darstellt. Die Pockenimpfung zeigt nämlich die vier Merkmale, die einen guten Impfkandidaten auszeichnen. Die Erkrankung, gegen die geimpft wird, muss so schwerwiegend sein, dass sie die Impfung einer großen Zahl von Menschen rechtfertigt. Denn geimpft werden Gesunde, die mit dem Erreger vielleicht nie in Kontakt kommen werden. Daher muss man sicher sein, dass der Nutzen die Risiken mit großer Sicherheit und mit großem Abstand überwiegt. Ist dies nicht der Fall, stellt die Impfung eine Körperverletzung dar. Dieses Vorsorgeprinzip, das in dem Diktum „primum nihil nocere“ („zunächst keinen Schaden anrichten“) Ausdruck findet, bildet seit mehr als 2.000 Jahren das Leitprinzip allen ärztlichen Handelns. Diese Brisanz ist auch der Grund, warum die Impfstoffherstellung lange Zeit ausschließlich in staatlicher Hand lag. Auch darf der Erreger sich nicht verändern. Kommt es zu häufigen Mutationen, ist Impfen so, als würde man mit einem fixierten Gewehr auf ein bewegliches Ziel schießen: man kann ins Schwarze treffen, aber meistens schießt man daneben. Drittens sollte der Erreger nur beim Menschen vorkommen, denn seine Ausrottung ist nur dann möglich, wenn er im Tier keinen Unterschlupf findet. Schließlich sollte eine Impfung einen langfristigen und umfassenden Schutz gegen die Zielerkrankung gewährleisten.

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Meist dauert die Entwicklung eines neuen Impfstoffs sechs bis zehn Jahre. Erst muss der Impfstoff in Zellkulturen, in Hühnereiern oder mittels molekularbiologischer Prozesse hergestellt werden. Diese Herstellung ist aber nur ein kleiner Teil der Gesamtentwicklung. Besonders anspruchsvoll ist nämlich die Prüfung, die in einer vorklinischen Phase im Reagenzglas sowie im Tierversuch, gefolgt von drei klinischen Phasen an Testpersonen erfolgt. In der ersten klinischen Phase wird meist an weniger als hundert Menschen die Verträglichkeit des Impfstoffs überprüft. Geklärt werden dabei Fragen wie: Treten Rötungen oder Schmerzen an der Einstichstelle auf? Kommt es zu Entzündungen? Gibt es gar Todesfälle?

Übersteht der Impfstoff diese Phase, die Wochen bis Monate dauert, wird in der zweiten Phase an bis zu 1.000 Testpersonen untersucht, ob die Impfung überhaupt eine Immunreaktion hervorruft. Ist dies der Fall und zeigt der Impfstoff keine gravierenden Nebenwirkungen, erfolgt die dritte und längste Testphase. Hierbei werden meist 30.000 bis 50.000 Testpersonen in zwei Gruppen aufgeteilt, von denen die eine den neuen Impfstoff, die andere ein Placebo erhält. Beide Gruppen werden dann in der Regel vier bis sechs Jahre lang einer Infektion mit dem Zielerreger ausgesetzt. Danach wird untersucht, ob in der Impfstoff-Gruppe weniger oder zumindest mildere Infektionen als in der Placebo-Gruppe aufgetreten sind. Die lange Beobachtung vieler Menschen dient auch dazu, seltene, schwere Nebenwirkungen zu entdecken.

Derzeit wartet die ganze Welt auf den neuen Impfstoff gegen „Corona“. In einem Video-Podcast sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel, es gehe darum, „wie wir für alle Menschen auf der Welt Impfstoffe entwickeln.“ US-Präsident Donald Trump kündigte im Fernsehen sogar seine Bereitschaft an, „die erste Person zu sein, die den Impfstoff bekommt“. In einem Radiointerview sinnierte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder darüber, Ärzten, die sich weigern, Impfstoffe wie den gegen Corona zu verabreichen, die Zulassung zu entziehen. Dabei weicht fast alles rund um die Entwicklung des Impfstoffs gegen das Virus SARS-CoV-2 von den Prinzipien der Impfstoffentwicklung ab.

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Damit ein Erreger sich als Impfkandidat eignet, muss er für alle Geimpften eine erhebliche Gefahr darstellen. Es wird aber immer klarer, dass schwere Covid-19 Verläufe mit wenigen Ausnahmen auf hochbetagte Menschen mit Vorerkrankungen beschränkt sind. Für die restliche Bevölkerung sind Verläufe eher mild und besonders bei Kindern oft symptomfrei. Dazu ist das Virus äußerst mutationsfreudig und in der Tierwelt nahezu ubiquitär, es kommt also fast überall vor. Neuere Daten deuten auch darauf hin, dass eine Immunogenität des Impfstoffs schwer zu erreichen sein könnte. So ist nicht sicher, ob Antikörper allein schützen oder ob nicht die sogenannte zellvermittelte Immunität im Vordergrund steht. Darüber hinaus scheint nach einer Infektion der Antikörperspiegel rasch wieder abzufallen, bei einer Impfung wäre dieser Abfall noch wahrscheinlicher. All dies lässt fraglich erscheinen, ob SARS-CoV-2 sich überhaupt als Kandidat für eine Massenimpfung  eignet.

Derzeit werden mehr als 300 Impfstoffkandidaten gegen SARS-CoV-2 entwickelt, von denen mehr als 50 bereits in der klinischen Erprobung, davon mindestens neun in der dritten und letzten Phase sind. Für alle Kandidaten gilt: Dass die Testphasen dabei so verkürzt werden, wie dies gerade geschieht, ist hochproblematisch. Zwar kann man durch Beseitigung bürokratischer Hürden Zeit gewinnen. Auch benötigt man bei mRNA- oder DNA-Impfstoffen weniger Zeit für die Herstellung als bei konventionellen Impfstoffen. Aber mehr als etwa ein Jahr lässt sich insgesamt nicht einsparen. Jede Verkürzung der anschließenden Testphasen ist mit einem höheren Risiko für Nebenwirkungen und mit einer schlechteren Beurteilung der Wirksamkeit verbunden. Dies ist mit keinem noch so ausgeklügelten Testverfahren zu umgehen, sondern eine biologische Tatsache. Denn Impfnebenwirkungen sind oft tückisch und kaum vorhersehbar, so wird in letzter Zeit etwa die Möglichkeit erörtert, dass einige SARS-CoV-2-Impfstoffe nicht gegen Covid-19 schützen, sondern die Krankheit sogar mittels antikörperabhängiger Verstärkung (engl. antibody-dependent enhancement) verschlechtern könnten.

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Viele der Impfstoffe sind auch aus anderen Gründen problematisch. So etwa der von der Universität Oxford und dem Pharmaunternehmen AstraZeneca entwickelte Impfstoff, der sich bereits in der dritten klinischen Testphase befindet. Dieser Impfstoff, der aus einem Affen-Adenovirus besteht, das auf seiner Oberfläche das SARS-CoV-2-Stachelprotein trägt, wird in einer Zelllinie produziert, die aus den Nieren eines wahrscheinlich 1972 abgetriebenen Kindes gewonnen wurde. Ähnliche Kandidaten, wie etwa der von CanSino Biologics Inc. und dem Institut für Biotechnologie des chinesischen Militärs entwickelte Impfstoffkandidat, sowie eine Variante der Universität von Pittsburgh, verwenden entweder diese Nierenzelllinie oder eine weitere Zelllinie von einem 1985 abgetriebenen Kind. Im Falle des Moderna-Produkts werden solche Zelllinien zwar nicht für die Impfstoffherstellung verwendet, wohl aber kamen sie bei der Entwicklung der dem Impfstoff zugrundeliegenden Technologie und bei der Testung des Impfstoffs zum Einsatz. 

Mindestens fünf weitere Impfstoffe, die sich in der klinischen Erprobung befinden, bestehen aus messenger-RNA (mRNA)-Molekülen, die unter die Haut oder ins Muskelgewebe gespritzt und von unseren eigenen Körperzellen aufgenommen werden. mRNA, ein molekularer Vetter der Erbsubstanz DNA, dient dazu, die Erbinformation der DNA an das Ribosom, das „Fließband der Eiweißherstellung“, in der Zelle zu übermitteln. Die mRNA im Impfstoff, die aufgebaut ist wie die RNA im SARS-CoV-2-Virus, „kapert“ unsere Zellen und bringt sie dazu, Teile des SARS-CoV-2-Virus (in allen bisher berichteten Fälle das Stachelprotein) herzustellen und auszuscheiden. Diese lösen daraufhin, so die Theorie, eine schützende Immunreaktion gegen das Virus aus.

Das mRNA-Impfprinzip, an dem seit über 20 Jahre gearbeitet wird, klingt vielversprechend, ist aber mit erheblichen Risiken behaftet. Deshalb wurden mRNA-Impfstoffe bisher nur in der Tiermedizin (Lachs und Schwein) und nicht beim Menschen zugelassen. Das Hauptrisiko besteht in der möglichen Auslösung schwerer Autoimmunreaktionen. Die Immunabwehr richtet sich nicht nur gegen den Erreger, sondern auch gegen Bestandteile des eigenen Körpers. Gegen die Lungenkrankheiten SARS und MERS, die wie Covid-19 durch Coronaviren verursacht wurden, sind seinerzeit mRNA-Impfstoffe entwickelt worden. Diese hatten nicht nur keine Langzeitwirkung, sondern verursachten schwere Autoimmunreaktionen im Lungengewebe, weshalb sie die klinische Erprobung nicht bestanden.

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Ein weiterer Kandidat in der klinischen Testung von Inovio Pharmaceuticals aus Philadelphia in den Vereinigten Staaten von Amerika besteht nicht aus mRNA, sondern aus der Erbsubstanz DNA, die Testpersonen direkt gespritzt wird. Die Wirkungsweise ähnelt der der mRNA-Impfstoffe, wobei die DNA eine Stufe vor der mRNA in die Informationskette eingeschaltet wird. Daher birgt der DNA-Impfstoff nicht nur dieselben Risiken wie ein mRNA-Impfstoff, sondern auch zusätzliche andere. So kann es zu einer Immunreaktion gegen die DNA selbst kommen, deren Auswirkungen nicht geklärt sind. Darüber hinaus – und hinsichtlich der Auswirkungen wesentlich gravierender – besteht die Möglichkeit, dass sich ein Teil der Impfstoff-DNA in unsere eigene DNA integriert. Eine solche Insertion an der falschen Stelle kann zu schwerwiegenden unbeabsichtigten Folgen, etwa zur Krebsentwicklung führen. Über einen solchen Effekt liegen keine Berichte vor, was den Biochemiker und Leiter des Paul-Ehrlich-Instituts, Klaus Cichutek, zu der Aussage verleitete, dass „[w]ir … bei den DNA-Impfstoffen lange Jahrzehnte damit verbracht [haben], einem theoretischen Risiko nachzugehen, das sich dann am Tier und in klinischen Prüfungen eigentlich nie bewahrheitet hat“. Diese Aussage muss als verkürzt angesehen werden, denn es hat keine Langzeitstudie bei einer größeren Zahl von Menschen gegeben. Dazu stammen die meisten Veröffentlichungen zu dieser Frage aus den Forschungslaboratorien der Impfstoffhersteller.

Die Anforderungen an einen Impfstoff in Bezug auf Sicherheit und Wirksamkeit sind viel höher als die an Medikamente. Das gilt erst recht, wenn die ganze Menschheit als Empfänger im Gespräch ist. Das SARS-CoV-2-Virus ist als Kandidat für eine Massenimpfung nicht besonders geeignet. Das überhastete Entwicklungsprogramm kann die benötigte Sicherheit nicht gewährleisten. Bei Hepatitis A, Hepatitis B, Polio und Masern vergingen zwischen 17 und 45 Jahre nach Entdeckung des ursächlichen Virus, bis ein wirksamer Impfstoff zur Verfügung stand. Fast alle sich derzeit in der klinischen Prüfung befindenden Impfstoffe sind zudem entweder unethisch oder basieren auf Wirkprinzipien, deren Langzeitwirkung und -effektivität an Menschen nie getestet wurden.

Bei der Impfstoffherstellung aber steckt der Teufel im Detail. Trotz intensiver Forschung über mehrere Jahrzehnte haben wir deshalb immer noch keinen Impfstoff gegen HIV, Hepatitis C oder Malaria. Und auch die Effektivität der jährlichen Grippeimpfung in der geimpften Risikogruppe bewegt sich nur zwischen 10 und 30 Prozent. Der 2010 mit heißer Nadel gestrickte Impfstoff gegen die Schweinegrippe erwies sich als Fiasko, sowohl was sein Nebenwirkungsprofil betraf als auch hinsichtlich seiner Wirksamkeit.

Es kann sein, dass es am Ende nicht gelingt, einen guten Impfstoff gegen SARS-CoV-2 zu finden. Aber dieses Ergebnis ist allemal besser, als mit einem halbfertigen und unwirksamen Produkt massive gesundheitliche Schäden anzurichten, für die dann – das darf nicht vergessen werden – nicht der Impfstoffhersteller, sondern die Allgemeinheit aufzukommen hätte. Im Rückblick könnte sich ein solches Szenario als die größte Fehlentscheidung der ganzen Corona-Episode erweisen.

Bisherige Erfahrungen 

Im Folgenden gehe ich auf die Impfstoffe ein, die nach den mir verfügbaren Informationen einer klinischen Anwendung am nächsten stehen. Aufgrund der ungeheuren Dynamik der Entwicklung erhebe ich bei meiner Auflistung keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Dennoch dürften die hier vorgestellten Beispiele eine gewisse Repräsentativität für das Feld besitzen.

Der erste Impfstoff gegen SARS-CoV-2, der zur Anwendung bei Menschen freigegeben wurde, stammt aus dem staatlichen Gamaleya Forschungsinstitut für Epidemiologie und Mikrobiologie in Moskau und wurde am 11. August 2020 in Russland eingetragen. Dieser Impfstoff, in Anlehnung an den Sputnik-Satelliten des Jahres 1957 „Sputnik V“ benannt, verwendet eine Mischung aus zwei genetisch modifizierten Adenoviren, die auf ihrer Oberfläche das SARS-CoV-2-Stachelprotein (Glykoprotein S) tragen und wurde nach der ersten klinischen Phase an nur 76 Testpersonen eingeführt. Am 24. November berichteten die Entwickler, dass eine Auswertung von weiteren 18.794 Testpersonen eine Schutzwirkung (Impfstoff-Effizienz, englisch vaccine efficiency) von 91 % ergeben habe. In der geimpften Gruppe (Dreiviertel der Teilnehmer) haben acht Personen Covid-19 entwickelt gegenüber 31 in der Placebo-Gruppe (ein Viertel der Teilnehmer).

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Am 9. November haben das US-amerikanische Pharmaunternehmen Pfizer und das deutsche Unternehmen BioNTech eine Zwischenanalyse der dritten Phase der klinischen Prüfung ihres gemeinsamen Impfstoffs veröffentlicht. Für eine Studie der Phase 3 wurden etwa 44.000 Testpersonen rekrutiert (USA, Deutschland, andere Länder) und in zwei gleich große Gruppen unterteilt. Beginnend im Juli wurde die eine Gruppe zweimal mit dem Impfstoff, die andere Gruppe zweimal mit Placebo geimpft. Anfang November hatten in der Placebogruppe 85 Teilnehmer Covid-19 entwickelt, in der mit Impfstoff geimpften Gruppe nur neun, was eine Schutzwirkung von 90 % ergibt. Am 20. November haben Pfizer/BioNTech eine Notzulassung bei der US-amerikanischen Zulassungsbehörde FDA (Food and Drugs Administration)  beantragt, und am 2. Dezember wurde bekannt, dass eine Notzulassung im  Vereinigten Königreich bereits erteilt wurde.

Am 16. November hat das US-amerikanische Unternehmen Moderna über erste Ergebnisse der Phase-3-Studie ihres SARS-CoV-2 mRNA-Impfstoffs berichtet. Vor dem Hintergrund, dass die Rekrutierung der 30.000 Testpersonen in den Vereinigten Staaten von Amerika erst am 22. Oktober abgeschlossen wurde, überrascht die Schnelligkeit dieser Mitteilung. In der Placebo-Gruppe traten 90 Covid-19-Fälle (positiver PCR-Test plus mindestens zwei milde Symptome oder ein schweres Symptom) auf, in der geimpften Gruppe nur 5, was eine Schutzwirkung von 95 % ergibt. Auch für diesen Impfstoff wird eine FDA-Notzulassung beantragt.

Sowohl bei dem Pfizer- aus auch bei dem Moderna-Impfstoff haben Teilnehmer der ersten und zweiten klinischen Phasen über Fieber, Körperschmerzen, schwere Kopfschmerzen und Erschöpfung, vor allem nach der zweiten, der Verstärkungsspritze (engl. booster dose) berichtet. In einem Falle hat ein Empfänger des Pfizer-Impfstoffs einen so starken Schüttelfrost entwickelt, dass ein Zahn gebrochen ist. Über die Häufigkeit von Nebenwirkungen bei Teilnehmern der Phase-3-Studien dieser Impfstoffe ist bisher nur wenig bekannt.

Am 23. November hat das AstraZeneca/Oxford-Konsortium erste Ergebnisse, die aus einer kleinen kombinierten Phase-2-/Phase-3-Studie mit 560 Testpersonen im Vereinigten Königreich und aus einer größeren Phase-3-Studie in Brasilien zusammengetragen wurden, berichtet. Es wurde eine Schutzwirkung von 70 % beziehungsweise von 90 % angegeben: Aus Versehen war die Impfstoffdosis, die die britischen Testpersonen erhielten, nur halb so hoch wie ursprünglich vorgesehen und in Brasilien tatsächlich verwendet, was aber paradoxerweise zu dem höheren Impfschutz von 90 % in der britischen Gruppe geführt hat. Auch waren in den zwei Studien die Placebos anders zusammengesetzt. Zur britischen Studie liegt eine wissenschaftliche Veröffentlichung vor, nicht jedoch zur Studie in Brasilien. Auch dieser Impfstoff war in den früheren Entwicklungsphasen nicht frei von Problemen. So konnte im Primatenversuch kein ausreichender Impfschutz erzielt werden. Auch musste die Überprüfung zweimal wegen schwerer möglicher Nebenwirkungen unterbrochen werden. Eine Testperson entwickelte eine schwere Entzündung des Rückenmarks (transverse Myelitis). Bei einer kombinierten Phase-1-/Phase-2-Studie haben mehr als 80% der Impfstoff-Empfänger lokale Reaktionen an der Injektionsstelle berichtet während 46 % dieser Gruppe einen Abfall der weißen Blutkörperchen (Neutropenie) erlitten haben.

Neben diesen Impfstoffen, die bereits zugelassen sind oder kurz davor stehen, existieren viele andere, die sich in einer früheren Entwicklungsphase befinden. Stellvertretend für diese kann der SARS-CoV-2 mRNA-Impfstoff des Tübinger Unternehmens CureVac, die zu 23 % der deutschen Bundesregierung gehört, genannt werden. Am 2. November gab CureVac bekannt, dass in einer Phase 1 Studie an etwa 250 Testpersonen die Bildung neutralisierender Antikörper sowie aktivierter T-Lymphozyten in einem Ausmaß beobachtet wurde, wie bei Menschen nach einer natürlichen Covid-19-Infektion. Derzeit laufen Phase-2-Studien in Peru und Panama, ein Beginn der Phase-3-Studie wird bis Ende 2020 erwartet. Trotz der relativ frühen Entwicklungsphase hat sich die Europäische Union bereits 225 Millionen Dosen des CureVac-Impfstoffs gesichert.

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Diese Berichte über die am weitesten entwickelten Covid 19-Impfstoffe sind nicht dazu geeignet, die Sorgen, die ich und andere im letzten Halbjahr geäußert haben, zu zerstreuen, sondern bestätigen diese. Der Unterschied zwischen der Anzahl der Infizierten in den Gruppen, die Impfstoff beziehungsweise Placebo erhalten haben, waren stets hoch signifikant, doch kann dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Impfstoffwirksamkeit in allen Fällen anhand von nur etwa hundert Testpersonen berechnet wurde. Ein Impfprogramm für Hunderte von Millionen Menschen, vielleicht sogar für die ganze Menschheit, auf einer solch dünnen Datenbasis zu errichten, scheint bestenfalls naiv, schlimmstenfalls fahrlässig zu sein. Dazu fehlen detaillierte Informationen über den Schweregrad der Erkrankung in den Placebo- und Impfstoffgruppen. Insbesondere wäre interessant zu erfahren, wie die Erkrankung bei den Geimpften verlaufen ist. Verlief sie milder (im Sinne eines relativen Impfschutzes) oder nicht? Für den Influenzaimpfstoff ist beispielsweise bekannt, dass er eher gegen milde Verläufe schützt – dass er gegen schwere und insbesondere tödliche Influenzaverläufe schützt, ist dagegen nicht gesichert. Ein weiterer wichtiger Punkt, der bisher aufgrund der kurzen Dauer der bisher gelaufenen Studien nicht beantwortet werden kann, ist, wie lange der Impfschutz anhält. Bei den meisten Kandidaten wurde in den frühen Testphasen die Bildung neutralisierender Antikörper als ein Hauptmaß für die Immunogenität des Impfstoffs gewertet. Wie oben beschrieben, wissen wir, dass nach einer natürlichen Covid-19-Infektion die Antikörperbildung nach zwei bis drei Monaten nachlässt. Ob damit die Immunität gegen die Erkrankung auch nachlässt oder erlischt, ist derzeit unklar. Falls dies der Fall sein sollte, so könnte dies bedeuten, dass die Impfung in relativ kurzen regelmäßigen Intervallen wiederholt werden müsste. 

Bei klinischen Prüfungen ist es üblich, das Ende einer Testphase abzuwarten, ehe die sogenannte „Blindung“ aufgehoben und bekannt wird, wer von den Testpersonen Placebo und wer die Echtsubstanz erhalten hat. Bei den Covid-19-Impfstoffen wird jedoch vor Ende der Testperiode der Deckel immer wieder gelüftet. Diese Vorgehensweise birgt die Gefahr eines ethischen Dilemmas: Ist es nämlich vertretbar, eine Studie, die bei einer kleinen Anzahl der Teilnehmer scheinbar positive Wirkungen gezeigt hat, bei den restlichen Teilnehmern, von denen die Hälfte „nur“ Placebo erhalten, fortzusetzen? Zudem ist sie statistisch zweifelhaft und kann zu oft unbewussten Verzerrungen (Fachterminus „Bias“) führen. Dass solche Zwischenergebnisse dann über nicht-verifizierbare Kanäle etwa mittels Pressekonferenzen und nicht zuerst dem Fachpublikum als überprüfbare wissenschaftliche Veröffentlichung mitgeteilt werden, verstärkt dieses Problem zusätzlich. 

Am schwerwiegendsten ist jedoch das weitgehende Fehlen von Informationen über das Nebenwirkungsprofil der Impfstoffe. Bei den meisten Kandidaten sind mittelschwere bis schwere Nebenwirkungen während der ersten klinischen Phasen aufgetreten. Beim Auto ist es wichtiger, dass die Bremse gut funktioniert, als dass der Motor fehlerfrei läuft. So ist beim Impfstoff eine lückenlose Erfassung des Nebenwirkungsprofils wichtiger als die genaue Berechnung der Schutzwirkung. Das ist auch der Grund, warum die dritte Erprobungsphase die mit Abstand wichtigste, aufwendigste und damit teuerste ist. Die extreme Verkürzung dieser Phase, die wir bei den Covid-19-Impfstoffen erleben, ist einmalig und höchst bedenklich, vor allem vor dem Hintergrund, dass in vielen Fällen Impfstoffarten verwendet werden, für die es keine ausreichende Erfahrung bei Menschen gibt. 


Prof. Dr. med. Paul Cullen wurde 1960 in Dublin geboren und studierte Humanmedizin am University College Dublin. Es folgten Stationen in Dublin, Hannover, Münster und London, wo er am King‘s College ein Studium der Biochemie absolvierte. Cullen ist Internist, Labormediziner und Molekularbiologe. Derzeit leitet er ein großes medizinisches Labor in Münster in Westfalen und ist außerplanmäßiger Professor für Laboratoriumsmedizin an der Westfälischen Wilhelms-Universität. Cullen unterhält eine rege Vortragstätigkeit zu medizinischen und biomedizinischen Fragen, er hat über 250 wissenschaftliche Artikel und mehrere Bücher geschrieben und publiziert regelmäßig zu Fragen der biomedizinischen Ethik.

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