Deutschland – oder von der Zukunft der Heimat im Industriegebiet. Eine kritisch-melancholische Rückschau auf „Making Heimat – Germany, Arrival Country“.
„Deutschland wird Deutschland bleiben – mit allem was uns daran lieb und teuer ist“, verkündete die Bundeskanzlerin in ihrer Regierungserklärung Anfang September. Doch Deutschland werde sich auch verändern, so wie es sich seit der Gründung der Bundesrepublik immer wieder verändert habe. Veränderung sei nichts Schlechtes, fuhr sie in der ihr eigenen unbestimmten und bagatellisierenden Art fort, so als gäbe es keinen Unterschied zwischen positiven und negativen Veränderungen. Damit tat sie die massiven Verwerfungen im gesellschaftlichen Gefüge und in der politischen Kultur, die durch die Zuwanderung von über einer Million Migranten 2015 und 2016 verursacht wurden, als etwas Normales ab, als etwas, das das Lebensgefühl der Bürger nicht weiter zu beeinträchtigen habe.
Doch der Zustrom von Migranten aus dem Mittleren Osten und aus Afrika hat unser städtisches Leben bereits sichtbar verändert. So mancher Hauseigentümer muss sich damit abfinden, dass Flüchtlings- und Asylbewerberunterkünfte auf der Straßenseite gegenüber liegen, andere müssen damit auskommen, dass unbegleitete minderjährige Flüchtlinge im Haus nebenan einquartiert sind, mit allen Folgen, die das für die gewohnte Ruhe und die Privatsphäre bedeutet.
Doch das ist noch nicht alles an Veränderung. Die Zukunft könnte noch mehr bereit halten: Um den Zuwanderern die Integration zu erleichtern, werden wir uns wohl künftig auch noch an Wohnviertel nach der Art von Souqs oder gar Favelas gewöhnen müssen. Und auch bei der Anwendung von Recht und Gesetz soll es möglich sein, Fünfe gerade sein zu lassen. Das war zumindest der Wunsch der Ausstellungsmacher des Deutschen Pavillons auf der diesjährigen Architekturbiennale von Venedig. Die wollten zeigen, wie Migranten schnell und preiswert untergebracht werden können und was die deutsche Gesellschaft leisten muss, damit die Ankunft in der neuen „Heimat“ für die Flüchtlinge und Armutsmigranten auf Dauer gelingt. Und die Politik in Gestalt der Bundesbauministerin spendete Beifall.
Verunsicherung und Misstrauen
Doch nach dem Besuch des Deutschen Pavillons bleibt beim Rezensenten ein Gefühl der Verunsicherung und des Misstrauens angesichts der gezeigten Bild- und Textposter: Soll das auch in Zukunft das Deutschland sein, was uns „lieb und teuer ist“? Der Rezensent macht aus seinen Zweifeln keinen Hehl. Das folgende ist denn auch eine subjektive, polemische und durchaus melancholisch gestimmte Nachbetrachtung zum deutschen Beitrag auf der Architekturbiennale 2016 in Venedig, die noch bis zum 27.November dauert. Das übergreifende Motto der Biennale war: Reporting from the Front, unter der Leitung des chilenischen Architekten Alejandro Aravena.
Tagein tagaus schauen wir deutschen Politikern dabei zu, wie sie versuchen, die politischen Fehler bei der ungesteuerten Zuwanderung der Jahre 2015 und 2016 als Akte der Humanität zu rechtfertigen und die Folgen für diejenigen, „die schon länger hier leben“, als unerheblich darzustellen. Die Risiken des Politikversagens und des staatlichen Kontrollverlustes werden uns täglich vor Augen geführt in Gestalt von Migranten aus Nordafrika und dem Mittleren Osten, die tödliche Anschläge planen oder sogar durchführen, die Gewalt gegen Frauen verüben usw. Die soziale und kulturelle Integration, bis zum Überdruss beschworen von Politikern des schwarzrotgrünen Spektrums, wird über Jahrzehnte Milliarden an Steuermitteln verschlingen und doch auf Generationen eine Chimäre bleiben. Multimedial und auf allen Politikfeldern wird dennoch versucht, den deutschen Bürgerinnen und Bürgern einzuschärfen, dass Deutschland eine Einwanderungsgesellschaft ist und dass wir zu akzeptieren hätten, dass die de facto grenzenlose und unbegrenzte Einwanderung in die deutschen Sozialsysteme nun einmal im Kontext der Globalisierung unausweichlich sei – „alternativlos“.
„Offenes Deutschland“ als Ideal
Zumal in der Kulturszene und in den Medien gehört es zum guten Ton, sich für die Schlagworte „no borders, no nations“ und für ein „offenes Deutschland“ stark zu machen. Zum Multiplikator und Sprachrohr dieses bedingungslosen Ansatzes wurde seit Mai dieses Jahres auch der Deutsche Pavillon auf der Architekturbiennale in Venedig gemacht. Daran federführend mitgewirkt hat das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt (DAM) im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB).
Das DAM wurde bereits im November 2015 durch das BMUB beauftragt, den Deutschen Pavillon auf der 15. Internationalen Architekturausstellung 2016 – La Biennale di Venezia zu kuratieren. Damit ist der zeitliche Kontext umrissen, nämlich die Hochzeit des Migrantenzustroms über die Balkanroute. Und das politische Ziel scheint klar: politische Unterstützung zu organisieren und zu legitimieren für eine prinzipiell unbegrenzte Aufnahme von Zuwanderern. Dazu galt es schnell und kostengünstig Wohnraum zu schaffen und sozioökonomische Modelle zu entwickeln, die Deutschland de facto als Einwanderungsland definieren und die Migranten als auf Dauer Bleibende betrachten, die alle Möglichkeiten zur Integration geboten bekommen müssen. Daher der Titel der Ausstellung: Making Heimat. Germany, Arrival Country. Heimat wurde hier als territorialer Begriff verstanden, der für Migranten einen neuen dauernden Aufenthalt bedeutet. Der im Deutschen sehr viel umfassender und fassettenreicher gefasste Begriff (lokale Herkunft und Verbundenheit, Sprache/Dialekt, Geschichte usw.) blieb unberücksichtigt.
Autonome Organisation von Migranten in Parallelgesellschaften
Integration heißt für die Ausstellungsmacher: Die Migranten sollen sich de facto selbst und ohne staatliche Vorgaben – also autonom und quasi anarchisch – in den deutschen „Ankunftsstädten“ in Parallelgesellschaften organisieren dürfen. Die Anwendung von Recht und Gesetz soll dafür auch unterbleiben können. Die Lebens- und Wohnbedingungen der deutschen Staatsbürger können dafür offenbar außer Betracht bleiben. Akzeptanz durch „schon länger hier Lebende“ scheint unwichtig. Entscheidend ist für die Ausstellungsmacher, dass die Zuwanderer sich in ihren selbst geschaffenen Netzwerken sozial und ökonomisch entfalten können.
Das wird in der Ausstellung, die im Wesentlichen aus an die Wände geklebten Fotos und Textpostern besteht, in acht Thesen über die die Eigenschaften der für die Migranten optimalen „Ankunftsstadt“ vermittelt. Die Thesen wurden zusammen mit dem kanadischen Journalisten Doug Sanders entwickelt, basierend auf seinen Reportagen über die weltweiten Wanderungsbewegungen aus den ländlichen Räumen in die urbanen Zentren in seinem Buch „Die neue Völkerwanderung. Arrival City“ (englisch und deutsch 2011).
Ob ihr wollt oder nicht: Deutschland ist ein Einwanderungsland
Und bei diesen Thesen bereits beginnt für den kritischen Betrachter das Unbehagen: denn sie kommen apodiktisch daher, alternativlos, keinen Widerspruch duldend, eine Diskussion von vornherein suspendierend. Die Botschaft an die Besucher ist: Ob ihr wollt oder nicht, Deutschland ist ein Einwanderungsland. Und die Bürgerinnen und Bürger haben sich damit abzufinden, dass Integration nur nach den angeführten Maßgaben funktionieren kann.
Die Thesen seien hier der Vollständigkeit halber wieder gegeben und erläutert, damit ein Urteil darüber möglich wird, wofür das Bundesbauministerium Steuergelder aufwendet:
- „Die Arrival City ist eine Stadt in der Stadt. Einwanderer suchen ihre Chancen in städtischer Dichte.“
Der Betrachter erfährt anhand einer großen Landkarte der Bundesrepublik, dass das Ankunftsviertel Köln-Kalk 37,1 Prozent Ausländeranteil hat, im Frankfurter Bahnhofsviertel sind es 52,5 Prozent, in München-Schwanthalerhöhe 33,4 Prozent. Segregation entlang ethnischer Zugehörigkeiten, und damit der Weg zu Parallelgesellschaften wird als unabänderlich und sogar als wünschenswert dargestellt.
- „Die Arrival City ist bezahlbar. Günstige Mieten sind eine Voraussetzung für die Attraktivität einer Stadt.“
Beispiel ist etwa eine Siedlung in Remscheid, deren Häuser 2003 unsaniert an Familien mit Migrationshintergrund verkauft worden waren. Das Provisorische, Unfertige hat sich bis heute erhalten, wenn man das Foto im Katalog als Beleg sieht (z.B. aufgebrochene, unverputzte Fensterlaibungen).
- „Die Arrival City ist gut erreichbar und bietet Arbeit. Arbeitsplätze entstehen dort, wo es bereits Arbeitsplätze gibt. Ein gutes öffentliches Verkehrsnetz ist unverzichtbar.“
Als Beispiele werden Gewerbegebiete und Straßen in Stuttgart-Feuerbach gezeigt, darunter ein Kebab-Restaurant und ein Teppich-Outlet-Center. Unter einem türkischen Altgold-Ankauf ist ein Transparent zu sehen, das die Kaaba in Mekka zeigt, die gerade von tausenden Pilgern umrundet wird. Der zugehörige Katalogbeitrag macht indessen klar, dass die Zuwanderung in Stuttgart vor allem aus Südeuropa und der Türkei stattgefunden hat. Dass die Integration von Kroaten, Spaniern und Griechen kulturell und arbeitsethisch auf einem anderen Blatt steht, als die von Syrern, Irakern, Afghanen und Eritreern aus islamisch-ruralen Herkunftskontexten, sollte sich auch bis zu den Ausstellungsmachern herumgesprochen haben. Gleichwohl, die Ästhetik des Gewerbegebiets wird als zukunftsweisend für den Charakter von Stadtvierteln vorgestellt, in dem „Heimat“ für Migranten geschaffen wird.
- „Die Arrival City ist informell. Die Tolerierung nicht gänzlich rechtskonformer Praktiken kann sinnvoll sein.“
Als Beispiele dienen das von einem Vietnamesen betriebene Dong Xuan Center in Berlin-Lichtenberg und ein Gewerbegebiet in Hamburg Rothenburgsort. „Migranten ohne Arbeitserlaubnis finden hier Jobs als Tagelöhner in der Schattenwirtschaft. Tragen, verpacken, verladen“, lautet eine Bildunterschrift im Katalog (Abb. 42). Schattenwirtschaft? Hier werden also keine Lohnsteuern und Sozialversicherungen gezahlt, die Migranten ohne Arbeitserlaubnis beziehen wohl zusätzlich auch noch staatliche Transferleistungen. Alles kein Problem, es dient schließlich der Integration. Und solange die Arbeitnehmer das mit ihren Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen finanzieren …
In Berlin-Lichtenberg wird noch eins drauf gesetzt. Da schaut die Verwaltung bewusst nicht so genau hin, ob im Dong Xuan Center Bauvorschriften und Gewerbeordnung auch befolgt werden. In acht Hallen sind rund 250 Händler und Kleingewerbetreibende aktiv, insgesamt rund 1.000 Beschäftigte, die meisten von ihnen „misstrauisch und verschlossen“, wie die Reporterin zu berichten weiß (Katalog, 139). Über die Gründe sagt sie nichts, aber das könnte wohl etwas mit der erwähnten Schattenwirtschaft zu tun haben. Betrieben wird das Center seit 2003 von einem Vietnamesen. Es sind vor allem Armutsmigranten aus Vietnam, aber auch aus China, Indien und Pakistan, die hier landen
Schattenwirtschaft als erfolgreiche „migrantische Ökonomie“
Nicht nur „Schattenwirtschaft“ scheint es zu geben, auch von „Geldwäsche, Schmuggel, Menschenhandel“ ist die Rede. Doch der zuständige Bezirksstadtrat von der Partei Die Linke wiegelt ab. Das Center sei ein erfolgreiches Beispiel für „migrantische Ökonomie“. Verstöße gegen die Bauordnung spielen keine Rolle, eigentlich unzulässige Restaurants werden vom Ordnungsamt in Kantinen umdeklariert, damit sie im Gewerbegebiet betrieben werden dürfen. Auch ob es sich bei Bauvorhaben um nicht zulässige Wohngebäude handelt, wird offenbar nicht so genau geprüft.
Der größte Teil der Händler arbeitet unter prekären und illegalen Bedingungen, und die wenigsten finden aus diesem Kreislauf wieder heraus, sagt ein vietnamesischer Kulturwissenschaftler. Der Betreiber möchte aus dem Center unterdessen ein „richtiges autarkes Asia Town“ machen, einen eigenen Stadtteil. Vorerst sperrt sich der Bezirk noch, heißt es im Katalogbeitrag.
Aber hier wird deutlich: es gibt in Deutschland bereits mit behördlicher Duldung Parallelgesellschaften und Parallelökonomien, wo deutsche Gesetze und Verordnungen nur noch unter Vorbehalt gelten. Im Deutschen Pavillon auf der Architekturbiennale wird dieses Vorgehen als praktikabel dargestellt, wie gesagt, finanziert mit Steuergeldern aus dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit.
- „Die Arrival City ist selbst gebaut. Selbsthilfe beim Bau von Wohnraum wäre nötig und darf nicht durch zu hohe Anforderungen verhindert werden.“
Beispiele sind hier eine Siedlung in Frankfurt-Praunheim aus den 1920er und eine Siedlung in Chile aus den 2000er Jahren. Die Häuser der Frankfurter Siedlung sind heute überwiegend Eigentumswohnungen, die zum Teil in der Tat von den Eigentümern stärker verändert wurden, so dass der uniforme Reihenhauscharakter im Bauhausstil des Architekten Ernst May aus den 1920er Jahren kaum mehr zu erkennen ist. Aber sie wirkt halt wie eine der mehr oder weniger gepflegten Reihenhaussiedlungen, wie man sie aus Deutschlands Stadtrandvierteln kennt.
Nach dem Prinzip von Frankfurt-Praunheim wurden 2004 in Iquique in Chile Kleinstwohneinheiten errichtet, die von den Bewohnern selbst weiter ausgebaut werden konnten, sobald Eigenmittel verfügbar waren (Architekt: Aravena). Dasselbe Prinzip soll nun auch in Deutschland für Migranten zur Anwendung kommen. Das wäre allerdings nur durch Abrücken von geltenden Normen und Standards möglich, heißt es im Katalogbeitrag. Das Resultat wären voraussichtlich Bauten in Barackenanmutung, wie das Foto aus Iquique von 2006 zeigt (Katalog, 167).
- „Die Arrival City ist im Erdgeschoss. Ob kleinteilige Geschäftsräume im Erdgeschoss verfügbar sind, bestimmt die Qualität des öffentlichen Raums.“
Mit dieser These setzt sich die Atmosphäre des Provisorischen, Gebastelten fort. Gefordert werden mehr Möglichkeiten für Kleinhändler und Kleingastronomie, sich selbständig zu machen und im Rahmen einer „ethnischen Ökonomie“ Bedürfnisse der eigenen „Community“ zu bedienen. Eine Chance vor allem für jene, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt kaum Chancen haben. Als vorbildlich gelten für die Autoren Läden im Erdgeschoss für Möbelsonderposten oder Kleingastronomie mit allein arabischen Ladenschildern, wie es sie in Berlin-Neukölln gibt, aber auch in Vierteln hinter den Bahnhöfen so mancher deutschen Großstadt.
- „Die Arrival City ist ein Netzwerk von Einwanderern. Keine Angst vor ethnisch homogenen Vierteln: sie ermöglichen Netzwerke.“
Diese These wendet sich direkt gegen die im Januar 2016 von Sigmar Gabriel geforderte Residenzpflicht für Flüchtlinge und damit gegen das erst Monate nach Ausstellungseröffnung verabschiedete Integrationsgesetz. Die Residenzpflicht betrifft anerkannte Flüchtlinge und zwingt sie unter bestimmten Voraussetzungen, am Ort wohnen zu bleiben, dem sie während ihres Asylverfahrens zugewiesen wurden. Anerkannte Flüchtlinge sollen für drei Jahre am Ort ihrer Zuweisung während des Asylverfahrens leben müssen, ohne an einem anderen Ort ihren Wohnsitz zu begründen. Auch die Vergabe der Transferleistungen erfolgt nur am zugewiesenen Wohnsitz. Der Gesetzgeber wollte durch die bundesweite Verteilung von Flüchtlingen die Integration in die deutsche Mehrheitsgesellschaft fördern und verhindern, dass in bestimmten Städten ethnisch homogene oder gar ghettoartige Viertel entstehen.
Schon im Frühjahr 2016 hielten die Ausstellungsmacher von der angedachten Residenzpflicht gar nichts. Die schöne neue Welt der „ethnisch homogenen Viertel“ wird u.a. mit einer Innenaufnahme von einer türkischen Moschee in Offenbach illustriert sowie mit Aufnahmen vom angerenzenden Viertel, wo sich Migranten als „wirtschaftliche Pioniere“ betätigen und das Stadtviertel „neu beleben“. Integration durch Segregation ist hier das Motto. Das kommt den Migranten entgegen, die ohnehin erst einmal unter ihres gleichen sein wollen. Aber es kann freilich auch Konflikte begrenzen, indem die autochthone Bevölkerung nicht mit als problematisch wahrgenommenen Verhaltensweisen von Migrantengruppen konfrontiert wird (Katalog, 221).
Die SPD-Position ist klar, und die Ministerin hat sie in ihrer Eröffnungsrede im Deutschen Pavillon nochmals unterstrichen: „Deutschland ist nicht zuletzt als Fluchtpunkt hunderttausender Geflüchteter aus den Kriegs- und Krisenregionen unserer Zeit in den vergangenen Monaten ein Arrival Country gewesen, ein Ankunftsland. Aber das war auch davor schon lange eine schlichte Tatsache – auch wenn das vielleicht dem einen oder anderen nicht passt. Deutschland ist ein Einwanderungsland und wir bekennen uns dazu!“
Die Migranten sollten möglichst viel Kontakt zur Lebenswelt und Kultur der Deutschen haben und deshalb räumlich verteilt und ethnisch gemischt untergebracht werden. Insofern teilt die Ministerin diese These der Ausstellungsmacher nicht. Doch es könnte sein, dass diese Integrations-Rechnung ohne den Wirt, pardon, die Migranten gemacht wurde. Für Doug Sanders zumindest, den spiritus rector der Präsentation, geht dieser Ansatz an den Intentionen vieler Migranten vorbei.
Doug Sanders: Staatliche Sprachvermittlung ist der falsche Weg
Vor allem die staatlich verordnete Sprachvermittlung in Deutschkursen ist für Sanders der falsche Weg. Im Interview, das im Katalogbuch zur Ausstellung abgedruckt ist (Making Heimat. Germany, Arrival Country, Hatje/Cantz 2016, p. 53,55), hält Sanders es unter Hinweis auf Erfahrungen in seinem Heimatland Kanada für wenig sinnvoll, Immigranten die Landessprache lernen zu lassen. Entscheidend sei vielmehr der Zugang zum Arbeitsmarkt. Die Landessprache würden die Migranten dann erlernen, wenn sie die Aufnahmelager verlassen, und in den Wirtschaftsprozess eingegliedert werden. „Aber zu sagen, bevor ihr eine Arbeit bekommt, müsst ihr erst die Sprache lernen, ist rückschrittlich. In Europa herrscht ein rückschrittliches Denken, vor allem weil man glaubt, die Flüchtlinge würden sich Arbeit in einer Fabrik oder etwas Ähnliches suchen. Die heutigen Einwanderer wollen sich selbständig machen und ein Geschäft eröffnen …“
Wenn Sanders recht hat, dann wäre der von der deutschen Politik propagierte Integrationsansatz eher über kurz als über lang zum Scheitern verurteilt: Die meisten Migranten – zumal aus dem muslimischen Kontext – würden sich in Parallelgesellschaften und -ökonomien organisieren, eine Teilhabe am deutschen Arbeitsmarkt würde nur vereinzelt stattfinden, Spracherwerb würde nur rudimentär erfolgen, aber die Nachfrage nach Sozialleistungen aus diesem Personenkreis wäre vermutlich überproportional.
- „Die Arrival City braucht die besten Schulen. Die besten Schulen sollten in den schlechtesten Vierteln sein, um die Kinder zu qualifizieren.“
Als Beispiel führt die Ausstellung die Rütli-Schule in Berlin-Neukölln an, die 2006 durch einen Brandbrief der Lehrer wegen des Schulversagens vieler Schüler mit Migrationshintergrund für großes mediales Aufsehen sorgte. In den vergangenen zehn Jahren wurde unter Aufwendung von mehr als 30 Millionen Euro ein Schulcampus geschaffen, der die Erfolgsaussichten der Schüler anscheinend erheblich verbessert, einschließlich freiwillig wählbarer Türkisch und Arabisch-Kurse für Migrantenkinder. Die Zeiten von Schüler- und Lehrerflucht scheinen vorbei, Neukölln scheint sogar einen Gentrifizierungspfad eingeschlagen zu haben.
Doch genug von diesen Thesen, die offenbar lediglich die große Umwälzung in Deutschland flankieren sollen, aber doch eher nur für weitere Verwirrung, wenn nicht gar für weiteres Misstrauen (gegenüber der Politik der Bundesregierung sorgen.
Betrachter wird überrumpelt
Die Ausstellung irritiert durch ihren Kommunikationsstil und die Einseitigkeit der Darstellung. Der Betrachter wird gleichsam durch die vermeintliche Selbstevidenz der Aussagen überrumpelt. Eine Kommunikationsstrategie, die bekannt ist von den auf hohem moralischen Ross sitzenden Verfechtern einer bedingungslosen Unterstützung für all die zahllosen „Geflohenen“ und „Geflüchteten“, mögen sie die Bezeichnung nun zu Recht tragen oder nicht. Es ist dieser moralisierende Befehlston, der verärgert.
Die Risiken, die mit der massenhaften Zuwanderung verbunden sind, werden nicht thematisiert. Was passiert, wenn Migranten aus ländlichen Regionen des Mittleren Ostens oder Afrikas in großer Zahl nach Europa einwandern und dort weder sozial noch ökonomisch Fuß fassen können, weil ihre fachlichen Kenntnisse und ihr soziales Repertoire auf keine Nachfrage treffen oder nicht mit den Standards der autochthonen Bevölkerung vereinbar sind? Die hieraus drohenden Verwerfungen sollte eine verantwortliche Politik antizipieren und konsequent die Zuwanderung begrenzen und im Sinne der aufnehmenden Gesellschaft steuern. Die aufnehmende Gesellschaft muss zudem klar sagen, welche Kompetenzen, welche Integrationsleistungen, welches Verhalten sie von Zuwanderern erwartet und sich nicht einfach damit abfinden, dass die Migranten sich in ihren ethnisch homogenen Vierteln schon irgendwie arrangieren werden.
Doch diese klare Ansage wird von der CDU und den rotgrünen Parteien nicht ernsthaft gemacht. Doug Sanders liefert in dem Interview, das im Katalog zu „Making Heimat“ abgedruckt ist, eine unerwartete, aber vielleicht nicht ganz abwegige Erklärung dafür, dass auch die CDU es nicht tut (S. 49): Die konservativen Parteien müssten die ethnischen Minderheiten gewinnen, weil diese als kleine Gewerbetreibende tendenziell konservativ seien. Die USA lieferten dafür das Vorbild. Dort sei es kaum möglich, Präsidentschaftswahlen zu gewinnen, wenn man nicht Latinos und Afro-Amerikaner in ausreichender Zahl als Wähler gewinnen kann. Das sei das Problem der Republikanischen Partei. Konservative Parteien, die diesen Schritt vollziehen, sehen in den Immigranten keine Bedrohung, sondern eine Möglichkeit, Wahlen zu gewinnen. Man müsse nur die „Rassisten“ in der eigenen Partei zum Schweigen bringen, „und Türken und Pakistani werden die konservative Partei wählen.“ In der Tat, welcher in Deutschland wahlberechtigte Muslim würde heute nicht für die Bundeskanzlerin und ihre Partei stimmen?
Ein Aspekt, der von Union über SPD bis zur Linken stillschweigend als künftiger Windfall-Profit bei den Wählerstimmen einkalkuliert werden dürfte.
Hauptproblem der Ausstellung: Megacities der Schwellenländer als Vorbild
Die Hauptproblematik der Präsentation im deutschen Pavillon scheint mir darin zu liegen, dass die Beispiele für die Hauptthesen von Doug Sanders zum allergrößten Teil aus den Megacities in der sogenannten Entwicklungs- bzw. Schwellenländer stammen, wie Indien, Bangladesh, China, Kenia, Brasilien, Venezuela, Ägypten. Hier haben die globalen Megatrends der Urbanisierung und des Bevölkerungswachstums zu rasant wachsenden Ballungsräumen geführt. Hier macht das Konzept der Ankunftsstadt Sinn, angesichts der Millionen von Migranten, die aus den ländlichen Gebieten in die Städte strömen. Hier mag die migrantische Parallelgesellschaft stabilisierend und integrierend wirken. In einer hochtechnisierten, hocharbeitsteiligen Gesellschaft, orientiert am Ziel hoher Produktivität und Kosteneffizienz wie der Bundesrepublik würden ethnisch homogene Viertel zumal mit muslimischer Prägung eher die Segregation verstärken, als eine wie auch immer geartete Integration fördern. Das im Katalog vorgestellte Dong Xuan-Center in Berlin illustriert das letztlich.
Kein Ort, an dem man verweilen will
Der Deutsche Pavillon spiegelt in seinem Auftritt diese Situation der Heimatlosigkeit, der Ausgesetztheit, aber nicht nur für die Migranten, auch für die autochthonen Bürger. Die Ausstellungssituation vermittelt ein Gefühl der Unbehaustheit, des Provisorischen, Improvisierten. Es wirkt zugig und unwirtlich, der Deutsche Pavillon ist kein Ort, an dem man länger als unbedingt nötig verweilen will. Daran ändern auch die Ausblicke auf die Lagune nichts, die durch die brachial wirkenden Mauerdurchbrüche mit ihren grünen Stahlträgern ermöglicht werden. Einmal mehr wollte man an der durch die Nationalsozialisten1938 überformten Baugestalt zeigen, was Offenheit bedeutet. Dann sind da die auf Paletten gestapelten Mauersteine, mit denen die Durchbrüche nach dem Ende der Ausstellung – hoffentlich – wieder zugemauert werden, die weißen Plastikstühle aus dem Baumarkt, die minimalistischen Fotografien minimalistischer Industriegebiets-Architektur an den Wänden.
Aufgabe von Architektur wird konterkariert
So konterkariert der Pavillon das, was letztlich Aufgabe von Architektur ist: Dem Menschen und seinem Besitz einen Schutzraum bieten vor den Unbilden der Natur aber auch vor Menschen, die des Menschen Wolf sein wollen, und, wenn es die Mittel erlauben, ein wenig Ornament und Gestaltung. Und das Konzept des wegen der Mauerdurchbrüche durchgehend Tag und Nacht geöffneten Hauses führt dazu, dass keine Objekte von irgendwelchem Wert ausgestellt werden können, zum Beispiel Architekturmodelle oder Raumausstattungen, wie im französischen und britischen Pavillon. Gleichwohl soll nicht unerwähnt bleiben, dass im Gästebuch überwiegend positive Kommentare zur Ausstellung zu lesen sind. Ein Indiz dafür, dass die Besucher sich vornehmlich aus dem Kreis jener rekrutieren, die ohnehin bei der der rotgrünschwarzen Zuwanderungspolitik auf Linie sind und die von Deutschland als einem für immer offenen Ankunftsland träumen.
Gewiss, in der vom DAM erstellten Datenbank sind mitunter brauchbare Konzepte für Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland enthalten, auch wenn es dabei nicht ohne viel Fertigteile und Raummodule geht. Indessen, in neuem Zustand mag das alles gefällig aussehen, aber wie wird der Anblick sein nach zwei oder drei Jahren Nutzung und Witterungseinflüssen? Wie auch immer: Wenn die Ästhetik der Baracke, des Industriegebiets und des sanierungsbedürftigen Altbaus der neue Gestaltungsanspruch sein soll für Städte und Stadtteile, die als arrival cities auserkoren sind, wie es der Deutsche Pavillon vorführt, dann droht eine neue Variante von „Unwirtlichkeit der Städte“, mit zusätzlichen sozialen Brennpunkten, mit No Go areas, Unsicherheit und Parallelgesellschaften.
Aber es scheint beschlossene Sache, Deutschland zu einem noch etwas unwirtlicheren Ort zu machen für jene, die das Land seit Generationen kontinuierlich weiter erhalten und entwickelt haben. Bei „Making Heimat“ geht es in erster Linie um eine Unterbringung mit Subsistenzwirtschaft für Migranten. Was einmal Heimat war für jene, die in diesem Land keinen Migrationshintergrund im Mittleren Osten, Asien oder in Afrika haben, bleibt hier ohne Belang. Wenn es nach der Politik und den Ausstellungsmachern geht, könnte Deutschland, vor allem in den Städten, für viele Menschen ein beliebiger, nur schwer wiedererkennbarer Ort werden, eine Fremde für alle, die hier leben, egal ob Migrant oder autochthoner Bürger.
Die Architekturbiennale 2016 in Venedig ist noch bis 27. November geöffnet. Zur Ausstellung im Deutschen Pavillon ist ein Katalog erschienen: Making Heimat. Germany, Arrival Country; Hatje Cantz/Ostfildern 2016, 304 Seiten. Ab März 2017 soll Making Heimat im Deutschen Architekturmuseum Frankfurt gezeigt werden.
Dr. Joachim Stark ist Politikwissenschaftler und Publizist.