Tichys Einblick
Von Lauterbach missbraucht

LongCovid – eine überschätzte Gefahr

LongCovid kann nicht mit Hilfe der technischen Medizin diagnostiziert werden. LongCovid wird erfragt. Das ist die traurige Wahrheit. Und Lauterbach nutzt LongCovid, um für die COVID-„Impfung” zu werben. Von Friedrich Pürner

IMAGO / Christian Ohde

Ärzten ist das folgende Phänomen bestimmt bekannt – vor allem Ärzten, die Menschen behandeln und sich nicht nur im Labor oder im Bundestag herumtreiben. Die Patienten fangen sich eine Infektion ein. Einige von ihnen husten, schnupfen und sind fiebrig. Andere wiederum erbrechen, haben Durchfall und sind ebenfalls von Fieber geplagt. Je nach Symptomen schließt der Arzt meist ohne Test auf den jeweiligen Erreger. Da die meisten hierfür in Frage kommenden Infektionen viral sind, wird der Arzt oft nur physisch beistehen und mittels Medikamente zur Linderung der Symptome beitragen können. Heilen muss der geschundene Körper seiner Patienten von alleine – was auch in den meisten Fällen nach ein paar Tagen passiert.

„Nebel im Kopf“

Doch es gibt immer wieder – nur sehr wenige, aber es gibt sie – Patienten, die sich von der vorausgegangenen Infektion einfach nicht vollständig erholen. Die Hauptsymptome verschwinden glücklicherweise. Was aber bleibt, ist ein Gefühl der Erschöpfung, der Müdigkeit oder einer Kraftlosigkeit. Bei Magen-Darm-Infektionen bleiben immer wieder Laktose- oder andere Unverträglichkeiten zurück. Manche Grippe-Erkrankte finden über Monate keine vollständige Genesung. Es bleiben Körperschmerzen und Kraftlosigkeit zurück. Mit der Folge, dass diese Patienten vorerst ihrem Hobby-Sport nicht mehr nachgehen können. Bei anderen leidet die Psyche. Viele beschreiben dies mit „Nebel im Kopf“. Sie haben Konzentrationsstörungen, leiden an Schlafstörungen oder sind niedergeschlagen.

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Diese Fälle sind den praktizierenden Ärzten sicher bekannt und niemand wird das ernsthaft abstreiten. Doch bis zur „Pandemie” schien hierfür wenig Interesse in der Politik, bei den Ärzten und innerhalb der Gesellschaft zu bestehen. „Stell dich nicht so an“ war einer der häufigsten Sätze, der mir von betroffenen Patienten berichtet wurde. Diesen fingen sie sich ein, wenn dem Partner, dem Trainer oder dem Arbeitgeber das Leiden der Patienten nun doch zu lange dauerte. Dem Laien war nicht klar, dass es dieses Phänomen überhaupt gibt. Vor Corona kannte man es auch eher unter „Erschöpfungssyndrom“. Dabei schwang bereits etwas Schwächliches mit. Niemand möchte schwach sein oder wirken. Doch wer sich nicht mehr erholte, der war schwach – und Schwäche passte nun mal nicht in eine Leistungsgesellschaft.
Medaille mit Kehrseite

Doch mit LongCovid und seinem Werbeträger Karl Lauterbach wurde das nun anders. Diejenigen, die sich nach einer COVID-Infektion nicht mehr erholen, bekommen nun Aufmerksamkeit. Und ja, dafür wurde es Zeit. Um bei all der berechtigten Kritik an Karl Lauterbach fair zu bleiben, gebührt ihm hierfür Anerkennung. Er hat es geschafft, dass LongCovid-Betroffene eine Stimme bekommen, ernst genommen, sichtbar und nicht mehr belächelt werden. Nun soll das kein vergiftetes Lob sein. Ich meine das völlig ernst.

Allerdings gibt es dabei auch eine Kehrseite. Diese wiegt mindestens so schwer wie die erreichten Vorteile für die Patienten. Denn mit der gewaltigen Wortschöpfung LongCovid wurde leider gleichzeitig die Büchse der Pandora geöffnet. Mit dieser Diagnose wurden ganze Scheunentore für Allerlei aufgerissen. Allerlei deshalb, weil nun Lauterbach einfach behaupten kann, dass viele Erkrankte LongCovid bekommen haben bzw. bekommen können. Harte Fakten und evidenzbasierte Belege hat er dafür nicht. Im wissenschaftlichen Diskurs bräuchte er diese Belege. Zur medialen Verbreitung von Angst und Schrecken kommt er ganz ohne Belege aus. Die Medien nehmen dankbar seinen medizinischen Unfug auf und verbreiten ihn weiter. Zudem nutzt Lauterbach LongCovid, um für die COVID-„Impfung” zu werben. Dies, in dem er behauptet, dass diese gegen LongCovid schützen würde. Das ist ebenfalls falsch. Es erscheint jedoch in der Summe der Lauterbach´schen Falschbehauptungen bald keine Rolle mehr zu spielen.

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Eine weitere negative Kehrseite um LongCovid ist, dass nun einige Diagnosen bei Patienten umdeklariert werden können. Dies ist bei jenen möglich, die bereits vor der eigentlichen COVID-Erkrankung eine Erkrankung hatten, die von ihren Ärzten jedoch wenig beachtet wurde oder nicht namentlich diagnostiziert werden konnte. Weitere Untersuchungen werden nun ausbleiben, denn nun gibt es eine Diagnose. Aber auch Personen, die bereits eine veritable Macke hatten, können das „Kranksein“ ausnutzen. Diese sehen die Chance, sämtliche Vorteile daraus zu ziehen. Nebenbei verstopfen und schröpfen sie das Gesundheitssystem. Und auch das kennen praktizierende Ärzte sehr gut.

Wir tun so, als würde es diese Patienten in den Arztpraxen nicht geben. Darüber spricht man nicht. Weil man das als guter Arzt nicht macht – so zumindest die fast einhellige Meinung in der Ärzteschaft. Doch das ist falsch. Denn es gibt diese Patienten, die einfach krank sein wollen. Diese wollen um jeden Preis ein Leiden haben. Um endlich Aufmerksamkeit zu bekommen, um endlich nicht mehr arbeiten zu müssen. Hier gibt es sicher zig weitere Gründe. Dieses Phänomen nennt sich Krankheitsgewinn und auch das sollten Ärzte kennen. Denn bestimmt werden einige Ärzte dankbar die Diagnose LongCovid annehmen. Einem Patienten LongCovid abzusprechen ist aktuell gesellschaftlich schwer vermittelbar. Eine ungute Entwicklung.

LongCovid kann alles sein

Wer sollte daran noch zweifeln? LongCovid ist in der Gesellschaft angekommen. Es wurde etabliert. Der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem wurde dadurch ein Bärendienst erwiesen.

Nun erinnere ich an meinen Text weiter oben. Es gibt Menschen, die sich nach einer Infektionserkrankung für eine unbestimmte Zeit nicht mehr erholen. Das muss deutlich differenziert werden von denen, die ihre Erkrankungen und Leiden schon vorher hatten, denen aber eine Diagnose fehlte. Betroffene müssen ernst genommen werden. Doch wie kann das gelingen?

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LongCovid umfasst eine schier unzählbare Vielzahl von Symptomen. Eine ordentliche und zur täglichen Arbeit taugende Definition kann kaum gelingen. Die bereits bekannten Definitionen sind derart weit gefasst, dass so gut wie jedes Symptom darunter subsumiert werden könnte. Jedoch können diese Symptome auch von anderen Erkrankungen her rühren. Um es klar zu sagen: die derzeitigen Definitionen taugen nicht. Sie sind zu groß sowie zu breit ausgelegt und erfassen eine unüberschaubare Palette an Symptomen. Zudem wird die eindeutige Kausalität zwischen einer vorausgegangener Infektion und LongCovid nicht gefordert. Wie sollte das auch funktionieren? Halten wir also fest: LongCovid kann nicht mit Hilfe der technischen Medizin diagnostiziert werden. LongCovid wird erfragt. Das ist die traurige Wahrheit.

Repräsentative Zahlen über tatsächliche LongCovid-Fälle existieren nicht. Die bisherigen Studien zeigen methodische Schwächen. Hauptschwäche aller Studien ist das Fehlen geeigneter Kontrollgruppen. Die Zahlen, die herumgeistern oder die Aussagen von Karl Lauterbach mit seinen Superlativen an Erkrankten dürften mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit für die Tonne sein.

Was von LongCovid bleiben wird

Durch Lauterbachs Hysterie wird LongCovid auf lange Sicht der Lächerlichkeit preisgegeben. Damit werden alle positiven Effekte, die die Aufmerksamkeit auf Folgeerscheinung von Virusinfektionen lenkte, ins Gegenteil pervertiert. Bei LongCovid werden viele an die Zurschaustellung von Frau Stokowski auf der Pressekonferenz im Oktober 2022 denken sowie an die zahlreichen Aufrufe sich impfen zu lassen, um sich vor LongCovid zu schützen. Auch Lauterbachs Empfehlung Off-Label Medikamente einzusetzen und sein Erwähnen von LongCovid in einem Atemzug mit Krebs, Rheuma und Alzheimer trägt zur Hysterie bei.
Bei LongCovid wird es sich ähnlich wie bei anderen Folgeerscheinungen von bekannten Virusinfektionen verhalten. Es gibt sie – aber eben selten und nicht in dieser hohen Zahl. LongCovid wird von den Fallzahlen her völlig überschätzt. Weder Emotionen noch das eigene Gefühl oder gar politischer Einfluss sollten hierauf einwirken. Vernunft, Objektivität, Rationalität und ordentliche Studien sind ein besserer Ratgeber.


Dr. Friedrich Pürner, MPH
Facharzt für Öffentliches Gesundheitswesen, Epidemiologe

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