Die Landtagswahl im Saarland steht vor der Türe. Am 26.März 2017 wird gewählt. Doch aus den Listen der politischen Parteien können die Saarländer keine namentliche Auswahl unter den Landtagskandidaten treffen, sondern nur die Liste einer Partei „en bloc“ ankreuzen (Wahl mit geschlossenen Listen). Die Landtagswahl folgt also dem Prinzip: „Friss Vogel oder stirb, etwas anderes gibt es nicht!“ Mit dem Grundgesetz und der Verfassung des Saarlandes ist das nicht in Einklang zu bringen. Beide verlangen die unmittelbare und freie Auswahl der Abgeordneten (Wahl mit offenen Listen).
Das Saarland ist das einzige Bundesland, in dem nur mit der „Zweitstimme“ abgestimmt wird (bloße Parteienwahl). Das Bundesverfassungsgericht hält fest: „Die bloße Parteienwahl schließt die Verfassung aus.“ BVerfG v. 26.2.1997, BVerfGE 98, 317, (323). Das Urteil, kann man im Internet aufrufen und das Zitat dort nachlesen. Der Landtag in Saarbrücken besteht aus 51 Mitgliedern. „Diese werden nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt.“ So steht es in Art. 66 Absatz 1 der Landesverfassung. Auf den Stimmzetteln können die Wähler eine Partei kennzeichnen, aber keinen unmittelbaren Einfluss darauf nehmen, wer, d.h. welche Person aus der Liste zum Zuge kommen soll.
Die Abgeordneten werden also nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar ausgewählt, was die Verfassung des Saarlandes in Artikel 63, Absatz 1 unstreitig ausschließt.
Art. 66 der saarländischen Landesverfassung ist eine klassische „contradictio in adiecto“: Im ersten Absatz steht das Gegenteil dessen, was im zweiten Absatz angeordnet wird. Der erste Absatz schreibt die Parteien- sprich Verhältniswahl vor. Dabei wird von den Wählern auf den Stimmzetteln die von ihnen bevorzugte Partei angekreuzt. Der Stimmzettel ist als Muster in Auszügen beigefügt. Dort kann man leicht verifizieren, dass es sich um eine bloße Parteienwahl handelt und das Wort „Verhältniswahl“ nur eine andere Vokabel dafür ist. Im zweiten Absatz wird dagegen klargestellt, dass nur eine natürliche Person wählbar ist. Parteien können ja nicht volljährig werden und dürfen ja auch nicht abstimmen. Der zweite Absatz stellt im Umkehrschluss also klar, dass Parteien nicht wählbar sind. Und das entspricht dem, was das BVerfG dazu in dem schon zitierten Urteil gesagt hat.
Die Unmittelbarkeit der Wahl ist aber auch im Grundgesetz verbürgt. Das Gleiche gilt für die freie Wahl. Beide Wahlgrundsätze gelten ausdrücklich auch für die Bundesländer. Vgl. Art. 28 Grundgesetz. Bei der Parteienwahl werden die Landtagsabgeordneten weder unmittelbar noch frei gewählt. Sie werden überhaupt nicht gewählt. Denn die Wähler können nur eine Partei auf den Stimmzetteln kennzeichnen, obwohl sie nach Art. 66 Abs. 2 der Landesverfassung überhaupt nicht wählbar ist.
Wer sich die Mühe macht und den einschlägigen Artikel in der Landesverfassung (LVG) zu Ende liest, der erlebt nämlich eine große Überraschung. In Art. 66 Abs. 2 LVG heißt es: „Wählbar ist jeder Stimmberechtigte, der das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt.“ Parteien sind aber weder stimmberechtigt, noch können sie das Alter der Volljährigkeit erreichen. Deshalb sind sie auch gar nicht wählbar. Der Landeswahlleiter muss seinen Stimmzettel, auf dem man nur die Parteien kennzeichnen, d.h. ankreuzen kann, in den Altpapier-Container werfen und neue Stimmzettel drucken lassen, auf denen die Wähler die Namen volljähriger Bewerber ankreuzen können, die selbst abstimmen dürfen.
Ein Stimmzettel, auf dem lediglich die politischen Parteien zur Auswahl stehen, die selbst niemals volljährig werden und auch nicht wählen können, kann vor der saarländischen Landesverfassung keinen Bestand haben. Wie bereits gesagt, hat das Verfassungsgericht in Karlsruhe dazu ablehnend festgehalten: „Eine bloße Parteienwahl schließt die Verfassung aus.“ Und das gilt nicht nur für den Bundestag, sondern auch für die Landtage. Denn die verfassungsmäßige Ordnung der Länder muss den allgemeinen Wahlgrundsätzen entsprechen, die im Grundgesetz für den Bund und die Länder niedergelegt sind. (Vgl. Art. 28 GG).
Die Personenwahl steht dem Grundgesetz und der Landesverfassung des Saarlandes viel näher als die bloße Parteienwahl. Der Staat ist kein Parteienstaat, sondern ein Volksstaat. Und Wahlen sind keine Parteienwahlen, sondern Volkswahlen. Das Volk tut seinen Willen durch Wahlen kund. Die politischen Parteien haben ein Vorschlagsrecht, aber kein Vorschlagsmonopol. Die Wähler können von dem Willen der Parteien abweichen und anders wählen, als das die Parteien gerne hätten. Sie dürfen mit ihrem Stimmzettel die von den Parteien vorgegeben Reihenfolge auf den Listen verändern. – Und so muss es auch sein!
Was also tun?
Wie so oft gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder findet man sich damit ab, dass mit geschlossenen Listen abgestimmt wird und im Ergebnis die Parteien bestimmen, wer in den Landtag einzieht. Oder man besteht darauf, dass bei der Landtagswahl mit offenen Listen abgestimmt wird, wie es Grundgesetz und Landesverfassung vorschreiben, so dass die Wähler das letzte Wort haben. Wahlen sind unmittelbar und sie sind frei. Und eine bloße Parteienwahl ist beides nicht, sie ist weder unmittelbar noch frei. Verstößt eine Landtagswahl gegen wesentliche Vorschriften der Verfassung und des Wahlrechts, kann sie von jedem wahlberechtigten Stimmbürger des Saarlandes durch Einleitung einer Wahlprüfung angefochten werden.
Eine solche Wahlprüfung soll die gesetzmäßige Zusammensetzung des Landtags gewährleisen. Die Anfechtung der Wahl ist in Artikel 75 der Verfassung des Saarlandes geregelt. Dort heißt es: „Der Landtag entscheidet über die Gültigkeit der Wahl.“ Und weiter: „Die Entscheidungen können beim Verfassungsgerichtshof angefochten werden.“ Näheres dazu ergibt sich aus dem Gesetz Nr. 1716, dem saarländischen Wahlprüfungsgesetz (SWahlPrG). Danach kann eine durch die Wahl im Saarland betroffene Person oder Personengruppe beim Landtag in Saarbrücken (vertreten durch den Landtagspräsidenten) eine Wahlprüfung beantragen. Der Antrag erfolgt in Schriftform und muss mit einer ausreichenden und zutreffenden Begründung versehen sein.
Die Frist ist denkbar knapp
Besonders wichtig: Der Antrag ist innerhalb einer – sehr knappen! – Frist von nur zwei Wochen ab dem Wahltermin vom 26. März 2017 beim Landtag einzureichen. Wird die Frist nicht eingehalten, ist der Antrag von vorneherein unzulässig. Ein frist- und formgerechter Antrag könnte den nachstehenden Wortlaut haben:
„Hiermit fechte ich (fechten wir), der (die) Endunterzeichner, N. N., (N.N.) wohnhaft: Straße, Haus-Nr., Postleitzahl und Ort, gegenüber dem Landtag von Saarbrücken, die Gesetzmäßigkeit der Landtagswahl v. 26. März 2017 an und leite (leiten) damit eine Wahlprüfung nach Art. 75 der Verfassung des Saarlandes ein. Ich war (wir waren) zur Teilnahme an der Landtagwahl berechtigt. Die gesetzlich vorgeschriebene Zwei-Wochen-Frist wurde eingehalten. Die Einleitung des Wahlprüfungs-Verfahrens ist daher zulässig und wird durch die nachfolgenden Ausführungen näher begründet.“
Auf diese Begründung kommt es an. Sie ist das „A und O“ des Wahlprüfungsverfahren und muss hieb- und stichfest sein, wie das oben ausgeführt wurde. Der Landtag in Saarbrücken wird dem natürlich niemals zustimmen und sich selbst auflösen. Im Gegenteil wird er einen solchen Antrag nach längerer Beratung – das kann Monate, ja sogar Jahr dauern – im Plenum „niederstimmen“.
Gegen diese Entscheidung des Landtags kann der Antragssteller Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof des Saarlandes einlegen. Dann geht die Sache von vorne los. Der Beschwerdeführer muss form- und fristgerecht beantragen, dass der Beschluss des Landtags von den Verfassungsrichtern des Landes aufzuheben ist, weil die Ausführungen des Landtages unzureichend oder falsch waren.
Wo kein Wille, da kein Weg!
Ein gewöhnlich anzutreffender Wähler wird in aller Regel an den einzuhaltenden Formalien scheitern. Und ein guter Anwalt kostet Geld, das er nicht hat. Im Zeitalter des Internets gibt es jedoch genug Musterbeispiele an Schriftsätzen, bei denen man sich schlau machen und die man sinngemäß einfach “abkupfern“ kann. Das gilt für die Wahlanfechtung gegenüber dem Landtag des Saarlandes ebenso wie für die nachfolgende Wahlprüfungs-Beschwerde vor dem saarländischen Verfassungsgerichtshof.
Trotzdem ist es besser, sich zu einer größeren Klägergruppe zusammenzutun, der auch jemand angehört, der genug Kenntnisse in solchen Angelegenheiten hat, sei es, dass er ein fortgeschrittener Jura-Student oder Rechtsreferendar oder rechtskundiger Beamter ist, sei es, dass er bereits als Rechtsanwalt zugelassen wurde.
Soviel ist jedenfalls klar: „Eine bloße Parteienwahl schließt die Verfassung aus.“ Im Saarland schert das niemand. Doch wenn die Saarländer das wollen, dann können sie das ändern und die bloße Parteienwahl zu Fall bringen. Der Weg ist beschwerlich. Und wo kein Wille, da kein Weg!