Tichys Einblick
Ein Satz mit X

Die kurze Halbwertszeit der BSW-Wahlversprechen

Zwei Sozialdemokraten bilden eine Koalition: Die offizielle SPD und ihre inoffizielle Zweitmarke BSW. Auf der Strecke bleiben die Wahlversprechen wie die Corona-Aufarbeitung, mit der das BSW Wähler gelockt hat, beschreibt Saskia Ludwig.

Dietmar Woidke (SPD, l), Ministerpräsident von Brandenburg, bekommt von Robert Crumbach (BSW), Fraktionsvorsitzender in Brandenburg, den Koalitionsvertrag überreicht

picture alliance/dpa | Michael Bahlo

Wer sich überwinden konnte, die Sendung „phoenix vor Ort“, wohlgemerkt als Livesendung, mit den beiden Politikern Woidke (SPD) und Crumbach (BSW) zu verfolgen, wurde belohnt. Wen Politik eigentlich nicht interessiert, sah zwei Herren, die doch stark an Preisboxer erinnerten, vor einer blauen Wand sitzen, die auch im Berliner Türstehermilieu verortet sein könnten. Beide haben im Wahlkampf mit ihre fehlenden Haarpracht werbeprächtig inszeniert – der Wahlkampf der Superglatzen.

Als „wahre Glatze Dietmar Woidke“ warb der Spitzenkandidat für sich – typgleich mit dem BSW-Chef Robert Crumbach, der vorher 41 Jahre SPD-Mitglied war, ehe er beim Ableger die Führung übernahm. Tatsächlich wollen sich diese beiden die Spitzenämter in Brandenburg teilen: Das des Ministerpräsidenten in Brandenburg geht an die SPD und das Finanzministerium fällt ebenfalls an die SPD in Gestalt ihres Ablegers BSW. Dafür wird ihnen für fünf lange Jahre sehr viel Macht verliehen. So können sie gemeinsam wieder Bürger wie zu Corona-Zeiten sozial isolieren, Kindern den Gang in die Schule verwehren und alte Menschen in ihren Heimen wegsperren.

Doch all jene Brandenburger, die dem BSW im September 2024 ihre Stimme – aufgrund ihrer Versprechungen zum Thema Corona-Aufarbeitung – gegeben hatten, rieben sich ungläubig die Augen. Robert Crumbach vom BSW sagte wortwörtlich: „Dass wir die Dinge dann schaffen werden, weil wir die Probleme, die da sind, ähnlich analysieren.“ Im Wahlkampf hat sich das noch anders angehört. Da hatte es beim BSW noch so geklungen, dass Woidke sich mit einer unabhängigen Generalstaatsanwaltschaft sowie der staatsanwaltschaftlichen Verfolgung seiner Entscheidungen als Ministerpräsident konfrontiert sehen könnte. Doch die versprochene gründliche Aufarbeitung all der gegen die Menschlichkeit verstoßenden Maßnahmen ist beim BSW mit seinen 30 Mitgliedern nach der Wahl nicht mehr gewünscht; die Mini-Partei dürften vermutlich bald die höchste Dienstwagendichte aufweisen.

Im Gegenteil, in der Präambel des Koalitionsvertrages zwischen SPD und BSW heißt es auf Seite 4: „Um aus den Maßnahmen zur Abwehr der Corona-Pandemie für die Zukunft die richtigen Schlüsse zu ziehen, setzen wir eine Enquetekommission ein. Sie soll herausarbeiten, wie staatliche Eingriffe in die Freiheitsrechte unter dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit so gering wie möglich gehalten werden können, wie unser Gesundheitssystem für die Bewältigung von Pandemien aufgestellt ist und welche Maßnahmen zur Gefahrenabwehr und zum Schutz der Menschen erfolgreich waren. Dazu gehören auch Beratungen über ein Corona-Amnestiegesetz.“

Vor der Wahl war von Aufklärung die Rede, nach der Wahl von „Amnestie-Gesetz“, als Freispruch auch für die übelsten Taten? So schnell hat noch keine Partei ihre Wahlversprechen ins Gegenteil verkehrt.

Denn im Klartext lautet jetzt die Linie: Es wird keine Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen in Brandenburg geben. Der Politiker-Begriff „Enquetekommission“ bedeutet im normalen Wortschatz: Wir begraben das Thema dann mal langfristig! Handverlesene, der SPD treu ergebene Professoren werden dann über Monate und Jahre mit unverbindlichen Belanglosigkeiten unzählige Papierseiten volltexten. Und die im SPD-BSW-Koalitionsvertrag formulierten „Beratungen“ über ein Corona-Amnestiegesetz können ebenfalls extrem lange dauern.

Das ist eine bewährte Woidke-Methode. Man schaue sich nur die endlose Liste all der Dinge an, die von Ministerpräsident Woidke in den vergangenen Jahren „beraten“ wurden. Die Ergebnisse blieben aus, Hauptsache man hat im parteieinigen Stuhlkreis darüber gesprochen und der Öffentlichkeit den üblichen Aktionismus vorgetäuscht. Deshalb überrascht es auch nicht, dass die SPD einen dritten Corona-Untersuchungsausschuss, der mit staatsanwaltschaftlichen Befugnissen ausgestattet wäre, bislang unbedingt verhindern wollte und mit ihrer Mehrheit auch konnte. Jetzt wird es noch einfacher – Amnestie wird gewährt.

Diesen Gefallen hat das BSW all den Tätern und Mittätern gemacht, indem statt „Untersuchungsausschuss“ mit Ermittlungsbefugnissen und Zeugenanhörung der Begriff „Enquetekommission“ gewählt wurde. Damit die Enquetekommission vollends zur Alibiveranstaltung verkommt, hat die „wahre SPD-Glatze“ in der Pressekonferenz schon die Marschroute vorformuliert: „Es spreche nichts dagegen, eine Expertenkommission einzuberufen, wie es im Koalitionsvertrag festgehalten ist. Dabei gehe es weniger um einen Blick zurück, als um Schlussfolgerungen für künftige Pandemien“. Statt Aufarbeitung also Fortsetzung des Unrechts.

Erneut die Übersetzung: Eine ernstzunehmende Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen in Brandenburg ist damit ausgeschlossen. Wie lange diese fragile SPD-BSW-Brandmauer halten wird, ist absehbar. Fast-SPD-Mann Crumbach kann in einer ruhigen Minute schon einmal den Namen „Jay Bhattacharya, Stanford-Professor und Mitinitiator der Great-Barrington-Declaration gegen die Covid-Lockdown Politik“ googeln. Oder er fragt seine enttäuschten Wähler. Die wissen das und werden es bei den nächsten Wahlen sicher nicht vergessen haben, wie lange Wahlversprechen des BSW hielten. Eine ernst gemeinte Corona-Aufarbeitung nimmt ihnen niemand mehr ab.


Saskia Ludwig ist Landtagsabgeordnete der CDU in Brandenburg und hat den Corona-Untersuchungsausschuß mit veranlaßt und an der Aufklärung gearbeitet.

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