Ende Oktober bereiste die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen den Norden und Süden des Irak, um mit den dortigen Vertretern über die weitere Unterstützung gegen den Islamischen Staat zu sprechen. Sie bewegte sich dabei auf dünnem Eis, denn die Interessenlagen der örtlichen Vertreter sind so widersprüchlich wie die Interessen der dort aktiven Regionalmächte. In zwei Folgen soll dargelegt werden, wie die Situation der Kurden historisch einzuordnen ist und welche Möglichkeiten und Konsequenzen auch und gerade für die deutsche Politik in ihrem dortigen Engagement zu erwarten sind.
Teil 1 – Der kurdische Weg in die Autonomie
I. Sévres und Lausanne
Auch wenn die Geschichte der rund um den ostanatolischen Van-See siedelnden Kurden nicht erst im zwanzigsten Jahrhundert begann und ihr ethnischer Ursprung als vermutlich nordwest-persische Arier bis heute nicht eindeutig zu klären ist, resultieren die für die aktuelle deutsche Politik relevanten Betrachtungen maßgeblich in den Folgen des Untergangs des Osmanischen Reichs nach dem Waffengang der europäischen Imperien zwischen 1914 und 1918.
Das damals als Verbündeter der Mittelmächte geschlagene Osmanische Reich sollte am 10. August 1920 im Diktatfrieden von Sévres neben der Einrichtung von Besatzungszonen der Westalliierten einem Groß-Armenien im Nordosten und einem autonomen Kurdistan im Südosten der heutigen Türkei zustimmen. Das damals noch Osmanische Reich hätte entlang des nach Norden verlängerten Euphrat bei der Schwarzmeerstadt Giresun seine Ostgrenze erfahren. Südlich von Groß-Armenien mit den Städten Erzerun, Trabzon und Van war mit dem Zentrum Diyarbakir das autonome Gebiet der Kurden vorgesehen (Artikel 62), welchen gleichzeitig die Zusage gegeben wurde, im Laufe eines Jahres staatliche Unabhängigkeit zu erhalten, wenn abzuhaltende Plebiszite im Sinne des vom frisch gegründeten Völkerbund deklarierten Selbstbestimmungsrechts der Völker entsprechend positiv ausfielen (Art. 64). Hierbei war vorgesehen, die entsprechenden Abstimmungen regional bis einschließlich der südkurdischen Metropole Mosul vornehmen zu lassen.
Infolge von Sévres kam es im Dezember 1920 seitens kurdischer Vertreter zur Forderung an die türkische Regierung, einen unabhängigen Kurdenstaat anzuerkennen. Dieser erste Versuch kurdischer Autonomie auf osmanischem Boden scheiterte im Juni 1921 durch den massiven Einsatz türkischer Armee-Einheiten. Zwischenzeitlich gemachte Zusagen der Türken unter anderem nach kurdisch-sprachigen Schulen wurden nach dem Scheitern der Autonomiebestrebungen revidiert.
Der Einsatz gegen die Kurden war Teil des sogenannten „türkischen Befreiungskampf“ der maßgeblich von Mustafa Kemal Atatürk organisierten, gegen die Alliierten und deren Verbündete kämpfenden Einheiten. Der türkische Widerstand mündete am 24. Juli 1923 im Vertrag von Lausanne, in dem die alliierten Forderungen von Sévres weitgehend aufgehoben wurden. Armenien blieb auf seinen russischen Teil beschränkt, von kurdischer Autonomie war nicht mehr die Rede. Das seit 1639 in Folge des Vertrags von Qasr-eShirin zwischen dem Osmanischen und dem Persischen Reich geteilte Siedlungsgebiet der Kurden fand sich nunmehr in der jungen Türkei, dem Iran sowie den syrischen und mesopotamischen Mandatsgebieten der Franzosen und Briten wieder.
II. Atatürk, die Türkei und die Kurden
Kemal Atatürk unternahm als Begründer der modernen Türkei anfangs den Versuch, die auf türkischem Staatgebiet siedelnden Kurdenstämme in den jungen Staat einzubinden. Gleichzeitig aber stand sein Ziel, die unterschiedlichen Ethnien in einer „türkischen Nation“ verschmelzen zu lassen, im krassen Widerspruch zum Selbstverständnis nicht nur der Kurden. So folgte auf den ersten Autonomieversuch des Jahres 1920 bereits 1925 als Reaktion auf die Säkularisierungspolitik Atatürks ein nunmehr sunnitisch-fundamental-islamisch motivierter Aufstand kurdischer Stämme gegen die Republik. Bei dieser ebenfalls mit massivem Militäreinsatz niedergeschlagenen Revolte stand entsprechend islamischem Staatsverständnis nicht staatliche Autonomie, sondern die Beibehaltung des Scharia-Rechts und des überstaatlichen Anspruchs des islamischen Kalifats im Vordergrund. Es folgte mit zahlreichen Opfern auf beiden Seiten bis 1930 das, was man heute als Guerillakrieg bezeichnen würde.
Nach sieben Jahren der Grabesruhe erhoben sich 1937 im Gegensatz zum zuvor von islam-sunnitischen Sippen geprägten Widerstand mit alevitischen Zaz kurdische Gruppen, die sich infolge Jahrhunderte langer, religiöser Unterdrückung in Sachen Laizismus durchaus auf der Seite Atatürks fanden. Ihr Widerstand galt der Abwehr der von Ankara propagierten Zwangs-Türkisierung der nicht-anatolischen Ethnien. Die Zentralregierung reagierte einmal mehr mit dem üblichen, kompromisslosen Militäreinsatz. Die Region der Aufständischen wurde bis 1948 unter Ausnahmezustand gestellt. 2011 – zu einem Zeitpunkt, als der damalige türkische Ministerpräsident Erdogan noch auf die Unterstützung der Kurden hoffte – entschuldigte sich der heutige Präsident im Namen der Türkei für diese „tragischsten und schmerzhaftesten Ereignisse“ der nachosmanischen Geschichte. Dabei wurde eine Anzahl von 13.806 Todesopfern offiziell anerkannt. Die Dunkelziffer der Opfer wird nicht zu klären sein und deutlich höher liegen.
Infolge des Vorgehens der Armee blieb es in Ostanatolien nun rund vierzig Jahre weitgehend ruhig, bis die fortgesetzte Politik der Zwangsassimilierung der Kurden 1978 in der Gründung der Kurdischen Arbeiterpartei PKK (Partîya Karkerén Kurdîstan) als an marxistischen Zielen ausgerichtete Untergrundbewegung ihre Konsequenz fand. Deren Ausrichtung am Sozialismus sowjetischer Prägung mag maßgeblich darin eine Ursache gehabt haben, dass sich die junge Sowjetunion schon in den zwanziger Jahren im Sinne der russischen Imperialismusinteressen als Schutzmacht der Armenier und der ihnen benachbarten Kurden präsentiert hatte. Angesichts der festen NATO-Einbindung der national-ethnischen Türkei konnten die Kurden seitens der USA und deren Verbündeter in der Phase des Kalten Krieges keinerlei Unterstützung für ihre Anliegen erwarten, weshalb die PKK dort zu keinem Zeitpunkt als Befreiungsbewegung, sondern von vornherein als terroristische Vereinigung betrachtet wurde.
III. Die irakischen Kurden auf dem Weg in die Autonomie
Im von den Briten übernommenem Mandatsgebiet Mesopotamien, aus dem der Irak entstehen sollte, war es bereits 1919 unter Mehmud Berzanci zu ersten kurdischen Autonomiebestrebungen gekommen, die jedoch von den überlegenen Kolonialtruppen schnell unterdrückt worden waren. Erst nachdem 1958 die von britischen Gnaden installierte Monarchie im staatlichen Kunstprodukt Irak durch einen Offiziersputsch beseitigt und Forderungen der auf irakischem Staatsgebiet lebenden Kurden nach mehr Autonomie unbeachtet geblieben waren, entwickelten sich seit 1961 unter Mustafa Barzani das konkrete Separatismusziel, aus dem sich die heute von der Bundesrepublik logistisch unterstützte Peshmerga („die dem Tod ins Auge sehen“) entwickelte.
Der gegen die von der arabisch-sozialistischen Ba`th-Partei totalitär geführte, Irakische Republik gerichtete Guerillakrieg schuf trotz zwischenzeitlicher Waffenstillstands-Vereinbarungen ebenso wie jenem Giftgasangriff der irakischen Armee auf das kurdische Halabdsha vom 16. März 1988 mit geschätzt 5.000 zivilen Opfern zu einer immer größeren Autonomie der von dem Barzani-Clan geführten Kurdengebiete im Nordirak. Der Durchbruch der Barzani-Kurden kam mit dem zweiten Golfkrieg als Verbündetem der USA und der Ablösung der sunnitischen Dominanz im Irak durch die schiitische Bevölkerungsmehrheit im Südosten Mesopotamiens.
Angesichts der instabilen Sicherheitslage musste die schiitisch geprägte, irakische Zentralregierung trotz eines ausgeklügelten Machtverteilungsschlüssels die Autonomie der Kurden im Norden des Landes akzeptieren – eine Autonomie, die zunehmend mehr den Charakter der Eigenstaatlichkeit aufweist. Die Peshmerga, die heute quasi die offizielle Armee der in Arbil sitzenden kurdischen Regierung stellen, bilden seit jenen Handstreich-artigen Überfällen des „Islamischen Staats“ (IS) auf die assyrischen und kurdischen Christen sowie die kurdischen Jeziden sowie der Übernahme Mosuls die irakische Nordfront gegen die sunnitisch-arabischen Fundamentalisten. Einen Schwerpunkt der Verteidigung bildet dabei die erdölreiche Region um die an der Demarkationslinie zum IS gelegenen, von Kurden, Arabern und Schiiten gleichermaßen beanspruchten Stadt Kirkuk und die Stadt Arbil.
Teil 2 – Chancen und Risiken des kurdischen Wegs
IV. Chancen und Risiken der kurdischen Autonomie
Es macht wenig Sinn, darum herum zu reden: In der Vergangenheit standen einer kurdischen Autonomie nicht nur die zahlreichen Regionalmächte entgegen – auch und gerade die innere Zerrissenheit der Kurden durch Sippenkonflikte machte es den Autonomiegegnern leicht, die kurdische Eigenstaatlichkeit zu unterbinden. So ist auch heute festzustellen, dass die Solidarität nicht nur zwischen yezidischen, alevitischen, christlichen und sunnitischen Kurden im Irak nur begrenzt hält – in der Vergangenheit bildeten gerade fundamental-sunnitische Kurden oftmals die Speerspitze gegen die von ihnen als „Ungläubige“ oder „Teufelsanbeter“ verketzerten Volksgruppen.
Die Solidarität zwischen der im Irak agierenden Barzani-Sippe und der von Abdulah Özcalan geprägten türkischen PKK erschöpfte sich in der Vergangenheit ebenso oftmals in Macht- und Stammeskonflikten – eine Situation, auf die der türkische Präsident Erdogan setzte, als er im Sommer 2015 den massiven, bewaffneten Kampf gegen die PKK im Stile seiner nationaltürkischen Vorgänger reaktivierte, um die bei den Wahlen erfolgreiche türkisch-kurdische Partei HDP des Selahatin Demirtash politisch zu vernichten.
Gleichzeitig aber führt der radikalsunnitische IS den Kurden zwischen Nordsyrien und Westiran vor Augen, dass für sie eine dauerhafte, eigenstaatliche Zukunft zwingend daran geknüpft sein wird, die inneren Konflikte und Konkurrenzen zu überwinden. Dazu gehört angesichts der kurdischen Glaubensvielfalt auch und insbesondere die Abkehr von dem insbesondere von den islamischen Sunniten tradierten Anspruch, die eigene Religionsauffassung als einzig zulässige zu akzeptieren und Andersgläubige im Namen Allahs zu diskriminieren und zu verfolgen.
Die Öffnung der Peschmerga-Armee für Frauen im Jahr 1996 stellt dabei einen Tabubruch mit den islamischen Traditionen dar und kann, wenn sich die Kurdinnen ihrer von den Forderungen des Koran deutlich abweichenden Gleichwertigkeit als Gleichberechtigung bewusst werden, ebenso zum Entstehen eines modernen, säkularen Staates Kurdistan beitragen wie jene Erkenntnis der gemeinsamen Gegnerschaft nicht nur zum fundamental-islamischen IS.
Trotz seiner demokratischen Verfassung, anerkannt freier Wahlen, Minderheitenschutz und einer Frauenquote im Parlament von 30 Prozent ist die Autonome Region Kurdistan im Irak dennoch nicht mit westeuropäischen Maßstäben zu messen. Nach wie vor gilt es, das fragile Gleichgewicht zwischen den Sippen und Glaubensrichtungen sorgsam auszutarieren und zu einem für alle Seiten tolerablen Interessenausgleich zu kommen. Hierbei allerdings hat sich der amtierende Präsident Masud Barzani, Sohn des 1961 aufständischen Mustafa Barzani , trotz der von politischen Gegnern des Nepotismus geziehenen, politischen Dominanz seiner Sippe wiederholt als diplomatisch geschickt und pragmatisch erwiesen.
Unabhängig davon, ob es den irakischen Kurden gelingt, ihren Autonomiestatus mittelfristig in die offizielle Eigenstaatlichkeit zu führen, darf nicht verkannt werden, dass von Arbil deutliche Signale in die Region ausgehen, die nicht nur auf Gegenliebe treffen. Während sich der schiitische Irak damit abgefunden zu haben scheint, den Weg in die kurdische Unabhängigkeit im Norden nicht mehr aufhalten zu können und auf Druck der USA zunehmend mehr bereit ist, auf gleichberechtigter Basis den gemeinsamen Kampf gegen die Radikalsunniten abzustimmen, ist die Entwicklung im Nordirak insbesondere den Nationaltürken um Erdogan ein Dorn im Auge. Denn eine funktionsfähige kurdische Demokratie im Irak sendet an die in türkischem Staatsgebiet lebenden Kurden das ständige Signal eines „Es geht!“. Je mehr die staatliche Unabhängigkeit der irakischen Kurden Realität wird, desto weniger werden die türkischen Kurden bereit sein, ihre bis zur bewaffneten Unterdrückung gehende Ausgrenzung durch die Nationaltürken zu akzeptieren. Ähnliches gilt weiterhin für die im Nordwest-Iran und in Nord-Syrien lebenden Kurden, die sich ebenfalls an Arbil orientieren.
Für die regionalen Vertreter der Gottesstaatsidee nicht nur im Iran wäre eine funktionsfähige, kurdische Demokratie darüber hinaus nach Israel das zweite nahöstliche Menetekel zur Überwindung mittelalterlich-religionstotalitärer Staatsvorstellungen. So wie der russische Präsident fürchtet, den totalitären Zugriff auf sein Volk durch erfolgreiche Demokratien in ex-sowjetischen Republiken zu verlieren, so geht von einer erfolgreichen Demokratie in einem islamisch geprägten Nahoststaat eine konkrete Einsturzgefahr für das Gottesstaatsdiktat aus. Nicht nur die des Glaubensdiktats mehr als überdrüssige junge Generation der iranischen Kulturnation blickt insofern voller Spannung nach Arbil – und bereitet den in ihrer religionsfundamentalistischen Erstarrung verharrenden, alten Männern in Teheran und Ghom schlaflose Nächte.
V. Russische und westliche Fallgruben
Sah es lange Zeit so aus, als würde die kurdische Eigenstaatlichkeit im Irak zum Selbstgänger, werden durch das Eingreifen der Russen in Syrien auch die kurdischen Karten neu gemischt. Die Türkei muss das russische Vorgehen als eindeutig gegen seine Interessen gerichtet sehen. Sollte Putin in seinen imperialen Bestrebungen an die zaristisch-sowjetische Tradition anknüpfen wollen, sich künftig auch als Schutzmacht zumindest der in der Türkei lebenden Kurden zu empfehlen um damit die russische Einflusszone über das von ihm beanspruchte Georgien-Armenien und ein PKK-Kurdistan bis in seinen im Aufbau befindlichen syrischen Alewitenstaat auszudehnen, käme dieses quasi einer Kriegserklärung an die Türkei gleich. Jedoch würde ein solches Vorgehen den aktuellen Verbündeten im Iran wie den Schiiten im Irak abschließend vor Augen führen, dass es Russland bei seinem Engagement nicht um freundschaftliche Unterstützung der syrisch-schiitischen Alawiten des Bashar alAssad, sondern ausschließlich um eigene Interessen geht.
Putin dürfte insofern eine offene Unterstützung der PKK vorerst zurückstellen.
Die europäischen NATO-Staaten – und darunter insbesondere die Bundesrepublik – haben dagegen durch eine geschickte Politik der Unterstützung und Einwirkung auf den Kurdenstaat von Arbil die Möglichkeit, über das Vorbild eines funktionsfähigen, demokratisch-säkularen Kurdenstaats maßgeblich zu einer demokratischen Entwicklung im Nahen Osten beizutragen. Die bundesrepublikanische Außenpolitik ist durch ihre Unterstützung der Peschmerga – ob gewollt oder ungewollt – selbst bereits zum Player in der Region geworden. Sie steht dabei mit ihrer Politik nicht nur in der Konkurrenz zu erklärten Gegnern einer demokratischen Entwicklung wie Russland und dem Iran, sondern auch zu vorgeblichen Verbündeten wie der Türkei.
Deutschland wird sich im Zweifel entscheiden müssen, ob es bei der Unterstützung und Festigung der kurdischen Demokratie eine aktive Rolle spielen will oder aus Rücksicht auf eine zunehmend präsidialdiktatorisch auftretende Türkei die junge Demokratie im Stich lassen wird. Maßgeblich wird dabei sein, die Kurden nicht nur waffenlogistisch zu unterstützen, sondern die Hilfe durch adäquate Angebote auch auf zivile Bereiche wie Bildung, Verwaltung und Wirtschaft zu erweitern.
Ein Problem der Deutschen und mit ihnen der Europäer kann jedoch neben den türkischen Widerständen, die bereits in der stillschweigenden Beförderung des Flüchtlings-Exodus durch die Erdogan-Administration ihren Niederschlag finden, auch die durch traditionelle Wankelmütigkeit geprägte Außenpolitik der USA werden. Zwar haben die USA die Autonomie der irakischen Kurden bislang aktiv unterstützt und setzen im Konflikt gegen den IS ähnlich Deutschland aktiv auf die Peschmerga als verbündete Bodentruppen, jedoch steht – ähnlich dem türkischen Fake der tatsächlich gegen die PKK gerichteten, vorgeblichen Luftschläge gegen den IS – zu befürchten, dass die außenpolitisch perspektivlos agierende Obama-Administration erneut einknickt und die Kurden zugunsten scheinbarer NATO-Interessen verrät. Das allerdings wäre dann die optimale Einstiegsoption Russlands, seinen Einfluss in der Region bis tief in das nahöstliche Hinterland zu erweitern.
Will der Westen diese geopolitische Perspektive Moskaus unterbinden, wird nicht nur die aktive und auszubauende Unterstützung der Arbil-Kurden von hoher Bedeutung sein. Es ist auch dringend an der Zeit, das Verhältnis zur PKK zu überdenken und diese über Kooperationsangebote in eine gemeinsame, auf friedliches Zusammenleben von Türken und Kurden orientierte Perspektive einzubinden. Diese Perspektive muss nicht zwangsläufig in eine nationalstaatliche Einheit aller Kurden oder eine eigene, staatliche Unabhängigkeit der türkischen Kurden führen – jedoch wird dem NATO-Partner Türkei unmissverständlich klar gemacht werden müssen, dass er mit „seinen“ Kurden wie mit anderen Minderheiten endlich zu einer Situation des Ausgleichs und der Rechtsgleichheit kommt. Diese muss autonome Selbstverwaltungsrechte ebenso umfassen wie die uneingeschränkte Gleichberechtigung der kurdischen Kultur in der türkischen Gesellschaft. So lange dies nicht der Fall ist, kann ein seinen Grundsätzen verpflichtetes Europa weder die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ernsthaft fortsetzen noch die Erpressungsversuche der türkischen Regierung in Sachen Flüchtlingspolitik und NATO akzeptieren.