Gibt es bisher nur destruktiven Journalismus? Es drängt sich auf, darauf mit Ja zu antworten, glaubt man denen, die neuerdings das Konzept des „konstruktiven Journalismus“ propagieren. Es handelt sich vorzugsweise um Kollegen mit eher grünen oder linken Ansichten bei öffentlich-rechtlichen Anstalten und bei der Zeit, die mit „konstruktiven“ Ansätzen experimentieren. Die seien eine Chance, die Glaubwürdigkeit der Medien zu erhöhen, heißt es dabei gern.
Das Konzept des „konstruktiven Journalismus“ predigt „Lösungen statt Probleme“. Kurz gesagt: Journalismus solle nicht nur Missstände anprangern, sondern auch Wege zur Lösung anbieten. Sogar der Focus outet sich neuerdings als Verfechter eines solchen Ansatzes, was glücklicherweise nicht nur ich ziemlich spaßig finde. Offenbar glaubt man jetzt auch in „Clickbaithausen“, sein Ansehen mit einer schönklingenden Parole und ohne viel Mühe aufpolieren zu können. Durchdacht ist das alles nicht. „Konstruktiv“ klingt gut, aber es ist nichts weiter als PR-artiges Geschwätz und schafft nichts als Widersprüche und neue Probleme.
„Rundfunkräte sind keine Parallelparlamente.“
Zweitens: Es ist anmaßend. Journalisten haben von den meisten Problemen keine Ahnung. Sie können vielleicht mal auf die Schnelle irgendwelche „Experten“ herantelefonieren. Aber sie wissen nicht, welcher „Experte“ echte Ahnung hat und welcher nicht. Journalisten tun sich schon schwer damit, Probleme in ihren eigenen Läden zu lösen. Das qualifiziert sie nicht unbedingt dazu, die Welt zu retten.
Drittens: Es verwässert die journalistische Rolle. Journalisten, die sich als Problemlöser begreifen, sind keine Journalisten mehr. Sie sind dann eher Aktivisten. Journalisten dieser Gattung haben leider auch kein Problem, publizistisch für NGOs oder Lobbyverbände zu arbeiten und gleichzeitig für sich seriös gebende Medien. Aus journalistischer Perspektive ist derartiges ein frontaler Interessenskonflikt. Journalismus funktioniert nie ohne Distanz. Journalismus ohne Distanz ist unglaubwürdig.
Viertens: Es vertreibt Leser. Diese „konstruktiven“ Geschichten sind nämlich allesamt vor allem langweilig, langatmig und anstrengend.
„Journalismus ohne Distanz ist unglaubwürdig.“
Fünftens: Es vergiftet den Diskurs. Schon der Begriff des „konstruktiven Journalismus“ sagt unterschwellig, dass er der bessere Journalismus ist. Besser als der „unkonstruktive“ Journalismus. Damit hat den Journalismus eine rhetorische Keule erreicht, die es bis dato nur in der Politik gab. Sie funktioniert so, dass jeder, der nur Kritik übt, so lange delegitimiert wird, bis er eine bessere Lösung vorschlägt. Damit zwingt man jeden Kritiker, die Kategorien des Kritisierten anzunehmen. Und man verweigert jedem zu sagen, ein Zustand sei schädlich, ohne, dass der Betreffende wüsste, wie er zu verbessern sei. Das bedeutet schlussendlich die alternativlose Macht für einen Club von Insidern, die ihr Wissen niemals teilen, sondern nur zum taktischen Debattenabwürgen hervorziehen.
Weniger Streit dürfte es darum geben, dass deftige Enthüllungen unbedingt als Journalismus gelten. Eines der tollsten Beispiele dafür ist seit vielen Jahren das Buch „Die Getriebenen“ von Welt-Reporter Robin Alexander. Darin deckt er reihenweise peinliche Interna aus dem Bundeskanzleramt und seiner Umgebung auf und schreibt die Geschichte einer Regierung, die im September 2015 angesichts der Flüchtlingskrise die Kontrolle über die Politik verliert. Konstruktive Lösungsansätze? Pustekuchen! Ist auch nicht sein Job. Sein Job ist es, zu informieren. Nicht mehr und nicht weniger. Den Regierungsjob haben andere. Man darf sie kritisieren, ohne deshalb mitregieren zu müssen.
„Man darf kritisieren, ohne deshalb mitregieren zu müssen.“
Eines der tatsächlichen Motive hinter dem „konstruktivem Journalismus“ dürfte Faulheit sein. Grundsätzlich behandeln die „konstruktiven“ Geschichten nämlich allgemein bekannten Stoff ohne jeglichen Neuigkeitsgehalt. Die Recherche besteht vielleicht in etwas Googeln, aber das war’s auch schon. Die „Lösungen“ ergeben sich dann, indem auf einem Bleistift gekaut und irgendwas hingeschrieben wird, was sich gut liest. Oder, indem auch mal ein „Experte“ zitiert wird. Jedenfalls ist es doch immer wieder erstaunlich, wie solche „Journalisten“ es schaffen, komplexe Probleme einfach mal so zu lösen, was ausgefuchste Organisationen partout nicht hinbekommen.
Dummerweise merkt das Publikum so etwas. Es ist nicht so beschränkt, wie vor allem diese Gruppe von Journalisten es gerne hätte. Ich glaube, dass hier der wirkliche Grund für das weithin angeknackste Image der Medien liegt. Ich weiß, dass das niemand gerne hört und dass es bequemer wäre, wenn es Wutbürger, AfD, Pegida etc. wären. Nur ist es hier wie bei fast allem: Wenn man in Schwierigkeiten steckt, dann ist man meist selber schuld und sollte darum bei sich anfangen, wenn man „konstruktiv“ sein will. Bzw.: Konstruktiv, ohne Anführungsstrichelchen.
Dieser Text ist zuerst hier und hier erschienen.
Christoph Lemmer ist Journalist und schreibt u.a. für den Tagesspiegel, die Berliner Morgenpost und die Welt. Seit 2014 berichtet er für die dpa vom Münchner NSU-Prozess.