Tichys Einblick
Christlicher Polytheismus

Mit Geld und Stellen wohlversorgt, ist die Kirche bequem geworden

Dass die römische Kirche diese Missständen überlebt hat, hatte sie vor allem Martin Luther zu verdanken. Indem er mit der ständig versprochenen und ewig verschobenen Reform ernst machte, zwang Luther den Klerus auf den gleichen Weg. Von Konrad Adam

IMAGO / Rene Traut

Am Vorabend der Reformation befand sich die Kirche in einem traurigen Zustand. Sie hatte sich von einer geistlichen in eine weltliche Macht, in einen Staat, den Kirchenstaat verwandelt. Die Päpste hielten Hof, scheffelten Geld, verkauften Ämter und Pensionen, umgaben sich mit Freunden, Kindern und Konkubinen, und die Prälaten taten es ihnen nach. Als Lukrezia Borgia, die Tochter Alexanders VI., in klösterlicher Abgeschiedenheit einen Sohn zur Welt gebracht hatte, beeilte sich der Papst, zunächst seinen Sohn Cesare, den Feldhauptmann der Kirche, danach sich selbst als Vater an- oder besser auszugeben. All das ging in Italien von Mund zu Mund und bestärkte nicht nur die Angehörigen der höheren Stände, sondern auch das einfache Volk in seinem Misstrauen gegen korrupte Priester, seiner Verachtung der geilen Mönche und seinem Spott über schwangere Nonnen. Boccaccios Erzählungen sind voll davon.

Dass die römische Kirche diese Missständen überlebt hat, hatte sie vor allem Martin Luther zu verdanken. Indem er mit der ständig versprochenen und ewig verschobenen Reform ernst machte, zwang Luther den Klerus auf den gleichen Weg. „Nur die Schrift“ war ein Grundsatz, den die Statthalter einer Schriftreligion auf Dauer nicht ignorieren konnten. Die Antwort auf die Reformation war die Gegenreformation, mit deren Hilfe der Papst in seine alte Machtstellung zurückkehrte. Der Kampf mit einem starken Gegner hatte ihn stärker gemacht.

Der EKD fehlt ein Gegner

Heute befindet sich die EKD, der Evangelischen Kirche Deutschlands in einer ähnlichen Lage; ihr fehlt jedoch der Gegner, der starker Gegner. Und das bekommt ihr schlecht. Sie fragt nicht mehr, sie weiß ja schon Bescheid und hat auf alles eine Antwort. Was sie zu sagen hat, klingt immer gleich, einseitig und vorhersehbar wie eine Wortmeldung von Georg Restle. Opposition ist unerwünscht, Widerspruch verdächtig; wo er sich regt, wird er niedergestimmt und niedermacht, auf Kirchentagen, den Volksfesten der EKD, auch niedergebetet oder niedergesungen, notfalls niedergebrüllt. Wer sich der Tiraden erinnert, mit denen Heinrich Bedford-Strohm in seiner Eigenschaft als Ratsvorsitzender seinen Mitbruder, den sächsischen Landesbischof Carsten Rentzing, kirchenöffentlich fertig gemacht hat, wird sich von dem Umgangston, der in den Gremien der Kirche herrscht, eine angemessene Vorstellung bilden können.

Die Kirche ist reich, aber nicht mächtig, denn ihre Macht ist nur geborgt. Ihre laufenden Einnahmen, gut sechs Milliarden Euro Jahr für Jahr, stammen aus der Kirchensteuer, und die wird vom Staat eingetrieben. Das deutsche Kirchensteuerprivileg, weltweit ein Unikum, wurde hingenommen, so lange die Kirche den Ansprüchen des Staates etwas Eigenes entgegenzusetzen hatte. Doch damit ist es längst vorbei. Indem sie sich der Regierung andient, macht sich die Kirche überflüssig. Wozu noch Mitglied sein in einem Dienstleistungsbetrieb, dessen Führungspersonal zwischen Staats-, Partei- und Kirchenämtern hin- und herwechselt? Nicht alles, was von oben kommt, wird von der EKD gebilligt, das meiste aber eben doch. Selbst bei der Vettern- und Cousinenwirtschaft, beim Machtmissbrauch und den Gehaltsexzessen, wie sie im Umkreis des öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten üblich geworden sind, hat sie mitgemacht. Auch für sie selbst, für ihre Vertreter und Synodalen, ist dabei einiges herausgesprungen.

Ein neuer Polytheismus

Mit Geld und Stellen wohlversorgt, ist die Kirche bequem geworden. Sie lebt im Hier und Heute und nimmt die Menschen, wie sie nun einmal sind. „Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde“ heißt es im Schöpfungsbericht der Bibel, und dann noch einmal, wie zur Bekräftigung: „zum Bildes Gottes schuf er ihn“. Ein solcher Text stellt Ansprüche, und das gefällt der Kirche nicht, sie kommt viel lieber anspruchslos daher. Deswegen hat sie den Text umgedreht und lädt den Menschen dazu ein, sich Gott nach seinem Bilde zu erschaffen: als Mann oder als Frau, als schwarz oder weiß, als homo, hetero und was es sonst noch gibt im Supermarkt der tausend Möglichkeiten. Geschlecht und Herkunft, Hautfarbe und sexuelle Präferenzen, alles muss stimmen und kopiert werden: ein neuer Polytheismus, der jedem einen Gott verspricht, der ganz so aussieht wie er selbst.

„Gott ist queer“ hieß die Botschaft, mit der die Teilnehmer des letzten Kirchtages nach Hause geschickt worden sind. Wer das für töricht, ärgerlich oder überflüssig hielt, wurde öffentlich vermahnt und kirchenhoheitlich zurechtgewiesen, das Dogma duldet keinen Widerspruch. Dass jener Gott, von dem das Alte und das Neue Testament berichten, keine der Eigenschaften besitzt, die ihm auf Kirchentagen angedichtet werden, passt nicht ins Bild der zeitgemäßen Kirche. „Ich bin, der ich bin“, das ist zu vage und zu wenig, muss also präzisiert und nachgezeichnet werden. Die Kirche will genauer hinsehen, Unterschiede erkennen, diskriminieren – diskriminieren heißt ja unterscheiden – und merkt gar nicht, dass sie damit genau das tut, was sie nach außen hin bekämpft.

Jahrmarkt der Verschiedenheiten

Über Floskeln – bunt und offen, vielfältig und divers, inter, trans und so weiter – kommt diese Kirche nicht hinaus. Dass sie in dieser Form, als Jahrmarkt der Verschiedenheiten, überleben kann, ist unwahrscheinlich, schon die Statistik spricht ja auch dagegen. Mag die Austrittswelle von Jahr zu Jahr neue Rekordmarken erreichen, die Kirchenführung lässt das kalt. Sie will ja nicht mehr Volkskirche, sie will Elitekirche sein, und dazu braucht sie Bürokratien, keine Gemeinden. Die Kirchenämter werden deshalb ausgebaut, und die Gemeinden schrumpfen. Nachdenkliche Amtspersonen wie Annette Kurschus, die Nachfolgerin von Bedford-Strohm im Ratsvorsitz der Kirche, sehen die Fundamente bröckeln und suchen nach einer Antwort. Eine Organisation, die sich als Kaderpartei versteht und den Gleichschritt übt, wird die so bald jedoch nicht finden. Ihr fehlt ein Mann wie Luther.

Die Evangelische Kirche führt ihn noch im Namen, verdankt ihm ihren Katechismus, ihre schönsten Lieder und eine Sprache, die aus der Bibel ein Volksbuch gemacht hat. In dieser Sprache will sie aber nicht mehr reden, sie zieht das gendern vor. Um Luthers Kurzsichtigkeit darzutun, haben ihm in Hannover, dem Sitz des Evangelischen Kirchenamtes, zwei Aktivist:innen in effigie die Augen verbunden. Sie haben recht daran getan, denn der Anblick seiner Kirche in ihrer heutigen, traurigen Gestalt hätte Luther bekümmert.

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