Erst Warren Buffet, dann Bill Gates, jetzt Mark Zuckerberg. Sie alle und einige andere auf der Liste der „The Giving Pledge“ – und Unzählige mehr diesseits der Hürde der Superreichen – müssen nicht erst wie Ebenezer Scrooge von drei Geistern der Weihnacht heimgesucht werden, um ihre gesellschaftliche Verantwortung zu entdecken und mildtätig gestimmt zu werden.
Eigentum verpflichtet. Das ist ethisches Selbstverständnis der allermeisten, die es zu einem Vermögen gebracht haben (weit darüber hinaus, dass mit diesen Vermögen fast ausnahmslos Arbeitsplätze begründet werden). Davon unbenommen bleibt jedoch, dass man in einer freiheitlichen Gesellschaft über das, was man selbst geschaffen hat, auch selbst verfügen möchte. Daher warten Zuckerberg und Kollegen auch nicht einfach ab, bis ihr Vermögen im Todesfall je nach US-Bundesstaat um 40 bis fast 60 Prozent Nachlasssteuer geschmälert wird. Bevor sie das Geld in einer diffusen staatlichen Umverteilungsmaschinerie versickern lassen, entscheiden sie selbst, wie sie die Welt zu einem besseren Platz machen wollen.
Der Versicherer Hannoversche Leben hat unlängst eine repräsentative Befragung zum Thema „Patientenverfügung und Erbschaft“ durchführen lassen. Mit dabei die Frage: „Wem würden Sie auf keinem Fall etwas vererben?“ Was meinen Sie, wer da mit Abstand die ersten beiden Plätze belegt hat? – Richtig: Politik und Staat. Knapp drei Viertel würden absolut niemals etwas an Parteien vererben und genau zwei Drittel wollen ihren Nachlass keinesfalls dem Staatsäckel anheim geben. Eine Aussage, die man durchaus auch auf die Erbschaftsteuer ummünzen kann. Die absolute Mehrheit der Bevölkerung spricht dem Staat jedes Verfügungsrecht über ihr aus gespartem, versteuertem Einkommen gebildetes Vermögen ab. So viel zum Thema, eine Abschaffung der Erbschaftsteuer wäre bei der Bevölkerung nicht durchsetzbar.
Erst letzte Woche hatte mir Hamburgs Finanzsenator Peter Tschentscher just in diesem Zusammenhang bei einer Podiumsdiskussion Realitätsferne vorgeworfen: Mit dem Versuch, die Abschaffung der Erbschaftsteuer als gerecht zu begründen, müsste man unweigerlich in jeder Fernsehtalkrunde durchfallen. Einmal abgesehen davon, dass er damit quotenheischende Fernsehformate vom Probierstein für Politik zur Vetomacht erhebt, liegt er wohl mit seiner Einschätzung der Gemütslage im Lande auch nicht richtig.
Das lässt auch die diesjährige Volksabstimmung in der Schweiz vermuten. Dort wird die Erbschaftsteuer kantonal geregelt. Wenn an die Nachkommen vererbt wird, fällt in den meisten Fällen keine Steuer an. Der Vorschlag, dass künftig landesweit einheitlich die Privatvermögen ab zwei Millionen Franken beim Vererben mit 20 Prozent besteuert werden sollten und Betriebsvermögen ab 50 Millionen Franken mit fünf Prozent (jeweils das Vererben an den Ehepartner ausgenommen), wurde bei einer Volksbefragung im Juni 2015 mit einer überragenden Mehrheit von 71,7 Prozent der abgegebenen Stimmen abgelehnt. Betroffen wären von dieser Steuer vermutlich nur etwa zehn Prozent der Schweizer gewesen, abgelehnt wurde sie mit einer Zweidrittel-Mehrheit. Mit einer Beteiligung von 43,7 Prozent der Stimmberechtigten ein repräsentativer Ausdruck des Volkswillens gegen die von Sozialdemokraten, GRÜNEN und Gewerkschaften getragene Neidmobilisierung.
Auch in Österreich wollte die SPÖ bei der großen Steuerreform dieses Jahres wieder die Erbschafts- und Schenkungssteuer sowie eine Vermögenssteuer einführen, konnte sich aber beim kleineren Regierungspartner ÖVP und gegen die öffentliche Meinung nicht durchsetzen. Andere kommen, ohne nennenswerten Unmut des Volkes auf sich zu ziehen, mehr oder weniger gar nicht erst auf die Idee, eine Erbschaftsteuer zu erheben: Wie eine Reihe ehemaliger Ostblock-Länder, die sich nach dem Fall des Eisernen Vorhangs Ende der 80er-, Anfang der 90er-Jahre des letzten Jahrhunderts in westlicher Neuausrichtung vollkommen neu erfinden mussten.
In Estland und Lettland gibt es generell keine Erbschaft- und Schenkungsteuer, Litauen, Tschechien und seit 2007 Polen besteuern nur entfernte Verwandte beziehungsweise Fremde und in der Slowakei wurde die Besteuerung schon 2004 wieder abgeschafft. All diese Länder profitieren heute von hohen wirtschaftlichen Wachstumsraten. Man spricht bei Litauen, Lettland und Estland von den baltischen Tigern. Die Slowakei wurde als ehemalige sowjetische Rüstungsschmiede nach der Wende zunächst fast vollständig deindustrialisiert, konnte das aber bereits Mitte der 90er-Jahre wieder kompensieren und wächst seitdem real – mit einer kleinen Delle während der Subprime-Krise. Tschechien hat im Ranking des Human Development Index (HDI) der Vereinten Nationen mit Rang 28 den besten Platz aller postkommunistischen Staaten. Polen belegt inzwischen Platz 21 der größten Volkswirtschaften der Welt (nach kaufkraftbereinigtem Bruttoinlandsprodukt, entsprechend den Zahlen des Internationalen Währungsfonds 2014).
Es gäbe also genügend Beispiele, um den Leuten zu erklären, dass bei der Erbschaftsteuer vielleicht weniger mehr ist. Sprich der Wegfall der Erbschafsteuer wachstums- und wohlfahrtsförderlich an anderer Stelle durch Steuereinnahmen mehr als kompensiert wird. Und, wie gesagt, man würde bei den meisten sowieso offene Türen einrennen. Sein Vermögen möchte kaum jemand dem Staat überlassen, auch nicht im Todesfall.
Die Verwandtschaft schließt hingegen fast niemand vom Nachlass aus. Sogar die Schwiegermutter wird laut der Umfrage der Hannoverschen nur von sieben Prozent kategorisch enterbt. Und noch etwas sehr wichtiges ist bei dieser Befragung herausgekommen. Den Menschen ist durchaus daran gelegen, etwas zu hinterlassen: Nur acht Prozent geben an, dass sie gar nichts vererben wollen und lieber alles selber ausgeben.
Die Menschen bilden Vermögen, um Vorsorge zu leisten. Das liegt ihnen evolutionär im Blut – sogar trotz des stetigen Bestrebens unseres überbordenden Wohlfahrtsstaates, sie zu Untertanen der öffentlichen Fürsorge zu degradieren. Und bei der Vorsorge denken sie als soziale Wesen nicht nur an sich, sondern generationenübergreifend vor allem an ihr direktes familiäres Umfeld. Die Bürger sind bereit, es mit der Subsidiarität ernst zu nehmen. Die Bürger sind bereit dazu, sich aus eigener Kraft zu bewähren. Dazu muss der Staat sie aber auch in die Lage versetzen. Wenn die Einkommen weit über die Hälfte mit Steuern und Abgaben belastet sind, und wenn dann auch noch das per Konsumverzicht daraus gebildete Vermögen geschmälert wird, nur weil man eigenwillig darüber verfügt, dann hat das tatsächlich mit einer freiheitlichen Gesellschaft selbständiger Bürger nicht mehr viel zu tun.