Fassungslos blicke ich auf das Bild aus der Powerpoint-Präsentation, das auf der Leinwand erscheint. Ich sitze nun schon seit einigen Stunden mit ca. 30 Fahrern in diesem Schulungsraum und kann nicht glauben, was hier passiert. Auf der Leinwand ist offenbar eine Szene aus einer Werkskantine zu sehen.
An einem Stehtisch im Vordergrund steht ein Mann, der in eine Ausgabe des Magazins „Trucker“ vertieft ist und keine Kenntnis von dem anderen Mann nimmt, der mit einem Becher Kaffee zu ihm an den Tisch getreten ist und scheinbar ein Gespräch sucht. Über dem Bild ist eine Frage formuliert: „Wenn Sie der andere Fahrer wären: Wie würden Sie Tonis Verhalten deuten?“
Gottseidank erspart uns der Trainer das lächerliche Rumspekulieren und blendet die Begriffe „abweisend“, „desinteressiert“ und „ablehnend“ ein. Klar: Toni will seine Ruhe haben. Auf dem nächsten Chart werden wir darüber aufgeklärt, woran wir das festmachen können: Kein Blickkontakt, Körperhaltung, Gesichtsausdruck. Dann sollen wir Beispiele für „Sprachliche Komponenten“ wie Betonung, Tonlage, Lautstärke etc. und „Nichtsprachliche Komponenten“ wie Gestik, Mimik, Körperhaltung „sammeln“. Im Raum kommt Stimmung auf und einige der Teilnehmer tun sich mit Beispielen hervor.
Dieser Tag ist wirklich der Höhepunkt eines absurden Theaters, das täglich viele Male in Deutschland weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet. Ich habe heute anhand laienhaft inszenierter Bildgeschichten immerhin lernen dürfen, dass man als untergebener Latzhosenträger auf keinem Fall einem höher gestellten Anzugträger zuerst die Hand reicht. Eine Antwort auf die Frage, die mich seit Wochen umtreibt, habe ich allerdings noch nicht erhalten.
Diese lautet: Wie kann es sein, dass der Gesetzgeber ein Gesetz verabschiedet, das jeden gewerblichen Fahrer, der ein Fahrzeug über 3,5 t (!) fährt, zur kostenpflichtigen Teilnahme an so einer Veranstaltung verpflichtet? Für mich schlägt der Spaß mit 375,- Euro zu Buche. Wenn man diese Summe mit der Zahl aller gewerblichen Fahrer multipliziert, wird klar, dass einige in diesem Land, wie zum Beispiel TÜV und DEKRA, einen ziemlichen Reibach machen.
Aber der Reihe nach: Aus persönlichen Gründen hänge ich an meinem LKW-Führerschein und möchte diesen auch gerne behalten. Dies umso mehr, seit ich weiß, dass der Neuerwerb heute um die 13.000 Euro kostet. Ich verließ mich darauf, dass es in Deutschland immer einen Bestandsschutz gab, das heißt, was man einmal fahren durfte, durfte man auch nach gesetzlichen Änderungen weiter fahren.
Alle 5 Jahre ein neuer Führerschein
Allerdings ist der Führerschein Klasse C mittlerweile nur 5 Jahre gültig und so muss ich mich nach Ablauf der Frist einer ärztlichen und ausgedehnten augenärztlichen Untersuchung (ca. 120,- Euro) unterziehen, um dann für ca. 48,- Euro einen neuen Führerschein zu beantragen. Dies sollte man nicht versäumen, denn ohne diese Untersuchung wird die Fahrerlaubnis nach einer Frist schlicht ungültig. Lästig, wenn man aktuell den Führerschein überhaupt nicht benötigt.
Seit einiger Zeit gibt es nun das Berufskraftfahrerqualifikationsgesetz. Kraftfahrer im gewerblichen Güterverkehr unterliegen danach der Weiterbildungspflicht und müssen insgesamt 35 Stunden a 60min innerhalb von fünf Jahren nachweisen. Erst nach absolvierter Schulung, die in 5 Module aufgeteilt ist, kann man sich die „Kennziffer 95“ in den Führerschein eintragen lassen (Neuausstellung für ca. 48,- Euro), die dann für 5 Jahre gültig ist. Ohne diese darf man gewerblich kein Fahrzeug über 3,5 t. fahren. Das Ganze basiert – wie sollte es auch anders sein – auf EU-Vorschriften.
Die Weiterbildung: ein absurdes Theater
Im Dezember 2015 hatte ich mir deshalb eine Woche Zeit genommen, einen kompetenten Anbieter gesucht (375,- Euro) und habe mich 5 Tage lang jeden Tag 7 Stunden lang „qualifizieren“ lassen.
Den Zwang, diese Schulung machen zu müssen, empfand ich als deutlichen Eingriff in meine persönliche Freiheit und die aller anderen gewerblichen Fahrer. Nach meinem naiven Verständnis ist so etwas nur erlaubt, wenn der Gesetzgeber sich auf ein zwingendes, übergeordnetes öffentliches Interesse berufen kann.
Um es vorweg zu nehmen: Dieses ganze Schulungsprogramm wirkt wie mit der heißen Nadel gestrickt (obwohl es schon die „2. Welle“ ist) und ein öffentliches Interesse ist bei einigen Modulen überhaupt nicht zu erkennen. Der Verdacht drängt sich auf, dass sich, wie so oft, eine Interessenvertretung hier wieder einmal ein Gesetz hat maßschneidern lassen, um Gewinn zu machen.
Der Ablauf und meine Bewertung in Kürze:
Tag/MODUL 1
Verkehrs- und Umweltsicherheit. Wirtschaftliches Fahren. Es war wenig dabei, was man nicht als spritsparender PKW-Fahrer ohnehin weiß. Ein öffentliches Interesse ist nur ansatzweise zu erkennen. Zwar liegt die Reduktion der Emissionen im Interesse der Allgemeinheit. Das Interesse des Fuhrunternehmers ist allerdings noch größer, da die Treibstoffkosten mit der größte Kostenblock sind. Daher ist dieses Modul im Interesse der Allgemeinheit unnötig.
Tag/MODUL 2
Rechtliche Rahmenbedingungen. Allgemeine Vorschriften, Sicherheitsbestimmungen, Lenk- und Ruhezeiten. Sehr viel trockener Stoff, den man kaum behalten kann. Es gibt diverse Gesetze, die die Lenkzeiten, die Arbeitszeiten, Sozialvorschriften, Unfallverhütungsvorschriften etc. betreffen. Jeder Fahrer wird mit der Praxis der Lenk- und Ruhezeiten vertraut sein, da es sonst Anzeigen und Bußgelder gibt. Glücklicherweise gab es einen kleinen Flyer, in dem das, was man in der Praxis wissen muss, enthalten ist. Unerklärlich, warum man sich einen ganzen Tag mit Paragraphen beschäftigen muss.
Tag/MODUL 3
Optimierung des rationalen Fahrverhaltens Fahrdynamik und Sicherheitstechnik. Weiterbildung in Punkto Fahrzeugtechnik. Die schöne bunte Welt der LKW-Technik. Was gibt es Neues, was bringt die Zukunft? Kommt der Hybrid- oder Elektrotruck? War ganz unterhaltsam, aber es ist nicht zu erkennen, warum man Fahrer dazu zwangsverpflichten muss. Interessant: Die neuen Kontrollgeräte, die neben Lenkzeiten und Geschwindigkeit immer mehr aufzeichnen, könnten von der Polizei im Vorbeifahren ausgelesen werden.
Tag/MODUL 4
Arbeitsplatz LKW – Schaltstelle Fahrer. Stress am Arbeitsplatz. Risiken für eventuelle Arbeitsunfälle. Knigge für Kraftfahrer: Wertschöpfung durch Wertschätzung . Der professionelle Umgang mit dem Kunden.
Dieses Modul hieß in der 1. Welle: „Der Fahrer als Imageträger“. Beispiel siehe oben. Ein Witz als gesetzlich verpflichtende Schulung. Da kann der Fuhrunternehmer einen Knigge-Coach auf seine Kosten engagieren. Kein öffentliches Interesse.
Tag/MODUL 5
Ladungssicherheit bei LKW’s im Gütertransport. Sicherheitsvorschriften und physikalische Gesetze. Was sind die Pflichten eines Fahrzeugführers? Wie werden Güter professionell geladen? Dies ist das einzige Modul, wo man mit Sicherheit ein öffentliches Interesse erkennen kann. Sehr viel Theorie und mathematische Formeln, die man wohl nur bedingt in der Praxis anwenden kann. Dennoch ein notwendiges Thema für die allgemeine Verkehrssicherheit.
Abkassieren unter Ausschluss der Öffentlichkeit
Das Beispiel des Berufskraftfahrerqualifikationsgesetzes veranschaulicht gut, was passiert, wenn eine Gruppe ohne Lobbyisten und Unterstützung durch die Öffentlichkeit da steht. Der deutsche Durchschnittsbürger (in anderen Ländern ist das nicht so) ist den LKW-Fahrern nicht gerade wohlgesonnen, behindern sie doch oft die „freie Fahrt für freie Bürger“. Eine willkommene Beute für Lobbygruppen und Wirtschaftsverbände mit Einfluss. Man bestellt sich einfach ein paar Gesetze, um die Umsätze zu erhöhen.
Es gab vor einiger Zeit zwar mal den wahnwitzigen Versuch, eine jährliche TÜV-Untersuchung für PKW auf den Weg zu bringen, dieser ist allerdings furios gescheitert. Aber mit Randgruppen lässt sich, gewissermaßen unter Ausschluss der Öffentlichkeit, relativ bequem und sicher Geld machen. Schaut man sich zum Beispiel die Geschäftsberichte von TÜV und DEKRA an und vergleicht die Entwicklung der jährlichen Umsätze, lässt sich Verblüffendes feststellen: Diese gehen stetig nach oben und keine Wirtschafts- oder Finanzkrise hat eine Delle verursacht.
Leider interessiert sich die Öffentlichkeit für Themen, die lediglich Minderheiten betreffen, kaum. Man denkt: „Mich betrifft es ja nicht“. Und wenn der Allgemeinheit dann noch ein „Mehr an Sicherheit“ versprochen wird, wird alles gutgeheißen. Es darf bezweifelt werden, dass die regelmäßigen Schulungen für Fahrer die Sicherheit auf den Straßen wirklich verbessern. Aber Maßnahmen, die das leisten könnten, wie zum Beispiel der Ausbau der Straßen oder der Bau neuer Raststätten, kosten Geld.
Ein Berufskraftfahrerqualifikationsgesetz bringt Geld und schafft obendrein Arbeitsplätze in Verwaltung und Weiterbildung.
Im Namen der Sicherheit
Das Desinteresse der Öffentlichkeit könnte sich allerdings rächen. Es ist zu befürchten, dass Regelungen, die bisher bei Berufskraftfahrern getestet werden, in Zukunft auch für die Inhaber von PKW-Führerscheinen eingeführt werden. Im Namen der Sicherheit könnte es dann zeitlich begrenzte Führerscheine mit Nachschulungszwang geben und regelmäßige ärztliche Untersuchungen ab 50 Jahre. Die Regulierungs- und Kontrollwut der Bürokratie ist unersättlich.
Insgesamt – das zeigt auch das Beispiel „Berufskraftfahrerqualifikationsgesetz“ – werden wir Zeuge einer bedenklichen Entwicklung. Politik und Bürokratie zeigen immer weniger Respekt vor der Selbstbestimmung der Bürger. Anstatt neue Gesetze und Verordnungen nur dann zu erlassen, wenn diese absolut notwendig und im Interesse der Allgemeinheit sind, erleben wir das Gegenteil. Lobbygruppen „bestellen“ sich Gesetze, um an das Geld der Leute zu kommen. Es ist letztlich nicht anderes als eine Umverteilung von unten nach oben. Wer da heute wegschaut, weil es ihn nicht betrifft, könnte morgen selbst zur Kasse gebeten werden.
Dirk Schmidt ist Kommunikationsberater.